Biomechanik, Primär- und Sekundarhilfen, sowie Pädagogik. Das alles stand beim Kurs mit Bent Branderup am 5. und 6. Juli in Graz am Programm. Rund 70 Pferdebegeisterte waren gekommen, um Bent Branderup und die Reitkunst zu erleben. Eine Fortsetzung ist für 2015 bereits in Planung!
Von primären und sekundären Hilfen…
Samstag früh, die Sonne strahlt und los geht’s mit der ersten Theorieeinheit über die Reiterhand, die Bent als sekundäre Hilfe bezeichnet. Die primäre Hilfe sei der Reitersitz, wobei Bent gleich eine Reise in die Vergangenheit zu Reitmeister Antoine de Pluvinel zeichnete:
„Pluvinel hatte bereits 1620 das Ziel, das Pferd alleine aus der Hüfte zu dirigieren. Bevor man das allerdings kann, braucht man Sekundarhilfen wie die Hand, um dem Pferd die Hilfen zu erklären“.
Besonderen Stellenwert in der Akademischen Reitkunst hat natürlich die Tätigkeit aus der Hinterhand, die sich in Tätigkeit der Muskelgruppen und Wirbelsäule, Knochen und Gelenke fortpflanzt.
„Friedrich von Krane beschreibt hier Schwung als Übertragung der dreidimensionalen Schwingung durch die Wirbelsäule bis zur Vorhand, also eine Übertragung auf Brustkorb und Schultern“.
Mit bildhaften Vergleichen erklärte Bent die Krafteingangswinkelung der Hinterhand („Das Pferd ist kein Gabelstapler mit einer Taillenlenkung“) und die Folgen falscher Wendungen, wenn das Pferd über das Vorderbein den Brustkorb herumschiebt. In den Seitengängen steht somit nicht das Kreuzen der Beine im Vordergrund, sondern das Heben des Brustkorbs und die freie Platzierung des Schulterblattes. Die Schwungübertragungsrichtung aus der Hinterhand mache, so Bent den Seitengang aus.
„Die Vorderbeine können keinen Schwung erzeugen, die Kraft aus der Hinterhand formt den Rücken und beeinflusst wie die Vorderbeine fußen“.
Wird es im Sattel unbequem, dann ist es auch für das Pferd unbequem attestierte Bent.
Weiter ging es mit der Einwirkung bzw. Einflussnahme auf das Genick des Pferdes: Bent erklärte hier sehr schön, den
Übergang zwischen erstem und zweiten Halswirbel und welchen Einfluss auch der Unterkiefer auf eine zu enge Genickstellung nimmt. So könne es keine freie Bewegung im Genick und somit auch keine Stellung und Biegung geben, wenn der Unterkiefer bei zu enger Einstellung gegen den Atlasflügel schlägt. Bent warnte davor, das Pferd nicht ungeniert in der Wirbelsäule zu formen und riet immer wieder zur Dehnung in eine längere Halsform.
Vorwärts abwärts – aber nicht zu tief
Bei einem zu tiefen Vorwärts-abwärts wird das Buggelenk blockiert und das Pferd schiebt über die Vorderbeine nach vorne. Es scheint zwar so, als würde sich der Widerrist heben, oftmals sacke aber der Brustkorb dahinter ab, erklärte Bent. Er warnte außerdem davor, das Pferd mit der Zügelhand „leichter“ machen zu wollen und brachte hier einen sehr bildhaften Vergleich:
„Können Sie einen Stuhl heben, auf dem Sie sitzen? Die Vorderhand kann nicht durch den Zügel gehoben werden, man kann das Pferd nur auffordern, auf der Hinterhand mehr Last aufzunehmen“.
Anschaulich erklärte Bent mit vielen Zeichnungen auf dem Flipchart die richtige Rotation der Wirbelsäule, die bereits am Unterkiefer ihren Anfang nimmt. Dieser müsse nach außen rotieren, was aber nur mit guter Ganaschenfreiheit gelinge.
Die geschulte Hand spürt schließlich wo Spannungen liegen, wo Widerstände im Körper herkommen und wo sie sitzen.
„Es geht nicht darum, die Symptome zu bekämpfen, sondern die Ursache zu finden“.
Bent kritisierte unser „kulturelles Gedächtnis“ von der „richtigen Halsposition“:
„Xenophon hatte weder Steigbügel noch Sattel. Trotzdem ist seine Armee vor 1.500 Jahren von Griechenland nach Persien geritten und das lange bevor Hufeisen erfunden waren. Wenn das Pferd damals nicht ordentlich über den Rücken gegangen wäre, wären ihm ja die Nieren aus den Ohren rausgekommen“.
