Wer reiten will muss sich mit dem Körper des Pferdes, aber auch mit dem eigenen Körper auseinandersetzen. Zwei Themen – eine Expertin. Daher gibt es eine Interview Fortsetzung  mit der für Mensch und Pferd diplomierten Physiotherapeutin Laura Haitzmann. Im Fokus: die „positive Spannung“.

Auf der einen Seite gibt es die Kritiker, die zuviel Spannung im Pferd sehen, auf der anderen Seite Kontrahenten, die sich vor allem bei Pferden, die am durchhängenden Zügel piaffieren, eine „positive Grundspannung“ vermissen. Ist „positive“ Spannung eine „Beschönigung“? Brauchen wir tatsächlich Spannung für Versammlung?

Laura: Ja, positive Spannung die man im Pferd und im Reiter sieht, ist tatsächlich eine „Beschönigung“. Darunter verstehe ich durchtrainierte Bizepsmuskulatur des Reiters, starre Handeinwirkung, offene Mäuler beim Pferd oder angespannte Kiefermuskulatur (bei Reiter und Pferd).

Eine positve Rumpfspannung braucht jedoch sowohl das Pferd als auch der Reiter . Das Pferd benötigt die Rumpfspannung damit der Rücken dem Reitergewicht etwas entgegenwirken und in einer neutralen Null Position bleiben kann. Die Rumpfspannung steht beim Reiter in enger Verbindung mit schöner aufrechter Haltung.
Allerdings gibt es für mich bei Pferden die am durchhängenden Zügel piaffieren nichts zu kritisieren. Es sollte doch das Ziel jedes Reiters sein, wenn sein Pferd so sehr auf die Sitzhilfen hört, dass alle anderen Hilfen wie beispielsweise Zügelhilfen überflüssig werden. Dieses Argument kann ich also im Hinblick auf die Piaffe nicht verstehen. Allerdings gibt es auch in der Akademischen Reitkunst Reiter,  die ihre Pferde unter Tempo reiten und denken es sei Versammlung.  Schwarze Schafe gibt es überall und Lehren werden und wurden auch immer unterschiedlich ausgelegt.

Es ist wie immer eine Gratwanderung zwischen wann ist die Spannung noch positiv und wann wird sie negativ und wirkt sich kontraproduktiv aus! Die Gratwanderung zwischen Rumpfspannung(=Stabilität) und Beweglichkeit ist für den Reiter genauso schwer wie für das Pferd! Deshalb sollte man bei sich selbst beginnen! In diesem Sinn arbeiten wir härter an uns selbst als an unseren Pferden!)

Abgesehen von der Rumpfspannung die das Pferd braucht, um den Reiter ohne gesundheitliche Schäden zu tragen wird die Spannung in der Muskulatur natürlich gesteigert (Gehen Sie mal in die Knie und bewegen Sie sich nun in der Hocke bleibend vorwärts, natürlich werden Sie in der Oberschenkelmuskulatur mehr Spannung spüren, als wenn Sie nicht die „Hanken“ beugen).

Deshalb muss aber noch lange keine Spannung im Maul des Pferdes spürbar bzw. von außen sichtbar sein und ich denke darauf läuft es manchmal hinaus, dass viele Leute solche Reitbilder mit „positiver Spannung „beschönigen“, die die Pferde brauchen, um überhaupt in die Versammlung zu kommen.

Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird – warum wird in der Akademischen Reitkunst kein Mitteltrab, oder starker Trab geritten? Für die alten Meister ging es ja in erster Linie darum, die Tragkraft zu besitzen, um das Pferd wendig, gesetzt in den Hanken usw. zu bekommen. Den starken Trab nannte man früher auch fliegende Passage. Wie siehst du es aus physiotherapeutischer Sicht – schadet der starke Trab? Und wenn ja, warum?

Laura: Ich dennke nicht, dass er schadet, wenn ein Pferd in freier Natur passagartigen Trab zeigt, besonders dann wenn der Hengst die Stute beeindrucken will.

Die Frage ist eher, was wird heute unter starkem Trab verstanden und wie sieht er in natura aus. Hier gibt es haushohe Unterschiede! Wenn ich behaupte es schadet nicht, dann beziehe ich mich lediglich auf die natürliche Bewegung, wobei das Pferd über den Rücken geht.

Wenn ich meinem Pferd folglich verstärkt Tragkraft beibringen will, macht es natürlich Sinn Lektionen wie diese wegzulassen oder den Fokus auf Übungen zu legen, die die Tragkraft fördern. Denn auf Dauer führen Verstärkungen (so wie die meisten Reiter heute Zulegen reiten) zu einem weggedrückten Rücken. Das heißt in meinen Augen ist es schwer eine korrekte Verstärkung zu reiten ohne dabei den Rücken zu verlieren.

Vor kurzer Zeit habe ich einen Artikel über die Anlehnung verfasst. Ein  Beschreibung, mit der ich mich so gar nicht zufrieden geben mag ist: In die Hand ziehen. Was passiert denn deiner Meinung nach biomechanisch, wenn Pferde in die Hand ziehen?

Laura: Zusammengefasst lässt sich sagen, die kurzen Nackenmuskeln sind verspannt, das Kiefer verspannt sich, der Unterhals wird fest und somit wird auch der Rücken fest.

Physiotherapie beim Menschen soll oft helfen Beweglichkeit (nach einem Unfall, Operation etc.) wiederzuerlangen.  Eigentlich wollen wir die Beweglichkeit des Pferdes ebenso verbessern, wenn es darum geht den Reiter zu tragen – ist Anlehnung dann nicht ein falscher Begriff, wenn man Anlehnung als „Stütze“ betrachtet?

