Rückschritt bedeutet nicht unbedingt Stillstand. Vielleicht ist der Rückschritt sogar ein Fortschritt. Oder anders gesehen ist der Rückschritt 1 Schritt nach vorn und 2 zurück
„Und wenn ich glaub meine Beine sind zu schwer, dann geh ich nochmal tausend Schritte mehr!
Auch wenn wir schon weit gekommen sind, wir gehen immer weiter hoch hinaus….
Manchmal löst ein Abgrund in mir Angst aus, doch ich geh nicht zurück, ich nehm nur Anlauf! …“
Songtexte aus dem Lied von Tim Bendzko
Dieses Lied von Tim Bendzko hat mir meine liebe Kollegin Julia Kiegerl ins Ohr gesetzt und es passt hervorragend zu meinem heutigen Blogartikel: 1 Schritt nach vorn und 2 zurück! Oder besser gesagt: Anlauf nehmen um weiter zu kommen.
Den Rückschritt erleben: Wer kennt es nicht?
Alles läuft super mit dem Pferd und man schwebt auf Wolke 7 und plötzlich, von einem Tag auf den anderen beginnt eine Phase, wo nichts mehr klappt und man das Gefühl hat von vorne starten zu müssen. Wenn es plötzlich einen oder sogar zwei Schritte zurück geht, kann das schon mal frustrierend sein und die Motivation in den Keller sinken lassen.
Natürlich bin auch ich mit solchen Phasen konfrontiert. Sowohl als Trainer als auch mit meinem eigenen Pferd.
Kürzlich hatte ich erst ein Gespräch mit einer lieben Schülerin. Sie erzählte, dass es in letzter Zeit nicht so gut läuft. Ihr Pferd ist wieder vermehrt gestresst und angespannt bei der Arbeit, obwohl es schon so entspannt war und gerne mitgearbeitet hat. Sie kann sich nicht erklären, was sich plötzlich geändert haben kann. Sie ist verzweifelt und merkt, wie sie bei der Arbeit immer mehr verkrampft und dann gar nichts mehr geht.
Im Laufe des Gesprächs kommen wir aber darauf, dass eigentlich nicht alles schlecht läuft. Die Übergänge an sich zum Beispiel haben sich deutlich verbessert, jedoch ist das Pferd danach eher unruhig und aufgeregt. Das heißt, nur weil eine Sache nicht perfekt läuft, bedeutet das nicht, dass man von vorne beginnen muss, weil das Pferd sich an nichts mehr erinnern kann.
Das bereits erlernte geht nicht verloren, sondern muss eventuell nur besser ausformuliert und ausgearbeitet werden, bevor man einen Schritt weitergehen kann. Vielleicht hat man für den Moment einfach zu viel erwartet, was das Pferd stresst.
Es ist schwer in unsere Pferde hinein zu schauen. Sie können uns ja leider nicht erzählen was gerade los ist.
Vielleicht wurden sie von einem Kollegen blöd von der Seite angemacht oder haben schlecht geschlafen. Wer sagt, dass ein Pferd nicht auch mal Kopfweh haben kann oder eine Zeit lang schlechte Laune hat? Oder vielleicht liegt es auch an uns? Setzen wir zu viel voraus, beziehungsweise haben wir eine zu hohe Erwartungshaltung?
Wenn wir etwas unbedingt wiederholen wollen, was am Vortag einwandfrei geklappt hat, dann kommen wir mit einer enormen Erwartungshaltung in den Stall, die vielleicht zu diesem Zeitpunkt gar nicht zu der Stimmung unseres Pferdes passt und wir dies aber vor lauter Motivation übersehen.
Während der Arbeit werden wir aber merken, dass unser Plan vielleicht nicht der beste war und schließen die Einheit eher frustriert ab. Die Frustration, die wir unser Pferd spüren lassen, wird sich dann auch durch die nächsten gemeinsamen Einheiten ziehen, wenn wir nicht rechtzeitig merken, dass wir vielleicht einen Schritt zurück müssen.
Egal wieso und weshalb es gerade nicht so läuft, das wichtigste ist, damit umgehen zu können.
Der Rückschritt – ein schlechtes Zeichen?
