Zwei Geister müssen wollen, was zwei Körper können. Wenn wir uns Gedanken über eine schonende und gesunderhaltende Gymnastik für unser Pferd machen, dann kommen wir nicht umhin uns auch mit Haltung und Fütterung zu beschäftigen. Gesundheit muss immer ganzheitlich betrachtet werden.

Meine Leser können selbstverständlich Themenwünsche bei mir deponieren. Ein Themenwunsch wird im aktuellen Zweiteiler erfüllt – es ging konkret um die Frage:

Was macht ein Pferd eigentlich den ganzen Tag?

Ich habe die Frage ein wenig umgemünzt in: Was machen Pferde den ganzen Tag, wenn sie nicht bis zu 20 Stunden in der Box/ Box mit Paddock wohnen?

Tagsüber sind meine eigenen Pferde mindestens 12 Stunden draußen am Paddock-Trail, genächtigt wird in einer großen Box mit Paddock und eigener Heuraufe. Wie wohnen und verbringen anderswo Pferde ihren Tag? Ich habe mich mit Pferde-Physiotherapeutin Laura Haitzmann und meiner lieben Schülerin Michaela Krautwurm unterhalten.

Laura hat im Sommer 2014 ihren eigenen Paddock Trail in Salzburg für ihre Pferde realisiert. Beim Paddock Trail werden mit Hilfe von zweireihig angelegten Weidezäunen sogenannte Tracks simuliert. In ihrer Minimalausführung führen diese künstlichen Wanderwege in Form eines Rundkurses um ein Weideareal. Damit die Pferde beständig in Bewegung bleiben, verteilen sich die einzelnen Funktionsbereiche, wie Tränke, Futterraufen, Unterstand, Ruhezone, Wälzplätze, Lecksteinstation, etc. über die gesamte Wegstrecke.

Wohnträume die fit und gesund halten

Michaelas Paint Horse Jac wohnt in der buckligen Welt in Niederösterreich in einem Bewegungsstall.

laura1

Lauras Paddock Trail

Anna: Als meine Pferde umgezogen sind, habe ich natürlich befürchtet, dass sie nur noch grasend auf der Weide stehen. Zu meiner großen Überraschung habe ich erlebt, dass Pferde sich nicht den Bauch vollschlagen, wenn es ein entsprechendes Angebot gibt. Ich konnte beobachten, dass am Vormittag überwiegend im Herdenverband gegrast wird, danach halten die Damen kollektiv ihren Mittagsschlaf ab 11 Uhr. Die einen dösen im Stehen, die anderen strecken sich aus und schlafen wirklich tief und fest. Danach ist man in Kleingruppen am Trail unterwegs und nascht an den Heuraufen. Gegen Nachmittag kommen die Pferde nach oben an den Stall zurück und dösen dort auch noch einmal gerne in der Sonne. (Der Name des Stalls lautet nicht umsonst „Sonnenhof“.) Das Angebot 24 Stunden lang zu fressen wäre da, es findet aber mehr Bewegung statt, als ich ursprünglich angenomemn hatte. Vor allem gibt es zwei Shettys in der Herde, die als heimliche Herdenchefs die Damen wirklich auf Trab halten. Mittlerweile haben sich meine zwei Stuten auch mit anderen Herdenmitgliedenr angefreundet – allerdings ist zu beobachten, dass die Pferde gerne Kleingruppen bilden, die relativ konstant bleiben.

Laura: Ja, meine Pferde wechseln sich ebenso ab mit Bewegung, fressen, trinken, schlafen, dösen und spielen. Dadurch dass Futter- und Wasserstelle weit voneinander entfernt sind, bewegen sich die Pferde stets in einem gemütlichen Schritttempo. Das ist übrigens generell sehr wichtig für die Darmmobilität und somit vor allem für alle Kolikpferde. Beim täglichen Weidegang wird aber auch ausgelassen getobt im rasanten Galopp. Generell gesagt nimmt Fressen die meiste Zeit des Tages in Anspruch, bei Pferden, die Heu oder Stroh ad libitum zur Verfügung haben beträgt die Zeit mindestens 60% des Tages. So auch bei meinen Pferden.

Anna: Michaela, wie lebt es sich für deinen Jac im Bewegungsstall?

