In der Akademischen Reitkunst wird der Sitz die Primärhilfe genannt. Wer nichts mit Pferden am Hut hat meint –  einfach oben zu sitzen – das wäre ohnehin leicht. Reiter wissen – für die Primärhilfe hätte man selbst gerne „Erste Hilfe“, denn Wollen und Können unterscheiden sich oft ganz diametral voneinander. Heute daher ein paar Gedanken zur Unterstützung beim Üben.

1. Du sitzt wie du bist

Jeder Mensch ist einzigartig. Daher können wir für jeden einzelnen Reiter nur einen optimalen Sitz anstreben. Jeder Mensch hat aber auch sein „Binkerl“ zu tragen. Wir schlagen uns mit Alltagsbelastungen herum, verspannen daher in den Schultern. Das Pferd spiegelt den Menschen nicht nur sprichwörtlich, sondern auch im Sitz. Und der Sitz des Menschen spiegelt wiederum sehr häufig, wie es in unserem Inneren aussieht. Wenn wir uns also nicht unseren Idealen nähern können, liegt es meist an uns. Der Fehler sitzt schließlich IMMER im Sattel. Wie wir uns also im Alltag bewegen, ob wir mit einem großen Rücksack auf den Schultern aufsteigen, oder es schaffen, tief durchzuatmen und abzuschalten, so wird sich auch das Pferd unter uns bewegen. Das Wichtigste an dieser Stelle: Wir MÜSSEN nicht reiten, wir dürfen. Es geht ausschließlich darum, mit seinem Pferd Zeit schön zu verbringen. Und an manchen Tagen wäre es rückblickend besser gewesen am Boden zu bleiben.

2. Spieglein, Spieglein an der Wand

„Trau dich, schön zu sein“ (Bent Branderup)

Dieses Zitat des dänischen Reitmeisters unterstreicht vor allem die natürliche Schönheit. Wenn wir uns auf das Pferd setzen, erinnern wir uns an die gängigen Anweisungen. Der Oberkörper soll aufrecht gehalten werden, das Bein lang, der Absatz tief. Trauen wir uns doch, wie Bent Branderup empfiehlt natürlich schön zu sein. Wer war zuerst da? Die Henne oder das Ei? Der gute Sitz, oder das gut gehende Pferd? Auf dem Pferderücken sollte man sich nicht in die Schablone des „schönen Sitzes“ pressen lassen. Es nutzt nichts, ständig in den Spiegel zu blicken, um sich zwanghaft immer wieder in eine schöne aber disfunktionale Sitzposition zu pressen. Der gute Sitz entsteht aus den guten Bewegungen des Pferdes. Daher schadet es nicht den Blick vom Spiegel abzuwenden und zu fühlen.

3. …wer fühlt am meisten im ganzen Land?

Was fühlt sich gut an, was fühlt sich schlecht an. Der Mensch ist ein seltsames Wesen. Er möchte immer alles anfassen und greifbar haben. Ein Musikstück bewegt Menschen unterschiedlich, auch Parfums werden in verschiedensten Facetten wahrgenommen. Wie kann man also fühlen lernen? Zunächst hilft es mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen. Die innere Ampel auf Achtsamkeit zu schalten. Und auf dem Pferd? Hier lohnt es sich auf Forschungsreise zu gehen. Der Sitz muss quasi zum Auge des Reiters werden. Man kann sich entweder von einem Helfer führen lassen, oder auch mal beim entspannten Reiten im Gelände hinspüren, wie der Brustkorb des Pferdes schwingt, wann welches Hinterbein nach vorne greift. Wie sich der Takt anhört und anfühlt. Man spürt zwangsläufig immer etwas – aber seltener machen wir uns Gedanken darum. Wer sein Gefühl schulen möchte, kommt nicht umhin manche Dinge in Worte zu fassen – beispielsweise zu benennen, wann welches Hinterbein in der Luft ist.

4. Sei dreidimensional

anna_hStellen wir uns vor, wir beobachten ein Pferd aus der Vogelperspektive, das sich auf der linken Hand bewegt. Der linke, innere Hinterfuß schwingt nach vorne, das rechte Hinterbein bleibt am Boden und schiebt dann nach hinten hinaus. Durch die Bewegung der Hinterbeine, wird der Winkel des Beckens verändert. Während sich die innere Hüfte nach vorne-unten bewegt, rotiert die äußere Hüfte nach hinten-oben. Diese Schwingungen werden auch auf die Wirbelsäule übertragen. Es kommt zu einer Rotation des Brustkorbs, die früher immer wieder fälschlicherweise als Rippenbiegung bezeichnet wurde. Der innere Brustkorb senkt sich, der äußere Brustkorb hebt sich. Von oben gesehen sehen wir einmal den Pferdebauch seitlich nach außen und nach innen schwingen. Wäre das Pferd gesattelt, würden auch die Steigbügel nach links und rechts schwingen und diese Rotation gut sichtbar machen. Beobachten wir unser Pferd nun seitlich vom Boden aus, stellen wir auch eine Bewegung der Wirbelsäule von unten nach oben fest. Die Schlussfolgerung: Lesen wir in der Reitliteratur von Schwung, so war früher niemals Tempo, oder Vorwärts damit gemeint. Die alten Meister sprachen hier stets von der dreidimensionalen Schwingung der Wirbelsäule.

