Das Pferd ist nicht für die Dressur da – die Dressur ist für das Pferd da….oder auch für den Menschen. Nach einer Woche Ekeskogs und Verbesserung meiner eigenen Bewegungsqualität kann ich deutlich wahrnehmen, wie das mit der Gymnastizierung FÜR den Körper gemeint war. Heute gibt es Teil 2 meines Reiseberichts aus Schweden:

„M“ wie Mittwoch oder „M“ wie Move

Obwohl wir an diesem Tag kein Pferd reiten werden, habe ich das Gefühl am Meisten für meinen Sitz aus den „pferdelosen“ Einheiten abgeholt zu haben. Ich bin als zweite dran und darf zunächst mal observieren. Ich kann diese Reise in den eigenen Körper nur jedem Reiter zutiefst empfehlen. Es ist eine sehr intime Geschichte.

Wie fühlt sich Glück an? Das würden wir wohl alle ganz anders beschreiben.

Meine Schilderungen sind ein Versuch, wiederzugeben, was auf Gotland passiert ist.

Hanna lässt mich wählen, welche Hand ich auf dem Zirkel bevorzuge. Ich starte rechts herum. Fühlt sich irgendwie besser an. In meiner Brustwirbelsäule sitzt noch immer dieser Schmerzpunkt. Wie ein Finger, der sich seit meinem Unfall von 1997 immer wieder mal in meine Wirbelsäule bohrt und auf Höhe des Sternums zu lokalisieren ist.
Ich laufe los. Wir sortieren zunächst mal mein Tempo. In welchem Tempo fühle ich mich wohl? Es ist ein erstaunlich schnelles, ich habe viel Energie an diesem Tag. Hanna moderiert quasi durch meinen Körper. Schwingt die Wirbelsäule, wie fühlt sich die Bewegung an? Welchen Fuß belaste ich mehr, wo zeigen meine Zehenspitzen hin? Wie schwingen meine Arme nach vorne.

Es wird spannend. Zunächst kann ich meine Arme eigentlich am Wenigsten spüren. Ein eigenartiges Gefühl. Ich gehe weiter. Spüre die Bewegung meiner Hüfte. Rund. Hanna lässt mich mit den Kreisen aus meiner Hüfte spielen. Mal mache ich sie größer, mal kleiner. So wie ich es am Tag zuvor auf Indio spüren konnte. Hier habe ich das Pferd beeinflusst, was passiert aber nun mit mir selbst – in mir? Ich nehme den Boden unter meinen Füßen ganz anders wahr. Meine Bewegungen werden weicher, gleitender. Plötzlich ist da ein Kribbeln in meinem Arm. Zuerst im linken. Wir machen einen Handwechsel. Nach einigen Runden kann ich nun auch die Hüfte besser nach vorne schwingen, die Rotation und Schwingungen meiner Wirbelsäule übertragen sich nun auch auf meinen rechten Arm.

Wie war das nochmal mit den „natürlichen Gängen“ des Pferdes?

Je geschmeidiger die Bewegung des Pferdes, umso eher kommt der Reiter zum Sitzen. Meine Hüften bewegen sich geschmeidiger über den Hallensand und dann kommt der Moment, wo ich endlich schmerzfrei bin. Der Atem fließt und je weiter ich laufe, umso eher komme ich auf beiden Händen in eine sehr angenehme Balance. Wo sich Bewegungen zuvor angespannt und anstrengend angefühlten könnte ich nun ewig so weiterlaufen.

Nach der Mittagspause arbeiten wir im Warmen weiter an meiner Bewegungsqualität. Vom Schritt auf der Stelle arbeiten wir uns in einen Mambo-Rhythmus, Schritt im Schulterherein oder im Kruppeherein. Und plötzlich bin ich geradegerichtet.
Meine Schultern schwingen frei in der Bewegung, ich spüre keine Steifheit mehr. Ich habe keine besonderen gymnastischen Übungen dafür gebraucht. Kein Strechen, dehnen oder Arbeit an der Kraft. Ich bin eigentlich nur auf der Stelle gelaufen, aber dies korrekt und natürlich.Trotzdem merke ich am nächsten Tag einen leichten Zug in meiner rechten Hüfte. Nicht unangenehm – also kein Muskelkater. Interessiert nehme ich die Veränderungen in meinem Körper wahr und bin gespannt, welche Änderungen ich auf dem Pferderücken wahrnehmen werde.

Mittwoch Abend sind einige Schüler bei Hanna für eine Theorieeinheit eingeladen. Hanna erklärt die Struktur der Ausbildung in der Akademischen Reitkunst. Dabei werden vor allem die einzelnen Positionen in der Boden-, Hand-, Longenarbeit, dem langen Zügel und dem Crossover diskutiert. Der Vorteil einer durchdachten und detaillierten Ausbildung am Boden liegt für Hanna vor allem im Körperbewusstsein. Nicht nur der Mensch entwickelt ein anderes Körperbewusstsein – auch das Pferd. Hanna verwendet nicht nur für die Schulung des Sitzes Elemente aus dem Tanz – auch in der Theorie bespricht sie mit den Teilnehmern die Frage der Führung. Wer ein guter Tänzer sein möchte, der muss auch führen können – und ebenso geht es uns mit dem Pferd. Möglicherweise haben hier viele Zuhörer – oder jetzt eben auch der Leser sofort an „Erziehung“ gedacht. Das ist die eine Sache – wie schwer es sein kann sich führen zu lassen fühlen wir am nächsten Tag auch ohne Pferd.

