Bent Branderup war zu Gast in Simbach am Inn und hat über das Alpha und Omega der Reitkunst referiert – nämlich Stellung und Biegung – oder besser gesagt korrekte Rotation!
Samstag Morgen bei Nieselwetter im Oktober beschäftigen wir uns nicht sofort mit dem Pferd – Bent Branderup nimmt uns mit auf eine Reise in die Evolution
„Seit über 5 Millionen Jahren gibt es Wirbeltiere, diese Konstruktion hat sich nicht wahnsinnig geändert, auch wenn einige Details im dazu gekommen sind, hat die Wirbelsäule seit Jahrtausenden ihre Tätigkeit, die durch ein Nervensystem koordiniert wird“.
Bent Branderup
Stellung, Biegung und Rotation – auch bei Fischen und Schlangen?
Wir beginnen also nicht beim Pferd sondern denken über die Wirbeltätigkeit von Schlangen und Fischen nach. Wie überträgt sich hier die Kraft der Bewegung von hinten nach vorne durch den Körper. Neben der Wirbelsäule sind auch unsere Augen ein ganz wichtiger Faktor. Wir sehen mit dem Auge, wo wir hingehen wollen. Über das Nervensystem gelangt die Mitteilung über die Wirbelsäule an unserer Gliedmaßen. Ein Wunsch nach Bewegung und Ziel wird durch das Kleinhirn umgesetzt, daher sind auch die Augen ein wichtiges Element bei der Bewegung. Wir bewegen uns also grundsätzlich dort hin, wo wir hinschauen. Bei Raubtieren ist dies besonders deutlich zu beobachten. Das Fluchttier kann auch von einem bestimmten Objekt weg gehen.
Die Bewegung der Wirbelsäule führt den Kopf gerade auf ein bestimmtes Ziel zu. Dies sehen wir schon beim Fisch, dessen Kopf nicht von Seite zu Seite schwingt, obwohl die Schwanzflosse eine wellenartige Bewegung durch die Wirbelreihe legt.
Vergleichen wir Katzenaugen und Pferdeaugen, stellen wir bei der Katze senkrechte Pupillen fest, bei den Pferden liegen die Pupillen eher horizontal. Wenn das Pferd die Nase leicht vor der Senkrechten hat, dann kann es mit dieser Pupille das gesamte Sehfeld überblicken. Aufgrund der Beschaffenheit seiner Augen kann ich das Pferd also sehr gut umsehen, es kann jedoch nur in einem kleinen Bereich des Sehfeldes den Abstand zu einem Gegenstand ermessen. Für eine korrekte Abstandsmessung brauchen wir beide Augen.
Was die Augen mit der Rotation zu tun haben
Gesagt und ausprobiert – schon greifen wir einäugig nach Tassen, Taschen oder Decken. Einäugig klappt das nicht so gut, wie mit beiden Augen.
Es wird klar, warum die Kopfbewegung des Pferdes idealerweise in jene Richtung ausgerichtet ist, wo die Pferdefüße auffussen.
„Und dann bekamen die Wirbeltiere Beine. Trotzdem ist die Fortbewegung im Grunde ausgehend von der Wirbelsäule und vom Rückenmark. Die Bewegung der Beine darf also die Rückentätigkeit nicht be- oder verhindern. Da hat die Evolution die Gelenke so konstruiert, dass die Gelenke zusammen passen, egal ob wir ein Kugelgelenk, ein Scharniergelenk oder ein Walzengelenk haben. Bis ins kleinste Detail ist der Bewegungsapparat ausgetüftelt und so passen die Gelenke freilich auch zur Sehrichtung. Bewegung muss unbewusst stattfinden – sonst wären wir ja auch nach Stunden nicht in der Lage uns zu bewegen. Das Pferd in der Natur hat den Wunsch sich zu bewegen – und dann haben wir plötzlich einen Reiter, der einen Zirkel haben will. Da will das Pferd dann lieber von der Zirkelmitte weg schauen und wir kommen in einen Zwiespalt. Was will das Pferd, was will der Mensch?“
Bent Branderup
Bei Stellung und Biegung geht es somit auch darum, die Kopfposition mit der Bewegung stattfinden zu lassen. Wenn wir aber in der Ausbildung mit dem Kopf beginnen, dann fangen wir prinzipiell am falschen Ende an, denn die Kraft der Bewegung geht ja trotzdem von den Füßen aus.
