Niemals gegen die Natur

Sommer, Sitz und Bent Branderup – und selbstverständlich kam auch die Betonung der Individualität aller Pferde in der Ausbildung an unserem Kurs-Wochenende am Horse Resort am Sonnenhof nicht zu kurz. 

Eine Zusammenfassung aus Bents dritter Theorieeinheit bei unserem Themenseminar „Primärhilfe – Reitersitz“ gibt es zum Nachlesen: 

Die individuelle Herangehensweise

Pädagogik – das ist meist der Schwerpunkt im dritten Teil von Bent Branderups Theorievorträgen. Was braucht das jeweilige Pferd, welche Ziele haben wir uns für den gemeinsamen Weg gesteckt. Der Reiter, so Bent Branderup muss als erstes darüber nachdenken, was er als Pädagoge schon kann und was er für die Ausbildung seines Pferdes noch lernen muss. 

Bent Branderup kritisiert, dass weder Reiter noch Pferd heutzutage so genannte Minimalanforderungen erfüllen können. In der Akademischen Reitkunst stellen wir uns ja hohe Ziele und haben hohe Ansprüche. 

„Das was uns aber in erster Linie interessiert, ist die Ausbildung des Ausbilders, nicht die Ausbildung des Pferdes. Wie kompetent können unsere Ausbilder heute werden. Früher war es ein Qualitätsmerkmal wenn sich die Bereiter auf jedes Pferd setzen. Man kann aber auch von jedem Pferd runter fallen. Sattelfestigkeit alleine ist kein Qualitätsmerkmal“. 

Bent Branderup

Wie immer reist Bent mit uns in die Geschichte, diesmal zum römsichen Feldherrn Tacitus, der ausführlich beschreibt, dass ein Pferd ruhig stehen können bleiben muss. Sonst verletze es aus Nervosität gar mehr eigene Leute als den Feind, wenn es beim auf- und absteigen nicht stehen bleiben kann. Das Publikum schmunzelt, aber Bent betont: „Da ist man ein bisschen ungeschickt, das Pferd erschrickt, man bleibt im Steigbügel hängen und dann ist das Pferd schon weg“. 

Vor dem Reiten kommt die Beziehung

Was macht das Pferd, wenn man ihm ein Halfter anziehen möchte? Steht es still? Oder muss man lange damit rum wurschteln? Wie ist das Pferd beim Putzen und Hufe geben? 

„Kann man es nicht „schmiedefromm“ machen, dann muss man alle Dinge wie Piff, Paff und Blamage vergessen“. 

Womit beginnt man am Besten? 

Mit pädagogischen Aufgaben, die man auch visualisieren kann. Das Voderbein anzuheben, das klappt bei den meisten. Beim Hinterfuß muss man sich bereits darüber Gedanken machen, wie die Gelenke zueinander stehen und welche Funktionalität sie haben. Die natürliche Heberichtung des Pferdes ist nach vorne unter den Bauch. Wenn wir also den Hinterfuß sofort nach hinten raus ziehen, dann widerspricht dies der Natur des Pferdes. Was hinter jeder Aufgabe liegt, ist also die Ausbildung von Pädagoge und Schüler. 

„Die Aufgabe der Lehrer besteht nicht darin, das siebte Schuljahr zu unterrichten, sondern die Schüler bereit zu machen für die nächste Schulstufe“. 

Bent Branderup

Wo befindet sich also unser Pferd in der Ausbildung? Was können wir gut, was können wir nicht gut und wo wollen wir überhaupt hin? Fragen über Fragen, die sich jeder Pferdeausbilder unbedingt stellen sollte. Wer den individuellen Stundenplan für sich und sein Pferd nicht erstellen kann, wird es schwer haben. 

Die Bahn – das Klassenzimmer

Die Reitbahn, die Halle oder das Viereck sind unser Klassenzimmer. An dieser Stelle betont Bent Branderup – und das kann ich nur unterschreiben, dass das Klassenzimmer nicht dazu dienen kann die Haltungsform des Pferdes zu verbessern. Was ist damit gemeint? Akademische Reitkunst bedeutet für mich nicht nur, dass wir beständig dazu lernen wollen, wie wir die Ausbildung des Pferdes zunehmend individueller gestalten können. Es geht um Physis und Psyche des Pferdes. Ausbildung alleine sorgt aber nicht für ein ausgeglichenes Wesen. Meine eigenen Pferde stehen daher auf einem Paddock Trail mit 12 bis 14 Stunden Auslauf oder eben gänzlich im Offenstall, angepasst an ihre Bedürfnisse. 

Dem Pferd soll also abseits der Ausbildung ausreichend Bewegung angeboten werden. Das Klassenzimmer darf also nicht dazu dienen, dem Pferd Bewegung zu verschaffen. Wenn das Pferd Ausdauer Training braucht, dann niemals in der Bahn Ausdauer trainieren, denn hier verliert das Pferd seinen Vorwärtsdrang. Draußen auf dem Weg im Wald und auf dem Feld sieht das Pferd auch viel mehr Sinn darin vorwärts zu gehen. 

