Sommer, Sonne und die Sache mit dem Sitz. Am Horse Resort „am Sonnenhof“ hatten wir zum Tüfteln rund um das Thema „Primäre Hilfengebung“ geladen – unser Referent Bent Branderup sorgte dafür, dass Köpfe und Sitzknochen förmlich rauchten. 

Die Sache mit der Theorie

„Wenn wir das Pferd heute vom Boden ausbilden, dann verwenden wir Sekundarhilfen, um dem Pferd die primären Hilfen beizubringen. Später wollen wir herausfinden, welche Mittelungen können wir durch den Sitz geben und wie wirken sie auf das Pferd ein? Was im Pferd wollen wir überhaupt durch unsere Hilfengebung beeinflussen“, eröffnete Bent Branderup das heurige Sommerseminar. 

Biomechanik und Sitz

Die Auseinandersetzung mit der Theorie rund um den Sitz ist eng mit dem Brustkorb des Pferdes verbunden. Dieser hängt in den Schulterblättern aufgehängt, geführt wird der Brustkorb von den Vorder- und Hinterbeinen des Pferdes. Von vorne betrachtet zeichnete Bent Branderup einen Wirbel mit Dornfortsatz auf das Flichart, mittig durchgeschnitten, hinzugefügt wurden die Rippen und ein Brustbein. Das Schlüsselbein ist beim Pferd nicht vorhanden, die Aufhängung des Brustkorbes ist also eine rein muskuläre Sache, erläutert Bent Branderup

Wenn wir uns also auf das Pferd setzen, dann nehmen wir auf dessen Haltung selbstverständlich Einfluss. Wir drücken den Brustkorb nach unten – je weniger Belastung auf den Brustkorb kommt, umso besser. Hier ist das jeweilige Pferd natürlich individuell zu beurteilen. 

Individuell zu betrachten ist auch der jeweilige Sitz des Reiters. Jeder Reiter verfügt über seinen eigenen Sitz und seine eigene Biomechanik. Kein Sitzknochen gleicht dem anderen. Hier erzählt Bent Branderup aus einer Studie eines deutschen Herstellers von Rennfahrrädern. Tausende Kunden wurden hier ausgemessen. Das Fazit: Zwischen den zwei Sitzknochen der Männer gibt es durchschnittlich 8 cm Abstand, bei den Frauen betrug der Abstand ganze 12 cm. Alleine das macht ja auch einen ziemlich große Unterschied in der Art, wie man auf einem Pferd sitzt. Der kleinste gemessene Abstand zwischen den Sitzknochen war in der zitierten Studie 6 cm, der größte 17 cm.

Unsere eigene Biomechanik beeinflusst also natürlich unseren Sitz. Hinzu kommt die Frage, ob wir uns auf ein rundrippiges, flachrippiges, großes oder kleines Pferd setzen. 

„Es gibt keine zwei Menschen, die den gleichen Sitz haben können. Wie ist der Oberschenkel gepolstert? Bei einem langen Oberschenkelhals ist mehr Polster kein Problem, bei einem kurzen Oberschenkelhals ist mehr Polster dann schon im Weg. Die meisten haben davon gehört, dass ein Sattel dem Pferd passen sollte. Er sollte nach unten hin die Form des Pferdes haben, die wenigsten denken aber daran, dass dies nur die Hälfte der Geschichte ist. Der ideale Sattel passt nach unten hin dem Pferd und nach oben hin dem Reiter – und ermöglicht dem Oberschenkel frei nach unten zu hängen. Dann haben wir einen idealen Sattel“. 

Bent Branderup


Laut Bent Branderup ist das Problem auch unsere Körperkoordination. Können wir unseren Körper für den Sitz nicht wie gewünscht nutzen, dann werden wir auch nicht jedes Körperteil präzise einsetzen können. Manchmal ist eben auch ein Sattel im Weg. Im Idealfall soll der Sattel also den unterschied zwischen Pferderückenform und Menschenform ausgleichen. 
Bent Brandeurp fährt fort: 

„Dann haben wir die physische Einwirkung, wo wir das Pferd berühren, dann haben wir die statische Einwirkung, wo es um die Verlagerung des Schwerpunkts geht udn wir haben die Schwingungen, so dass wir in den Gangarten und den jeweiligen Schwingungen des Pferdes entsprechend einwirken“. 

