Hört das Lernen jemals auf? Während sich die einen über Meilensteine und Zeugnisse freuen, möchten andere niemals aufhören zu tüfteln und zu entwickeln. Welcher Typ bist du?
Professoren des Lebens….
Als ich fünf Jahre alt war, besuchte ich die musikalische Früherziehung. Ich kann mich hier nicht mehr genau an den Inhalt erinnern. Wenig später jedenfalls bekam ich meine erste Violine geschenkt. Ausgepackt und drauf losgefiedelt…dachte ich. Enttäuscht legte ich das glänzende Instrument in den Kasten zurück.
Ein paar Tage später lernte ich meinen Professor kennen. Es stellte sich heraus, dass ich mich – nachdem ich die Technik durch mühsame Kleinarbeit gelernt hatte – komplett auf mein Gehör verlassen konnte, wenn es darum ging ein neues Konzert einzustudieren.
Rückblickend würde ich sagen: vermutlich habe ich in punkto Violine wirklich ordentlich Talent mitgebracht. Während andere Schüler meines Professors viele Stunden akribisch getüftelt und geübt haben, habe ich mich auf mein Gehör verlassen und drauf gegeigt.
Eines Tages hatte ich eine Beethoven-Sonate zu spielen. Lustlos ließ ich meine Finger über die Saiten gleiten. Irgendwie war das wohl ganz brav „heruntergestrichen“. Zufrieden war mein guter Professor jedenfalls ganz und gar nicht. Ich war mitten in der Pubertät und natürlich ob der Kritik genervt. Bitte, jeder Ton war da, ich habe mit dem Bogen keinen Blödsinn gemacht. Alles war doch da. Sogar Pausen habe ich eingehalten (ich gebe zu, für jemand der sich beharrlich weigerte Noten zu lesen, war das schon eine Leistung).
Kopfschüttelnd nahm mein Professor meine Erwiderung: „Aber ich kann es doch. War doch fehlerfrei“ zur Kenntnis und konterte: „Man lernt nie aus. Man kann immer was verbessern. In einem Leben wird man es noch nicht vollständig können“.
Und hier schlägt sich die Brücke zur Reitkunst. Viele Jahre später. Ich lausche einem der ersten Theorieseminare von Bent Branderup in Österreich und höre plötzlich:
„Ein Leben reicht nicht aus, um Reiten zu lernen“. (Bent Branderup)
Wer lernt wie Reiten? In vielen Sportarten gibt es Einteilungen. Vom Basislevel bis zum Fortgeschrittenen. Klar, auch beim Reiten gibt es beispielsweise verschiedene Turnierklassen, die auf das Können Rückschlüsse geben können. Bedenklich wird es aber, wenn die Reiter aus den Königsklassen nicht auf ihren „Krachern“ sondern auf anderen braven, ruhigen Pferden in die Ehrenrunde reiten müssen, oder gar nicht daran teilnehmen können.
„Zwei Geister müssen wollen, was zwei Körper können“. Irgendwo driften dann diese Geister aber scheinbar bei einer Siegerehrung auseinander.
Lernen mit allen Sinnen
Es gibt verschiedene Lerntypen:
Der auditive Lerntyp
Lerninhalte laut aussprechen, vom Band hören, Selbstgespräche fürs Auswendiglernen und absolute Ruhe beim Lernen – diese Strategien kommen diesem Lerntyp am ehesten entgegen. Demnach lernt der auditive Lerntyp gut im Dialog und durch die Begleitung eines Coaches.
Der visuelle Lerntyp
Lesen und Lernen durch Beobachten. Der visuelle Lerntyp hat in punkto Reiten einen Vorteil, wenn das Auge gut geschult ist. Auch aus der Reitliteratur kann er sich viel mitnehmen.
Lernen durch Gespräche
Wie gut, dass Reiter prinzipiell ein geselliges Volk sind. Hier wird gerne diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht, Fragen gestellt und Antworten geliefert. Dieser Lerntyp tut sich im Gespräch leicht. Als Lernender ohne Begleitung durch einen fachkundigen Trainer, kann sich dieser Lerntyp aber auch schwer tun: schließlich kann man sich nur auf die Inhalte aus den Diskussionen verlassen – wenn der Erfahrungsschatz aber selbst noch nicht so groß ist, werden solche Lerntypen möglicherweise gerne zu „Trainerhoppern“.
Lernen durch Bewegung
Learning by doing. Der motorische Lerntyp ist kein Pauschaltourist, sondern ein Entdecker. Bewegung und Lernen durch Beobachtung kommen hier entgegen. Eine „tragende Rolle“ als Lehrmeister nimmt hier natürlich auch das Pferd ein – nicht immer zu seinem Vorteil – vor allem wenn es selbst seine Bewegungskompetenz als Reittier schulen müsste.
Prinzipiell lernen wir mit allen Sinnen. Wenn wir wollen. Wir dürfen eigentlich nie aufhören Lernende zu sein, Reisende zu sein. Wir haben einen Schatz an Büchern, hinterlassen von den Alten Meistern. Wir haben Trainer, die sich komplett auf Bewegungskompetenz von Mensch oder Pferd fokussieren, wir haben die Möglichkeit viele Reiter und Vorbilder zu vergleichen, von ihnen zu lernen. Und wir haben die Möglichkeit uns permanent mit anderen Lernenden auszutauschen.
Die Kehrseite der unendlichen Möglichkeiten: Wie ist es mit dem Erkennen falscher Lehrinhalte? Wann ist ein Ratschlag gut – und wenn er wirklich gut ist, passt er für mich, für mein Pferd?
Wenn es nichts mehr zu entdecken gibt?
Die Summe meiner Erfahrungen und Gefühle machte Musik letztlich lebendig, hauchte ihr eine besondere Note ein. Und die Summe meiner Erfahrungen mit den Pferden prägt auch mein reiterliches Fortkommen. Ein Pferd auszubilden macht noch keinen Experten, schließlich sind Pferde auch nicht gleich.
Wie viele Reiter glauben, sie sind bereits am Ziel? Wenn wir ständig auf unserer Reise bleiben, dann REITEN WIR EINFACH. Und: Ein Leben reicht nicht aus, um Reiten zu lernen. Wir sollten dieses Leben daher unbedingt so gut wie möglich nutzen, dann reiten wir EINFACH.
Ich widme diesen Text meinem lieben Professor Franz Diethard, der mir beigebracht hat, dass Talent zwar möglicherweise für den ersten Schritt reicht, aber Leidenschaft und Begeisterung, die zu Fleiß führen, unser Tun erst melodisch machen.
Ach, wie schön, das zu lesen..! Auch mit den Gedanken an meinen eigenen Geigenunterricht als Jugendliche im Kopf – und mit den Gedanken an mein Reiten und dass ich mir gerne ganz viel abschaue. Nein, allein mit Hinhören, hab‘ ich das mit dem Geigen damals nicht hingekriegt. Meine Haltung war hingegen immer Eins A 😀
In Sachen Reiten komme ich mit Inneren Bildern super weiter. Das scheint wohl zum visuellen Typ zu gehören.
Danke, Anna!
Sehr gern! Danke für das schöne Feedback, liebe Annika.