Das Pferd hat Probleme die Hufe zu geben, das Pferd fürchtet sich vorm Fliegenspray, das Pferd kann nicht durch die Lamellen beim Paddock laufen, das Pferd lässt sich nicht verladen. Das Pferd reißt sich an der Longe los. 

Nein, hier kommt jetzt nicht der nächste Verhaltenstherapeut ins Spiel, sondern die Ergotherapie. Aber reden wir zuerst über meinen Konrad und Pfernetzt. 

Vor zwei Jahren habe ich Ruth Katzenberger-Schmelcher bei „Pfernetzt“ kennen gelernt. Pfernetzt war ein zweitägiges Event rund um verschiedene Pferde-Themen. Ruth war mit dem Team „Shetty Sport“ vor Ort, ich habe über die Akademische Reitkunst referiert. Man war sich sofort sympathisch und besonders spannend im laufenden Austausch fand ich Ruths Erzählungen rund um die Ergotherapeuten Ausbildung für Pferde, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester Yvonne gestartet hat.

Als ich meinen Lipizzaner Konrad auf der Weide beobachtet habe, ist mir die Sache mit der Ergotherapie wieder eingefallen. Ergotherapie arbeitet mit den drei Basis-Sinnen der Pferde, das heißt es geht um das taktile, das propriozeptive und das vestibuläre Sinnessystem. Über diese Sinne findet laufend Kommunikation an Nervensystem und Gehirn statt – und so entscheidet sich auch, wie Pferde in verschiedenen Situationen handeln. Das taktile System ist für die Wahrnehmung der Oberflächensensibilität zuständig, das propriozeptive System teilt dem Pferd auf beispielsweise unebenem Untergrund mit, wie die Gelenke zueinander stehen, es ordnet im weiteren Sinne die Bewegung und sorgt dafür, dass sich das Pferd auf diesem Untergrund zurecht findet, das vestibuläre System ist ein enger Mitarbeiter, schließlich kümmert es sich um das Gleichgewicht

Ergotherapie kümmert sich bei Mensch und Pferd um die Schulung der Basissinne. Aus der Humanergotherapie weiß man, dass der Therapeut vorwiegend daran arbeitet, die Handlungsfähigkeit des Patienten und somit dessen Alltag zu verbessern – und das klappt auch mit einigen Adaptionen für Pferde. 

Ich habe mich daher riesig gefreut, dass ich das Buch von Ruth Katzeberger-Schmelcher und Yvonne Katzenberger noch vor der Veröffentlichung lesen durfte und – wenn ich möchte, darf ich euch darüber erzählen. Weil mir das Buch so gut gefallen hat, kann ich dazu nur sagen:

Und wie ich möchte!!

Warum mich die Ergotherapie für Pferde interessiert? 

Einerseits habe ich in den Gesprächen mit Ruth und Yvonne zahlreiche Gemeinsamkeiten in der täglichen Arbeit mit Pferden festgestellt. Arbeitet die Akademische Reitkunst ebenso mit Balance und Schwerpunktverlagerungen, geht es nicht nur um ein gesundes Reitpferd – dass sich die Bewegungskompetenz auch ins vierbeinige Privatleben übertragen lässt, ist eine weitere spannende Parallele.
Zurück zu Konrad – mein Lipizzaner ist auf den unendlichen Alm-Weiden im steirischen Piber groß geworden. Bergauf bergab wurden seine Basis Sinne geschult, das propriozeptive System hat verhindert, dass sich Konrad beim wilden Galopp bergab über Stock und Stein vertritt, das taktile System wurde mit Sicherheit im Umgang in der großen Männer WG geschult und das Gleichgewicht ebenso, schließlich steht den heranwachsenden Lipizzanern ein riesiges Areal in den steirischen Bergen zur Verfügung. 

Aktuell wohnt Konrad im Offenstall. Die gut geschulten Sinne meines Pferdes wollte ich auch weiterhin gut erhalten – und neben den großzügigen Weiden, deren Untergrund mal flach, mal steiler, mal weich, mal steinig ist, steht uns freilich auch das Training der Akademischen Reitkunst zur Verfügung. Und der Wald. Allerdings wird im Wald gerade fleissig gearbeitet und aufgrund der Forstarbeiten ist unsere wurzelige, anspruchsvolle Kletterrunde gesperrt. Und aktuell macht auch der Regen Outdoor Aktivitäten schwer.

Perfekt, dass ich das Buch von Ruth und Yvonne in die Finger bekommen habe – und darüber möchte ich euch sehr gerne nun mehr erzählen: 

Worum gehts in dem Buch

Zunächst werden die Grundlagen und die Basissinne aus der Ergotherapie vorgestellt. Und das durchaus anspruchsvoll. Das Buch richtet sich an den interessierten Pferdebesitzer wie auch an potenzielle, angehende Ergotherapeuten. Dafür gibt es viele Anregungen, den Stall ergotherapeutisch zu adaptieren, Therapiepläne, Fallbeispiele und Lösungen. 

Ziel ist es die Wahrnehmung des Pferdes zielgerichtet hinsichtlich aller drei Basissinne zu schulen. 

„So wird dem Pferd beispielsweise mit Hilfe von Massagebällen und -rollen, Wippen, Matten, Polstern, Podesten oder der gezielten Anordnung von Bodenstangen eine Bandbreite an Sinneserfahrungen ermöglicht. Die Vermittlung dieser Sinneserfahrungen soll dem Pferd bei der Verarbeitung und Integration von taktilen, proprziozeptiven und vestibulären Reizen helfen“. 

