Rückwärts ist das neue Vorwärts. Zumindest wenn es um die Akademische Bodenarbeit geht. Für Neulinge oft ein seltsamer Anblick, wenn wir im Viereck rückwärts vor dem Pferd herlaufen. Nicht nur ein seltsamer Anblick, auch das Rückwärtslaufen ist für die meisten Menschen nach wenigen Minuten äußerst schweißtreibend.
Studien belegen dem Rückwärtslaufen aber einen großen Benefit für die Bewegungsqualität und Gesundheit des Menschen.
Rückwärtslaufen beansprucht die Gelenke weniger als Vorwärts zu laufen. Außerdem: Rückwärts unterwegs zu sein bedeutet einen höheren Sauerstoff- und Kalorienverbrauch. Somit lassen sich beim Rückwärtslaufen Herz und Kreislauf effizienter trainieren als beim Vorwärtslaufen.
Wer sich rückwärts bewegt, bewegt und belastet seinen Körper völlig anders, als in der Vorwärtsbewegung. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die menschliche Hüfte und Wirbelsäule, sowie die Muskulatur. Die Hüfte wird gekräftigt, das kommt natürlich auch der Stärkung der Wirbelsäule zu Gute.
Gerade Menschen, die viel im Büro sitzen (und das ist natürlich ein Großteil) leiden unter einer schwachen Rückenmuskulatur, sowie schwacher Hüfte. Ein wenig Rückwärts kann blockierte, oder verschobene Beckenschaufeln wieder frei legen. Einige Sportler schwören auf Rückwärts, vor allem mit steigendem Tempo sollen hier die Effekte umso größer werden.
Waden und Oberschenkelmuskulatur werden beim Rückwärtslaufen ebenso gestärkt. Die meisten Menschen, die das Vorwärts in Rückwärts umwandeln berichten von Muskelkater.
Was Rückwärts noch bringt? Auch die Arme werden gekräftigt und natürlich schulen wir unsere Balance und Körpergefühl.
Spitzensportler, vor allem Läufer nehmen die Rückwärtsbewegung in das Training dazu. Einerseits wird man durch das Rückwärtslaufen im Vorwärts schneller, andererseits dient das Rückwärts den Sportlern zum Koordinationstraining.
Wie sieht es aber mit dem rückwärts richten aus? Welchen Benefit haben denn unsere Vierbeiner?
Was ist Rückwärtsrichten eigentlich?
Beim Rückwärtsrichten bewegt sich das Pferd rückwärts, anstelle der Bewegung des Viertakts im Schritt bewegt sich das Pferd in einer diagonalen Bewegung rückwärts. Das diagonale Beinpaar rechts vorne und links hinten bewegen sich also beispielsweise gleichzeitig. Eine entsprechende Qualität im Rückwärtsrichten ist nur dann gegeben, wenn das Pferd die Beine vom Boden hebt und zurücksetzt, die Beine allerdings nicht am Boden schleifen lässt und Spuren im Sand hinterlässt.
Rückwärts wird heute in Prüfungen zur Überprüfungen von Gehorsam und Durchlässigkeit verlangt, die Schaukel, bei der das Pferd 6 Schritte vorwärts und 6 Schritte rückwärts geritten wird stellt in den Grand Prix Prüfungen den Prüfstein für den Bewegungsablauf und Durchlässigkeit.
Alois Podhajsky bemerkt in seinem Werk „Die klassische Reitkunst“ zum Rückwärtsrichten:
„Da das richtige Rückwärtstreten eine starke Hankenbiegung erfordert, sollen nie zu lange ausgedehnt werden. Beim Lehren der Übung wird der Ausbilder schon damit zufrieden sein, dass das Pferd, dem Zügelanzug folgend, ein bis zwei Tritte zurück geht. Zum Rückwärtsreten wird das korrekt auf allen vier Beinen stehende Pferd mit beiden Schenkeln an der Gurte zum Anreiten in den Schritt aufgefordert, wobei die Zügel nur mäßig nachgeben. Sobald es aber im Begriff ist die Bewegung anzutreten, wird es auf Grund der vermehrten Zügelanzüge die Beine nach hinten am Boden aufsetzen. Der Schenkeldruck lässt zwar in diesem Moment nach, hört aber nicht auf weil er nicht nur die Versammlung aufrecht zu erhalten hat, sondern auch sofort vermehrt werden muss, sobald das Pferd anfängt zurückzukriechen, anstatt zu treten.“
Waldemar Seunig beschreibt in „Von der Koppel zur Kapriole“ die Hilfen zum Rückwärtsrichten folgendermaßen:
„Zum Rückwärtsrichten gibt der Reiter dem in versammelter Haltung am Zügel stehenden Pferd dieselben Gewichts- und Schenkelhilfen wie zum Antreten der Bewegung nach vorwärts, die Zügel aber wirken in dem Augenblick, als sich ein Hinterbein erhebt, soweit verhaltend, dass dieses und das diagonale Vorderbein nach rückwärts statt nach vorwärts gesetzt werden. In diesem Moment muss der Anzug sofort leichter werden. Dies wiederholt sich so oft, wie die vom Reiter vorher bestimmte Trittzahl beträgt. Vermehrte Kreuzeinwirkung muss je nach dem Grade des Nachgeben der Hand sofortiges Halten oder durch kein Nebeneinandersetzen der Beine unterbrochenen flüssiges Vorwärtsgehen zur Folge haben. Der Oberkörper des Reiters soll dabei ohne Schwierigkeiten eine senkrechte Lage behalten können. Es darf nicht den Anschein haben, als ob die zurückgezerrte Vorhand die Hinterhand zurückschöbe. Bei richtiger Beugung der Hinterhand nimmt diese durch die Mitarbeit von Rücken- und Halsmuskeln die Vorhand nach rückwärts mit.“
Weiters betont Seunig, dass auch im rückwärts die Vorwärtstendenz sichtbar sein muss. Der Beobachter müsse das Gefühl haben, das Pferd laufe sogar im Rückwärts vorwärts.
