Meine Lehrmeister die Pferde – so lautet der Titel eines Buchs von Alois Podhajsky. „Erinnerungen an ein großes Reiterleben“. Nun, 33 Jahre habe ich im Sattel verbracht und passend zur Sommerlektüre ist es an der Zeit mir über meine Lehrmeister Gedanken zu machen. 

Freilich, ich möchte mich nicht annähernd nicht mit dem großen Alois Podhajsky vergleichen, aber beim Lesen seiner Zeilen fand ich den Gedanken charmant über meine eigenen Lehrmeister nachzudenken. Viele Pferde habe ich kennen gelernt, aber es gibt ganz besondere Charaktere, die  vermutlich auch zur Formgebung des eigenen Charakters beigetragen haben: 

Ein Sommer wie damals

1992 wollte ich gerne bergab, mein Haflinger „Stieglitz“ rammte die Hufe in den Boden. Er lehrte mich, dass es niemals nach dem Kopf des Reiters zu gehen hat. Stieglitz war rotzfrech, gleichzeitig fühlte ich mich auf seinem Rücken sehr sicher, obwohl er seine Meinung ohne jeden Kompromiss standhaft vertrat. So mancher Ausritt wurde zur rasanten Partie. Entweder es ging sehr flott oder gar nicht vorwärts, für die Mitte haben wir sehr lange gebraucht. 

Abgesehen von einer einfühlsamen Hilfengebung, die das Pferd niemals überfallen darf, habe ich durch Stieglitz vor allem eines gelernt: Man sucht das Pferd zuerst mit dem Herzen aus. Und wenn das Herz bei der Wahl mitspricht, dann lernt man am meisten in Punkto „Reitertakt“ also Gefühl fürs Pferd dazu. Nicht immer ist Liebe auf den ersten Blick „einfach“. 

Mit Stieglitz habe ich meine Sommermärchen erlebt. Wilde Tagesritte, Nachtwanderungen im Leechwald im Winter, manchmal auch heimlich. Mit meinem wilden Haflingerbuben durfte ich den Traum vom „Mädel am Reiterhof“ erleben. Nicht ohne eben die eine oder andere Lektion von Stieglitz zu lernen, was Geduld, Beharrlichkeit und Kommunikation anbelangt. Stieglitz war das erste Pferd in meinem Leben, das klare Formulierungen von mir brauchte. Ich dachte an „klare Ansagen“, aber weit gefehlt, ich musste nicht lauter und eindringlicher sprechen lernen, sondern Schritt für Schritt erklären, warum ich etwas gerne unternehmen wollte. 

Barilla  – eine Klasse für sich 

Obwohl ich durch Stieglitz eine Menge gelernt hatte, auf Barilla war ich nicht vorbereitet. Wir waren zunächst durch einen Zufall zusammengekommen. Zufälle sind häufig die besten Kuppler in Punkto großer Liebe. Barilla war eine Stute aus bestem Hause. Große Namen waren da in ihrem Pedigree zu finden, wer jedoch meint, man reitet am Papier des Pferdes, der irrt. Und so musste auch ich einsehen, dass Namen wie Donnerhall, Rubinstein oder Ramiro Z nicht ein Garant dafür sind, dass ich mich nicht weiterentwickeln müsste. 

Österreichisches Warmblut Barilla von Roy Black
Es hat lange gedauert, bis Barilla mit mir zufrieden war.

Barilla hatte eine starke Meinung. Als wir uns kennen lernten, waren die Vorderbeine mehr in der Luft als am Boden. Und trotzdem hatte ich wie bei meinem Stieglitz das Gefühl von „Zuhause“ auf ihrem Rücken. Ich habe mich mit Barilla nie gefürchtet. Nicht, als sich Barilla weigerte den dunklen Bach zu druchqueren, nicht als ein Helikopter quasi neben uns landete und nicht, als Barilla bei Schneesturm beschloss keinen Schritt mehr weiter zu machen. Im Wienerwald haben wir so manches Abenteuer erlebt. Die Sache mit besagtem Bach ist heute noch in der Rückschau spannend zu analysieren. Ich habe nie überlegt, was MEIN Fehler an der Sache war. Ich hatte nur überlegt, warum Barilla nicht durchs Wasser gehen wollte und wie ich dieses „Manko“ doch beheben könnte. Diese Haltung wurde ich so schnell auch nicht los. In Gesprächen mit Reitkollegen ging es häufig darum, wie man das Pferd „knacken“ könnte, wie es denn „nachgiebig werden könnte“. Aber es ging nie um Kommunikation. 