Stellung,Biegung und Rotation – hinten oder vorne beginnen?
In der Bodenarbeit in der Akademischen Reitkunst fangen wir trotzdem am Schädel an. Wir möchten gerne den Kopf im Verhältnis zur Wirbelreihe positionieren.
„Da haben wir am Hinterhaupt ein Gelenk und würden gerne den Schädel nach links nehmen, um einen Linkszirkel zu reiten. Uns begegnen weitere Gelenke zwischen Schädel und erstem Halswirbel, Schädel und Unterkiefer. Hinter dem Auge ist das Gelenk des Unterkiefers. Wenn wir einfach am inneren Zügel ziehen, wird das Pferd in der Kürze gebogen und nicht in der Länge – anders gesagt sollen sich idealerweise die äußeren Muskeln in der Biegung hin beugen. Was wir aber oft tun, ist eine Biegung am inneren Zügel zu erzeugen, dann nähert sich der Unterkiefer dem Atlas. Der erste Halswirbel (Atlas) hat so genannte Atlasflügel, wo die Muskeln an der Seite anhaften. Wenn der Unterkiefer mit dem Atlasflügel kollidiert dann haben wir ein Match Knochen gegen Knochen, also müssen wir unweigerlich zuerst den Hals dehnen, damit sich Ganaschenfreiheit entwickelt. Ist also am Hinterhaupt der erste Drehpunkt, dann geht der Unterkiefer bei korrekter Stellung in die entgegen gesetzte Richtung. Ist der Hals locker, dann ist es selten, dass der Unterkiefer nicht in die korrekte Position mit folgt.“
Bent Branderup
Nun nimmt uns Bent mit auf eine virtuelle Reise in den Kiefer des Pferdes. Die Art der Zähne unterscheidet sich von Menschenzähnen. Die Vorderzähne beim Pferd liegen aufeinander und rupfen das Futter ab. Damit sammelt das Pferd auf der Zunge auf einem Übergang das Futter und schiebt es weiter zwischen die Backenzähnen, die aufeinander spuren, um das Futter zu zermahlen.
Rotation und die Macht der Zähne
Wenn der Abrieb der Backenzähne ungleichmässig erfolgt, dann stehen diese nicht mehr aufeinander. Zahnspitzen können eine korrekte Stellung erheblich behindern, daher ist die regelmässige Kontrolle beim Zahnexperten Pflicht für jeden Reiter. Verschiedene Pferderassen haben auch unterschiedliche Gebissvarianten. Manchmal ist die obere Zahnreihe länger als die untere. Iberische Pferde haben eher ein „Untergebiss“, Warmblutpferd eher ein „Obergebiss“. In der Linksstellung streben wir ein „Rechtsspuren“ der Backenzähne an. In der Linksstellung nähern sich also rechts die Backenzähne.
„Dann haben wir ein Zungenbein, welches durch ein Gelenk am Hinterhaupt des Pferdes haftet. Es besteht aus fünf Knochen mit einer entsprechenden Anzahl von Gelenken dazwischen. Bei nicht korrekt gerittenen Pferden haben wir ein zunehmendes Problem mit Schäden am Zungenbein, wir sehen Arthrose in den Zungenbeingelenken und wir haben eine zunehmende Häufig von gebrochenen Zungenbeinen.“
Bent Branderup
Wie kommt es zu diesen Brüchen und Arthrose? Die Brüche können sehr einfach entstehen, wenn der Mensch beispielsweise bei der Wurmkur die Zunge unsanft aus dem Maul zieht und es zu einem starken Zug mit einer ruckartigen Bewegung kommt. Arthrose ist freilich immer eine Geschichte von starker Belastung. Die Zunge ist ja ein enormer Muskel und jeder Muskel wächst durch seine Tätigkeit. Wenn die Zunge ungleich belastet wird, dann wird sich auch die Muskulatur ungleichmässig ausbilden, was sich freilich auch aufs Zungenbein auswirkt. Das Zungenbein ist ein Schlüssel für Harmonie oder Disharmonie. Vom Zungenbein ausgehend reisen wir weiter und betrachten die Muskulatur zur Schulter hin und zum Sternum. Es gibt fasziale Verbindungen vom Zungenbein bis zum Hinterfuß des Pferdes. Daher ist das Zungenbein auch zentral an sauberer Stellung und Biegung beteiligt.
