Ja nicht drei Jahre lang rumstehen lassen? Unbedingt von Anfang an trainieren? Was ist empfehlenswert? Warum man die Fohlen Fohlen lassen sollte jedoch Routinen in der Aufzucht von Nutzen sind – darum geht es in diesem Blogbeitrag.
- Wie Fohlenaufzucht heute sein kann
- Die Alten Meister und die Fohlen
- Meinung: Wenn man die Kindheit raubt
Fohlen – die Aufzucht in Piber und wie Fohlenaufzucht heute sein kann
2017 habe ich mich in meinen ersten Lipizzaner verliebt. Conversano Aquileja I – den viele besser schon als „Konrad“ kennen stammt aus dem Bundegestüt Piber in der Steiermark. Hier werden die Hengste für die Spanische Hofreitschule in einer Jahrhunderte alten Tradition gezüchtet. Piber ist übrigens auch das alle berühmten Stutenstämme der Lipizzanerzucht beheimatet.
Aber obwohl die Mütter mit ihren Fohlen und die „jungen Wilden“ auf unfassbar vielen Hektar Alm und Weideland rund um das Gestüt heranwachsen dürfen können nicht alle Stuten in Piber bleiben und auch nicht alle Hengste in die Hofreitschule übersiedeln. Somit gibt es Glückspilze, die ein solches Pferd ihr eigenes nennen können.
Kein Wunder, dass dann 2018 der nächste Lipizzaner folgte. Maestoso „Amena“ zog im Winter bei uns mit 2 Jahren und 8 Monaten ein.
Fohlenaufzucht ideal – ein Interview mit Gestütsleiter Erwin Movia aus Piber
Hunderte Pferde sind in Piber und Sie können mir über jedes einzelne etwas erzählen – wie gibt es das?
Erwin Movia: Die Lipizzaner kommen bei uns zur Welt und lernen das gesamte Team im Gestüt von der ersten Sekunde an kennen. Das Fohlen ABC beginnt bei uns wirklich schon in den ersten Wochen, allerdings ganz automatisch, denn die Fohlen lernen uns ja vom Tage der Geburt kennen, unseren Geruch, Berührungen, wie vertrauensvoll der Mensch mit der Mutterstute umgeht. Wir nehmen uns auch viel Zeit, die Pferde zu beobachten und die einzelnen Charaktere zu studieren, diese Zeit muss man sich auch nehmen, wenn man über das spätere Lernverhalten, Rang in der Herde und bestimmte Eigenheiten der Schützlinge bescheid wissen will.
Wir beginnen also schon rasch die Hufe aufzuheben, ein Halfter bekommen die Fohlen erst mit vier Monaten angelegt, dann laufen sie aber nur mit dem Halfter und lernen es kennen. Führübungen passieren da noch lange nicht. Wenn die Fohlen angebunden werden, dann kennen sie bereits die morgendliche und abendliche Routine der Mütter im Laufstall. Die Mütter werden zu den Mahlzeiten angebunden und so lernen das auch nach und nach die Fohlen kennen.
Bevor man sich auf irgendwelche Trainingsmethoden versteift, ist es notwendig das Fohlen zu beobachten, den Charakter kennen zu lernen. Wen habe ich da überhaupt vor mir?
Warum wird das Halfter erst so spät angelegt?
Erwin Movia: Das Genick eines Fohlens ist sehr fragil. Die Verletzungsgefahr ist groß. Schäden im Fohlenalter sind nicht nur emotional sondern auch physisch schwierig gut zu machen.
Die Fohlen in Piber lernen also das Putzen, Anbinden, Hufe geben im Beisein der Mutter kennen. Wie ist es dann später auf der Alm?
Erwin Movia: Auch hier haben die Pferde eine gewisse Routine. Es ist sehr wichtig, dass junge Pferde unbekümmert aufwachsen dürfen. Das Fohlen ABC findet wie gesagt neben der Mutter statt, wenn sie hier Vertrauen zum Menschen gefasst haben, dann ist alles andere nur noch gelegentliche Übungssache. Das Sozialverhalten der Pferde entwickelt sich – wie könnte es anders sein – unter Pferden und daher sollte man in jedem Gestüt, aber auch in der Privatzucht die Fohlen unbekümmert aufwachsen sollen, so wie in der eigentlichen Natur. Auf der Alm bleibt der Mensch für unsere Jungen Wilden eine Vertrauensperson, aber trotzdem können sie unbekümmert, ohne dass sie etwas leisten müssen aufwachsen.