Wenn wir einen Rückschritt erleben, ist das noch lange kein schlechtes Zeichen oder ein Grund sich Sorgen zu machen. Es ist vielmehr der Beweis, dass man sein Gefühl und Auge bereits besser geschult hat, wenn man diese Zeichen erkennt und es zeugt von besonders großer Stärke, wenn man sich eingesteht unterwegs etwas verloren oder übersehen zu haben oder eventuell zu schnell vorangeschritten zu sein.
Man kann den Rückschritt auch als „Anlauf nehmen“ sehen, um wieder voll durchzustarten.
Am Anfang der Ausbildung erarbeiten wir viele Inhalte recht grobmotorisch, daher haben wir das Gefühl, dass es schnell voran geht. Wenn die erste Hilfengebung erarbeitet ist, geht es an das Feintuning und die Detailarbeit. Für viele ist die Detailarbeit ein großer Spaß für andere ist es eher schwer, sich so genau zu konzentrieren. Dies gilt sowohl für den Menschen als auch für das Pferd.
Überspringen wir jedoch ein paar Schritte, weil die Geduld nicht ausreicht, sei es von Pferd oder Mensch, dann werden uns diese Schritte in einer späteren Phase der Ausbildung wieder einholen und daran ist auch nichts verkehrt, denn vielleicht lassen sie sich dann leichter erarbeiten als zuvor.
Ausbildung nach Schema F, um dem Rückschritt zu begegnen?
In der Ausbildung nach der Akademischen Reitkunst gibt es kein Schema F, wo jeder Schritt für jedes Pferd-Menschpaar gleichläuft.
Es gibt jedoch einen Leitfaden, an dem man sich orientieren kann, aber es geht vielmehr darum den richtigen und gemeinsamen Weg zu finden, wo beide glücklich und motiviert sind.
Daher ist es auch nicht immer sinnvoll sich mit anderen zu vergleichen. Natürlich ist es schön und vor allem wichtig Vorbilder, Träume und Ziele zu haben, jedoch darf man nicht sagen:
„Die arbeiten erst viel kürzer als wir und sind schon so viel weiter!“
häufiges Zitat von Reiterin im Gespräch mit dem Trainer
Denn wie weit man zu einem gewissen Zeitpunkt ist, hängt ganz alleine vom Lernverhalten des Menschen und des Pferdes ab und schließlich arbeiten wir ja für unser Pferd und uns und nicht für die Zeit beziehungsweise gegen die Zeit.
Das eine Pferd braucht besonders viele verschiedene Aufgaben, um nicht gelangweilt zu sein. Ein anderes Pferd wäre damit aber weit überfordert, denn zu viele Aufgaben auf einmal bereiten Stress.
Der Rückschritt: Im Unterricht klappt es – alleine aber nicht
Oft ist es der Fall, dass es im Unterricht mit dem Trainer einwandfrei klappt und man auch wirklich das Gefühl hat, es genau verstanden zu haben und zu wissen, was in den nächsten Trainingseinheiten zu tun ist. Auch nach dem Unterricht lässt es sich noch ein paar Mal wiederholen und dann plötzlich hat man das Gefühl, dass man nichts mehr richtig macht.
Das Pferd wird spannig, der eigene Körper auch und man reitet vom einen ins andere Problem.
Je länger der Unterricht her ist, desto mehr Information geht verloren, denn man kann sich natürlich nicht jedes kleine Detail merken, was der Trainer in den vielen kleinen Momenten gesagt hat. Trotzdem macht es wenig Sinn, nur mit dem Trainer gemeinsam zu arbeiten, um bloß nichts falsch zu machen oder solche Situationen zu vermeiden, denn man möchte doch auch selbstständig mit dem Pferd arbeiten können und nicht nur unter Anleitung und dafür sind diese Lernphasen besonders wichtig.
Daher hilft es oft sehr, wenn man die Unterrichtseinheiten und die Trainingseinheiten filmt, um sie gegenüber zu stellen und dadurch zu erkennen, wo man etwas vergessen oder eventuell zu viel verlangt hat.