Rotation und Nackenband
Bent Branderup nimmt uns nun mit zur Wirbelreihe und referiert über die Dornfortsätze und das Nackenband, welches eine Verbindung zu diesen hat:
„Von dort gehen Ligamentlamellen runter und haften links und rechts an den Wirbeln. In der Praxis ist es jedoch nicht mehr wie im Lehrbuch. Die australische Forscherin Sharon May-Davis hat entdeckt dass unsere modernen Pferde keine Verbindung vom Nackenband zu den Wirbeln C6 und C7 haben. Bereits am fünften Halswirbel (C5) fangen die Pferde an, diese Verbindung zu verlieren. Ich habe viele Jahre Forschung betrieben in Verbindung mit den Worten der Alten Meister und habe das Problem viele Jahre nicht verstanden, da die Hinweise der Alten Meister nicht immer gestimmt haben. Wenn das Nackenband aber nicht mehr Bewegeng mit einer solchen Garantie überträgt, wie es damals gewesen sein muss, dann können wir Pferde freilich heute nicht mehr so biegen wie einst. Der Brustkorb nimmt dann eine falsche Rotationsrichtung einnehmen. Ein Pferd, das eine komplette Ligamentverbindung hat, kann man nicht so leicht verbiegen.“
Bent Branderup
Doch was ist der Unterschied zwischen Biegen und Verbiegen? Die Rotationsrichtung des Brustkorbes gibt darüber Aufschluss. Das, was wir als. Biegung wahrnehmen ist eigentlich Rotation. Gustav Steinbrecht sagt dazu: „Das Pferd muss sich um das innere Gesäß hohl machen“. Beim Franzosen Guérinière finden wir den Hinweis auf eine Hohlheit um den inneren Oberschenkel und Newcastle sagt, der innere Steigbügel Mus slänger aussehen als der äußere.
An dieser Stelle unterstreicht Bent Branderup, dass wir Reiter freilich nicht den Brustkorb an der inneren Muskulatur abwärts drücken wollen, unser Ziel muss es sein den Brustkorb aus der äußeren Muskulatur heraus nach oben zu rotieren, weswegen wir außen das Gesäß anheben, um den Brustkorb einzuladen, sich uns entgegen zu heben.
Bevor es aber in den Sattel geht, bleiben wir freilich am Boden der Tatsachen und lernen in der Bodenarbeitsposition vor dem Pferd unsere Handlungen einzuschätzen; wir lernen die korrekte Rotation des Brustkorbes zu beobachten.
Rotation, Evolution und die Zukunft?
Im Publikum ist es mucksmäuschenstill, als wir gemeinsam überlegen, welche Konsequenzen die unvollständige Ligamentverbindung für Pferde und ihre Bewegungsqualität hat. Schließlich setzt das Nackenband mit seinen Verbindungen ja auch am Knochen auf; dieser hat wiederum eine bestimmte Form für eine bestimmte Aufgabe. Wir sehen aber inzwischen zahlreiche Deformationen am Knochen, die kein Ligament mehr tragen müssen. Bildet sich der Knochen zurück, dann kann er nicht mehr das Rückenmark schützen.
Eine korrekte Rotation des Brustkorbs ist – denken wir wieder an die Zahngesundheit, die Verbindung von Zungenbein zu Brustbein und Hinterbeinen keine Selbstverständlichkeit mehr – schon gar nicht, wenn die Verbindung des Nackenbandes zu den einzelnen Halswirbeln nicht mehr – wie ursprünglich vorgesehen vorhanden ist. Deswegen muss das Auge des Ausbilders gut geschult sein, ob Stellung zur korrekten Biegung und somit zu korrekter Rotation führt. Diese Rotation spiegelt sich dann in der Lende wider, die allerdings sehr wenig biegen kann.