Wichtig für Fohlen und junge Pferde ist ein gewisser Alltag, also Regelmässigkeiten. So gibt es dann auch bei den Jungpferden eine Morgenroutine mit Anbinden und Putzen während es das Kraftfutter gibt. Ein guter Tagesablauf reicht, mehr braucht es für ein junges Pferd, so lange es physisch und mental noch nicht ausgewachsen ist definitiv nicht!
Was halten Sie von spielerischen Zirkuslektionen für Fohlen?
Erwin Movia: Auch das ist, so lange die Pferde physisch nicht ausgewachsen sind nicht zu empfehlen. Alles, was absolut nicht den natürlichen Bewegungen des Pferdes entspricht ist für die Entwicklung nicht förderlich.
Wie funktioniert die Aufzucht genau in Piber? Wo verbringen die Fohlen und Jungpferde die Aufzucht?
Erwin Movia: Am Hauptgestüt finden die Geburten statt, die Fohlen bleiben dann mit den Müttern vor Ort, ehe sie zwischen 6 bis 8 Monate alt von den Müttern getrennt und in die Aufzuchtstation gebracht werden. Am Aufzuchthof kommt die erste Gruppe gemeinsam mit den Müttern an. Wir haben also die Möglichkeit einige Tiere an die neue Umgebung im Beisein der Mütter zu gewöhnen, ehe die nächste Gruppe nachkommt. Die zweite Gruppe kommt ohne mütterlichen Begleitschutz, dafür aber mit einem großen Spieltrieb, der mit den neuen Freunden sofort ausgelebt wird, Zu diesem Zeitpunkt stehen Hengst- und Stutfohlen noch zusammen. Ich bin immer sehr erleichtert, wenn ich von den Kollegen höre, dass die jungen Fohlen ohne ihre Mütter so gut zurecht kommen. Am Ende des Jahres müssen wir die Tiere aber nach Geschlecht trennen, denn die jungen Hengste fangen an die Geschlechterrollen wahrzunehmen. Die Stuten übersiedeln dann auf den Reinthalerof und die Buben auf die Station Wilhelm. Dort leben immer drei Jahrgänge gemeinsam. Das ist quasi ein ewiger Kreislauf. Wenn heuer der nächste Jahrgang nachrückt, dann kommen die Stuten bei uns zur Leistungsprüfung, das heißt sie werden angeritten und angefahren, die Buben überstellen wir roh nach Wien oder ins Ausbildungszentrum am Heldenberg.
Davor gibt es aber noch den Sommer auf der Alm, das ist fixer Bestandteil unserer Aufzucht – Anfang Juni gehen wir mit beiden Gruppen auf zwei getrennte Almen – die Burschen bleiben bis Anfang September und die Mädchen dürfen sogar länger bleiben bis Mitte oder Ende September.
Sind die Pferde auf der Alm sich selbst überlassen oder weiterhin betreut?
Erwin Movia: Nein, unsere Betreuer ziehen mit den Pferden auf die Alm. Sie sind rund um die Uhr für sie da und dokumentieren und überwachen weiterhin alles, was so passiert. Morgens werden die Pferde angehängt im Stall, geputzt und gefüttert, auf Verletzungen hin kontrolliert. Tagsüber gehen sie auf die Alm, abends wieder in den Stall. Unsere Aufzucht bedeutet drei „Alpungen“ pro Jahr. Das gilt auch für die Verkaufspferde. Wenn es Zeit für den Almauftrieb ist, gehen auch diese mit auf die Alm. Sie kommen nicht in eine Verkaufsbox, sondern dürfen weiterhin ihr „Piberaner“ Leben genießen. Für Interessenten heißt das: Rauf auf den Berg, in aller Hergottsfrüh, schließlich wollen wir die Almzeiten für unsere Pferde nicht unnötig abkürzen. Das gilt auch für Besichtigungen auf den Außenhöfen für die Stuten und Hengste. Zeitig in der Früh kann man die Verkaufspferde besichtigen, das Wohl der Pferde steht für uns an erster Stelle, daher wird von der Koppelzeit nichts abgezwackt.
