Vor nicht allzu langer Zeit war ich im Lipizzanergestüt Piber zu Gast, um einige zweijährige Pferde zu besichtigen. Keine leichte Sache, vor allem, wenn es sich bei der Rasse um Spätenentwickler handelt. Um die Pferde in jungen Jahren ausreichend zu beurteilen braucht es schon einen Kennerblick – oder das Wissen des griechischen Meisters Xenophon. Nicht nur sein Wissen über die Reitkunst ist für uns heute noch interessant – auch sein Wissen über die Pferdebeurteilung kann noch heute herangezogen werden.

Vielleicht würden wir ihm ja heute folgende Fragen stellen:

Worauf kommt es bei der Beurteilung von Fohlen und jungen Pferden an?

Xenophon: Bei einem jungen Pferd sollte man zunächst den Körper genau mit den Augen, aber auch mit den Händen untersuchen, weil das Jungpferd, das ja auch noch nicht vorgeritten werden kann, noch keine klare Vorstellung zulässt. Auch über sein Temperament können wir noch keine präzisen Angaben machen. Das Fundament des Pferdes ist das Wichtigste, daher analysieren wir mit kritischem Blick zunächst die Beine des Pferdes.

Denn wie ein Haus wertlos und ohne Nutzen ist, wenn zwar die oberen Teile ganz schön gebaut sind, aber nicht auf einem festen Baugrund stehen, so ist auch ein Kriegspferd zu nichts nutze, wenn sonst alles an ihm gut und wohlgestaltet ist.

Dies galt zu meiner Zeit und gilt natürlich auch für den heutigen Freizeitpartner Pferd.

Wir fangen also praktisch beim Fundament mit der Pferdebeurteilung an?

Xenophon: Ja genau, denn wenn es Probleme mit Hufen und Pferdebeinen gibt, dann können die übrigen Vorzüge des Pferdes eigentlich gar nicht zur Geltung kommen.

Bei der Prüfung der Pferdehufe sollte man sehr aufmerksam die Hufwände untersuchen. Hier reicht das bloße Auge nicht, die Hufe sind auch gekonnt abzutasten. Dicke Hufwände übertreffen die dünnen in jeder Beziehung. Man achte auch auf die Hufform, also darauf ob die Hufe sowohl vorne wie von hinten flach oder hoch sind. Hohe Hufe halten den sogenannten Strahl weit vom Boden ab, während flache Hufe beim Auffußen so wirken, dass sie mit dem stärksten Teil ebenso wie mit dem weichsten auftreten, genauso wie beim Menschen mit Plattfüßen.

Neben dem Tastsinn und dem geschulten Auge brauchen wir auch unser Gehör: denn auch durch den Klang sind Pferde mit gutem Hufmaterial und gutem Fundament genau zu erkennen.

Vom Pferdehuf geht es also weiter in den Pferdekörper?

Xenophon: Richtig, dabei dürfen wir uns aber ebenso wenig „nur“ auf unser Auge verlassen, ratsam ist es natürlich auch das Pferdebein behutsam abzutasten. Kron- und Fesselbein dürfen nicht zu steil gestellt sein. Eine solche Steilstellung würde der geschulte Reiter auch an einem harten Gang entlarven. Umgekehrt können weiche Fesseln den Reiter bequemer sitzen lassen, allerdings darf das Fesselgelenk auch nicht zu niedrig liegen. Die Knochen der Hinterbeine sollen stark sein, denn sie sind die wichtigsten Stützen des Körpers und sorgen für die notwendige Tragkraft. Sie dürfen aber dennoch nicht dickfleischig sein. Muskulatur ist von Fettgewebe deutlich zu unterscheiden.

Die Hüften müssen breit und fleischig sein, damit sie mit den Seiten und der Brust im rechten Verhältnis stehen. Wenn sie recht muskulös sind, so werden sie im Laufe der Ausbildung förderlich sein und das Pferd noch rascher machen.

Wenn das Fohlen beim Gehen die Knie geschmeidig beugt, ist damit zu rechnen, dass es auch unter dem Reiter dieses Geschick zeigt. Denn alle Pferde mit guter Ausbildung beugen im Laufe der Zeit die Beine gelenkiger in den Knien. Guter Kniegbung, bzw. Hankenbeugung generell ist aber mit Recht sehr geschätzt, denn sie bewirkt, dass das Pferd weniger stolpert und auch weniger stößt als bei steifen Schenkeln. Stößt das Pferd, dann kann die Kraft von der Hinterhand nicht korrekt in die Vorhand übertragen werden. Wir spüren dann die Stöße der Vorderbeine.

Wie soll denn die Halsung eines guten Reitpferdes aussehen?

Xenophon: Hier rufe ich mir einen sehr bildhaften Vergleich in den Sinn. Von der Brust aus darf der Hals nicht schlaff nach abwärts sinken, wie bei einem Schwein, sondern soll wie bei einem Hahn gerade zum Genick aufsteigen und in der Ganaschengegend muss er schmal sein. Der Kopf sei knochig und mit kleinen schmalen Kinnbacken.

Was macht einen hübschen Pferdekopf aus?

Xenophon: Stehen die Augen etwas vor, sieht das beim Pferde munterer aus, als wenn sie tief liegen. Ein solches Pferd wird wohl auch weiter sehen können. Weit geöffnete Nüstern sind zum Atmen besser geeignet als eingefallene, geben auch ein edleres Aussehen. Eine breite Stirn und kleine Ohren geben dem Kopf ein gefälliges Äußeres.

Lesen wir immer wieder in den Alten Meistern – ich fand vor allem die doch sehr intensive Auseinandersetzung Xenophons mit den Hufen und ihrer Biomechanik sehr aufschlussreich.