Die beste Inspiration für die Reiterei bietet oft – das Leben. Und ganz aktuell das Radio. Warum uns die Weisheiten von Opernsängern für die Ausbildung von Jungpferden dienlich sein können – darum geht es in diesem Blogbeitrag.
Der Erfolg der Nein-Sager
Autofahrt Mitte Juni nach einem langen Unterrichtstag von Niederösterreich zurück nach Graz. Wie üblich nutze ich die Zeit zum Telefonieren – aber auch zum Radiohören. Auf dem Kultursender „Ö1“ läuft ein sehr spannendes Gespräch mit der Sopranistin Marina Rebeka.
Rebeka erzählt in einem Interview wie sie mit „La Traviata“ 2007 den Durchbruch geschafft hat. Was hat das nun mit Reitkunst und Reiten zu tun?
Ganz einfach. Rebeka erzählt genau, wie sie ihre Rollen anlegt. Wann immer möglich studiert sie die Originalaufzeichnungen der Komponisten und hinterfragt: Was hat Puccini für seine Sopranistin verändert? Oft war es so, dass die Sänger dem Komponisten Feedback gegeben haben und noch einige Wünsche – der Stimme des Sängers entsprechend – in die Werke eingearbeitet wurden.
Erinnert uns dies an das Studium von Reitliteratur? Wenn wir Steinbrecht, Bürger, Pluvinel oder Guérinière studieren – fragen wir uns, ob sie manche Passagen für gewisse Schüler geschrieben haben? Vertiefen wir uns nicht in die Themen, die uns am meisten beschäftigen? Welche Inhalte könnten die Alten Meister ausgelassen und nicht in ihr Werk gepackt haben, da dieser eine Punkt für sie ohnehin essentiell und selbstverständlich war? Wo hat sich die „Stille Post“ der Reitkunst eingeschlichen? Was war gerade „Trend“ und warum?
Mit den Augen eines Detektivs – oder eben eines Künstlers, der eine bestimmte Rolle anlegen muss zu lesen, das kann wirklich spannend sein.
Marina Rebeka fährt in ihrem Interview fort und spricht nun über die Grenzen und Möglichkeiten ihrer Stimme. Ich höre gespannt zu, als der Journalist die Sopranistin nach ihrem Repertoire fragt. Aktuell ist Rebeka im „Belcanto“ zu Hause. Ein Gesangsstil, der in Italien Ende des 16. Jahrhunderts entstand. Weichheit im Ton, ausgeglichene Stimmregister über den gesamten Umfang der Stimme und die Ausschmückung des Gesangs durch Höhen, Triller und Verzierungen zeichnen das Belcanto aus. Rebeka wird nach möglichen Rollen gefragt und überraschenderweise setzt sich die gefeierte Opersängerin Grenzen.
„Karriere macht man beim Neinsagen“ – gibt sie an. Interessant. Was versteht sie darunter? Rebeka erklärt, dass gewisse Rollen für ihre Stimme zwar sofort möglich wären, allerdings auch weitreichende Konsequenzen hätten. Ein Stück von Wagner singen: Ja. Eine gesamte Oper anlegen: Nein. Diesen Schritt weist sie zum Zeitpunkt des Interviews zurück.
Nein-Sager für den Ja-Sager?
Sofort muss ich an meine Lipizzaner Buben Conversano Aquileja (Konrad) und Maestoso Amena (einfach genannt Amena) denken.
„Konrad“ ist aktuell fünf Jahre alt. Ich kann die Male, die ich auf ihm saß noch immer gut abzählen. Akribische Bodenarbeit ging den ersten Reitversuchen freilich voraus. Immer wieder muss ich darüber nachdenken Konrads Begeisterung zu erhalten, gleichzeitig aber seinen guten Willen und sein Talent nicht auszunutzen und zu verschleißen. Ja, für Konrad sind sehr viele Dinge möglich. Sein Talent und Potenzial für Schulsprünge hat er schon mehrfach unter Beweis gestellt, er hat das unglaubliche Talent Energie anzuknipsen und sofort wieder auszuschalten. Konrad hat viele Ideen, die in die richtige Richtung gehen – aber nur, um zu imponieren und zu gefallen benutzt er dann manchmal auch nicht die richtigen Muskelverbindungen. Der Wille zu gefallen, kann auch in Stress ausarten. Muss ich also immer zum Nein-Sager für meinen lieben Ja-Sager werden. Ich sage mal „jein“. Die Wahrheit liegt dazwischen.
Die Alten Meister haben eindringlich vor einer zu frühen Ausbildung (und Ausbeutung) junger Pferde gewarnt. Selbst wenn Konrad so „spendierfreudig“ ist. Ich muss einerseits versuchen, die Qualität meines Pferdes nicht als Selbstverständlichkeit zu nehmen, mich immer über seine Ideen zu freuen. Egal ob es um das Verständnis für den „um sich herum biegenden, inneren Schenkel“ geht oder um versammelnde, erste Tritte. Ich möchte Konrad immer ein gutes Feedback geben.
