Sommer am Sonnenhof. Das bedeutet traditionell Besuch von Bent Branderup. Der heurige Sommerkurs stand ganz unter dem Motto „Primäre Hiflengebung – Reitersitz“.

In der ersten Theorieeinheit ging es vor allem um Biomechanik von Mensch und Pferd. In der zweiten Einheit knüpfte Bent Branderup gleich an seinen Vortrag vom Vormittag an: 


„Wir haben heute Morgen über die Physiologie des Sitzes gesprochen. Wir haben uns auch die Biomechanik des Pferdes angeschaut. Im Bereich zwischen 14. und 16. Brustwirbel gibt es einen Wirbel der genau senkrecht steht – davor zeigen die Dornfortsätze nach hinten in Richtung Schweif und hinter dem so genannten Umkehrwirbel zeigen die Wirbel in Richtung des Schädels. Wir stellen uns also vor, dieser Wirbel würde im Idealfall immer zum Schwerpunkt des Reiterkörpers zeigen. In dem Moment, wo der Wirbel nicht mehr in Richtung Sitz zeigt, ist das Pferd aus dem Sitz des Reiters gefallen. Wir Reiter müssen also spüren, wo das Pferd aus dem Sitz fällt. Können wir hier mit der Vorder- oder Rückseite des Oberschenkels korrigieren? Ist das Pferd über die innere Schulter aus dem Sitz gefallen – dann kann die Hand über dem Widerrist als Korrektiv gesehen werden.“

Bent fasst hier nochmal die Praxiseinheiten des Vormittags zusammen. Mal haben wir mit dem  Bosalzügel die Balance korrigiert in der Handarbeit. Mal waren es Zehenspitzen-Drehnungen und Bügeltritte, die die Balance wieder hergestellt haben. Mal war es die Arbeit mit der Vorder- oder Rückseite des Oberschenkels, mal die Parade aus dem Oberkörper, mal die Parade von vorne geführt in der Bodenarbeit. 

Auf dem Pferd soll der Reiter immer als erstes Entspannung suchen und dann einzelne Übergänge im Sitz finden. Möchte der Reiter den Schwerpunkt mehr nach vorne, mehr nach hinten verlagern, mal eine versale Schwungrichtung erarbeiten, mal eine traversalartige Schwungrichtung erspüren – in all diese Übergänge muss das Pferd mitkommen, sonst hat der Sitz nicht geholfen. 

Vom Planen und Forschen 

„Wenn etwas nicht nach Plan klappt, dann greifen wir gerne zu Plan A oder Plan B. Das Problem mit Plan A und Plan B: beide erfordern vom Reiter, dass dieser das Endprodukt aus dem Sitz heraus kennt. Der Reiter muss also wissen, wie sich verschiedene Schwungrichtungen anfühlen müssen, er muss erkennen, ob der Plan überhaupt aufgeht. Wenn wir das Endprodukt nicht kennen und den nicht Sitz vorgeben können, dann können wir gar nicht spüren, ob wir mit Plan A oder Plan B erfolgreich waren.“

Bent Branderup lädt uns an diese Stelle ein, empirisch zu sein. Wir wecken den Forscher in uns, wenn es darum geht, herauszufinden, wie sich der richtige Sitz anfühlt, im Schulterherein, Kruppeherein, im Renvers, Travers, beim Zulegen und Versammeln. Unsere eigene Balancerichtung sollte immer gespiegelt werden durch das Pferd, mit dem Ziel die größt mögliche Harmonie zu schaffen. Wenn wir als Reiter die Balance verändern, dann soll der Hinterfuß des Pferdes „mitkommen“. Im Idealfall kürzt sich die Unterlinie ab, wenn wir den Schwerpunkt nach vorne nehmen und das Hinterbein somit einladen vermehrt nach vorne zu kommen. Die Oberlinie kommt zu einer Dehnung, wir nähern uns aus der Mittelposition durch das zitierte „Hand vor-Bauch vor“ von Egon von Neindorff dem vorwärts-abwärts. 

Wenn wir den Schwerpunkt nach vorne verlagern und der Hinterfuß des Pferdes kommt aber nicht mit, dann hat man das Pferd auf die Schulter geworfen. Bent Branderup schärft uns ein: 

„Daher ist es so wichtig den Unterschied zu verstehen zwischen vorwärts-abwärts und rückwärts abwärts. Das erste Descente bedeutet vorwärts abwärts. Dann kommt das eine oder andere Pferd zu tief, dann müssen wir am besten in der Bodenarbeit die ideale Formgebung der Wirbelsäule finden. In der Praxis ist es wichtig zu sehen, wenn ich eine Parade durch die Hand auslöse, wann diese tatsächlich auf die Hanken einwirkt und wann sie das Pferd auf die Schultern wirft. Daher sehen wir so viele Handstandpiaffen, da die Leute die Pferde mit rückwärts wirkenden Händen auf die Schulter drücken.  Das ist keine Parade sondern eine Blockade der Schulter.“

Sichtbar ist die Handstandpiaffe auch am rückständigen Vorderbein. Fühlbar wird dies auch, wenn das Pferd nicht mehr vorwärts gehen kann, da die Schulter blockiert ist und der Reiter starken Schenkeleinsatz nutzen muss, um überhaupt voran zu kommen aus der Versammlung. 