Donnerstag: Von Herzen…

Schon mal den eigenen Puls ganz bewusst gefühlt? Ich ertaste meinen Herzschlag an meinem Handgelenk und begreife, warum ich ein schnelleres Tempo am Vortag bevorzugt habe. Wenn ich mich mit meinem Herzschlag im Rhyhtmus bewege, dann spüre ich gleichzeitig auch viel Energie. Lege ich den Fokus deutlich auf meine Atmung kommt es zu einer Entschleunigung. Ich muss mich zwangsläufig langsamer bewegen.
Fügen wir nun ein Pferd hinzu. Gleicher Herzschlag? Gleicher Rhythmus der Atmung? Mitnichten. Sich führen zu lassen ist also nicht nur eine Frage von Gehorsam, hier kommt so deutlich zum Ausdruck was Gustav Steinbrecht mit Reitertakt, oder Gefühl für das Pferd gemeint hat.

Ich reite Indio an diesem Tag zweimal. Unsere Hüften kommunizieren ganz wunderbar miteinander. Ich kann mich mittlerweile besser auf einzelne Körperteile fokussieren – egal ob Pferd oder Mensch. Im Trab habe ich endlich das Gefühl von Stabilität in mir, ohne undurchlässig zu werden. Ich spüre Indios Atmung, meine Hände begleiten meine Atmung, wenn ich Indio löse bzw. mit sanften Paraden arbeite. Wir atmen beide zufrieden aus. Was für ein Tag.

Freitag – oder die Sache mit der „Dame“

Der letzte Tag. Ein lachendes und ein (sehr) weinendes Auge. Ich freue mich riesig auf meine Pferde und ihr Feedback zum neu erworbenen „gotländischen Sitz“.

In der Halle laufen wir uns warm. Diesmal nicht nur auf dem Zirkel, sondern auch auf der Geraden. Mein Körper reagiert praktisch auf alle Schwierigkeiten, die man auch vom Reiten kennt. Zirkel. Das ist jetzt bekannt. Aber wie sieht es mit der Geraden aus? Und wenn wir ein wenig Stellung in den Körper hinzufügen, ein wenig Biegung, ein wenig Schulterherein und Kruppeherein? Ich nehme an diesem Tag sehr deutlich wahr, dass sich in meiner rechten Hüfte nach wie vor „was tut“. Aber ich bin mit meinem rechten Bein unzufrieden. Das möchte sich gerne fest in den Boden rammen.

Großhirn an Kleinhirn und so weiter an rechten Fuß: Könntest du den Fuß etwas sanfter absetzen?

WAMM. Es klappt nicht. Ich sage es meinem Bein, aber ich erhalte keine gewünschte Reaktion. Sagen reicht nicht, man muss sich gesund bewegen. Ich spiele mit meiner Hüfte, erlaube mal ein wenig mehr Vorgriff, mal nehme ich mich etwas zurück. Spüre die Verlagerungen meines Schwerpunkts. Und immer wieder komme ich zu einem angenehmen Auffußen des rechten Beins. Erstaunlich.

Wir arbeiten weiter mit der Energie zu zweit. Werden wir unseren Schwerpunkt übereinstimmend nebeneinander behalten? Ist das Tempo des jeweils anderen angenehm für uns? Spannend, wie man plötzlich in Einklang kommt – so ganz ohne sich gegenseitig zu berühren – lediglich durch ein Gefühl sind wir miteinander verbunden.

Ich bin nach wie vor erstaunt, wie viele AHA-Effekte die „Trockenübungen“ für uns bereit halten. Ein gewaltiger AHA-Effekt war dann auch das abschließende Reiten im Damensattel auf „Matcho“. Hannas treue Seele ließ uns ein ganz anderes Sitzgefühl spüren. Sogar in Piaffe und ein wenig Schulgalopp – da mussten wir dann beide – Simone und ich einen ordentlichen „Juchaza“ loswerden.

Ich habe mir sagen lassen, dass man Gotland nur sehr schwer verlässt – oder ist es eher Hannas ganz spezielles Ekeskogs das man so gar nicht verlassen mag?

Während ich diese Zeilen schreibe sitze ich im Flieger. Diesmal nicht verspannt, sondern relaxed. Sollte die Reise inklusive schweißtreibender Sicherheitskontrolle (Milchschäumer sind ja auch wirklich sehr gefährliche Gerätschaften) dann doch am Tag danach Verspannungen zu Tage bringen werde ich sie einfach weglaufen. Mit schwingendem Rücken. Ganz natürlich.

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I really want to thank Hanna and her family for their hospitality. We had a really great time on Ekeskogs. Thanks for Hannas trust, patience and effort she has put into our education during the week. I can truly recommend Hanna`s seat programm for riders. It is really inspiring for everyone who wants to learn more about body awareness and healthy movements. I will of course come back in December 2017!!!

PS: Die Rückreise konnte meinem Rücken nichts anhaben. 🙂

Hanna Engström zum Nachhören gibt es auch in meinem Podcast