Das Problem mit dem Sitz

Bent Branderup wird an dieser Stelle kritisch: 

„Dann haben wir in der Akademischen Reitkunst das Problem, dass der Sitz ja nur dann funktioniert, wenn das Gleichgewicht von Mensch und Pferd übereinstimmen. Wenn das nicht der Fall ist, dann müssen wir das Pferd erst vom Boden ausbilden. Das ist die Grundidee, wenn das Pferd nicht von Natur aus den Hinferfuss unter die Masse setzen kann. Dann braucht es eine entsprechende Ausbildung vom Boden aus, bevor der Akademische Sitz funktioniert“. 

Branderup mutmaßt, dass dies auch der Grund dafür sei, dass der Caprilli Sitz den Akademischen Sitz abgelöst hatte und in Vergessenheit geraten ließ. 

Beim Caprilli Sitz gehe man nicht von der Funktionalität des Hinterfusses aus. Nun zeichnet Bent Branderup Becken, Oberschenkel, Knie, Sprunggelenk, Fesselkopf und Hinterfuß auf das Flip-Chart. 

„Wenn wir drauf sitzen, zeichne ich die Wirbelreihe, dann sehen wir die Dornfortsätze sw. Dann haben wir einen Sitz und der Schwerpunkt kann sich innerhalb des Bereichs, wo wir sitzen bewegen. Der Schwerpunkt im Pferdekörper hat eine viel größere Beweglichkeit. Das Pferd kann das Gewicht auf die Schulter legen. Der Schwerpunkt soll aber mit dem Schwerpunkt des Reiters in Übereinstimmung kommen. Dafür muss der Hitnerfuß nach vorne greifen, unter den Punkt, wo der Reiter sitzt. Das ist die Voraussetzung, damit zwischen Reiter und Pferd Harmonie entstehen kann“. 

Balance und die Sache mit dem Weltall

„Balance ist die Grundlage für alles, was sich auf diesem Planeten bewegt. Wenn man einem Baum einen Ast abschneidet, dann muss er wieder so wachsen, dass der Baum wieder ins Gleichgewicht kommt. Die Evoltion ist Hand in Hand mit der Erdanziehungskraft entwickelt worden: Die Vorstellung, auf einen anderen Planeten zu ziehen ist ja nicht passend zur Balance, die die Evolution für uns geschaffen hat. Verschwindet die Erdanziehungskraft, dann verschwindet auch die Knochenmasse. Wir sind also an diesen Planeten gebunden und die Schwerkraft kann man auch nicht diskutieren – dieses Gesetz kann man nicht brechen.“

Bent zieht an dieser Stelle ein Resümee über die heutige Pferdezucht

„Nun haben wir Menschen durch züchterische Maßnahmen die Tragkraft der Pferde weggezüchtet. Ein landwirtschaftliches Pferd musste keine Tragkraft haben, sondern Schubkraft. Wir haben Pferde gezüchtet, wo die Fähigkeit der Muskeln weit entwickelt ist, das Öffnen der Hüftgelenke nach hinten raus zu begünstigen. Durch die Zucht sind auch unsere Rennpferde schneller, als sie jemals waren. Wir haben die Natur verändert. Spannend ist allerdings die Beobachtung der Mustangs. Dabei handelt es sich freilich um wild gewordene Zahmpferde. Ganz egal, welche Pferde wild geworden sind, sie suchen zurück zu ihrer Ursprungsform. Und bei genetischen Tests von Mustangs findet sich immer ein hoher Anteil von Sorraya Blut. Eine Rasse, die es in Portugal gibt und wo man sich darüber streitet, ob diese Pferde echt wild, oder halb wild sind“. 

Was wir von den Mustangs jedenfalls lernen können? Wir können beobachten wie sich diese Pferde die Hufe abnutzen, wenn keine Selektion für ein bestimmtes Zuchtziel vorhanden ist. Zum natürlichen Sein gehört auch eine gewisse Grundbalance – gerade für die Abnützung der Hufe. Was wir ein horizontales Gleichgewicht nennen, das brauchen wir später auch für den Grundsitz. In Nevada bei den Mustangs muss also dieSe Grundbalance ganz von selbst stafttfinden, damit alle Knochen die korrekte Belastung und Entlastung bekommen. Negatives Hufwachstum kommt – so Bent Branderup zustande, wenn der Huf falsch auffußt, dann kommt es zu einer Knochenbelastung und zu einem „falschen“ Knochenwachstum, das zu Arthrose führt. 

Man kann also auf einem Pferd, das sich nicht gut bewegt, nicht gut sitzen. 