„Bei einem Pferde, das gerade diese nach rückwärts gerichtete Bewegung in der beschriebenen korrekten Haltung und Form ausführt, können wir mit vollster Berechtigung sagen, es sei gut nach vorwärts geritten, denn just die Art und Weise, wie es an den Hilfen rückwärts tritt, gibt uns die weitgehendsten Aufschlüsse über den Grad seines „Nachvorwärtsgerittenseins“.
Fehlerquellen
Rückwärts braucht also eine Vorwärtstendenz. Dennoch sieht man oft unschöne Bilder von zuviel Zügelzug, weggedrückte Rücken und schleifende Beine, die eine tiefe Spur in den Sandboden ziehen. Das komplette Gegenteil bedeutet Rückwärts – aber zu schnell. Keine gesunde Sache für den Pferdekörper, schließlich kann sich das Pferd durch die zu rasche und starke Beugung im Iliosakralgelenk verletzen, auch Zerrungen an der Psoasmuskulatur sind möglich.
Korrektes Rückwärts ist aber nicht nur ein Prüfstein für Gehorsam und Durchlässigkeit. Gerne wird Rückwärtsrichten auch verwendet, auch in Kombination mit Antraben um die Hankenbeugung zu verbessern.
Rückwärts versus Schulhalt
In der Schulparade schulen wir die Biegsamkeit der Hanken, die Durchlässigkeit, wir empfangen eine Mitteilung vom Pferd in unserer Hand – umgekehrt spüren wir Widerstände im Pferdekörper auf.
Mehr zur Schulparade gibt es unter folgendem Link
Die Schulparade per se ist sicherlich keine Zirksulektion – darüber spricht auch der oben angefügte Artikel. Erst neulich beim Kurs mit Christofer Dahlgren wurde erneut am Unterschied zwischen Schulparade und Rückwärtsrichten gearbeitet. Unsere Pferde haben verstanden auf unseren Sitz zu hören. Verschieben wir die Balance etwas mehr in Richtung Hinterhand, bringen wir das Pferd etwas mehr auf die Hanken und erlauben dann den Hinterbeinen zu folgen – dann haben wir ein korrektes Rückwärts. Im Schulhalt oder in der Levante reiten wir die Hinterbeine vorwärts und geben dem Pferd eine Mittelung über den Sitz die Hanken im Stand vermehrt zu beugen.
Das Pferd sollte die Hilfen für Schulhalt und Rückwärtsrichten gut unterscheiden. Die oben angegeben Zitate von Podhajsky und Seunig gehen allerdings vom bereits gerittenen Pferd aus.
In der Bodenarbeit, Longen- und Handarbeit lernt das Pferd erstmals auf die Körpersprache des Pferdes zu reagieren, sowie ein erstes Verständnis für die Arbeit mit den Paraden.
Gehen wir quasi von der Grundschule – der Arbeit vom Boden aus in den Sattel über, wird dem Reiter ein Helfer zur Seite stehen – nun werden die Hilfen von Bodenpersonal und aus dem Sattel gemeinsam durchgeführt. Somit verhindern wir beim Rückwärtstreten ein Zerren an den Zügeln – auch hier ist die Verfeinerung der Sekundarhilfen, sowie das Verständnis für die Schwerpunktverlagerung beim Pferd zuerst durch sanfte Unterstützung von unten zu fördern, ehe der Reiter alleine die Hilfen abfragen kann.
So lassen sich auch unschöne Bilder, wie Gezerre und zu weites nach-hinten-lehnen vermeiden.
Man könnte nun fragen: Reicht die Schulung der Parade nicht aus, um das Pferd in Punkto Hankenbiegung auszubilden? Ja, vielleicht, allerdings bin ich persönlich mit meinen Pferden nicht nur im „Sandkasten“ unterwegs. Es kann schon vorkommen, dass man mal im Gelände kurz rückwärts muss, sei es vom Sattel wie vom Boden aus. Und hier möchte ich ein vielseitig, geschultes Pferd, dass seine Kenntnisse in der Praxis unweit eines Vierecks ebenso einsetzen kann.
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