Dazu gehört aber auch zu manchen Ideen vorsichtig „Nein“ zu sagen. Oder noch besser – die gute Idee von Konrad sehr wohl zu loben, aber nicht zu stark an diesen Angeboten zu feilen.
Eines Tages saß ich auf Konrad in der Halle. Ich wollte anreiten und Konrad wollte fünf Schulparaden mit mir drauf machen. Ich war Passagier, Konrad fleissig am Hanken biegen. Meine liebe Freundin und Kollegin Julia Kiegerl hat uns aus unserem Stüberl beobachtet.
„Wahnsinn, war das Absicht“, lautete ihre prompte Reaktion auf Konrads Ideenreichtum.
„Nein“ sagte ich: „Ich will eigentlich nur Schritt reiten“.
In einer solchen Situation werde ich künftig auch an die Opernsängerin denken. „Die Partitur ist aktuell machbar, aber die Konsequenzen für die Stimme nicht unerheblich“.
Wenn ich Konrads gute Ideen „abwürge“ indem ich sie negiere, werde ich auch seine Kreativität und Motivation „killen“. Daher nutzen wir den Ideenreichtum einfach anders. Wir haben Stunden, da steht genaues Feilen am Stundenplan (findet Konrad eher öde), wir haben Stunden, da dürfen wir in Freiarbeit oder im Spiel mit mir alles ausprobieren und uns austoben (liebt Konrad sehr). Und selten aber doch, da reiten wir, wobei ich hankenbiegende Angebote von Konrad toll finde, auf meinem Lehrplan steht jedoch Schritt, Trab und Galopp – und das gleichmässig! Und ganz viel Seele baumeln lassen und im Wald spazieren gehen – das steht aktuell auch auf dem Stundenplan.
Opernsänger haben die Wahl, ob sie eine Rolle annehmen oder nicht. Mein Vater – Opernliebhaber durch und durch hat mir prompt von einer Opernsängerin erzählt, die mit Anfang 20 große und bekannte Rollen gesungen hat. Später hat man nicht mehr viel von ihr gehört. Opernsänger haben freilich die Wahl. Sie können sich entscheiden. Hier liegt die Verantwortung bei uns – bei einer maßhaltenden und passenden Ausbildung.
Vom Maßhalten zum Maßband
Maestoso Amena wächst und wächst und wächst. Mit seinen drei Jahren ist er schon größer als Konrad. Und auch mental möchte Amena über sich hinaus wachsen. Seit einem halben Jahr ist Amena nun bei uns und hat sich gut am „Horse Resort am Sonnenhof“ eingelebt. Vorgewarnt durch Konrads leichtfuttriges Wesen zog er zu Beginn zu ebendiesem in den Offenstall. Hat nicht funktioniert. Amena hat mehrfach nachgefragt: „ob Konrad denn wirklich der Chef ist“. Die beiden haben nie wirklich schlimm gestritten, Konrad war ob des Nebenbuhlers beinahe schon depressiv und Amena ist im Gegensatz zu Konrad nicht so sehr mit der Futteraufnahme beschäftigt – er nahm also nach den Strapazen der Kastration und Umsiedelung nicht wirklich gut zu. Also durfte er eine Paddockbox bei den „Nordwallachen“ beziehen. Große Weiden, viele Spielkameraden – Amena hat ein unbeschwertes Wesen, eckt mit niemandem an (so lange kein zweiter Lipizzaner in der Nähe ist, mit dem man über die Weltherrschaft diskutieren könnte). Konrad ist ebenso erleichtert, muss er den schrecklichen Nebenbuhler nicht ständig vor der Nase haben. Amenas Einzug hat Konrad wirklich etwas besorgt, man muss sich – so habe ich gelernt an ein paar Regeln halten, damit man es sich mit beiden Herren nicht verscherzt. So hat Amena viele Freunde – unter anderem auch Julia Kiegerl, die intensiv bei der Ausbildung von Amena dabei ist.
Amena und Konrad haben in dieser Hinsicht viel gemeinsam. Geduld ist nicht ihre Stärke, sie möchten am Liebsten alles auf einmal lernen. Also auch hier ist ein maßvoller Stundenplan von Nöten. Auch hier? Nein, diese Regel gilt bei so ziemlich jedem jungen Pferd. Die meisten Jungpferde sind unheimlich wissbegierig, sie möchten etwas tun, sie möchten etwas lernen. So macht Ausbildung wirklich Freude. Vor allem, wenn man von den Pferden so viel Feedback bekommt. Amena und Konrad kommen IMMER angelaufen oder begrüßen uns schon vom Paddock aus, wenn wir am Parkplatz anhalten. Demnächst werde ich sie mal fragen, was sie von Mozart und Puccini halten. Wer weiß, was die Beiden über die Weisheit aus der Oper denken?
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