Wie habe ich meine Jungen Wilden erlebt?
Beide Pferde wurden mit dem Hänger aus Piber abgeholt. Einsteigen war kein Thema. Auch die jungen Pferde sind schon mal gefahren worden (meistens auf die Alm, runter geht es dann zu Fuß). Auch wenn die Pferde nicht oft verladen werden, merkt man ihnen das Vertrauen gegenüber dem Menschen sofort an.
Auch wenn die erste Fahrt bei mir in die Tierklinik zur Kastration war – beide Herren sind auch wieder eingestiegen. 😉
Nach der Kastration war geordnetes Führen angesagt. Auch in fremder Umgebung war dies kein Problem. Wir waren einander unbekannt, aber das große Vertrauen und den Bezug zum Menschen war immer präsent. Ich wäre bei einer solchen Aufzucht nie auf die Idee gekommen „Respekt“- oder Dominanzübungen auszuführen. Es wäre gar nicht notwendig gewesen. Meine Lipizzaner waren wirklich brav im Umgang und gerade durch die hervorragende Aufzucht unter erfahrenen Mutterstuten und später mit den anderen Jungen im Kindergarten perfekt sozialisiert.
Der Start der „Arbeit“ fand dann spielerisch statt. Im Grunde standen viele Spaziergänge an der Tagesordnung, aber auch der immense Lerneifer der jungen Pferde hat mich vor eine große Herausforderung gestellt, schnell habe ich gelernt, dass man als Ausbilder in Zugzwang kommen kann, den Pferden immer etwas neues bieten zu müssen.
Die Alten Meister und die Fohlen
Für Gustav Steinbrecht (1808-1885) fängt die Grundausbildung des Pferdes beim Menschen an, bei seiner Einstellung zum Pferd. Dankbarkeit dem Pferd gegenüber zeigt sich laut Steinbrecht in der Dankbarkeit und Sorgfalt sowie der Forschung rund um Züchtung, Erziehung und Ausbildung des Pferdes.
„Durch verkehrte Anschauungen und das kleinliche Verfolgen von einseitigen Zielen und Vorurteilen passieren heute die meisten Fehler. Wer die Natur des Pferdes achtet findet heraus, dass die Grundgesetze zur Erzielung und Erziehung eines guten Pferdes nur der Natur abzulauschen sind.“
Gustav Steinbrecht
Ein berühmter Ausspruch in der Jungpferdeausbildung stammt von Antoine de Pluvinel (1555-1620):
„Bei der Grundausbildung ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, dem Pferde nicht durch ungerechte Strafen den Arbeitseifer zu nehmen und seine Gutwilligkeit zu ersticken, denn die Anmut eines jungen Pferdes ist wie der Duft einer Blüte, der einmal verflogen, nie wiederkehrt.“
Antoine de Pluvinel
Oft wird bei diesem Zitat an ungerechtes Strafen gedacht, nicht jedoch an den Übereifer, den junge Pferde an den Tag legen. Dieser Übereifer ist gefährlich leicht auszunutzen!
Und so sagt Pluvinel weiter:
„Man muss schon auch den Charakter des Pferdes lesen können. Daher gilt: Sobald mit der Erziehung begonnen wird, richte man sich nach Stärke, Gutwilligkeit und Veranlagung des Pferdes. Von einem jungen Pferd verlange ich nicht mehr als die Hälfte von dem, was es gerade leisten kann. Das Pferd lernt schließlich jede Aufgabe nicht anders als durch gute Gewohnheit. Ich gebe gerne den Leitsatz weiter, mit dem Hirn und Geist des Körpers zu arbeiten, als mit den Beinen und damit mit Gefühl und Einschätzungsvermögen vorzugehen.“
Antoine de Pluvinel
Und wann ist nun das richtige Alter, um ein Pferd zu arbeiten? Hier sagt der große François Robichon de la Guérinière (1688-1751):
„Das richtige Alter um ein Pferd abzurichten ist je nach klimatischen Aufzuchtbedingungen sechs, sieben oder acht Jahre.“
François Robichon de la Guérinière
Lass die Fohlen Fohlen sein – Wenn man die Kindheit raubt?