Es ist allgemein sinnvoll, sich immer wieder selbst bei der Arbeit mit dem Pferd zu sehen, egal ob vom Boden oder vom Sattel aus. Man erkennt sehr schnell, die Kleinigkeiten, auf die man auch vom Trainer hingewiesen wird und lernt sie dadurch aber eher wahr zu nehmen.
Ich hatte auch schon Schüler, die mir erzählt haben, dass sie mir erst glauben konnten als sie es selbst gesehen haben, denn angefühlt hat es sich einfach ganz anders.
Der Rückschritt, odergehe ich alleine Schritte zurück?
Natürlich nicht! Jeder Mensch muss mal wieder Anlauf nehmen, um neu durchzustarten. Egal ob im Job, der Familie oder mit dem Pferd.
Auch mir geht es nach Kursen oder Unterricht so. Es läuft eine Zeit lang einwandfrei und plötzlich möchte es nicht mehr so funktionieren. Ich habe mir angewöhnt, meine Unterrichtseinheiten filmen zu lassen und oft reichen mir die ersten 5 Minuten des Videos und ich weiß wo mein Fehler begraben ist.
Ich finde es auch immer wieder besonders spannend, wenn sich zum Beispiel bei einem Kurs, den ich besuche, die Theorie zum letzten Mal sehr ähnlich ist, doch jedes Mal erkenne ich für mich neue Details, die zum jetzigen Zeitpunkt gerade wichtig für mich und mein Pferd sind und bin glücklich die Chance zu haben, das bereits gehörte ein weiteres Mal zu hören.
Bin ich immer schuld daran, wenn ein Rückschritt passiert?
Wenn man mal einen Rückschritt erlebt, soll das nicht in einer Schuldzuweisung enden.
Manchmal spielt einfach nicht alles so mit, wie man es gerne möchte.
Auch Verletzungen bzw. gesundheitliche Diagnosen können dazu führen, den Trainingsplan nochmal umzuwerfen und eventuell sogar von 0 anzufangen. Oder wenn sich im Alltag des Pferdes etwas ändert, wie zum Beispiel eine Veränderung in der Herde oder generell ein Umzug, dann ist man oft gezwungen, ein paar Schritte zurück zu gehen und an den Dingen zu arbeiten, die schon zur Routine geworden sind, um dem Pferd Sicherheit zu geben.
All das bereits gelernte, geht dadurch bestimmt nicht verloren, sondern wird für beide noch logischer und einfacher, wenn man die Basis davor gut ausarbeitet.
Bent sagt immer:
„Basis ist nur Basis, wenn es für irgendetwas Basis ist!“
Bent Branderup
Und damit hat er vollkommen recht. Denn ohne die Basis wäre es nicht möglich dem Pferd zu erklären, was es in weiterer Folge zu tun hat, wenn man neue Dinge hinzufügt.
So bringt es nichts, die Basis beiseite zu lassen, denn irgendwann holt einen auch diese ein und möchte genau ausgearbeitet werden, was eventuell bedeutet nicht nur einen oder 2 Schritte zurück zu machen, sondern weit mehr.
Rückschritte, oder lehrreiche Erfahrungen
Für Amira und mich ist die Versammlung ein großes und langwieriges Thema. Immer wieder feiern wir Erfolge und bewegen uns auf Wolke 7, bis wir merken, dass wir unterwegs etwas verloren haben.
Meisten geht der Schwung auf Kosten der Versammlung verloren, was bedeutet: Immer wieder zurück zur Basis und am Schwung, Takt und Losgelassenheit arbeiten.
Dies bedeutet für uns aber nicht, dass wir schlecht gearbeitet haben, sondern dass wir nach und nach alle Puzzleteile zusammenführen, damit ein Bild entstehen kann. Fällt mal ein Puzzleteil hinunter, dann müssen wir uns auf die Suche machen, denn ohne alle Teile kann kein Bild entstehen und das ist auch gut so.
Wenn man einen Rückschritt erlebt, sollte man dies nie als negativ sehen, sondern viel eher als Chance sein Wissen zu erweitern und immer mehr zu lernen.
Auch hier gibt es ein schönes Zitat von Bent:
„Ein Leben reicht nicht aus, um reiten zu lernen!“
Bent Branderup
Verzagen wir nicht und sehen jeden Schritt, den wir tun als Chance, dann reiten wir einfach!
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