Was war nochmal Thema der letzten Reitstunde? Worauf soll ich in der Bodenarbeit achten? Und woran soll ich überhaupt üben? Selbstständigkeit ist eine schwierige Sache, auch wenn wir uns in der Reitkunst Schritt für Schritt vortasten. Heute eine Anleitung wie es ohne Trainer super klappt.
Selbst und ständig, das ist mein tägliches Leben. Ich unterrichte mobil, gebe Kurse und treffe viele Menschen in Europa, die eines mit mir gemeinsam haben: Die Leidenschaft für Pferde. Manche Schüler sehe ich wöchentlich, dann sogar mehrmals, manche Schüler monatlich oder sogar noch seltener. Trotzdem kommen alle voran – denn schließlich wünsche ich mir eines ganz besonders: Dass sie unabhängig werden von mir.
Wie ich selbstständig wurde
Wie ich unternehmerisch selbstständig wurde ist eine Sache – reiterlich gesehen wurde ich es schon sehr früh. Dies hat zwei Gründe: Einerseits musste ich zwangsläufig immer wieder ohne Trainer auskommen, andererseits hat mir das selbstständige Üben und Tüfteln rund um das Geigenspiel sicherlich auch eine Menge geholfen. Ich würde mich aber generell eher als Tüftler und Grübler bezeichnen, der seine Gedanken gerne ausprobiert.
Und machmal war ich dazu einfach gezwungen – wenn sich Trainer und Wegbegleiter beruflich wie privat verändern, wenn man einfach einen gemeinsamen Weg nicht mehr weiter verfolgen kann.
Ich habe also sehr selbstständig mit meinen Pferden gearbeitet. Dabei habe ich mir meistens schon vorab Notizen gemacht: Was war gerade das bestimmende Thema in der Ausbildung. Welche Schwierigkeiten konnte ich sowohl bei mir als auch dem Pferd orten? Auf welchen Stärken konnte ich aufbauen? Je tiefer die Analyse, umso größer die Erkenntnis.
Schreib`s auf
Schon beim Verfassen der Notizen, beim Formulieren klarer Ziele habe ich eine Menge über mich und meine Pferde erfahren. Selbstverständlich habe ich am Tag nach der letzten Trainingseinheiten nochmal die Vorab-Notizen überprüft und mit dem Gefühl, das ich einen Tag nach der Trainingseinheit hatte abgeglichen. Wo waren meine Gedanken und Taten vom vorweg formulierten Ziel abgesprungen, wo war ich kreativ, was hat mein Pferd vielleicht plötzlich aus dem Ärmel geschüttelt. Was fällt mir, was fällt meinem Pferd besonders schwer. Wie kann ich diese Schwierigkeit in einzelne Schritte, auf ein Minimum zerlegen und dann Puzzleteil für Puzzleteil wieder zusammen setzen?
Diese Vorgehensweise unterstreicht einfach nur, welcher Lerntyp ich bin. Ich würde mich primär zu den auditiven Lerntypen zählen. Eine Zusammenfassung über sämtliche Lerntypen gibt es hier:
Wenn ich bei Bent Branderup Kurse besuche oder mich bei Trainerkollegen fortbilde frage ich bei Unklarheiten nach und wiederhole die Frage plus Antwort, um sicher zu gehen, dass ich die Hinweise und Tipps korrekt verstanden habe. Auch die Wiederholung und laute Formulierung helfen mir dabei, im Eifer des Gefechts nichts zu vergessen.
Ich bin somit auch dankbar, wenn meine Schüler über die verschiedenen Lerntypen bescheid wissen und mir auch Feedback geben, wie sie am besten lernen. Soll ich ihnen eine Skizze zeichnen, etwas niederschreiben? Einige Schüler nutzen auch die Möglichkeit ihre Stunde zusammen zu fassen und mir zu mailen. Auch wenn eine Kleinigkeit vergessen wird, die Vertiefung der Stunde durch das gezielte Formulieren und gedankliche Wiederholen ist sehr hilfreich. Und was dann fehlt, das ergänze ich durch Stichworte gerne.