Michaela: der wichtigste und markanteste Unterschied zu vielen anderen Haltungsformen ist, dass der Tagesablauf meines Pferdes zum Großteil nicht vom Menschen vorgegebenwird. Die Herde besteht insgesamt aus 30 bis 40 Pferden. Das Jahr ist in zwei Hälften geteilt. Im Winter sind die Pferde im Bewegungsstall, dieser umfasst 3 ha unterschiedlichster Flächen: mehrere große Liegehallen, Futterstellen, Naturböden, Sand, gepflasterte Plätze, befestigte Wege und Wiesenflächen. Im Sommer sind die Pferde auf hügeligen Weiden, die ca 25 ha Fläche aufweisen und in ca. 4 ha große Teilbereiche abgeteilt sind. Wenn die Pferde im Frühjahr auf die Weide kommen, bilden sich innerhalb der großen Herde kleine Familienverbände von 2 bis 4 Pfefrden. Im Winter lösen sich diese Klein-Gruppen meist auf, einige Pferde gehen jedoch tatsächlich eine Ganzjahresfreundschaft ein. Mein Wallach Jac gehört nicht dazu, im Winter geht er lieber seine eigenen Wege, seit zwei Jahren ist er auch als „Frauenversteher“ gerne in Gesellschaft von Damen.

Sehr spannend ist auch die Aufgabenteilung unter den Pferden: Jac beispielsweise kümmert sich um schüchterne Neuankömmlinge. Er begleitet sie ein paar Wochen und zieht sich dann zurück, wenn die Integration geklappt hat.

Abseits der Weidesaison stellt die Zeit von Spätherbst bis Frühling den Menschen vor eine große Herausforderung eine artgerechte Haltung zu ermöglichen: Durch bauliche Maßnahmen gibt es Ruhezonen für alle Herdenmitglieder, entstehende „Engstellen“ sind so entschärft. Eine Heuraufe im Ruheraum wäre eine absolute Katastrophe für rangniedrige Pferde, denen somit der Zugang verwehrt wird. Bei uns gibt es so viele Ruhezonen, dass jedes Pferd seinen bevorzugten Rastplatz wählen kann. Liegt es mal an einer anderen Stelle als gewöhnlich, wird es genauer beobachtet und Auffälligkeiten dem Besitzer gemeldet oder einfach in den täglich geführten Notizen aufgezeichnet. Es kann natürlich vorkommen, dass dies überhaupt keine Bedeutung hat, aber oft waren diese Details schon sehr hilfreich. Die eine oder andere Kolik kann hier rechtzeitig erkannt werden, weil man die Pferde und ihre speziellen Eigenheiten und Bedürfnisse kennt. Zum Thema Koliken möchte ich erwähnen, dass sogenannte Verstopfungskoliken nie und Kreislaufkoliken bei uns kaum auftreten. Einige ehemalige Kolikpferde leben bei uns beschwerde- und symptomfrei, werden allerdings auch mit Argusaugen bei Wetterumschwüngen und/oder Futterwechseln (Sommer-Winter) beobachtet.

Die Fütterung erfolgt elektronisch mittels Abrufstationen, somit bekommt jedes Pferd ganz speziell auf seine Bedürfnisse abgestimmte Rationen. Über 24 Stunden verteilt holt sich jedes

Jac der "Frauenversteher"

Jac der „Frauenversteher“

Pferd selbstständig sein Rauhfutter. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Pferde dieses nicht stündlich fressen, vielmehr holen Sie sich Ihre Rationen alle paar Stunden ab und fressen dann eine längere Zeit ihr Ration. Es gibt keine pauschale Fütterungsmengen, bei Ankunft eines neuen Pferdes wird ein ungefährer Schätzwert in das Computer-System eingegeben. Frisst das Pferd eher langsam, wird dem Pferd eine längerer Fresszeit gewährt. Geregelte Zugangszeiten zur Heuraufe verhindern das „Hamstern“ von Vorrräten. 😉 Zusätzlich wird in einer großen Raufe Heulage mit Stroh vermischt und unter engmaschigen Netz angeboten. Diese wird selbst erzeugt und ist für Pferde geeignet. Es gibt auch 2 Kraftfutterstationen, hier kann ebenfalls über 24 Stunden verteilt individuell täglich frisch gequetschter Hafer, mineralisiertes Müsli oder eine Mischung aus beiden Futtermitteln gefüttert werden. Ich schätze es sehr, dass bei uns keine ganzen Rauhfutterballen in den Raufen zu finden sind. Diese werden in den Abrufstationen sowie in der Futterraufe handverlesen. Somit ist die Futterqualität stets sehr hochwertig. Als zusätzliche Beschäftigung für alle Pferde gibt es Minerallecksteine, mehrere Raufen mit Ästen und Zweigen zum Knabbern. Wasser wird den Pferden über zwei beheizte Schwimmertränken zur Verfügung gestellt, diese Tränken wurden so positioniert, dass die Pferde eine kleine Wegstrecke zurücklegen müssen um zu diesen zu gelangen.

Es existiert kein fixer Tagesplan den wir Menschen vorgeben, vielmehr ist das Pferd den ganzen Tag damit beschäftigt über die Verbindungswege von einer Station zur Nächsten zu gelangen, in den Ruhezonen zu dösen und Sozialkontakte zu pflegen. Zeit für ausgelassenes Spielen ist in den Morgenstunden und das nicht nur für die Jungen, sondern durchwegs spielt hier oft und sehr gerne auch die etwas ältere Generation. Diese Spielzeit resultiert daraus, dass ein Teil des Bewegung Stall-Systems für die Hauptreinigung (von ca. 7:00 bis 8:30) geschlossen wird. Stuten spielen im Allgemeinen viel weniger als Wallache, sondern nutzen diese Zeit für ausgiebige Fellpflege und Mähnenkraulen oder um ein Ründchen zu dösen, aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel.

