Die Schweiz steht für Präzision. Und dass auch Schweizer Reiter gerne ganz präzise lernen und arbeiten, davon konnte ich mir kürzlich selbst ein Bild machen. Vor zwei Wochen war ich in Graubünden zu Gast auf einem Wochenendkurs. Organisatorin Najat Zinbi fasst im heutigen Gastartikel ihre Eindrücke zusammen:
Von großen und kleinen Problemen
Bereits zum dritten Mal ist Anna Eichinger bei uns zu Gast gewesen. Wir züchten mitten im schönen Graubünden Vollblutaraber, arabisches Halbblut und Urfreiberger. Da wir sehr viel Wert auf eine artgerechte Haltung und Zucht legen – unsere Pferde wachsen mitten in den Bergen auf, genießen eine gemischte Herde unter Jung und Alt , liegt uns auch eine pferdegerechte und schonende Ausbildung sehr am Herzen.
Am zweiten Kurstag war ich einmal mehr positiv überrascht, als unsere Jungstute Toskana, die selbst noch in den Kinderschuhen ihrer Ausbildung steckt mit einer Teilnehmerin ganz spontan die ersten Schritte zur akademischen Reitkunst ertastete. Dabei wurden die zwei gefühlvoll von Anna begleitet.
Toskana hat uns einmal mehr gezeigt – sind Pferde unerfahren in der Ausbildung, aber gut sozialisiert, finden wir rasch einen Zugang und eine gemeinsame Sprache. Eine gemeinsame Sprache fand auch Anna rasch zu uns. In der ersten Theorieeinheit wurden wir Praxisteilnehmer bzw. unsere Wünsche genauer unter die Lupe genommen. Anna erfragte von allen individuelle Zielvorstellungen und Wünsche. Wie sehr wir hier noch lernen müssen, deutlich zu formulieren wurde hier sichtbar. Große Probleme können eigentlich ganz klein werden – allen Anfang macht eine gelungene Visualisierung.
Nach dem Motto: Kennst du dein Ziel ganz genau, dann kannst du auch den Weg dorthin besser planen und kleine Schritte auch „sehen“ lernen. So diskutierten wir, wie eine genaue Stellung aussehen soll, worauf im Körper des Pferdes Wert zu legen ist. Wie schaut ein gutes Schulterherein überhaupt aus? Wie viel Seitwärts brauchen unsere Pferde dafür wirklich? Und warum reiten wir diese Seitengänge überhaupt? Vom Formulieren von Lektionen kamen wir schließlich weg zur Formulierung von Inhalten.
In der ersten Einheit begaben wir uns auf den Boden – und dort blieben die meisten Kursteilnehmer auch. Was soll ich sagen – die Schweizer Präzision beim Formulieren in der ersten Theorieeinheit musste natürlich auch am Boden „ertüftelt“ werden. Anna nahm sich für jedes Paar lange Zeit – alle Einheiten wurden ganz unterschiedlich und sehr individuell abgehalten.
Vom korrekten Erarbeiten einer Dehnungshaltung, bis hin zu Seitengängen, aus unterschiedlichen Positionen geführt – einmal von vorne oder von der Seite haben wir unsere Blicke geschult und vor allem auch unser Gefühl. Die Pferde waren erstaunlich entspannt und motiviert bei der Sache. Daher haben einige Teilnehmer auch in der zweiten Einheit den Sattel gleich in der Kammer gelassen. Noch einmal ging es am Nachmittag daher für einige weiterhin auf den Boden. Präzision macht eben Spaß 😉
Wir beschäftigten uns hier natürlich mit Körper und Geist des Pferdes, allerdings spürten wir auch nach und nach wo wir im eigenen Körper verspannten, schief wurden, manchmal zu heftig und manchmal zu langsam reagierten. Diese Stolpersteine beziehen sich nicht nur auf den menschlichen Körper sondern auch auf den Geist.
Ich hatte diesmal meinen Oldenburger Wallach Topas auf den Kurs mitgebracht. Topas ist keines unserer selbstgezogenen Pferde. Er war früher Springpferd und hat nun einige Zeit Erholung für Geist und Körper auf den Sommerweiden verbracht. Unsere Hausübung am Boden seit dem letzten Kurs hat uns zu mehr Entspannung und Vertrauen verholfen. Topas gesamter Körper hat sich seit letztem Herbst deutlich verändert. Die Oberlinie wird immer schöner, der Rücken ebenso. Am Kurs war unser Thema vom Sattel aus das Gefühl zu verfeinern. Ich neige gerne dazu alles fallen zu lassen – inklusive meiner Zügel. Jetzt wo ich auch endlich den Rückenschwung meines Pferdes erfühlen kann und im richtigen Moment das Abfußen des inneren Hinterbeins erfasse, neige ich jedoch dazu, etwas zu heftig mitzuschwingen. So haben wir mich quasi in meiner Tätigkeit reduziert aufs Fühlen und Atmen. Anna ermahnte mich auf dem Pferderücken nicht immer etwas erzeugen zu wollen und meine Bewegung auf Topas nicht zu übertreiben.
In der zweiten Einheit haben wir an der Linienführung gearbeitet. Ich habe gespürt, wie präzise ich Topas zwischen den Zügeln führen kann. Keine Frage – die Arbeit am Sitz hört nie auf – manchmal kann man aber auch Schweizer Präzision übertreiben – man darf sich aber auch nicht übertrieben auf dem Pferd gehen lassen 😉
In einem Abschlussgespräch am Sonntag wurde noch einmal jedes Praxispaar genau unter die Lupe genommen. Können wir nun besser visualisieren, was wir überhaupt wollen? Anna hat uns auch eine Menge „Hausübung“ aufgegeben.
Am 4. und 5. Juni 2016 und am 27. und 28. August 2016 kommt Anna wieder zu uns in die Schweiz. Alle Teilnehmer waren begeistert und werden das nächste Mal wieder mit dabei sein. Wir freuen uns schon wieder auf viel Input.
Alle Infos zu den Kursen und unsere Pferdezucht findet ihr unter www.silviopfister.ch
Ein riesiges Dankeschön geht auch an Susanne, die uns ihre tolle Anlage in Siat zur Verfügung stellt, damit wir uns weiterbilden dürfen!
Najat 🙂
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