„Besonders für die Akademische Reitkunst geeignet“. Mit diesem Slogan werden zunehmend Pferde gerne in Verkaufsportalen angeboten. Meine liebe Kollegin Celina Harich hat sich dazu Gedanken gemacht – wer Celina kennt weiß – es bleibt nicht bei einem Aspekt.
Ich freue mich sehr, diesmal einen Gastartikel von Celina Harich auf meinem Blog zu präsentieren:
Die Skandinavier an sich ein sehr freundliches Volk. Die Regel ist: Je kühler die Temperatur, desto liebevoller der Umgang. Direkte Kritik ist eher unüblich. Je weiter es in den Norden geht, desto weicher ist die Sprache. Ich mag das ja.
Celina Harich
Nach ich einigen Jahren im Skandinavischen Ausland, empfinde ich heute Deutschland immer noch als hektisch und unfreundlich. Die recht emotionslose deutsche Klarheit in der Sprache hingegen ist wundervoll. Man muss so wenig raten. In Skandinavien sprechen wir Code. Das muss man lernen zu entcoden. Statt: „Das ist Mist, was Du da grade machst“ sagt der Skandinavier: „Hätte was werden können“.
Versteht man erst nach genauerem Hinterfragen.
Das gilt natürlich auch für die Reiterwelt. Steht in einer Verkaufsanzeige „besonders für die Akademische Reitkunst geeignet“ ist das auch Code. Hinter dieser Beschreibung verbergen sich (meistens) verschiedene Typen, die nach der allgemeinen Auffassung besonders geeignet sind:
Die Entschlüsselung des Codes
Typ 1: Das Pferd ist von Natur aus nicht mit besonders viel Talent gesegnet, und damit im Sport nicht zu gebrauchen. Wenn irgendwas helfen kann, dann Akademische Reitkunst.
Typ 2: Das Pferd ist geistig / körperlich / seelisch schon schwer geschädigt und traumatisiert. In der Akademischen Reitkunst nimmt man darauf ja Rücksicht.
Typ 3: Dieser Typ Pferd war mal wirklich talentiert. Leider haben Rücken/Beine/Sehnen dem Anspruch nicht gehalten. Die Akademische Reitkunst macht ja hauptsächlich Rehabilitation.
Eine weitere Variante bietet Typ 4: Benimmt sich völlig verrückt und unberechenbar. Die Akademische Bodenarbeit kann das richten.
In meiner Zeit auf Gotland, dieser wunderbaren schwedischen Insel, zu der ich immer wieder gerne zurückkehre, durfte ich sie alle kennenlernen. Weil Ekeskogs ein Ort mit genug Platz ist, meine Kollegin Hanna Engström ein großes Herz hat, und ich wahnsinnig genug bin, auch noch das fünfzehnte Pferd am Tag zu arbeiten – deswegen haben sie alle einen Platz bei uns gefunden. Die Pferde, die für die Akademische Reitkunst besonders geeignet sind.
Alle Varianten habe ich kennenlernen dürfen. Das brandgefährliche Jungpferd, dass schon den Hänger auf der Hinfahrt zerlegt hat. Das Pferd mit Weideunfall, das nur noch Pass in verschiedenen Geschwindigkeiten gehen konnte. Das Pferd mit täglich wechselnder Lahmheit, oder das Pferd mit so schiefem Brustkorb, dass das Karpalgelenk nicht mehr grade werden konnte. Das Pferd, dass beim Heben der Gerte nur noch verrückt wie ein Elefant auf der Stelle trampelte. Den Traber mit durchtrennter Zunge, den Spanier mit einem Leben im chronischen Schmerz, den Lipizzaner ohne Rücken und den Warmblüter, der in 200-ster Hand war.
Wow, was für eine Herausforderung. Aber auch: Was für ein wundervoller Spielplatz, sich auszuprobieren und die beste, individuelle Lösung für diesen Geist und diesen Körper zu finden.
Was ich gelernt habe?
Alle meine Kompetenzen im Sinne des Pferdes einzusetzen. Wenn kompetente Behandlungen nicht greifbar sind, finden sich auch andere Werkzeuge.