„Es gibt auch Sitzschulungen, wo deutlich zu sehen ist, dass die Erfinder der Sitzschulung noch nie auf einem Pferd saßen, das sich korrekt bewegt hat“

Bent Branderup

Wir brauchen also zuerst die Herstellung von Gleichgewicht, bevor wir uns auf das PFerd setzen. Wenn wir also in der Bodenarbeit an Details tüfteln, ist das Reiten als späteres Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Daher müssen wir die Gewichtsmasse des Pferdes auch immer in ein korrektes Vorwärts arbeiten und nicht in ein falsches Seitwärts. Dann arbeitet man nämlich die Hinterhand weg von ihrer Funktion. 

„Wir sehen Seitengänge, wobei es für die Gelenke eine reine Glückssache ist, dass diese nicht kaputt gehen. Für starkes seitwärts kreuzen sind die Gelenke der Hinterhand nicht gemacht“. 

Bent Branderup

Die Sache mit dem Hinterfuß

Wir arbeiten also zuerst am Boden, um eine Kommunikation mit dem Pferd zu entwickeln und Balance zu schaffen. Der Hinterfuß greift nach vorne und hat zwei Grundbereiche, wie er überhaupt nach vorne gebracht wird. Einerseits erwähnt Bent Branderup nun das Hüftgelenk, welches den Fuß zwar nach vorne bringt, aber nicht für das korrekte Absetzen sorgt. Das Becken bewegt sich nach vor und runter und sorgt so ebenso für den korrekten Vorgriff. Knie und Sprunggelenke sind für das Heben und Senken zuständig. Wenn ein Pferd also die Zehen schleifen lässt, dann sind Knie- und Sprunggelenke nicht aktiv genug. 

Die Hinterhand erzeugt im Moment des Auffußens Entschleunigung. Beschleunigung und Entschleunigung müssen quasi Hand in Hand oder Hinterfuß mal Vorderfuß miteinander arbeiten. Wenn der Hinterfuß an der Entschleunigung teilnimmt, dann ist das Pferd bequem zu sitzen. Beschleunigt der Hinterfuß weiterhin und der Vorderfuß muss die Entschleunigung auffangen, dann spürt dies der Reiter durch harte Stöße. 

„Das Pferd kann für euch aber nicht unbequem sein, ohne für sich selbst unbequem zu sein“. 

Bent Branderup

Wenn der Hinterfuß allerdings auffußt und dabei Sprung- und Kniegelenke beugt, dann ist das Pferd bequem zu sitzen. 

Eine perfekte Parade zum Halten aus dem Galopp auf der Hinterhand oder Übergänge in den Schulsprüngen zwischen Croupade und Levade – das bezeichnet Bent Branderup als Perfektion der Anteilnahme von Dezeleration also Entschleunigung. 

Von der Entwicklung der Tragkraft hanteln wir uns also vor  zur Entwicklung der Federkraft und schließlich zur Entwicklung der Schubkraft. 

Von Fischen und Menschen 

Alle Tiere übertragen Schwung über die Wirbelsäule. Egal ob Mensch, Affe oder Fisch. Menschen sind Traber – schließt Bent Branderup und demonstriert, wie wir selbst locker aus den Schultergelenken heraus mit unseren Armen in der Bewegung schwingen. Was passiert, wenn wir die Arme verschränken? Wie geht es dem Pferd, wenn wir den Rückenschwung nehmen? 

Wenn wir aus der Hinterhand Schwung erzeugen, dann hätten wir ja gerne, dass dieser Schwung auch vorne im Pferd ankommt. Sichtbar wird das natürlich an den Nickbewegungen des Pferdes. Manchmal wird der Schwung, der natürlich auch den Reitersitz passieren muss vom Reiter förmlich weg geritten. Hier erklärt Bent Brandeurp den Unterschied zwischen dem physischen Sitz und dem Schwingungssitz. Um Teil an diesem Schwung haben zu können, muss auch der Sattel entsprechend gewählt sein. 

„ Wir haben eine Vorstellung von einer richtigen und einer falschen Kopfposition. Diese ist jedoch nur dann richtig, wenn sie in Übereinstimmung mit der Tätigkeit des gesamten Körpers ist. Wenn der Körper nicht mehr das tut, was die Körperposition bedingt, sehen wir eine falsche Kopfposition. Deswegen ist der ganze Kampf, den wir mit den Köpfen sehen ziemlich kontraproduktiv. Wir würden dem Pferd gerne sagen: Streck dich mal abwärts. Das Pferd kann in der Natur den Kopf runter nehmen und Gras fressen, wenn aber ein Reiter auf den Rückenmuskel drückt kommt es zu einem Anheben des Kopfes und damit ist die Abkürzung von Muskulatur in der Oberlinie verbunden. Wir hätten aber gerne, dass sich die Oberlinie dehnt, aber nicht nur im Halsbereich, sondern im gesamten Bereich der Oberlinie. Wir sprechen immer von Beugern und Streckern. Es kann aber keine Beugung aktiv sein, ohne dass die Strecke dementsprechend entspannen. Wenn die linke Bauchmuskaulatur daran beteiligt sein soll, das Becken nach vor und runter zu kippen, dann müssen sich die Muskelgruppen der rechten Oberlinie dehnen können. Wird Muskulatur zur kurz, dann kann sie den Hinterfuß und das BEcken nicht mehr nach vorne holen und das Pferd arbeitet nur noch aus dem Hüftgelenk aber nicht mehr aus dem gesamten Becken“. 