Was tun, mit jungen Pferden? Das fragt sich auch die Pferdecommunity in vielen Foren, sozialen Medien und natürlich auch den Trainer des Vertrauens. Häufig wird dann empfohlen, die jungen Pferde bereits spielerisch auszubilden. Auch wenn sehr junge Pferde noch nicht geritten werden – freilich – sie haben Freude am Spiel, jedoch, je lernwilliger und begabter das Pferd, umso eher ist der Ausbilder im Zugzwang. Einem begabten Schüler legt man ja auch nicht täglich das Lesebuch aus der ersten Klasse vor, wenn er die Buchstaben bereits kennt. So kommt es schnell vor, dass wir „Hochbegabte“ nicht nur ins Burnout, sondern ins Boreout trainieren.
Meiner Meinung nach macht es auch einen großen Unterschied, ob ich die „Arbeit“ mit dem Pferd „bezahle“. Natürlich lobt man das junge Pferd auch mit Stimmlob und sanften Streicheleinheiten, wenn es einen Huf kurz heben kann. Sobald ich aber gezielt eine bestimmte Leistung abfrage und diese immer öfter reproduzieren möchte erhebe ich einen gewissen Leistungsanspruch.
Es geht häufig nicht nur um das WAS, also was ein junges Pferd lernen soll, sondern auch um das WIE. Das junge Pferd spürt freilich auch unsere Erwartungen – selbst wenn es hoch motiviert ist – irgendwann sind dem Ausbilder auch Grenzen gesteckt, wenn das motivierte, junge Pferd immer mehr Aufgaben lösen will, die Anforderungen nun aber auch die physischen Grenzen des Pferdes erreichen. Viele verschiedene Übungen sollte das Pferd in jungen Jahren noch nicht ausführen müssen, so lange die Wachstumsfugen nicht geschlossen sind.
Ein junges Pferd muss bis zur „Einschulung“ nichts lernen außer Hufegeben, Anbinden, Führen und Verladen.
Was haben die Alten Meister betont, was auch im Gestüt Piber noch so praktiziert wird? Die Beobachtung der Fohlen und Jungtiere! Die Pferde haben eine Routine, sie kennen das notwendige Fohlen ABC und sie lernen den Menschen als Vertrauensperson kennen. Der Mensch ist jedoch niemand, der etwas fordert oder groß erwartet. Die Erwartungshaltung wird in der Beziehung zwischen Mensch und Pferd unheimlich viel ändern. Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir am Montag eine wunderbare Einheit mit dem Pferd hatten, am Dienstag klappt jedoch nichts mehr. Wir können unsere Gefühle vor dem Pferd nicht verbergen.
Soll uns das Pferd tatsächlich als jemand kennen lernen, der es nur dann liebt, wenn es etwas leistet?
Ich habe zwei wundervolle Pferde aus Piber und ich hinterfrage mich auch sehr oft, ob ich bei aller Begabung und Motivation der Pferde stets richtig arbeite, im richtigen Maß fördere?
Ich denke, der Versuchung zu widerstehen zuviel zu wollen – das fordert von jedem Ausbilder ein enormes Maß an Selbstreflexion und Beherrschung. Und es wäre vermessen zu behaupten, das mir diese Zurückhaltung auch immer gelungen ist – gerade wenn mir meine Jungs auch immer scheinbar jeden Wunsch von den Augen ablesen.
Mein dritter Schimmel kam übrigens mit 4 Jahren und 10 Monaten zu mir. Also fast fünfjährig. Lusitano Mandrake ist noch unheimlich kindlich. Er ist mit seinen fünf Jahren so verspielt. Er will auch unbedingt gefallen, aber seine überschäumende Energie gilt es auch für das Lernen lernen zu schulen. Das heißt, Mandrake lernt nun auch sich zu entspannen, das Gelernte zu verarbeiten und zu verdauen. Und wie gesagt – er ist fünf und zeigt mir auch noch einmal sehr deutlich, dass man die Fohlen Fohlen lassen sein soll!
Ich bin riesig froh, dass er ebenso wie meine „Piberaner“ die Möglichkeit hatte auf enorm viel Fläche in Portugal mit vielen Jungpferden aufzuwachsen. Mandrake wird heuer sechs und wir werden es langsam angehen – denn man sollte nicht nur die Fohlen Fohlen sein lassen, sondern auch langsam angehen mit den jungen Pferden.
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