Meine Erfahrungen aus der Verhaltenstherapie mit traumatisierten Gebrauchshunden half mir, schnell zu Zugang zu den verschiedensten Charakteren zu finden. Die akademische Werkzeugkiste ist Grundlage, Zugang zum Körper zu finden. Die Menge an zu betreuenden Pferden hat mich vor eine riesige Herausforderung gestellt. Das letzte Pferd am Tag hat die gleiche Liebe, Präzession und Aufmerksamkeit verdient wie das Erste. Klarheit, Struktur und Didaktik haben eine neue Dimension in meiner Arbeit bekommen und einen völlig anderen Stellenwert, als wenn ein oder zwei Pferde zu betreuen sind.
„Das Unmögliche möglich machen, das Mögliche leicht und das Leichte elegant.“
Moshé Feldenkrais
Kleinteilige Bewegungsmuster sind oft der Schlüssel zur Losgelassenheit und Entwicklung. Jeden Tag durfte ich auf dieser Basis kleine und große Wunder erleben.
Manchmal war die Lösung ganz offensichtlich. Manchmal durfte ich etwas tüfteln. Immer habe ich Lösungen gefunden. Taktfehler, kaputter Rücken, kann nicht Traben – wenn nichts mehr ging, dann sind die Pferde und Schüler gerne zu mir „überwiesen“ worden, von Tierärzten, Osteopathen, Kollegen und Nachbarn.
Mein schwedischer Spielplatz hat mir viele Ideen mitgegeben und reiche Erfahrungen, für die ich dankbar bin und aus denen ich schöpfen darf. Meine Welt hatte sich in Schulterherein, Kruppeherein, verschiedenen Biegungen und Beugungen aufgeteilt, mit denen ich erfolgreich allen Pferden helfen konnte.
„Alles hat eine Zeit und einen Ort im Leben.“
Celina Harich
Meine eigenen Pferde, und mein Despino zu aller erst, nehmen ihren Bildungsauftrag mir gegenüber sehr ernst. Wenn ich mich auf irgendetwas im Leben verlassen kann, dann darauf. Glaube ich, eine Materie zu verstehen und zu beherrschen, zeigt Despino mir, dass es da noch etwas anderes zu lernen gibt. Und dass es ihm persönliche wichtig ist, dass ich da jetzt hingucke.
Leider bin ich als Menschenkind nicht immer direkt dafür offen und manchmal etwas resistent, bevor ich hinhöre. Diesmal hat er mich an einen alten Wunsch erinnert.
Osteopathie, Akupunktur und TCM haben immer eine große Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Den Pferdekörper noch besser zu verstehen, war bereits mit Anfang 20 ein tiefer Wunsch. Meine Reise in die Reitkunst jedoch war so spannend und zeitintensiv, dass ich die Ausbildung immer verschoben und schließlich vergessen hatte.
Meine Resistenz war auch diesmal groß. Fast zwei Jahre habe ich zugesehen, wie es meinem eigenen Pferd immer schlechter ging. Der Beginn war ein kleiner Husten. Als nächstes kam ein Deckunfall (den auch übermotivierte Wallache wie er gerne mal haben), von dem er sich körperlich nur oberflächlich erholte. Ein Wurmbefall mit Bandwürmern, die trotz regelmäßiger medizinischer Betreuung nicht Einhalt geboten werden konnte, rundete das Bild ab.
Daraus resultierte: Was auch immer ich reiterlich versucht habe – es wurde schlechter. Mein Pferd verlor Muskulatur, Elastizität und vor allem Freude und Bewegungslust. Meine Welt, in der Reitkunst DAS Rehabilitationsmittel war, funktionierte bei meinem eigenen Pferd nicht mehr. Nicht so gut für das Ausbilder – Ego. Machtlos stand ich daneben, und habe für ihn alle Behandler der Welt bestellt – Osteopathie, Energetik, Schulmedizin, Homöopathie. Geholfen hat nichts.
Und nun?
Gibt es Zufälle im Leben? Ich weiß es nicht. Was 15 Jahre nicht zusammenkommen wollte, fiel einfach an seinen Platz. Und ganz zufällig zog es mich zu einer Schule für Osteopathie, die ihren Schwerpunkt auf eine sanfte, liquide und funktionelle Osteopathie gelegt hat. Liquide und craniosacrale Techniken sind fester Bestandteil der Ausbildung. Meridianlehre und Akupressur gehören ebenfalls zum Lehrplan. Zufällig fielen die Termine mit meinen „Urlaubstagen“ zusammen.