Laura: Ja, weil man Anlehnung meist mit etwas Starrem in Verbindung bringt. An etwas anlehnen, also eine Stütze suchen. Die Anlehnung ist aber erstens relativ (sie steht also immer in Relation zur Hinterhand) und sie ist niemals starr, denn man fühlt entweder bei zu viel Schub ein Maul, das bei jedem Schritt gegen die Hand zieht oder bei ausgeprägter Tragkraft ein Maul, das sich in die Hand bewegt.

Bleiben wir beim Thema Spannung – immer wieder höre oder lese ich, dass wir Reiter zum Aussitzen hauptsächlich unsere Bauchmuskeln benötigen. Richtig oder falsch?

Laura: Die Bauchmuskulatur kippt unser Becken nach hinten. So wie die meisten Reiter aussitzen wird das Becken nur nach vorne und hinten bewegt (Stichwort: das schiebende Becken). Allerdings stimmt diese Bewegung nicht mit dem physiologischen Rückenschwung des Pferdes überein, denn dieser ist dreidimensional. Folglich muss sich das Reiterbecken auch dreidimensional bewegen. Man kann dabei eher an eine liegende Acht denken und somit ist es nicht korrekt, dass nur die Bauchmuskulatur an der Aussitzbewegung beteiligt ist.

Es heißt jalaura immer, das Pferd spiegelt seinen Reiter. Wenn der Reiter sehr angespannt am Pferd sitzt, muss sich das ja auch übertragen. Kannst du hier vielleicht „vorher nachher“ aus deiner täglichen Praxis schildern? Was veränderte sich im Pferd, wenn der Reiter loslassen konnte?

Laura: Frei nach dem Motto „Das Problem sitzt im Sattel“ wird die Anspannung mehr und mehr verschwinden wenn auch der Reiter zum Loslassen kommt. Allerdings reicht es nicht immer nur entspannt oben zu sitzen und sich bewegen zu lassen (sonst wäre Reiten ja ziemlich leicht).

Pferde mit körperlichen Problemen sind oft auf die Hilfengebung des Reiters angewiesen um überhaupt wieder oder erstmals zu lernen, wie man sich frei und losgelassen mit einem Reiter bewegt.

Wie fühlt sich aber ein angespannter Reiter für das Pferd an?

Probieren sie es selbst aus, begeben sie sich in den Vierfüßler und lassen sie jemanden mit viel Knieschluss auf Ihrem Rücken Platz nehmen.

Wie fühlt es sich an zu atmen?
Möchten sie sich so gerne bewegen?
Wundern sie sich jetzt noch warum viele Pferde ungern vorwärts gehen?

Mit einer reitenden Wäscheklammer am Rücken würde mir persönlich auch der Spass vergehen. Überall wo zu viel Spannung ist, nimmt die Beweglichkeit ab, das heißt wenn der Reiter zu angespannt sitzt, kann er den Bewegungen des Pferderückens nicht mehr geschmeidig folgen, geschweige denn sie beeinflussen. Der Reiter fühlt sich dann für das Pferd an wie ein schwerer Rucksack auf unserem Rücken, der sich entgegengesetzt zu uns oder langsamer als wir bewegt, wenn wir dem Bus hinterherrennen.

Ich kann ein Beispiel bringen von einer Kundschaft mit ihrem Spanier, sie wurde von ihrer damaligen Reitlehrerin immer dazu angehalten: „Bleib mit dem Kreuz dran“, woraus sich ein kompletter Schiebesitz entwickelte. Das Ganze ging soweit, dass man im Pferderücken schon Einbuchtungen sehen konnte. Jetzt ca 1,5 Jahre nach Änderung der Sitz- und Reitweise, sind die Löcher fast verschwunden.

Ein anderes Beispiel: Eine Kundschaft von mir hatte Probleme, das Pferd zu lösen. Soll heißen, der Kopf war in der Luft. Das Pferd war auch durch den nicht optimalen Sitz der Reiterin total verspannt im Rücken, hatte viel zu ausgeprägte Schubmuskulatur und keine Tragemuskulatur. Das Pferd wurde behandelt und am Boden gearbeitet, allerdings ging es der Besitzerin nicht schnell genug, weshalb sie auf englischen Unterricht umgestiegen ist. Sie sitzt jetzt mit schiebendem Sitz am Pferd, das Pferd wird übermäßig vorwärts geritten und vorne in Anlehung gehalten mit ihrer Muskelkraft weshalb sie auch nach jeder Reitstunde Muskelkater hat und jetzt ins Fitnessstudio geht um kräftiger zu werden, damit sie dem Pferd besser gegenhalten kann. Ich wurde vor einer Woche zur Sattelanalyse mittels Impression Pad gerufen und konnte sehen wie das Pferd gearbeitet wird. Das Pferd klemmt jetzt während der gesamten Trabeinheit den Schweif ein, die Unterhalsmuskulatur ist angespannt wegen der übermässigen Handeinwirkung.
Loslassen ist nicht so einfach wie man denkt. Loslassen ist eines der schwierigsten Dinge in der Reiterei (oder im Leben überhaupt?)

Die Sache mit dem Fitnessstudio kann ich bestätigen. So ging es mir früher auch einmal 🙂 An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Laura Haitzmann für das spannende Interview. Teil 1 unseres Interviews könnt ihr hier nachlesen.

Mehr über Laura gibts auf ihrer Homepage und auf Facebook.

Daher: Lassen wir los, den Losgelassenheit kann uns ein vielfalches an „Spannung“ bringen, wenn wir Einfach Reiten 🙂