Über die richtige Kopfplatzierung seien wahre Glaubenskriege ausgebrochen, ohne darauf zu achten, wie die der Brustkorb aus der Hinterhand getragen werde. Ausbinder verschlimmerten das Problem, hier würde man nach Bent ein Symptom erzeugen und nicht die Ursache. Der Ausbinder verhindere die Kontrolle, ob die Tätigkeit aus der Hinterhand den Kopf platziere.
Spannendes aus der Geschichte referierte Bent auch zur Zügelhand: In der gesamten Geschichte gab es nie Literatur über zweihändiges Reiten. Zügelführung bedeutete damals und heute noch Einwirkung auf den Hals und nicht auf den Kopf.
Zu Beginn der Ausbildung müsse das Pferd mit Hilfe des Kappzaumes das Nachgeben und anschießend erst Biegung und Stellung auf dem Zirkel lernen. („Geraderichten auf einer geometrischen Figur“). Vom Pferderücken aus, hat der Reiter nur die Möglichkeit mit der Hand nachzugeben – eine schwierige Sache, die nach François Robichon de La Guérinière nur drei richtige Reaktionen bedinge:
- Das normale Nachgeben im Vorwärts-abwärts
- Das „leichter“ werden in der Hand
- Das „Sinken der Reiterhand“, wenn das Pferd den Brustkobr hebt.
Bevor es in die erste Praxisstunde ging, erläuterte Bent die verschiedenen Führpositionen vom Boden aus: (Vor dem Pferd, neben dem Pferd innen oder außen, oder beim Langzügel von hinten). Bei der äußeren Führposition werden die vier Zügel in einer Hand gehalten, senkrecht über dem Mähnenkamm. Auch hier hat die Geschichte erstaunliches in die Gegenwart gebracht: „Nur deswegen lernen die Kinder heute in der Reitschule die Hände senkrecht zu stellen. Ziel war es damals über die Handbewegung nach innen den Widerrist mitzunehmen und die Schultern zu bewegen“.
8 Reiter, 8 Pferde, insgesamt 24 Reiteinheiten volle Konzentration!
Mein Fokus lag in der ersten Praxiseinheit auf der Boden- und Longenarbeit. Wir begannen mit der Lösungsarbeit im Stehen,
Schultermobilisation und Paraden. Schulterherein, Kruppeherein, Traversalen, Schrittpirouetten komplettierten unsere Arbeit. Zum Abschluss zeigten wir noch, was wir an der Longe geübt hatten. Für Pina war es die erste Teilnahme an einem Seminar mit Bent Branderup; ich bin sehr stolz auf sie!!
Im Gleichgewicht, Entspannung, Marsch?
Die zweite Theorieeinheit widmete Bent ganz dem Thema „Reitersitz“, also der primären Hilfe.
Zu Beginn gab es kleine Sitz-Fühlübungen für die Theorieteilnehmer auf dem Sessel. Dann erläuterte Bent den physischen und den statischen Sitz, wobei es gilt beide Sitzhilfen so gut wie möglich zu trennen. Den versammelnden Sitz würden viele Reiter mit Spannung verwechseln. Grundsätzlich gilt auch hier – wie bei der Reiterhand: Aufspüren von Spannungen lernen, Balance erfühlen und sich dem Ausbildungsstand des Pferdes anpassen! Hier warnte Bent auch eingehend Vorwärts nicht mit Geschwindigkeit zu verwechseln. Auch Fehler in der Aufrichtung erläuterte Bent in allen Details, wobei es manchmal auch gilt, das Ohr zu schulen:
„Echte Versammlung und ein gut gehendes Pferd hört man nicht! Pferde ohne Balance sind lauter“!
Für viele Theoretiker stünde der Takt, gerade in der deutschen Reitlehre an erster Stelle. Bent Branderup warnte davor eine Reihung aufzustellen – die Elemente der Reitkunst bedingen sich schließlich gegenseitig und müssten daher nebeneinander stehen!
Im Stehen könne man sich auch einen guten Sitz erarbeiten, bzw. ein Bewusstsein für den eigenen Körper, schließlich geht es darum beide Sitzknochen unterschiedlich voneinander einzusetzen. Bei den Schenkelhilfen nannte Bent sechs unterschiedliche Funktionen:
- Den um sich biegenden Schenkel
- Der von sich wegbiegende Schenkel
- Der direkte Schenkel
- Der verwahrende Schenkel
- Der umrahmende, gleichseitige Schenkel
- Der versammelnde Schenkel
Je mehr wir durch den Sitz wahrnehmen können, umso geschulter ist der Sitz! Die Sitz-Fühl-Schulung folgte gleich in der zweiten Reiteinheit.