Der kleine „Seitenhieb“ an mich an dieser Stelle. Ich habe damals Kommunikationswissenschaften studiert und mich dabei freilich mit so vielen Missverständnissen auseinander gesetzt. 

Trotzdem fühlte sich das SOLL der Pferdekommunikation nach Einbahnstraße an: Mensch sagt, Pferd versteht und macht. 

Barilla – eine Klasse für sich – wollte SO aber nicht. Sie war absolut nicht bereit, mit mir zu sprechen, nein, da wurde auch nicht verhandelt. Mit dieser Einstellung war nichts zu machen. Sie blieb stur und ich auch. Jahre später schmiss ich quasi die Flinte ins Korn und der nächste Zufall sollte unsere Beziehung retten. Meine Freundin Eva erzählte mir von der Akademischen Reitkunst und den Wundern die diese vollbrachte. 

Ich war natürlich skeptisch. Mit der Arroganz einer jungen Mitzwanzigerin beschritt ich meinen ersten Kurs und nickte in der Theorie noch zustimmend. „Ja eh alles klar“. „Weiss man doch“. „Ist doch logisch“. 

Wenn es so logisch ist – warum bin ich nicht so geritten? Kann ich leider nicht beantworten. Aber jeder verdient eine zweite Chance, nicht wahr? Zumindest war Barilla sehr großzügig – eben – eine Klasse für sich und tat sich diese komische Sache nochmal an. 

Ohne Barilla hätte ich niemals die Notwendigkeit gesehen, mich zu ändern. Barilla hat mir mit Bestimmtheit das Meiste in Punkto Reiterei beigebracht. Und Sorry, Professoren der Universität Wien – auch in Kommunikation konntet ihr meiner Stute nicht das Wasser reichen. 

Barilla begann plötzlich mit mir zu sprechen. Weil ich angefangen hatte hinzuhören. Leider hat mir Barilla auf dem Weg zur Reitkunst nur „Starthilfe“ gegeben. Die nächsten Lektionen hatte ich dann von Tarabaya und Pina Colada. 

Pina Colada oder: Achtung, unbefugte Inbetriebnahme!

Pina ist eine Grand Dame. Sie legt Wert auf ein gepflegtes Auftreten, höfliche Umgangsformen und einen umfangreichen Service. Service bezieht sich auf die Auswahl der richtigen Bürsten, die Auswahl der richtigen Körperstellen beim Putzen, Satteln für Profis und selbstverständlich müssen auch Experten bei der Wahl des Futters mitspielen. 

Sind diese Punkte erfüllt, dann bringt mir Pina etwas übers Reiten bei. Pina ist blitzgescheit. Sie weiß alles, aber sie wird bei Gott nicht alles umsetzen, solange ich dilettantisch nachfrage. Schnelle Ergebnisse – das können die anderen. Pina will höflich gebeten werden, im Flüsterton. Und bitte, die Hilfen sollen unsichtbar sein. 

Altösterreichisches Warmblut Pina Colada
Die Grand Dame der Dressur: Pina Colada oder Frau Professor Pina

Eine perfekte Lehrmeisterin, die mir dann noch die richtigen „Manieren“ beibrachte. Umgekehrt habe ich ihr geholfen, nicht die Contenance zu verlieren, denn Pina hat unfallbedingt ein paar Handicaps, die sie ihrer Meinung nach nicht aufhalten können, manchmal jedoch an den Rand der Verzweiflung bringen. 