Kommt es zu der gewünschten Aufwärtsrotation des Brustkorbes außen durch Übertragung von Stellung und Biegung hängt dies freilich auch mit der korrekten Bewegung des Beckens zusammen. Wenn ein Hinterfuß nach vorne greift, dann bewegt sich der Brustkorb auf jener Seite vor- und runter. In der Standbeinphase kommt das Becken nach oben. Die Dreidimensionale Schwingung des Beckens macht auch die Schwungrichtung des Schulterblatts möglich. Bei korrekter Schwingung platziert das Pferd seinen Vorderfuß an einem Punkt, den die Augen sehen können. Dann ist auch die Abnützung des Hufes und der Gelenke darüber korrekt.
Der Ausbilder muss so geschult werden, so dass er die Wirbelreihe gut sehen kann und verstehen kann, was er tut. So wie das Pferd die Vorderbeine und den Brustkorb trägt, so trägt es auch den Reiter. Daher können wir auch durch die Art, wie das Pferd Kopf und Hals trägt, Rückschlüsse über die Tragfähigkeit ziehen. Zum Tragen gehört die Muskulatur, daneben haben wir auch ein passives Trägersystem, bestehend aus Sehnen, Bändern und Faszien. Nehmen wir den Pferdekopf tief, dann wird das Nackenband die Ausrichtung der Dornfortsätze verändern. Wenn dieser Mechanismus aber immer funktionieren würde, dann würde eine alte Stute beim Tragen keinen Hängerücken haben. Leider hat jedoch die Schwerkraft ihren Preis.
„Die deutsche Reitweise war so ausgerichtet, dass man das junge Pferd mit dem passiven Trägersystem belastet und dann mit der Ausbildung der aktiven Träger beginnt. Der Vorteil ist, aktive Träger lassen sich schulen und entwickeln. Sie werden immer besser, wenn sie korrekt aktiviert sind. IN der Akademischen Reitkunst würden wir die aktiven Tragemuskeln so früh wie möglich ausbilden. Dann sitzen wir im Idealfall nur so lange auf dem Pferd, wie die aktiven Träger das auch am Anfang schaffen. Dafür muss auch der Brustkorb ausgewachsen sein. Diese aktiven Träger haften schließlich an Knochen an. Sind diese jedoch nicht fertig ausgebildet und im Wachstum, dann hat die Aufhaltung der Muskulatur noch nicht die volle Stärke erreicht. Siet man also einen dreijährigen, der anscheinend bemuskelt ist wie ein 12-jähriger, darf man sich nicht täuschen, denn die Knochen, worauf die Muskeln ansetzen sind noch nicht fertig ausgewachsen.
Bent Branderup
Zum Abschluss der ersten Theorieeinheit spricht Bent noch über Entschleunigung und Beschleunigung (Schubkraft). Wenn die Hinterfüße die Kraft beim Entschleunigen nicht mehr auffangen können, dann kommt das Pferd stark auf die Vorhand. Entschleunigt wird auf den Schultern, der Brustkorb sinkt ab. Die korrekte Formgebung über Stellung und Biegung, vorwärts abwärts und vorwärts aufwärts befähigt das Pferd entsprechend mit Schub-, Trag- und Federkraft umzugehen.
Entschleunigung, Beschleunigung (Schubkraft). Tragkraft, Federkraft. Deswegen, die Beschleunigung. Extreme Beschleunigung – können die Hinterfüße beim Entschleunigen nicht mehr Auffangen, dann kommt man. Deswegen ist die Form der Wirbelreihe – Stellung und Biegung – kein physiologisches Wort, Voraussetzung für den richtigen Schwung, ist wichtiger Bestandteil vom Vorgriff des Hinterfußes, Voraussetzung für richtiges Auffußen für den richtigen Umgang mit der Körpermasse. So braucht das Pferd verschiedene Formen, ob es bergauf oder bergab geht. Ob es links rum oder auf dem Zirkel geht. Es braucht verschiedene Formen, um diese Kräfte ausführen zu können.
Rotation, Stellung und Biegung zum Weiterlesen
- Stellung und Biegung – der Grundstein der Reitkunst
- Buchtipp: der Zirkel in der Akademischen Reitkunst
- Buchtipp: Die Logik hinter den Biegungen
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