8 Reiter und ihre Pferde hatten dabei das eine oder andere AHA-Erlebnis. Vom gefühlten vorschwingen des Hinterbeins, bis hin zu Piaffe und Levade – ich denke auch für jeden Zuschauer war etwas zum „Mitnehmen“ dabei.
Mit Pina haben wir an Übergängen zu Schulschritt, halben Tritten und in Richtung Piaffe gearbeitet. Mit diesen Themen hatte ich mich vor dem Kurs lediglich vom Boden aus beschäftigt und war dann sehr positiv überrascht, wie gut uns alles vom Sattel aus gelang.
Am Sonntag stand dann die Pädagogik im Zentrum von Bents drittem Vortrag:
Von Hämmern und Nägeln
Bent verglich die Reitkunst mit der Verfügbarkeit von Werkzeugen.
Wer lediglich einen Hammer zur Hand hat, der würde – so Bent Branderup – jedes Problem als Nagel sehen:
„Wir müssen das Ziel verstehen, das wir erreichen wollen. Basis kann nur Basis sein, wenn sie für etwas bestimmtes Basis ist!“
Bent betonte außerdem die Bedeutung, das Pferd physisch und psychisch zu verstehen. Es gibt keine schlechten Pferde, allerdings muss der Mensch entscheiden, ob das Pferd mit den Zielen, die er erreichen will auch passend gewählt sei. Ein Noriker wäre anders auszubilden als ein Achal Tekkiner.
Das Werkzeug ist nicht der Sündenbock!
„Wenn man Pferden ein Metall ins Maul legt, ist es eine absolute Dummheit von einem weichen Gebiss zu reden. Den
Schuldigen beim Werkzeug zu suchen ist ein absoluter Irrtum, es ist immer die Hand schuld!“
Was uns Bent sagen will: In erster Linie geht es doch darum, Zeit mit seinem Pferd schön zu verbringen. Wer Lust und Freude an der
Ausbildung seines Pferdes verspürt, muss sich doch keinem Zeitdruck aussetzen und Ergebnisse künstlich durch den Einsatz von Hilfsmitteln heraufbeschwören.
Zwei Geister müssen wollen, was zwei Körper können.
Zwei wichtige Faktoren stehen in Bents Pädagogik im Mittelpunkt, nämlich Motivation und gegenseitiger Respekt. „Der moderne Begriff „Horsemanship“ hieß früher noch „Selbstverständlich“ – wir müssen manchmal nur den Opa fragen, der noch mit dem Fuhrwerk gearbeitet hat“, so Bent.
Sein Rat für den Beginn der Arbeit mit dem Pferd: mit pädagogischen Aufgaben zu beginnen, die man selbst visualisieren könnte. Bevor das Pferd nicht den „Kindergarten“ (Hufe geben, Stillstehen, sich überall anfassen lassen) durchlaufen habe, könne es noch gar nicht in der Bahn gearbeitet werden.
Die Arbeit mit dem Pferd sollte IMMER mit Lob abgeschlossen werden. Also sollte man dem Pferd am Ende der Stunde eine Aufgabe stellen, die es garantiert lösen kann. Pferde, die aber immer über ihre Grenzen hinaus gymnastiziert werden, bekämen einen Muskelkater. So lernt das Pferd nur zu mogeln!
Und ganz wichtig: Sei in den Augen deines Pferdes ein guter Lehrer. Reite nicht für die Augen und Vorstellungen des Publikums!
Im Anschluss zeigen die Reiter Bent ihre persönliche Trainingsstruktur in den letzten Praxisstunden. Auch hier gab es noch für jeden viel Input und Hausübung von Bent. Ich freue mich nun, an den neuen Erkenntnissen zu üben und mehr und mehr zu spüren!
Der nächste Lehrgang mit Bent Branderup ist für 2015 bereits in Planung!
Reiten wir also einfach – indem wir täglich für unser Pferd ein guter Lehrer sind! 🙂
PS: Danke an alle Teilnehmer für den spannenden Austausch, ich habe mich auch sehr über die Vernetzung mit euch gefreut!
Ein besonderer Dank wieder einmal an die großartige Katharina Gerletz-Fotografie für das Festhalten einiger, schöner Kursmomente!
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