„Wir Bahnreiter haben am Typischsten den Verlust von Vorwärtsdrang durch die Bahnreiterei. Der Fehler liegt allerdings daran, dass wir glauben, dem Pferd dort Bewegung verschaffen zu müssen. Hat es einen Überschuss an Bewegung, soll das Pferd diesen draußen ausleben dürfen. Im Klassenzimmer wäre der Ausbilder zu ständigen Korrekturen gezwungen, was für das Pferd nicht fair ist“. 

Bent Branderup

Trotzdem müssen wir dem Pferd, wie Tacitus es beschreibt, beibringen, stehen zu bleiben. 

„Und dann kann das Pferd plötzlich nicht stehen, obwohl es dies stundenlang beim Grasen tut. Wo ist das Problem? Das Problem ist immer der Mensch. Ein Pferd steht völlig entspannt in der Box oder auf der Weide und wenn es seinen Menschen sieht, dann kriegt es alle Zustände“. 

Bent Branderup

Wieder erkennen wir – der Mensch ist in der Ausbildung des Pferdes besonders gefordert. Wir müssen derjenige werden, mit dem das Pferd gerne seine Zeit verbringt. 

„Ich wäre gerne der respektierte, geliebte Lehrer. Kann ich diese Rolle in der Welt des Pferdes einnehmen, ist der Rest einfach. Kann ich diese Rolle nicht spielen, wer  bin ich dann? Bin ich seine Lieblingsstute? Wer bin ich in den Augen meines Pferdes? Das Pferd wird aus seiner Welt assoziieren, deswegen wird es uns manche Rollen zuteilen, die der Mensch nicht spielen kann. Wir müssen natürlich eine Beziehung zwischen Mensch und Pferd schaffen. Sowohl Pferd, als auch Reiter müssen neue Situationen schaffen und daraus lernen. Wir sind ja auch nicht für Mensch-Pferd-Beziehungen gedacht, sondern für zwischenmenschliche Beziehungen.“

Bent Branderup

Vom Kindergarten zur Ausbildung

Ist also der Pferdekindergarten absolviert, das Pferd lässt sich putzen, überall anfassen, die Hufe machen, ist halfterführig – dann kann man in der Bahn mit dem Unterricht beginnen. Wir entwickeln und verfeinern eine gemeinsame Sprache mit dem Pferd. Am Anfang steht die Körpersprache – aber es ist ein Unterschied, ob wir die Körpersprache nutzen oder die Sekundarhilfen Hand, Schenkel, Stimme oder Gerte. 

„Wenn das Pferd beim Ausreiten durchgeht, können wir nicht vor das Pferd springen und „HO“ brüllen. Dann brauchen wir eine geschulte Sekundarhilfe, die Mensch und Pferd verstehen – in diesem Fall die Hand.“

Bent Branderup

Sekundarhilfen sollen den Sitz später unterstützen, auch wenn also eine breite Basis der Kommunikation durch Körpersprache geschaffen wurde, können wir nicht durch Körpersprache alleine ausbilden, wenn wir reiterliche HIlfen hinzufügen wollen, die im Idealfall auch tatsächlich helfen sollen. 

Mehr zu Sekundarhilfen könnt ihr hier nachlesen – wir hatten im April 2019 dazu ein Themenseminar mit Bent Branderup bei Wien: 

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Die stärkste Hilfe

Die Stärkste Hilfe, die beim Pferd ankommt sind laut Bent Branderup Schwerpunktverlagerungen. Jetzt erklärt er die Unterschiede der alten Reitweisen a la brida und a la gineta. 

Bei a la gineta will man sich als Bogenschütze umdrehen und in eine andere Richtung reiten. Das Pferd folgt dem Reiter. Dies war vor der Erfindung des Steigbügels eine große Kunst. Bei a la brida lehnt sich der Reiter aus dem Sattel und macht einen Hieb, eine Attacke, das Pferd reagiert und dispensiert quasi die Schwerpunktverlagerung des Reiters. Es kann also einmal mit dem Reiter folgen und einmal die Schwerpunktverlagerung des Reiters ausgleichen: Das ist heute freilich nicht mehr unser Ziel. 

Noch einmal betont Bent Branderup die Natur von Mensch und Pferd. Heute sind die Schwerpunktverlagerungen die intensivste Hilfe und sie werden unterschiedlich beim Pferd ankommen – von Reiter zu Reiter verschieden, denn die Gesäßknochen können unterschiedlich weit auseinander liegen, die Länge des Oberschenkelhalses spielt eine große Rolle, die Polsterung der Oberschenkel und vieles mehr, was uns individuell als Reiter ausmacht. Wie und in welcher Winkelung zum Pferderücken zeigen die Sitzknochen nach unten? Kippt man mit der Lende ab, begünstigt man unterschiedliche Schwungrichtungen?