Bent Branderup

Das Auditorium denkt mit und zückt zum Thema vorwärts-abwärts die Stifte. Wir unterscheiden in der Theorie zwischen zu tief, vorwärts abwärts und rückwärts. Wenn das Pferd sich streckt, dann sehen wir ob ein Vorderbein frei wird und ob das Pferd mit dem vorgreifenden Vorderbein unter die Nase kommt. Fußt das Vorderbein nicht unter der Nase auf, sind bereits erste Fehler im Schwungbild festzustellen, der Schwung sollte aber nicht nur nach vorne sondern in eine bestimmte Richtung übertragen werden können. Wird das Vorderbein rückständig und kommt es unter den Reiter, dann ist das Schwungbild ebenso nicht korrekt. Bleibt ein Vorderbein rückwärts unter der Masse konstatiert Bent Branderup in Theorie und Praxis: 

„Dann sehen wir vermeintlich tolle Gangarten, der Reiter braucht zum Sitzen allerdings Kniekissen. Das Pferd wurde durch die Ausbildung auch nicht besser zu reiten.“

Uns interessiert aber der korrekte Schwung und da führt an Gustav Steinbrecht kein Weg vorbei.

„Steinbrecht sagt, das Pferd sollte sich um den inneren Sitzknochen hohl machen. Setzen wir uns also drauf und das Pferd wird hohl um den inneren Schenkel erzeugt der Brustkorb eine Rotation, die aus der Hinterhand kommt“. 

Bent gibt uns viel zu denken auf, in der Praxis wollen wir einerseits die Vorarbeit für den Sitz vom Boden begutachten und später die verschiedenen Formen des Sitzes vom Sattel aus spüren. 

Ich reite in der ersten Einheit meine Fuchsstute Tabby. Das weiter oben beschriebene Problem mit der korrekten Arbeit aus Hüfte und Becken, Vorgriff der Hinterhand…darüber könnten Tabby und ich wohl viel erzählen. Ich bin jedenfalls irrsinnig stolz, dass meine wilde Hummel sich nun so toll physisch und mental auf das Thema Hankenbeugung eingelassen hat. Ein Thema, das uns zu mehr Geschmeidigkeit und Durchlässigkeit – aber auch mehr Stolz und Selbstvertrauen verholfen hat.  In der ersten Einheit gelingt uns sogar ein schulmässiger Galoppwechsel. Ich bin stolz wie Oskar und freue mich irrsinnig über unsere Leistung, die auch mit einem Update unseres Status in der Ritterschaft später gefeiert wird. 

Ich bin irrsinnig stolz auf alle meine Schüler. Julia Kiegerl konnte mit unserem „kleinen“ Lipizzaner Jungspund „Amena“ am Vormittag reüssieren und mit ihrer Schülerin Tanja anstoßen, die bravourös den Boden- und Longenarbeitstest bei ihrem ersten Seminar mit Bent Branderup gemeistert hat. Kati zeigte schöne Handarbeit mit ihrer Beti, Jana erntete bereits in der ersten Einheit viel Lob für die Arbeit mit Picasso, hier war auch das Thema des korrekten Rückenschwungs im Vordergrund. Eva und Idolo zeigten sehr schöne Boden- und Longenarbeit, Jaana konnte sich durch die Arbeit mit dem Bügeltritt schon einiges am Vormittag mitnehmen für eine gleichmässige Arbeit im Schritt. Herzensbrecher Sleipnir hatte nach Christofer Dahlgren und Hanna Engström auch nach diesem Kurs einen neuen „Fan“, der Susi für die Stabilität in der Bodenarbeit einige Tipps mitgeben konnte. 

Nächste Woche gibt es den zweiten Teil zum Seminar mit Bent Branderup. Und wer es verpasst hat – eine filmische Nachschau gibt es hier: