Wie soll das Pferd seinen Hals formen? Warum streben wir einen runden Hals an und wieso sollte die Nase an die Senkrechte kommen? Und warum wird es denn überhaupt übertrieben?
Katrin aus meinem Online Kurs hat sich viele dieser Fragen gestellt, „Mitschülerin“ Anja hat es treffend auf den Punkt gebracht: „Warum muss auf Biegen und Brechen die Rübe runter“.
Auf speziellen Wunsch also ein Blogbeitrag über die Formgebung des Halses.
Folgende Fragen soll ich für Katrin beantworten:
- Ist dieses Rundwerden die automatische Folge von Lastaufnahme der HH/Versammlung?
- Soll/Kann man Rundheit verlangen, wenn das Pferd das selber nicht anbietet?
- Meint die konventionelle Reiterei mit “Rundheit” womöglich das, was wir mit Tritte verkürzen, Versammeln bzw mit dem Spiel vorwärts-aufwärts in der AR machen? Sollte ich dabei auf die Form achten?
- Kann es schädlich sein, so an der Form des Halses zu arbeiten (ich meine höchstens senkrecht, nicht Rollkur, aber der Motor ist doch hinten…)?
- Und wozu dient die Kandare, wenn es nicht beizäumen soll?
Rübe runter – Der Kopf hat keine Beine – aber was ist leichter zu formen?
Wie hält sich ein Pferd schön? Hier hat uns Xenophon bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. Die Antwort hinterlassen:
„Wenn man sein Pferd dahin bringt, sich so zu tragen, wie es sich selbst trägt, wenn es seine ganze Schönheit am meisten entfalten will, so zeigt man es in einer prächtigen, aufsehenerregenden Haltung, der man ansieht, dass ihm das Reiten Vergnügen macht“.
Xenophon
Oder anders gesagt – alle Bewegungen, die wir als „schön“ und anmutig betrachten sind im Pferd bereits da. Sie sind Ausdruck, Körpersprache, was wir als Ausbilder niemals vergessen sollten, wenn wir uns anmaßen dem Pferd eine Haltung zu geben. Geht es also um Haltung oder um Kommunikation?

Spannend wird die Sache freilich, wenn wir uns die Kommunikation, oder die Ratschläge vergangener Reitmeister zu Herzen nehmen. Was sie ihren Schülern einst kommuniziert haben, das hat heute noch Gültigkeit.
„Das Auge des Anfängers wird immer mehr an der mehr oder weniger schön gebogenen Halsform hängen bleiben, weil die Art, wie ein Pferd seinen hals trägt, das einfachste sichtbare, für jedermann verständliche Zeichen dafür ist, ob es sich um ein braves Pferd handelt, oder nicht. Wenn zu einer schönen Halshaltung noch ruhige, taktmässige und geräumige Tritte kommen, kann man sich in der Beurteilung des Gebrauchspferdes nicht mehr so sehr irren.
Aber diese einseitige Betrachten der Halshaltung führt solche Reiter auch zu den schlimmsten und häufigsten Fehler, und der ist die Sucht, durch irgendwelche Manipulation mit den Händen erreichen zu wollen, dass das Pferd in Haltung geht. Alles was aber hinter dem Sattel ist – Rücken und Hinterhand bleibt nicht nur unbeeinflusst, sondern der natürliche Ablauf der Bewegung wird auch solche Manipulation gestört.“
Udo Bürger
Reiten oder Reitkunst und die Formgebung des Pferdes war also immer auch schon gewisser „Mode“ unterworfen. Daher ist es für uns Lernende auch so wichtig einerseits die biomechanischen Begebenheiten zu erfassen, andererseits aber auch zu verstehen, warum, wie und wann mit dem Pferd gearbeitet wurde.
So schreibt Friedrich von Krane:
„Wir haben vor 25 Jahren nur aufgerichtet und abgebogen; vor zehn Jahren nur beigezäumt und abgebogen; nun zäumen wir bei, richten auf und biegen ab, arbeiten den Hals nach allen Richtungen. Wenn wir den haben, so sind wir froh, und da das Tier dessen ungeachtet noch immer nicht recht geht, so liegt es in der Rückenspannung und in der Rippenbiegung und dann wieder im Halse. Von der Hanke, die unseren Vorfahren so fleißig bearbeiteten, spricht man kaum noch, und doch ist der Hals nur das Werkzeug, um diese Feder in Tätigkeit zu setzen, und ohne der Hanke Herr zu sein, ist keine Dressur vollendet….
Bei keiner Gelegenheit schäme man sich, dem Gefühle, welches das Pferd dem Reiter gibt, sein Recht zu gewähren, und glaube nicht dadurch zu glänzen, dass man aus einem lebenden Wesen ein Rechenexempel macht.“
Barilla – ein Rechenexempel?
Meine Stute Barilla brachte mich zur Verzweiflung und schließlich auch zur Akademischen Reitkunst.
Als ich sie kennen lernte, ging sie ganz nett „durchs Genick“. Allerdings kamen wir hier rasch an Sackgassen, denn reell war sie nicht unterwegs, wir hatten es verabsäumt eine Dehnungshaltung von hinten nach vorne zur nachgiebigen Hand hin zu erarbeiten. Die Sache wurde schlimmer und permanent am Kopf gesucht.
Wir waren mit Sicherheit beide verzweifelt, obwohl ich – damals Anfang 20 sehr viel ihres Widerstands persönlich genommen habe. Aber das ist eine andere Geschichte.
Hals rund? Wie ist der Pferdekörper überhaupt geformt?
Wenn wir uns mit Biegungen und Formgebung beschäftigen, dann ist die Wirbelsäule und deren Form von großem Interesse. Zunächst sind die Bewegungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Wirbeln interessant.
Zwischen Hinterhauptsbein und erstem Halswirbel haben wir das „Ja Sager“ – Gelenk – hier ist also Beugung und Streckung, aber auch eine leichte Seitbiegung möglich. Das Pferd kann den Kopf bei geradem Hals ganz leicht nach links und rechts nehmen. Zwischen erstem und. Zweitem Halswirbel wird es noch spannender – der Axis, der zweite Halswirbel hat einen Zahn, der in den Atlas (erster Halswirbel) ragt. Dort ist durch den Zahn Beugung, Streckung, Seitbiegung und Rotation möglich.
Ab dem dritten Halswirbel finden wir breite, flache Gelenkflächen, das heißt die gesunde Bewegungsmöglichkeit zwischen diesen Wirbeln wird gerne überschätzt, da sich der Hals als Ganzes ja doch sehr leicht in alle Richtungen biegen lässt.

Die Brustwirbel sind gerade um den 14. Brustwirbel, den so genannten Umkehrwirbel, der nach oben zeigt sehr beweglich. Die Vorderen Brustwirbel zeigen nach hinten, die hinteren Brustwirbel – insgesamt haben wir 18 an der Zahl, zeigen etwas nach vorne.
Betrachten wir die Pferdewirbelsäule von der Seite, dann sehen wir eine schöne Wölbung des Halses nach oben. Der Kopf ist der höchste Punkt, Widerrist und Kruppe sind beim wohl geformten Pferd auf ungefähr gleicher Höhe. Bei der Halswirbelsäule finden wir eine Aufwölbung zwischen dem Kopf und dem dritten Halswirbel, danach finden wir ein Wegdrücken vom 4. Halswirbel bis zum 10. Brustwirbel, dabei ist der siebte Halswirbel der tiefste Punkt. Vom 11. Brustwirbel bis zum Steißbein haben wir wieder eine Aufwölbung.
Bewegung ist dreidimensional
Was wir uns beim Reiten wünschen ist eine dreidimensionale, gleichmässige Bewegung der Pferdewirbelsäule, die im Grunde auch stattfindet (wenn niemand von oben stört). Wenn wir eine Dehnungshaltung zur nachgiebigen Hand erlauben, dann heben wir das Wegdrücken der Halswirbelsäule etwas auf – dabei entfernen sich freilich die Gelenkflächen der Wirbelsäule und das Pferd wird insgesamt beweglicher. Wenn wir allerdings das Wegdrücken durch aktives Aufrichten weiter fördern, dann nähern sich die Gelenksflächen der Wirbelsäule an, das Pferd wirkt stabiler, aber schon alleine das Annähern der Wirbeln und damit geringere Beweglichkeit „liest“ sich für jemanden, der schon mal selbst eine Blockade im Rücken gespürt hat weniger angenehm.