„So ist es wichtig für mich, dass wir bei den Pferden auch reine Grundgangarten haben. Wir müssen uns an den Grundgangarten messen, ob und wenn wir diese zertrümmern, dann waren die Lektionen zuvor wertlos und falsch ausgeführt. Wenn die Dressur für die Pferde da sein soll, dann muss die Dressur so interpretiert werden, damit sie dem Pferd auch nutzt“. 

Bent Branderup

Bent betont das Problem der heutigen Sportdressur, die sich ein Ideal gesetzt hat und somit alle Pferde über einen Kamm schert. Das Norweger Pony wird die Dressur anders ausführen als ein Oldenburger. Von Zeit zu Zeit kamen immer verschiedene Typen in Mode – und die Mode ist, was der Richter sehen möchte. 

Wir sollten uns allerdings lieber mit Fragen beschäftigen wie:
Was sind die Fähigkeiten meines Pferdes und was sind die Ansprüche?Daher ist es wichtig, bei den verschiedenen Zielen, die wir haben, den individuellen Körperbau des Pferdes zu respektieren.

„Das gilt für einfache Dinge wie ein Schulterherein. Der Grad an seitwärts wird unterschiedlich sein, ob das Pferd lang oder schmal oder kurz und breit gebaut ist. Aus dem Hüftgelenk werden von Pferd zu Pferd unterschiedliche Bewegungen produziert. Auch die Balancepunkte der einzelnen Pferde werden sich unterscheiden. Dann sehen wir Seitengänge, wo die Pferde zur Dysfunktion der Hinterbeine gebracht werden. Die Gelenke sind dazu gebaut, auf die Körpermasse einzuwirken. Das Knie und Sprunggelenk hält eine Drehung aus dem Hüftgelenk nicht aus. Das ist leider aber sehr modern geworden, ein Pferd zur Dysfunktion zu bringen.“

Bent Branderup

An dieser Stelle betont Bent Branderup noch einmal, dass man NIEMALS einem Pferd beibringen sollte, mit der Hinterhand auszufallen und die Hinterhand nicht mehr in Richtung Schwerpunkt zu bringen. 

„Das Pferd ist dann nicht brav, es ist hilflos. Man hat ihm seinen Motor geraubt. Deswegen sind diese Methoden nicht so mächtig, wie sie erscheinen. Sie sind erfolgreich, weil das Pferd gewisse Bewegungen nicht mehr ausführen kann, aber nicht weil es nicht mag, sondern weil man ihm die Hinterhand geraubt hat. Dann sind wir wieder zurück am Anfang – und wir können auch hier betonen, warum es so wichtig ist, eine gute Beziehung zu seinem Pferd aufzubauen“. 

Bent Branderup

Die Akademische Reitkunst – oder besser gesagt generell die Dressur hat das Ziel das Pferd stolz und prächtig zu machen. Das bezieht sich nicht nur auf eine Stärkung des Körpers, sondern auch des Geistes. In diesem Sinne hätten wir natürlich lieber ein Pferd, das gerne mit uns zusammen arbeitet und seine Kraft nicht gegen uns verwendet. 

An dieser Stelle betont Bent Branderup einmal mehr, dass es uns als Ausbilder wichtig sein muss, dass sich das Pferd in den Augen anderer Pferde stolz und prächtig fühlen möchte – und nicht in den Augen anderer Menschen – das wiederum ist unser Bier – und oftmals Ursache dafür, dass wir ungerecht werden, unbedacht ausbilden und zum falschen Werkzeug aus der Werkzeugkiste greifen. 

Werkzeug Sitz

An diesem Wochenende drehte sich alles um den Sitz. Die Reiter wussten schon aus der Praxis – und viele Besucher des Themenseminars – und jetzt vielleicht auch viele Leser werden der gemeinsamen Erfahrung zustimmen: Wer in der Akademischen Reitkunst seine besondere Leidenschaft gefunden hat und lernt, das Pferd akribisch in sämtlichen Positionen vom Boden auszubilden, der wird bald feststellen: Meine eigene Ausbildung – meine Arbeit am Sitz – die ist noch lange nicht vorbei. 

Wir konnten uns wieder viele Anregungen mitnehmen und freuen uns auf die Fortsetzung mit Bent Branderup. 

Das nächste Themenseminar beschäftigt sich mit Seitengängen und findet am 12. und 13. Oktober 2019 in Ainring bei Salzburg, organisiert von Andrea Harrer statt. Anmeldung bei Eva Prax

Bent Branderup 2020

Die nächsten Termine stehen schon fest: 

18. & 19. April Bent Branderup in Mannersdorf/ Sandberg beim Reitstall Equimotion

4. & 5. Juli Bent Branderup am Horse Resort am Sonnenhof, Hart bei Graz