Selber behandeln wollte ich eigentlich nie. Verständnis für den Körper hätte mir als Output der Ausbildung auch gereicht. Mein Pferd jedoch war wirklich konsequent mit mir. Er nahm ab, der Rückenmuskel verschwand, er wurde immer zäher und weniger responsiv auf die Reiterhilfen, dünner und mit dickem Bauch. Der Husten kam immer wieder, und wollte gerne eine COPD werden. Sein Körper war mittlerweile so wenig widerstandsfähig, dass eine Neopren-Fliegenmaske weiße Druckstellen wie bei einer Serreta-Narbe auf seinem hübschen Köpfchen hinterlassen haben. Ich habe kurz überlegt, wahnsinnig zu werden. Stattdessen kaufte ich einen (weiteren, besseren) Inhalator. Nur geholfen hat es genau gar nichts.
Wenn ich Dinge tue, dann lerne ich auch ordentlich. Und natürlich mussten meine Pferde als „Testopfer“ während meiner Ausbildung herhalten. Als ich craniosacrale Technik lernte, passierte etwas in meinem Pferd – und ein halber Liter Schleim floss aus seiner Nase auf meine Schuhe, eine zähe gelb-grüne Substanz. Danach wurde der Husten deutlich besser.
Ein weiteres Modul Ausbildung, in dem das Thema Narben und Nebenhöhlen behandelt wurde, lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine Narbe am linken Auge. 3jährig hatte er sich das Auge auf der Weide verletzt und musste operiert werden. Die Nebenhöhlen auf der linken Seite waren komplett verschleimt. Den Hinweis hatte ich auch nach einer Bronchoskopie nicht gefunden.
Liebe lässt uns an uns glauben!
Mein Pferd glaubt wirklich an mich. Er verwickelte sich freiwillig in einen Unfall mit unglücklichen Umständen. Er zwang mich dazu, mich ausgiebig mit Meridianen und Faszien zu beschäftigen.
Über fast 6 Wochen kam er in den Genuss regelmäßiger Behandlungen. Von Tag zu Tag konnte ich unter der Behandlung sehen, wie mein Pferd sich körperlich veränderte. Er wurde runder, schwingender, veränderte sich muskulär – ganz ohne Training, den das rechte Hinterbein hatte zu großen Teilen keine Haut mehr zu dem Zeitpunkt. Vor allem aber wurde er glücklicher. Als ich 6 Wochen später das erstmalig wieder aufsaß, hatte ich ein neues Pferd unter mir. Und noch viel besser: mein Altes zurück. Auch wenn die Kraft für eine Piaffe nicht reichte – aber alle Hilfen, Biegungen und Stellungen, alles, was wir mal gelernt hatten, war ohne Aufwand wieder da.
Meine Welt aus Schulterherein und Kruppeherein hat jetzt wieder Sinn gemacht, und konnte positiv auf mein Pferd einwirken. Sein Weg zurück wird noch ein bisschen dauern. Aber – jeden Tag hat er wieder mehr Kraft.
Und das allerbeste: Mein Pferd frisst trockenes Heu, ohne zu Husten. Er kann 20 min problemlos galoppieren. Wir haben von einer Power Kraftfutterration von 3kg / Tag auf genau 80g Mineralkräuter reduzieren können, denn mehr benötigt sein Körper nicht mehr. Der resistente Wurmbefall hat sich verabschiedet. Und er wiehert wieder, wenn er mich sieht.
About me
Celina interessiert sich für alles, das zu einem umfassenden Verständnis von Körper, Geist und Seele beiträgt. Ihre Kompetenzen sind neben der Akademischen Reitkunst auch energetische Osteopathie und Körperarbeit. Aber vor allem ist sie Pferdemädchen mit Leib und Seele. Ihr Wissen gibt sie auf Seminaren und Online mit Freude weiter.
Zum Weiterlesen: www.equidemia.com
Tolle Geschichte!
Was für Kurse hast du denn hinsichtlich Energetik und TCM besucht? Wir haben vor ein paar Tagen auch Erfahrung mit Energiebehandlungen gemacht. Ich würds so gere auch lernen!
Ein wundervoller Beitrag, liebe Celina. Es ist so wichtig einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen und zum Wohl unserer Pferde auch mal neue Wege zu gehen. Ich bekam diesen Tipp von Ralf Schmitt, der mit empfahl mich mal nach einer EPOS Therapeutin umzusehen. Ich habe nun eine wunderbare Osteopathin gefunden und sehe grosse Fortschritte.