Von vorne nach hinten oder von hinten nach vorne?
Dass es nicht lohnend ist, die Pferde in einzelnen Körperteilen zu analysieren und ausschließlich zu arbeiten, das betonten schon die Alten Meister unisono. Trotzdem fangen wir am Boden mit dem Kappzaum vorne an? Warum?
Wenn ich mich vor das Pferd stelle und erstmals versuche den Kopf abwärts zu lösen, dann geht es primär um die Ganaschenfreiheit, das bedeutet ein Rausstrecken des Pferdes mit der Nase deutlich vor der Senkrechten verschafft dem Unterkiefer Platz im Verhältnis zum ersten Halswirbel. Wenn wir von korrekter Stellung und Biegung sprechen, dann muss der Unterkiefer in einer Linksstellung etwas nach rechts unter den Atlas rotieren können. Kann er das nicht, ist die Nase zu stark an der Senkrechten, ohne dass sich das Pferd im Hals strecken konnte, bewegen sich etwaig Knochen auf Knochen, Unterkiefer und Atlas nähern einander an und auch diese Vorstellung liest sich für das Pferd nicht sonderlich angenehm.
„Die Haltung fängt am Kaumuskel und an der Zunge an. Mit ihnen öffnet der Reiter das Schloss zur zwanglosen Ganaschenbiegung und damit zum Treten durchs Genick. Denn am Unterkiefer, mitten im Aktionsgebiet des Kaumuskels, setzt die Sehne des Brust-Kiefer-Muskels, am Zungenbein der Brust-Kehlkopf-Muskel und mit ihm der Schulter-Zungenbein Muskel an. Nur mit der Zwanglosigkeit dieser Muskeln ist die reitehrlich so wichtige Durchlässigkeit des Genicks möglich, ohne die es wiederum keine Losgelassenheit und keinen zweckmässigen Einsatz der Nackenmuskulatur gibt. Und so führen uns die anatomischen Kenntnisse weiter über die Widerrist- Schulterplatte zu den Rückenmuskeln und deren Verbindungen zu Schulter und Oberarm und über die Kruppenmuskeln zur Hinterhand.
Haltung ist ein Vorgang im ganzen Körper, man kann nicht eine Körpergegend alleine zb den Hals in eine von uns gewünschte Haltung zwängen. Die Haltung, die reiterliche Form, von der wir sprechen, fängt andererseits in ihrem Ursprung in den Hinterhufen an, über denen die kraftvoll gebeugte Hinterhand ungehindert den größtmöglichen Schwung entwickelt. Sie geht über in den gewölbten, schwingenden Rücken, der die freie Bewegung der Vorhand herauslässt und trägt den Hals in herrlicher kraftvoller Aufrichtung, um in der Ganasche die Erlaubnis zum Flug nach vorwärts oder aufmerksam die Parade, den Impuls zur Versammlung und erhabenen Tritten zu erwarten.“
Udo Bürger
Wir können also in der Bodenarbeit am Kopf beginnen unser Auge zu schulen, wir prüfen, ob sich das Pferd vertrauensvoll vorwärts abwärts streckt, um erstmalig Stellung im Genick zu erarbeiten.
Weiter geht es dann freilich rückwärts geführt mit der Erarbeitung einer Biegung, einem ersten Ansprechen des inneren Hinterbeins sowie dessen Platzierung unter der Masse.
„Ist die Seitenbiegung der Wirbelsäule genügend ausgebildet, ist dadurch der Hinterfuß einzeln an stärkere Belastung gewöhnt, sind die Streckmuskeln des Halses nachgiebig gemacht und ist die rohe Kraft des Genickes beseitigt, dann gehe man zur Belastung beider Hinterbeine über. Hierbei dient der Hals als Hebel zur Übertragung der Last auf die Hinterhand. In dem Grade, wie er aufgerichtet wird, wirkt er niederdrückend und belastend auf die letztere. Es diene bei dieser Arbeit als Grundsatz, dass die stärkere Last den Hinterfüßen des Pferdes nicht aufgeddrungen werden darf, sondern dass es sich dieselbe gewissermaßen holen muss. Der Reiter soll nämlich nicht mit seinen Händen alleine die Hinterhand zu belasten versuchen, sondern durch seine vortreibenden Hilfen die Hinterfüße veranlassen, dass sie mehr unter die Gewichtsmasse treten“.
Gustav Steinbrecht
Kommen wir also zur ersten Frage von Katrin zurück:
Ist dieses Rundwerden die automatische Folge von Lastaufnahme der HH/Versammlung?
Die Formgebung der Oberlinie und damit eine für uns optisch ansprechende Rundung des Halses, eine Positionierung der Nase an der Senkrechten ergibt sich freilich immer aus der Arbeit und Platzierung der Hinterbeine sowie der Unterstützung des korrekten Rückenschwungs. Man kann sich hier freilich immer fragen – wer war zuerst da – die Henne oder das Ei. Und das Konstrukt Wirbelsäule ist nun mal um einiges älter als das Konzept der Beine. Die Wirbelsäule des Pferdesmuss also ihrer Anatomie entsprechend durch den Reiter gebogen werden. Also können sich freilich auch hier ein Haufen Fehler einschleichen, wenn wir den Hals überbiegen, wird sich das auch auf den Rumpf auswirken und damit freilich auch auf die Balance.
Balance, Tempo, Takt, Schwung – alles ist eins und keines kann für sich alleine stehen.
„Wenn ich meine Überzeugung ausgesprochen, dass ein wohlbearbeiteter Hals und Kopf das Fundament der Dressur ist, so bin ich doch entfernt, die Ansicht mancher Reiter zu teilen, die da glauben, dass wenn sie Hals und Kopf regelrecht bearbeitet haben, sie auch schon mit dem Pferde fertig sind und es dann, seinem Instinkt nach mit hohem Rücken und schleppender Hinterhand gehen lassen.“
Ernst Friedrich Seidler
Soll/Kann man Rundheit verlangen, wenn das Pferd das selber nicht anbietet?
Wenn wir unsere Pferde zu Reitpferden ausbilden wollen, ihnen eine Form geben möchten, in der sie nicht nur sich selbst sondern auch uns tragen können, dann ist ein Aufzwingen oder Verlangen weder gerecht, noch möglich. Wir können von uns eine bestimmte Haltung verlangen, aber ein Eishockeyspieler wird wohl nicht die Grazie einer Eiskunstläuferin umsetzen können, auch wenn beide auf dem Eis brillant sind.
Wie alles im Leben – es braucht Übung – und die fängt einfach beim Menschen an:
„Im allgemeinen werden bei der Bearbeitung des Halses die größten Fehler begangen. Die Steifheit desselben beim rohen Pferd fällt dem Reiter zunächst unangenehm auf, so dass der Fehler vieler leicht erklärlich ist, welche durch einseitiges Biegen und Richten dieselbe zu beseitigen suchen, ohne zu bedenken, dass der Hals seine normale und wohlbegründete Stellung erst allmählich mit der stufenweise Ausbildung der Hinterhand gewinnen kann.“
„Es kommt nicht nur darauf an, dass das Pferd den Kopf und Hals erhebt es kommt vor allem darauf an, dass diese Erhebung die Folge der eigenen Muskeltätigkeit ist. Man hüte sich aus Trägheit zu versäumen, die Aufrichtung und Beizäumung und Abbiegung solange zu vervollkommnen, bis man zu der Haltung und Stellung kommt, welche der Hals in der engsten Versammlung und Wendung erreicht und räume auf, was man auf dem Weg dorthin als Schwierigkeiten findet. Man hüte sich aber zweitens aus Eitelkeit, aus dieser Ausnahmestellung die Gebrauchsstellung machen zu wollen und nicht aufzuhören mit Verengung der Stellung, bis Lust am Gange und die Räumigkeit sich so verloren haben, dass das Tier einem Automaten gleicht, der ohne selbstständig freiwillige Tätigkeit so lange arbeitet, als eine fremde Kraft auf ihn wirkt, bis jeder Muskel den Federn eines derartigen Kunstwerkes gleicht, die nur dann wirken wenn der Stift der Walze sie trifft“.
Friedrich von Krane
Wie kommt es also nun zur Formgebung? Das bringt Waldemar Seunig nochmal auf den Punkt:
„Die Beizäumung ist eine Folgeerscheinung und das Ergebnis von Schub und Schwung, durch dies sich das losgelassene Pferd an die aushaltende Hand herankommt, sich an die Hand gestellt hat. Eine richtige Beizäumung lässt sich ohne vorher gesicherte Anlehnung nicht denken.
Zeigt das Pferd das Bestreben, der durch Herandehnen des Halses nach vorwärts an das Gebiss erreichten Anlehnung bei gleichzeitigem Verkürzen desselben nach unten auszuweichen (Aufrollen) so kommt es zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel zu einem falschen Knick. Die Gelenkflächen der beiden Wirbelkörper berühren sich nur mehr unvollständig, so dass eine Lücke in der Verbindungskette zwischen Maul und Hinterhand entsteht, in welcher die Anzüge der Hand und von der rückwärts kommenden Schub unterbrechen werden und stecken bleiben.
Selbstverständlich soll der Kopf des in der Beizäumung gehenden Pferde eine Lage annehmen, die sich der Senkrechten nähert und bei der das Maul je nach Bau und Anlagen des Pferdes ungefähr in Hüfthöhe steht, damit die Anzüge unter den günstigen Vorbedingungen das heißt unmittelbar durch die ganze Wirbelsäule über das Becken bis in die Hinterfesseln durchgehen können, ohne an irgendeiner Stelle durch Steigungen oder Knicks aufgehalten oder abgelenkt zu werden. Zu diesem Zweck muss sich das Pferd mit losgelassenem, den höchsten Punkt bildenden Genick, heran gedehntem Halse und in sicherer Anlehnung infolge treibender Einwirkung von selbst „in die Hand stellen“; eine Bezeichnung nebenbei gesagt, die Beizäumen, das immer einen Beigeschmack von aktiver Handeinwirkung hat, mit Vorteil ersetzen könnte.“
Waldemar Seunig
In die Hand stellen oder noch besser – an die Hand heran bewegen ist mit Sicherheit eine Beschreibung, die der Aktivität aus der Hinterhand mehr Bedeutung beimisst als der Formgebung durch die Reiterhand.
Pferde formen sich in der Natur wie von Zauberhand, der Wunsch des Ausbilders nach Harmonie und beiderseitiger Kommunikation nimmt zu – freilich können wir von heute auf morgen nicht ausbilden, das bedeutet nicht nur im gegenseitigen Verständnis Zeit, auch das Bindegewebe des Pferdes muss in diesem Prozess die notwendige Zeit bekommen, sich zu entwickeln.
Meint die konventionelle Reiterei mit “Rundheit” womöglich das, was wir mit Tritte verkürzen, Versammeln bzw mit dem Spiel vorwärts-aufwärts in der AR machen? Sollte ich dabei auf die Form achten?
Ein Pferd von hinten nach vorne zu reiten gelingt nur dann, wenn sich das Pferd balanciert, losgelassen und durchlässig bewegt. Der Rücken des Pferdes soll frei schwingen können. Ein Satz und so viel Essenz. Es gibt viele Gründe, warum ein Rücken nicht frei schwingen kann. Der Rücken und der lange Rückenmuskel (ein Bewegungsmuskel, kein Tragemuskel) kann nur frei schwingen, wenn das Pferd die Hinterhand adäquat unter der Masse platziert. Eine dreidimensionale Schwingung wird dann schwer sein, wenn das Pferd entweder breitbeinig mit beiden Hinterbeinen, mit einem Hinterbein oder in einer ähnlichen Variante sehr schmal tritt. Die Hand des Reiters – egal in welcher Position – ob vor dem Pferd in der Bodenarbeit, ob neben oder auf dem Pferd gibt nach, das Pferd soll zur nachgiebigen Hand hin suchen. Wenn die Hand rückwärts einwirkt, dann kommt es immer zu einer Kompression der Wirbelsäule – sehr anschaulich beschreibt das auch Udo Bürger, wenn er den Unterschied zwischen relativer und absoluter Aufrichtung erklärt:
„Die relative Aufrichtung ist dem Ausbildungsstand des Pferdes und damit der Tragfähigkeit der Hinterhand angepasst; sie ist gering bei der alten Remote und wird höher mit der fortschreitenden Hankenbiegung. Bei der relativen Aufrichtung bleibt die Funktion der gedehnten Nackenmuskeln voll erhalten, der Rücken schwingt und solche Pferde lassen den Reiter gut sitzen. Es tritt keine Verkürzung des Halses ein. Die untere Halslinie bleibt konkav, in der höchsten relativen Aufrichtung zumindest gerade. Die Stirnlinie steht ungefähr an der Senkrechten.