Bent Branderup kommt nun in seinem Vortrag zur Mittelpositur des Reiters zu sprechen. Diese ist bedingt von der horizontalen Balance des Pferdes. Haben wir ein Pferd im horizontalen Gleichgewicht, dann gehen wir nur mit dem Oberkörper ein wenig nach hinten und belasten das Gesäß nicht vollständig, um das Pferd zu Beginn nicht zu stark in der Lende zu belasten. Wenn wir nun unsere Balance mehr und mehr in Richtung innerer Hüfte des Pferdes nehmen, dann haben wir bei gleicher Formgebung eine Balanceverschiebung. Es geht also um Balanceverschiebungen und nicht um Formverschiebungen.

Hilfen sollen helfen


Wenn sich Hilfen widersprechen, dann zwingt man das Pferd allerdings zum Ungehorsam. Hier kommt die Ausbildung der Reiterhand ins Spiel. Am Besten, man kann das Pferd überhaupt aus dem Sitz versammeln – dann hat man keine Spannung und keinen Widerstand in der Hand. Kommt das Pferd aber in der Parade nicht mit, dann kann die Hand mit dem Pferd kommunizieren. Zuerst wird das Verständnis des Pferdes wieder vom Boden geschult. später auch vom Sattel. 

An dieser Stelle kritisiert Bent Branderup die aktuelle Mode, bzw. die Toleranz der Reiter, Gewicht in der Hand haben zu wollen. Augenöffnend war hier auch die Sektion eines Oldenburger Dressurpferdes in Oslo. Kandare und Trense hatten immense Schäden hinterlassen. Sogar die Backenzähne waren stark abgerieben. 

„Ich hab kein Problem mit Gebissen, ich hab ein Problem mit Händen. Das Gebiss kann keinen Schaden verursachen, aber die Hand schon. Manche Pferde sind klug und gehen hinter der Hand, um ihr Maul zu schonen. Für den Rückenschwung ist dies jedoch auch keinesfalls gesund. Ein großer Irrtum der Gegenwart ist, dass es legal wäre, Gewicht in der Hand zu haben. Der Unterkiefer kann das nicht aushalten. Ich bin also nicht gegen die Verwendung von Gebissen, ich bin für die Ausbildung der Hände. In dem Moment wo wir Gebisslos reiten und der Kappzaum ebenso Druck auswirkt, kann er die Wirbelsäule auch falsch formen. Der Halsring muss auch wo einwirken. Daher – man kann keinen Pfannkuchen machen, ohne ein Ei zu zerschlagen, aber es müssen ja nicht die Splitter in alle Richtungen fliegen und in den Pfannkuchen mit rein kommen.“

Daher legt Bent Branderup auch so viel Wert auf die besondere Schulung der Reiterhand vom Boden aus. Auch das Verständnis für die Hand muss beim Pferd eben erst entwickelt werden. Es muss die Mitteilungen verstehen. Wenn das Pferd die Parade nicht vom Sitz versteht, dann kann die Hand helfen. Zuerst der Sitz, dann die Sekundärhilfe. So die Vorgehensweise, wenn Sekundarhilfen den Sitz unterstützen sollen. 

Schwungrichtungen und Hinterbeine

Ein Hinterfuß kann am Boden stehen oder in der Luft sein. Wir haben also ein Standbein und ein Spielbein. Die Parade timen wir auf den Schwungmoment des HInterbeins. Der Stehende Hinterfuß verrichtet dabei eine Arbeit, die sehr schwer zu sehen ist. Wir müssen unseren Blick auf den Hinterfuß, der sich in der Luft befindet richten. Dieser zeigt vermeintliche Fehler des stehenden Hinterbeins an: Entzieht sich das Spielbein in eine bestimmte Richtung? Möchte es schnell vom Boden weg und schnell wieder zum Standbein werden? Der Fuß darf nicht kurz treten, dann hat die Hand den Hinterfuß abgestoßen, anstelle den Hinterfuß einzuladen, nach vorne zu treten. 

Fazit: Die Art, wie der Hinterfuß der Masse ausweicht, wo das Hinterbein also der Parade ausweicht – diese Art ist also die Entlarvung für den Fehler, der vom Standbein aus produziert wird. Die Ausbildung des Pferdes richtet sich dann individuell nach der Art auszuweichen – wir wissen also so, was wir in der weiteren Schulung verbessern. 

„Der innere Hinterfuß kommt also ach vorne, wir geben eine Parade wenn das Bein wieder auffusst, observieren wir genauer. Wenn das Bein richtig auffußst, dann ändern wir den Takt. Wenn die Paraden auf das innere Hinterbein schön klappen, dann nehmen wir den anderen Moment auf das äußere Hinterbein dazu. Dann können wir mit dem Oberkörper nach hinten gehen in dem Grad der Versammlung, die wir haben wollen. Das Pferd soll immer der Schwerpunktverlagerungen folgen.“

Bent lässt uns aufstehen und mit der Balance spielen. Wir stehen auf unseren Füßen und verschieben unseren Schwerpunkt in Richtung Zehe und wieder in Richtung Absatz. Mal nehmen wir den Schwerpunkt mehr auf den linken Absatz, mal auf den rechten und mal mehr in Richtung Zehenspitzen zu beiden Seiten. Wie wenig Verlagerung des Körperschwerpunkts ist nötig, um diese Balancverschiebung wahrzunehmen? 