Pina ist der Meinung, dass sie bei höflicher Frage all meinen Wünschen nachkommen möchte, auch wenn das für sie zu schwer ist. Ich bin der Meinung, dass so viel gar nicht notwendig ist – spätestens dann diskutieren wir über „unbefugte Inbetriebnahme“ und Nervenzusammenbrüche. 

Was mir Pina noch beigebracht hat? An sie zu glauben! 

Wie jetzt? Es ging doch gerade um die Schonung des Pferdes und das Fernbleiben jeglicher physischer Grenzen? Ja! Aber: 

Ich habe in Pina häufig ihre Handicaps gesehen. Die tastbaren Wirbelbrüche im Schweif. Die große Schiefe. Das Sakrum, das nach rechts hängt. Der Beckenschiefstand. Das ungleichmässige Treten der Hinterhand. Nie habe ich Pinas mentale Stärke gesehen, Verantwortung zu übernehmen und nicht ständig auf die eigenen Defizite reduziert zu werden. 

Von Pina habe ich unheimlich viel gelernt. Auch menschlich. Pina ist beispielsweise in der Herde wirklich sehr beliebt. Sie eckt nie an, viele Pferde sind mit ihr befreundet. Und dennoch ist sie aber eine, die sehr direkt sagt, was ihr nicht passt. Niemand ist bei Pina nachtragend. Ja, manchmal sind die Beschreibungen unserer Pferde zu trivial. Wir verschmenschlichen mal etwas zuviel. Macht nichts. Es kurbelt die Phantasie an und machmal entdecken wir genau in diesen Beschreibungen einen Funken Wahrheit, der wichtig für die Beziehung zu unserem Pferd ist. 

Tabbys Nein

Trakehnerstute Tarabaya
Auch wenn sie manchmal Nein gesagt hat – zu ihr sage ich immer wieder „Ja“. Tarabaya genannt Tabby

Meine Tarabaya hat sich vor vielen Jahren verletzt und das Trauma blieb viele Jahre – weil schleichender Prozess unentdeckt. Sie hat mir in dieser Zeit jedoch beigebracht, auf ein „Nein“ des Pferdes zu hören und die Beziehung zum Pferd dahingehend zu überdenken, ob ich wirklich immer der Part sein darf und sein möchte, der fordert, der entscheidet, der für uns zwei denkt. 

Wir entscheiden so viel für unsere Pferde. Wie sie wohnen, wie sie leben, wie wir sie „nutzen“, wie wir sie ausbilden. Tabby hat mir beigebracht noch besser zuzuhören und sehr häufig mal selbst „den Mund zu halten“, denn jetzt war mein Pferd dran. 

Und was mir Tabby noch beigebracht hat? Sein Traumpferd niemals entzaubern zu lassen. Bent Branderup sagt immer auf seinen Kursen: Für wessen Augen reitest du. 

Ich sage dann: „Natürlich für mich“. Dann stelle ich mir vor, dass die berühmtesten Stoiker der Philosophie neben mir stehen, mit prüfendem Blick und ich gebe zu: „Verzeihung, ich lasse mich gelegentlich dazu hinreißen, beim Reiten darüber nachzudenken, was Person XYZ von mir denken könnte“. 

Tabby ist eine meiner großen Pferdelieben. Und doch hätte ich sie mir manches mal schon beinahe madig reden lassen. Aber Tabby ist großartig. Sie lebt nach dem Motto: Was kümmert es den Baum, wenn sich die Sau an ihm kratzt. Durch Tabby hab ich gelernt mehr zum Baum zu werden und die Sau Sau sein zu lassen. 

Die Prinzenrolle

Da fand ich mich wieder, zwischen zwei Lipizzanern, die beide die Prinzenrolle übernehmen wollten. Konrad ist der Meinung er war zuerst da. Amena tut unbekümmert. Von beiden Lipizzaner Buben werde ich noch viel lernen. Beide sind Meister der Körpersprache. Und beide sind Meister der Empathie. Ich denke, das Prinzenmärchen wird noch eine sehr spannende Geschichte. Aber darüber erzähle ich ein anderes Mal……

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