Die Aktive Aufrichtung ist eine selbstständige Tätigkeit der Halsmuskeln, ein aktives Heben des Kopfes mit den Nackenmuskeln. Dabei schiebt sich der ganze Hals mehr oder weniger zusammen, wird kürzer und nimmt die Form eines S an; die Halswirbelsäule steht fast senkrecht, und die untere Halswlinie wölbt sich konvex wie beim Hirschhals vor. Durch die Ganaschenbiegung kann diese unnatürliche Haltung nicht ausgeglichen werden, deshalb bleib die Stirnlinie vor der Senkrechten. Die funktionelle Verbindung der Nackenmuskeln mit dem Rücken ist bei dieser Halsstellung gestört. Im Trabe wird der Reiter aus dem Sattel geworfen.
Die erzwungene aktive Aufrichtung – wir sollten es besser gewaltsames Hochnehmen des Kopfes nennen, nimmt dem Pferd genauso die Kraft und den Antrieb, wie übertriebenes Abbögen des Halses zur Seite. Man kann damit den Rücken so energisch durchbiegen, dass man das Pferd am Stürmen hindert.“
Udo Bürger
Um auf die Frage zurück zu kehren: Ja, im Prinzip ist jede Arbeit, die wir an den Hinterbeinen beginnen auf das Ziel einer Formgebung der Wirbelsäule zurück zu führen – ebenso soll das Spiel zwischen einer Dehnungshaltung und Aufrichtung, das Erarbeiten eines Verständnis für Paraden dazu führen, dass sich die Form dem Ausbildungsstand entsprechend anpasst.
„Man vergesse nur nie, dass das Geheimnis der Genickarbeit wie der ganzen Reitkunst in der Herrschaft über die treibenden Reiterhilfe, vorab der Sitzhilfen nicht aber in der Tätigkeit der Hände ruht. Vom Standpunkt des Reiters gibt es vom ersten Tage an nur eine einzige Hilfe, das Vor und Untertreiben der Hinterhand des Pferdes in und unter das belastende eigene Gewicht. Sie allein erzeugt als causa movens im Pferde als Folgeerscheinung alles das, was man mit der Bearbeitung des Halses und Genicks zu benennen sich angewöhnt hat.“
Otto de la Croix
Kann es schädlich sein, so an der Form des Halses zu arbeiten (ich meine höchstens senkrecht, nicht Rollkur, aber der Motor ist doch hinten…)?
„Wir müssen die Haltung genau so wie die Führung von hinten nach vorne aufbauen, Kopf und Hals sind das letzte, was sich aus der Form aus einem Fuß anpasst. Diese Haltung kann man vom Pferd erst verlangen, wenn alle Schlaffheit überwunden ist, die Muskeln so gestählt sind, dass es sich auch wirklich tragen kann. Haltung hat auch etwas mit Halt zu tun. Nur ein muskulärer Körper hat Halt in sich, hat innere Festigkeit. Es ist alles ganz genau so wie beim Menschen, wie es besonders beim Reiter sein sollte. Die Haltung kann deshalb niemals etwas Primäres sein, was man für sich alleine formen kann, sondern etwas Sekundäres, was sich im Laufe der Ausbildung folgerichtig von selbst entwickelt. Die Zügelwirkung muss bis dahin unabhängig von der Halshaltung sein, dann kann das Pferd jeweils die Halsform zur Schau tragen, die seiner Versammlung und seiner inneren Balance entspricht. Und wenn es schließlich ganz unabhängig von den Zügeln wird und seine Impulse nur noch aus dem Sitz des Reiters empfängt, dann kommt es zur Selbsthaltung, dem Traum aller Reiter. Die Haltung ist also nicht eine vom Körper unabhängige Beugung des Halses, wie sie Laien gern erstreben. Sie wird bestimmt von der Form und den Bewegungen des Rückens, von der Bewegung der Vorhand, von der Beugung und dem ungehemmten Vortritt der Hinterhand, sie wird bestimmt vom Schwung. Die Haltung ist zweckbestimmt und notwendig für das Tragen des Reitergewichts und für die Durchlässigkeit. Deshalb muss sie dem Gebäude des Pferdes, dem Grad seiner Ausbildung und dem Gebrauchszweck angepasst sein.“
Udo Bürger
Wenn wir den Hals unsachgemäss und den Rücken in eine Form pressen, dann wird sich das freilich nie positiv auf das Pferd auswirken. Die Frage muss sein – wo fängt die Arbeit an der Form an? Wenn ich die Nase an die Senkrechte durch ein Schließen der Hand festige, habe ich vielleicht optisch einen Erfolg, allerdings arbeite ich dann wieder ein Körperteil für sich alleine, andererseits geht es ja auch darum, die Form des Halses über die Biegung des gesamten Körpers und die Platzierung der Hinterbeine, die dann auch entsprechend Kraft an die Wirbelsäule übertragen können zu entwickeln. Also insofern arbeitet man an der Formgebung des Halses – jedoch gelingt dies eben nicht durch die Arbeit am Hals für sich alleine.