Ergotherapie für Pferde, Ruth Katzenberger-Schmelcher, Yvonne Katzenberger

Das klingt kompliziert? 

„Ergotherapie für Pferde“ ist durchaus anspruchsvoll, aber nicht zu kompliziert geschrieben. Der Tipp für angehende Therapeuten den Kunden nicht durch grobes „Fachchinesisch“ zu überfordern, fand ich absolut wertvoll. Gerade in der jüngsten Zeit boomen Ausbildungen für Ostheopathie, Physiotherapie oder Cranio Sakraler Therapie in der Pferdebranche. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass viele Trainer absichtlich „Fachchinesisch“ sprechen, um die eigene Kompetenz hervorzukehren. Mir persönlich ist es aber wichtig, dass meine Schüler alle Inhalte absolut nachvollziehen und auch nacharbeiten können. Nicht umsonst habe ich meinen Blog „Einfach Reiten“ genannt. Ein guter Therapeut muss auch komplexe Sachverhalte einfach runter brechen können und dem Reiter bildhaft erklären können, warum welche Trainingsempfehlung oder Therapie skizziert wird. Das ist Ruth und Yvonne jedenfalls auch mit ihrem Buch gelungen. 

Training oder Therapie

„Ergotherapie für Pferde“ stellt eine kreative Bandbreite an Übungen für Pferde vor, die sich ganz an die Basissinne richten. Tücher, Bänder, Massagerollen, Massagebälle, bunter Stangensalat, verschiedene Untergründe zum Drüberlaufen und vieles mehr. Ich war wirklich positiv überrascht von den vielen Ideen und Inspirationen, die im Buch gegeben werden – und diese lassen sich auch ganz sicher ohne großen Materialaufwand umsetzen!

Was passiert wenn…

„Das einzige Pferd, das sich so verhält wie im Lehrbuch, steht im Lehrbuch drin“. 

Diesen Satz kennen meine Schüler zur Genüge, wenn wir darüber diskutieren, dass das eigene Pferd ja völlig anders ist. 

Hier gefällt mir auch der Ansatz der beiden Autorinnen für angehende Therapeuten – und ich möchte auch hinzufügen für Reiter beziehungsweise die unter sich fachsimpelnde Stallgemeinschaft: 

„Im Bezug auf die Beobachtung des Pferdes sollte der Therapeut auch darauf achten, nicht in eine Stereotypisierung zu verfallen. Menschen haben bestimmte Vorstellungen von den Vertretern bestimmter Pferderasse“. 

Ergotherapie für Pferde, Ruth Katzenberger-Schmelcher, Yvonne Katzenberger

Hier pochen die Autorinnen auf die notwendige Neutralität dem jeweiligen Pferd gegenüber. 

Zahlreiche Übungen 

Ich habe im Buch zahlreiche Übungen gefunden, die in der kommenden grauen Jahreszeit das Training der Propriozeption für meine Lipizzaner Youngster bestimmt abwechslungsreich und durchdacht gestaltet. Aber auch für das Training an sich finden sich spannende Erklärungen für interessierte Reiter. 

So werden beispielsweise die Grundgangarten des Pferdes unter die Lupe genommen, wobei dem Schritt – Stichwort Propriozeption  eine grundlegende Eigenschaft attestiert wird. Der Schritt reagiert nämlich am schnellsten auf propriozeptive Dysbalancen. Muskuläre Verspannungen und Taktfehler werden sichtbar, gerade im Schritt müssen die Propriozeptoren Höchstarbeit leisten. Für den Reiter, der sein Pferd schonend und durchdacht gymnastizieren möchte bietet das Buch also auch noch allerhand Erklärungen, passend zur Trainingslehre. 

Das Pferd aus dem Lehrbuch

Zurück zu unserem „Musterbeispiel“. Leider gibt es eben nur ein Pferd, das sich so verhält wie im Lehrbuch. Und das steht im Lehrbuch drin. Damit auch alle Eventualitäten berücksichtigt werden können, gehen Ruth und Yvonne bei sämtlichen Übungen auf sämtliche Facetten ein. 

Zunächst wird jede Übung hinsichtlich der Funktion für das Pferd genau beschrieben. Die Anwendungsbereiche werden thematisiert – und selbstverständlich werden auch Kontraindikationen gennant – wenn das Pferd beispielsweise einen akuten Spatschub hat oder unter Rehe leidet, sollten gewisse Übungen nicht durchgeführt werden. Ruth und Yvonne nennen auch Alternativen, wenn die Übung für das Pferd zu anspruchsvoll ist oder – wenn die Übung so gut gelingt, dass der Schwierigkeitsgrad gesteigert werden kann. In großen Infoboxen wird auch sehr übersichtlich dargestellt, worauf man besondere Rücksicht nehmen muss und wie lange die Arbeit mit dem Pferd dauern sollte. Ist für den Aufbau eines Übungsparcours viel Zeit einzuplanen? Dann gibt es auch weniger zeitintensive Übungen, die ohne große Vorbereitungszeit umgesetzt werden können. 

Ich habe sehr viele spannende Übungen in „Ergotherapie für Pferde“ entdeckt und gratuliere Ruth und Yvonne sehr herzlich zu diesem gelungenen Buch. 

Für alle, die ich nun neugierig gemacht habe: Mehr Infos zum Buch gibt es unter folgendem Link.

Mit Ruth habe ich auch mal einen Podcast zum Thema Ergotherapie aufgenommen . Die Folge gibt es hier zum Nachhören!

Schulen wir die Basissinne unseres Pferdes, dann Reiten wir Einfach 😉