Was das für den Sitz bedeutet? Der Reiter, der diese Bewegungen nicht erfühlen kann, lässt sich lediglich transportieren. Und: Die meisten Reiter kennen bzw. „aktivieren“ eine Beckenbewegung nach vorne und zurück, die manchmal sogar in einen wild schiebenden „Bauchtanz“ ausartet. Dabei muss auch das Reiterbecken, die Reiterhüfte die Bewegung nach rechts und links, nach oben und nach unten mitmachen können. Und nicht zu vergessen: auch die Bewegung nach oben und unten muss zugelassen werden.

5. Balance bedeutet mehr als Knieschluss

„Knie zu“! Ein Kommando, das helfen kann über einem Sprung nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Wenn wir jedoch mit unserem Pferd in der Reitbahn in Balance kommen wollen, hilft uns kein festes Pressen mit den Knien, sondern hauptsächlich Entspannung. Der gute Sitz fängt mit der Entspannung an. Setzen wir uns so hin, wie unsere Wirbelsäule gewachsen ist. Richten wir uns nicht mehr künstlich „schön“ auf, entspannen wir Schultern, atmen wir tief in den Bauch. Die Oberschenkel liegen entspannt aus der Hüfte mit ihrer Innenseite flach am Körper des Pferdes an, die Unterschenkel „atmen“ entlang des Bauches entspannt aus den Knien heraus. Viele Reiter neigen dazu, die Rückseite der Oberschenkel in Richtung Pferdeleib zu drücken. Das Kommando „Zehenspitzen zum Pferd“ verdeutlicht hier, warum es wichtig ist, eher die Vorderseite der Oberschenkel flach ans Pferd zu bekommen. Dann bohren sich auch die Fersen nicht ins Pferd. Wenn „Absatz tief“ das zu befolgende Hauptkommando in der Reitschule wird, besteht die Gefahr dass ein gestrecktes Bein Knie und Hüftgelenke, sowie die Beweglichkeit des Beckens blockieren, wenn der Absatz krampfhaft nach unten gedrückt wird.

6. Let`s get physical

In der Akademischen Reitkunst wird zwischen dem statischen Sitz (= im Gleichgewicht sitzend) und dem physischen Sitz unterschieden. Der Physische Sitz hilft uns durch die Berührung des Oberschenkels an das Pferd in das Pferd hineinzuhorchen. In Bewegung werden Mensch und Pferd nun in Schwingung versetzt, abhängig von der Gangart. Wir sind noch immer auf der linken Hand. Wenn das innere Hinterbein in Richtung Schwerpunkt greift, wird auch der innere Sitzknochen des Reiters nach vorne abwärts rotieren. Wenn äußere Sitzknochen wird nach hinten-oben mitschwingen. Die Reiterhüften bewegen sich somit parallel zu den Pferdehüften. Somit ist die innere Hüfte nach vorne gelagert, der äußere Schenkel wird leicht nach hinten verlagert. Um dem Pferd die Rotation mit dem Brustkorb zu erleichtern kann der äußere Sitzknochen leicht angehoben werden. Die Schultern befinden sich in genau umgekehrter Position: Innere Schulter hinter innere Hüfte, äußere Schulter vor der äußeren Hüfte – parallel zu den jeweiligen Pferdeschultern. Reiterkopf und Pferdekopf sind parallel zueinander.

Wer den Schwingungen des Pferdes gut folgen kann, kann diese später selbst aus seiner eigenen Hüfte heraus steuern. Wer sich nicht mit dem Pferd bewegt, bewegt sich auf dem Pferd, was wiederum zu unruhigen Händen, die nicht unabhängig vom Sitz agieren können führt.

Wer korrekt mitschwingt, bekommt vom Pferd einen leichten Hang nach innen, der innere Steigbügel scheint länger. Wer nun die Bewegung mit dem Pferd als angenehm empfindet, kann auch die Hilfen am besten unterstützen und erhalten.

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