Und wozu dient die Kandare, wenn es nicht beizäumen soll?
Dazu schreibt Waldemar Seunig:
„Bekanntlich wirkt die Stange als Hebel, der die Last (das geradegerichtete im erworbenen Gleichgewicht befindliche Pferd) vom Angriffspunkt seiner Kraft und Sprunggelenke bis zu den Fesselgelenken beherrschen soll. Ein reines Fortpflanzen der Kraft bis zu den Hufspitzen der Hinterbeine, also die ungehemmte Hebelwirkung kann aber nur dann erfolgen, wenn Durchlässigkeit vorhanden, das heißt die Leitung nicht unterbrochen ist, somit die Kraft nirgends, weder nach vor, auf, ab oder seitwärts entweichen noch irgendwo stecken bleiben kann.
Damit die erste Bedingung erfüllt sei, muss das Pferd an den Zügel herausgestreckt und geradegerichtet, also seine Wirbelsäule der geraden oder gebogenen Linie, die es eben betrifft, angepasst und es überdies jederzeit bereit sein, den erforderlichen zusätzlichen Grad reiner Längsbiegung, der zur Versammlung und Galopparbeit sowie den Seitengängen notwendig ist, anzunehmen.“
Waldemar Seunig
Nicht umsonst schreibt Seunig hier von der Kandarenreife. Udo Bürger schreibt hier auch sehr schön, dass das Pferd nicht gegen die formenden Hilfen einen Widerstand leisten kann und Haltung annimmt, wenn wir als Ausbilder nicht versuchen gegen die Abschubphase der Hinterbeine zu wirken. Dies ist auch ein Grund, warum sich viele Ausbilder heute für eine gebisslose Grundausbildung am Kappzaum entscheiden, weil wir hier freilich keine beizäumende Wirkung erzielen können. Das Ziel ist dem Pferd beizubringen mit dem inneren Hinterbein zum Schwerpunkt zu greifen, sich mit dem inneren und äußeren Hinterbein zu tragen und diese Tätigkeit an den Rücken weiter zu geben. Mit dem Kappzaum nehmen wir Einfluss auf den Schädel, wir können also sehr genau und präzise die Stellung, die sich dann weiter in die Biegung der Wirbelsäule fortpflanzt kommunizieren. Die Kandare wirkt über die Hebelwirkung der Kinnkette auf den Schädel ein, bei zu hoher Aufrichtung KANN eine Kandare korrigierend wirken und wieder zum anschließenden Suchen zur nachgiebigen Reiterhand einladen. Die Frage stellt sich hier streng gesehen an den Nutzer – wie viel Kompetenz kann ich mir schon selbst zuschreiben, dass ich hier ein Korrektiv und keinen Auslöser für eine Haltung sehe?
Spannend hier auch freilich die persönliche Ambition – schnelles Ergebnis oder vielleicht etwas längere Arbeit, dafür aber ein Ergebnis, ohne „aufgerüstet“ zu haben.
Anna, deine Erklärung hat genau beantwortet, was ich mich gerade gefragt habe – vielen Dank!