Anna: Laura, nicht überall sind Trail Haltung – oder eben Wohnen im Bewegungsstall möglich. Was kommt denn sonst noch deiner Meinung der Natur am ehesten entgegen? Die Haltung im Offenstall?

Laura: Hier muss ich kurz definieren, was als Offenstall bezeichnet wird. Als Offenstall wird ein Stallsystem verstanden, das sowohl Tränken als auch Futterbereiche draußen ansiedelt. Es gibt dabei aber riesengroße Unterschiede. Oft wird das Pferd in einen Offenstall gestellt, damit der Besitzer zufrieden ist. Frei nach dem Motto:“Mein Pferd steht im Offenstall jetzt geht es ihm gut.“ Die Realität ist aber oft weit gefehlt. In vielen Offenställen bewegen sich die Pferde nicht mehr oder weniger als in Boxenhaltung mit Paddock. Unbedingt beachtet werden muss neben den Bewegungsanreizen die Anzahl der Tiere, welche gemeinsam in der Herde leben, die Harmonie in der Herde und ob ausreichend Platz zur Verfügung steht. Pferde gehen Auseinandersetzungen in der Regel aus dem Weg, dafür muss aber unbedingt genügend Platz zur Verfügung stehen. Häufig wird gerade am Platz für Ruheräume und Unterstände gespart. Da kommen rangniedrige Pferde oftmals zu kurz, wenn es um einen Unterstand oder die Möglichkeit sich auszuruhen geht. Wichtig ist auch, dass die Ruheräume über genügend Einstreu verfügen. Zudem sind unpassende Herdenmitgliedern oder zu große Herden ein weiterer Stressfaktor. Und natürlich darf Futter- und Wasserqualität nicht außer Acht gelassen werden.

Mein momentaner Favorit ist aber auch der Bewegungsstall, wie bei Michaela.

Michaela: Ich würde mein Pferd auch nicht woanders unterbringen wollen. Aber nicht jeder hat die Möglichkeit dieser Haltung. Nicht jeder Offenstall ist zudem pferdefreundlich, nicht jeder Boxenstall ist kategorisch abzulehnen. Es gehört viel Management und Pferdeverstand dazu einen Offen-Bewegungs-Paddock-Trail, wie auch immer man die Haltungsform nennt, richtig zu managen. Problematisch finde ich zu viele, gut gemeinte aber schlecht geführte Offenställe. Dort wird nicht auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen, es werden zu viele Pferde auf zu geringer Fläche gehalten und den Pferden wird zu wenig Bewegungsanreiz geboten, deshalb sind Stress und Unruhe vorprogrammiert. Ein ambitionierter Boxen-Stallbesitzer kann ebenfalls einiges zum Wohl seiner Gäste beitragen und trotz Boxenhaltung ein hohes Maß an pferdegerechter Haltung bieten.

Jeder Pferdebesitzer muss sich fragen: Was ist das Optimum an artgerechter Haltung? Wie weit bin ich bereit zu fahren, um meinem Pferd eine gute Haltung zu ermöglichen? Was kann ich machen damit es meinem Pferd im aktuellen Stall besser geht?

Tu es nicht morgen, tu es heute, sonst lebst du morgen wie gestern. Dieser Spruch fällt mir dazu ein. Es ist allerdings auch ein Prozess der in jedem Pferdebesitzer selbst reifen darf bis er bereit ist und den Schritt der Veränderung wagt.

resort0

Horse Ressort am Sonnenhof

Anna: Ich kann bestätigen, dass dieser Schritt auch für mich nicht leicht war. Schließlich bleibt man liebgewonnenen Gewohnheiten und vor allem lieb gewonnen Menschen ja gerne treu. Laura hat ihre Pferde ja quasi vor der Haustüre. Ich fahre jeden Tag 30 Minuten – Michaela nimmt, soweit ich weiß 80 Kilometer zu ihrem Jac auf sich.

Für mich gilt heute: Jeder Kilometer mehr ist es wert, meine Pferde sind ausgeglichener, zufriedener und leistungsbereiter den je. Und: ich nehme zwischen den Pferden der Herde deutlich mehr Kommunikation und Interaktion war, als ich vermutet hätte.

Im Sinne von Michaela: Tu es nicht morgen, sondern tu es heute – dann reiten wir Einfach 😉

 

PS: Im zweiten Teil sprechen wir über Gewichtszunahme, Bewegungsqualität, Schlafzeiten und wann denn überhaupt die richtige Zeit zum Reiten ist.