„Das Dramatsiche, was ihr entdeckt habt ist Minimalismus. Der Anfänger muss leider so viel tun, damit er spürt, was sich rührt. Je fortgeschrittener man ist, umso kleiner wird alles.“ 

Die Kunst des Gleichgewichts

Bent fasst nun alle möglichen Steifigkeiten in der Hinterhand zusammen. Stimmt die Schwungrichtung und nimmt das Pferd die zweite Parade an, dann kann man langsam die Hankenbeugung zur dritten Parade steigern. In der Literatur erwähnt Bent Branderup, dass immer wieder davon geschrieben wurde „mit dem Gesäß die Hinterhand nieder zu drücken“. Branderup warnt hier jedoch davor, die Pferde in der Lende zu blockieren. Das Pferd geht dann nicht mehr über den Rücken, es macht einen Katzenbuckel und wird steif. Wir brauchen also enorm viel Ausbildung ehe wir eine Parade aus der Lende heraus tatsächlich geben können. 

Das Pferd braucht ebenso viel Ausbildung. Wenn die Wissenschaft konstatiert, dass das Pferd die Knie nicht bewusst beugen kann – dann widerspricht hier die Arbeit im Stand. Hier kommt nicht nur die physische Förderung zu Tage, sondern auch die mentale, die dem Pferd bei dieser ruhigen und langsamen Arbeit entgegen kommt und das Körpergefühl enorm fördert. 

Insgesamt muss sich jedoch die Aktivierung eines Hinterbeins immer nach vorne übertragen auf die Vorhand – besonders in der Versammlung. 

3 Punkte und 6 Schenkelhilfen

Bent Branderup erwähnt nun den 3-Punkte Sitz. er besteht aus den zwei Sitzknochen und dem Schambein. Im Idealfall befindet sich der Umkehrwirbel mittig zwischen den drei Punkten. Sitzt man allerdings zu weit vorne, dann wird es schwer für das Pferd, den Brustkorb hoch zu nehmen. Riskiert man, zu weit hinten zu sitzen, dann drückt man dem Pferd wiederum die Lende weg. 

Nun fasst Bent zum Ende der zweiten Theorieeinheit die 6 Schenkelhilfen für uns zusammen: 

Der innere Schenkel muss in eine abwärts Bewegung gelegt werden, der äußere Schenkel begleitet die aufwärts Bewegung des Brustkorbes. Innerer und äußerer Schenkel sollen sich nicht widersprechen. Der um sich herum biegende Schenkel führt als innerer Schenkel zur korrekten Biegung, unterstützt wird er vom „von sich weg biegenden Schenkel“. Im Stehen lernt das Pferd die ersten biegenden Schenkelhilfen gefolgt vom direkten Schenkel, der das innere und äußere Hinterbein  im Moment des Abfussens nach vorne einlädt. 

„Dann kann es passieren, dass ein äußerer Hinterfuß ausfällt – dann muss man ihn in der Luft befindlich wieder einfangen. Wenn der Hinterfuß in der Luft ist, können wir den Schenkel einsetzen – dann muss er als verwahrender Schenkel, den äußeren Hinterfuß zu seiner Funktion ermahnen. Verwahren kann man auch den inneren Hinterfuß, wenn der breit geht. Es kann aber passieren, dass ein Hinterfuß eng geht. Dass ein innerer Hinterfuß nach außen fällt – so muss der außere Schenkel als umrahmender Schenkel den ausfallenden Fuß in seiner Richtung anpassen. Hier spricht man nicht vom verwahrenden sondern vom umrahmenden Schenkel.“

In den Praxiseinheiten am Nachmittag wurde ausschließlich geritten. Besonders stolz bin ich auf meine Schülerin Julia Kiegerl, die souveräne Arbeit aus dem Sitz zeigte und so ihr Ticket zur heurigen Sommerakademie nach Dänemark lösen darf. Herzliche Gratulation zum „Squire“

Am Nachmittag sattelte ich meinen kleinen Conversano Aquileja I aka Konrad. Ich bin sehr stolz, wie gut Konrad schon einige Details aus dem Sitz versteht, obwohl ich bislang wirklich sehr selten auf seinem Rücken Platz genommen habe. Konrad findet so viel Freude an der gemeinsamen Kommunikation – und er liebt das Publikum. Viel Lob gab es beim Abendessen für meine fleissigen Schüler – und natürlich wurde auch nochmal auf Tanjas Boden und Longenprüfung angestoßen. Ein perfekter Sommerabend, bevor es am Sonntag nochmal ans Arbeiten ging! 

Genießen wir aber auch die schönen Momente, dann reiten wir Einfach 🙂 

Den Kurs zum Nachschauen gibt es hier: