Reitkunst ist Lebenskunst heißt es so schön. Aber wo liegt im Lernen wirklich die Kunst? Der Weg ist das Ziel. Aber kann die Kunst nicht schon im Lernen auf dem Weg entstehen?
10 Gesetze, wie wir das Lernen zur Kunst machen
- Leidenschaft
- Glaube an dich
- Liebe das Lernen
- Akzeptiere Phasen des Lernens
- Der Unterschied zwischen Vortrag und Diskussion
- Minimalismus
- Das Spiel mit Wissen, Intuition und Kreativität
- Die Sache mit dem Test und dem Wissen
- Relax
- Am Anfang ist der Anfang
Leidenschaft
Am Anfang ist der Antrieb, die Motivation. Wir brauchen diese Leidenschaft als inneren Motor, wenn es um das Lernen geht. Die Frage ist jedoch: Leidenschaft und Technik? Verträgt sich das? Natürlich müssen wir ein Handwerk lernen – egal ob es um das Reiten geht, oder eine völlig andere Sache. Wir lernen sämtliche Positionen (Groundwork, Longework, Handarbeit, Langer Zügel, Crossover) rund um das Pferd in der Bodenarbeit. Wir begreifen die Funktion eines inneren und äußeren Schenkels und wie wir mit einem inneren oder äußeren Zügel dem Pferd eine Mitteilung geben können. Dazu braucht es ein gewisses Maß an Technik.
Reite den Inhalt und nicht die Lektion (Bent Branderup).
Man könnte es auch so formulieren:
Werde ein guter Techniker, aber einer, der die Leidenschaft für Entwicklung und Fortschritt niemals aus den Augen verliert
Glaube an dich!
Stellen wir uns zwei Lernende vor. Der eine sagt: das lerne ich nie, der andere ist von sich überzeugt.
Wer wird wohl mehr Erfolg haben?
Denken wir nun weiter: wenn wir sagen: ich kann diese Aufgabe bewältigen, weil ich die dafür erforderlichen Fähigkeiten mitbringe – dann schreiben wir das Maß an Erfolg und Misserfolg unseren Fähigkeiten zu. Wer seinen Erfolg aber auf seine Leistung münzt – nach dem Motto: ich kann diese Aufgabe bewältigen, schließlich habe ich gewisse Skills erlernt und lerne weiter – der lässt sich bei Misserfolg nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Wir betrachten unsere Fähigkeiten nämlich gerne als etwas Statisches – unsere Leistungen aber als einen dynamischen Prozess, an dem wir wachsen. Glauben wir also an unsere Leistung!
Liebe das Lernen
Ja, manchmal ist Lernen frustrierend. Ich glaube jeder war schon mal in der Straße, wo man das Gefühl hat wie Sisyphos immer wieder den gleichen Stein auf den gleichen Berg rollen zu müssen.
Wir bleiben aber Lernende. Und ohne Versuch und Irrtum kommen wir nicht weiter. Wir brauchen also den Irrtum, um auch zu wissen: das fühlt sich jetzt nicht gut in meiner Hand an. Hier läuft etwas unter mir schief. Unser Pferd gibt uns Feedback.
Und – falls die Liebe zum Lernen manchmal schwerfällt:
Verstehe die Phasen des Lernens
Egal ob in der Reitkunst, beim Erlernen eines Musikinstruments oder einem anderen Prozess. Es gibt Phasen, da sind wir quasi wie bei einem Filmdreh: ready for action – bereit den Anweisungen des Regisseurs mühelos Folge zu leisten. Aber es gibt eben auch Phasen im Leben, wo wir uns mitten im Wachstum befinden. Manchmal sind und fühlen wir uns da besonders verletzlich. Und darum müssen wir uns auch ganz geschützte Phasen und Zonen des Wachstums erlauben. Wir brauchen schließlich auch Zeit, um ganz neu Erlerntes überhaupt aufzunehmen und zu verdauen. Mitten im Prozess sagen wir vielleicht: momentan läuft es überhaupt nicht gut. Ich komme gerade nicht weiter. Wir sind aber gerade mitten im Prozess. Ist der Inhalt verdaut, schaut die Sache vielleicht schon anders aus. Das Problem, das wir in der Arbeit mit unserem Pferd hatten, war vielleicht der Schlüssel, eine neue Lösung zu finden, etwas noch besser zu spüren – oder einen Denkfehler, der einige Schritte weiter vorne auf der Reise lag, aufzudecken.
Berieseln lassen oder aktiv mit dran sein?
Akademische Reitkunst – der Name stammt aus jener Zeit, als es in ganz Europa noch Reitakademien, vorwiegend für den Adel, gab. Soweit, so gut. Ein Hort des Lernens also – und auch des Wissensaustauschs.
Und wie ist das heute? Viel zu gerne lassen wir uns berieseln. Wir nicken während des Vortrags eifrig mit, denn ja klar, ist ja alles logisch. Beim Lernen zeigt sich, je aktiver wir an die Sache rangehen, umso mehr bleibt hängen.
Daher: scheuen wir doch nicht die Diskussion. Und damit meine ich nicht das Streitgespräch, wie wir es im Internet in Hülle und Fülle vorfinden können.
Der Lernende sammelt Erfahrungen – manchmal teilt er sie aber nur ungern. Schließlich ist die Geschichte vom Weg in die Sackgasse unangenehm. Geben wir dem Lernen einen Rahmen, der frei von Bewertungen ist. Gerade aus der Sackgasse können wir eine Menge lernen. Und hören wir aufmerksam zu!
Minimalismus
In der heutigen Welt müssen wir schneller, weiter, höher, besser usw. werden. Wir leben in einer Welt der Maximalisten. Gerade mit Pferden müssen wir aber zum Minimalisten werden. Wenn etwas nicht klappt, dann ist eine Lernstrategie, den Weg zum Mikrokosmos des Problems zu finden. Unser Fokus liegt also auf den kleinen Dingen. Wenn wir beispielsweise in kleinen Bewegungen arbeiten, uns auf die kleinsten Verspannungen in unserem Körper konzentrieren, wird uns auch klarer wo wir Spannung ins Pferd übertragen. Wo überträgt sich gar unsere eigene Schiefe auf das Pferd? Und wenn wir mitten in dieser Schiefe sind: macht es dann Sinn mit einer eher maximalen Hilfe gegen zu steuern?
Ein Beispiel: wir befinden uns im Schulterherein auf der linken Hand geradeaus, parallel zur Wand aber mit genügend Abstand. Wir reiten aus der Ecke, fühlen das Pferd ausbalanciert unter uns und fragen nach einem Schulterherein. Wir fragen mit dem äußeren Zügel so deutlich, dass das Pferd viel zu stark nach innen kommt. Der innere Schenkel hat alle „Hände“ voll zu tun, das Pferd auf der geraden Linie zu halten. Die vermeintliche Lösung: der innere Zügel könnte das „Zuviel“ an Schulterherein ja auch korrigieren. Irgendwie landen wir ja doch immer wieder beim „Zuviel des Guten“. Anstelle die Einwirkung des äußeren Zügels zu minimieren fügen wir lieber eine weitere Hilfe maximal dazu. Lernen wir minimalistisch zu arbeiten und minimalistisch zu fühlen. Wir erfassen so viel leichter die Wurzel.
Das Spiel mit dem Wissen, der Intuition und der Kreativität
Welche Bausteine brauchen wir für die Reitkunst? Wir haben schon eine Menge von Technik gehört. Reitkunst bedeutet nicht alleine einen Hammer und einen Nagel zur Verfügung zu haben. Reitkunst ist ein erlerntes Handwerk, was bedeutet, wir haben einen großen Werkzeugkoffer zur Verfügung.
Das heißt, der erste Schritt ist die Aneignung von Wissen. In der Theorie lernen wir die Basics. Wie sollen Stellung und Biegung aussehen? Warum ist eine Rotation des Unterkiefers wichtig? Wie pflanzt sich die Einwirkung auf den Schädel in der Bodenarbeit weiter in den Pferdekörper fort usw.
Wir haben uns nun mit der Theorie auseinandergesetzt, wissen um die Positionen unseres Körpers in der Bodenarbeit bescheid und haben uns für die heutige Trainingseinheit das Ziel gesetzt Paraden durch den Körper des Pferdes zu geben.
Wir stehen vor dem Pferd, fühlen mit der Hand hinein und versuchen die Hinterhandgelenke zu erreichen. Doch die Parade bleibt stecken.
Jetzt ist auch unsere Intuition gefragt: wo ist die Parade stecken geblieben? Die Stellung sieht korrekt aus, der Hals des Pferdes ist scheinbar nicht überbogen. Zum einen können wir also visuell analysieren. Was, wenn das Pferd aber durch den Versuch der Parade so aus der Balance geworfen wurde, so dass es einen Schritt zu Seite machen musste. Das Pferd hat seine ursprüngliche Position verlassen, wir müssen nun also unserer Intuition vertrauen. Vielleicht sagt uns das Gefühl, die Parade ist beim Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule stecken geblieben. Dort war das Problem. Mit dem intuitiven Wissen – gepaart mit der geballten Ladung an Theorie – werden wir nun versuchen das Gleichgewicht des Pferdes zwischen den Vorderbeinen besser zu positionieren.
Die Parade bleibt nun wieder stecken. Stur dranbleiben? Was stand noch im Lehrbuch? Mein Pferd war es jedenfalls nicht, die Stute ist braun und im Lehrbuch war ein Schimmel abgebildet….
Nun heißt es: Mut, denn der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Vielleicht sollte das Spiel zwischen „Schulterherein-dehnen lassen“ und „Kruppeherein-Parade“ etwas langsamer ablaufen? Oder man verlangt weniger, wechselt aber etwas schneller? Brauchen wir mehr Dehnung im Schulterherein oder sackt das Pferd gerne im Brustkorb nach unten ab und verliert so die Balance? Wir haben so viele Möglichkeiten – seien wir kreativ!
Die Sache mit dem Test und dem Wissen
Vor einigen Jahren habe ich mit dem Gedanken gespielt berufsbegleitend ein zweites Studium zu beginnen. Zuerst hatte ich ein Studium der Publizisitik- und Kommunikationswissenschaften mit einer Fächerkombination aus Psychologie, Ethnologie und Theaterwissenschaften abgeschlossen. Mein zweiter Studienweg sollte sich nun erneut mit der Psychologie befassen und zum Glück konnte ich mir vor der Aufnahme einige Zeugnisse aus der Vergangenheit bereits anrechnen lassen.
Auf der Suche nach meinen alten Zeugnissen bin ich auf einige interessante Dokumente gestoßen. Ich habe da Prüfungen absolviert – wohlgemerkt mit „sehr gut“, ich kann mich jedoch weder an den Vortragenden noch die Lehrveranstaltungen selbst erinnern. Als ob ich gar nicht „da gewesen“ wäre.
Ich denke jeder kennt das Phänomen, schnell Wissen aufzusaugen, dauerhaft gespeichert bleibt es jedoch nicht. Die Reitkunst hat aber den Luxus, dass wir prinzipiell keinen Test bestehen müssen.
Wir machen aber ständig einen Test, der Prüfer ist das Pferd. Wir haben nur das Glück, dass uns das Pferd nicht durchfallen lässt sondern uns immer und immer wieder den Fehler zeigt und wir uns dann überlegen müssen wie es richtig sein könnte/sollte und dies auch ausprobieren dürfen. Dieser Vorgang wiederholt sich, wenn man das Reiten ernst nimmt auch immer und immer wieder und dafür müssen wir uns bei unseren Pferden bedanken, dass sie uns immer und immer wieder zuhören und mit uns die Fehler suchen und uns Tipps für deren Beseitigung zukommen lassen: wenn wir aufmerksam genug sind!
Relax
„Relaxation“, so nennt Christofer Dahlgren seinen Schlüssel zum Erfolg in der Ausbildung von Pferden.
Nicht umsonst kommt der Losgelassenheit von Pferden eine so immense Bedeutung zu. Aber nicht nur für die Pferde gilt dieses Prinzip. Auch für uns ist Losgelassenheit eine entscheidende Komponente beim Lernerfolg. Erst wenn wir wirklich relaxed sind können wir uns auf unseren Körper konzentrieren und werden so feststellen, wo sich Körper und Geist auf dem Pferd nicht unbedingt einig waren.
Wenn wir ständig unter Anspannung stehen, dann stoppt diese Anspannung auch den Denkprozess, der Fluss zwischen Gedanken und Tun ist unterbrochen.
Am Anfang ist der Anfang
Wie schon weiter oben beschrieben: am Anfang steht die Theorie. Wir brauchen ein stabiles Fundament, auf dem unser weiteres Wissen sich stützen kann.
Wie sagt Bent Branderup so schön:
„Basis ist nur Basis, wenn sie für irgendetwas Basis ist“.
Das heißt, wir müssen die Reitkunst ganz in ihrer Basis verstehen lernen. Warum sind die Alten Meister so geritten und nicht anders? Was bedeutet eigentlich Gebrauchsreiterei und warum hat sich die Reiterei im Wandel ihrer Zeit so oft „neu erfunden“. Und was wurde vielleicht neu formuliert, ist aber altes Wissen.
Suchen wir auch in der Geschichte nach Zusammenhängen, dann verstehen wir die Praxis auch später einfacher!
Und machen wir schon unseren Weg zur Kunst, dann lernt und reitet es sich Einfach 😉
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