Ich bespreche am Ende einer Stunde sowohl den Inhalt der vergangenen Unterrichtseinheit, als auch die zu wiederholenden Inhalte – sprich – die Hausübung. So gehe ich sicher, dass das Warum und Wieso der kommenden Schritte eindeutig ist.
Ich habe leider nichts geübt….
Sicher. Manchmal spielt uns das Leben, der Alltag einen Streich und wir kommen wirklich nicht ausreichend dazu zu üben. Wenn aber der Alltagsstress nicht als Ursache festgemacht werden kann – was war dann das Hindernis?
Möglichkeit 1: Ich weiß gar nicht, was ich üben sollte
Zwischen den Trainingseinheiten empfiehlt es sich Bausteine aus der letzten Trainingsstunde zu wiederholen. Das muss nicht die Stunde als Ganzes sein, das können wirklich auch Einzelbereiche sein, bis man das Gefühl hat: Das sitzt, das habe ich gut verstanden. Ich könnte diesen Inhalt auch jederzeit einem Kollegen aus dem Stall erklären.
Wenn man sich wirklich nicht sicher ist, was man üben soll, dann hilft ebenso die Reflexion über die letzte Trainingseinheit. Was war hier der Schwerpunkt? Welche Übungen wurden durchgenommen und welcher Zweck liegt möglicherweise dahinter? Warum üben wir eigentlich beispielsweise das Schulterherein?
Möglichkeit 2: Ich habe die letzte Trainingseinheit vergessen
Daher die Empfehlung, die Ergebnisse und Erlebnisse, alles Gefühlte und auch Nicht-Gefühlte aus der letzen Einheit mit dem Trainer zu notieren und somit auch unmittelbar nach der Einheit zu wiederholen. Manche Schüler zeichnen ihre Stunden auch per Video auf. Dann kann man immer wieder mal nachsehen. Ich selbst halte auch meine Unterrichtseinheiten auf Kursen fest und bin dann immer wieder überrascht, wie viele Hinweise mir nicht unmittelbar und sofort im Gedächtnis geblieben sind.
Möglichkeit 3: Ich habe zu weit gesteckte Ziele
Egal ob das nun die Reitkunst oder andere Ziele im Leben betrifft. Groß denken ist gut. Es entfacht unsere Fantasie und Begeisterung. Aber je kleiner die Zwischenziele umso erreichbarer und messbarer sind diese. Ein Beispiel: Der Traum vom Weiterkommen. Sehr oft glauben Reiter, nichts ginge weiter. Die Ziele sind aber sehr unklar definiert, obwohl das Pferd beispielsweise deutlich vertrauensvoller und gelassener oder die Verbindung eine weitaus feinere wurde haben sie das Gefühl, nichts ginge weiter. Ein großes noch undefiniertes Ziel liegt vor ihnen – oder wie Bent Branderup in seinen Kursen so schön sagt:
„Die meisten Reiter wissen nicht was sie wollen, aber sie wollen es jetzt“.
Wer sich kleine Ziele vornimmt und – Achtung – Wiederholung – diese deutlich ausformuliert kann auch öfter einen Etappensieg feiern. Das sorgt für Freude und macht dem Frust den Garaus.
Möglichkeit 4: Ich will gar nicht selbstständig werden
Ich sag es jetzt leider ganz unbequem deutlich: Manchmal muss man seinen inneren Schweinehund aber überwinden. Natürlich ist es bequem eine genaue Anleitung zu bekommen. Natürlich ist es einfacher, nicht über jeden Schritt nachdenken zu müssen. Wer den inneren Schweinehund überwindet hat aber wesentlich mehr vom Leben. Zieht sich überall durch. Nicht nur in der Reiterei.
Selbstständigkeits-Meister
Sie erstaunen mich immer wieder. Die Rede ist von jenen Kursteilnehmern, die mir meist sehr vorsichtig und schüchtern erzählen, sie haben mal versucht aus diversen Lehrvideos oder nur vom Zuschauen von Kursen gelernt. Ich staune dann oft nicht schlecht, wie gut sie die Körpersprache und die verschiedenen Hilfen in der Bodenarbeit übernehmen konnten. Ich staune nicht schlecht, wenn sie sehr genau beschreiben können, was sie unter sich im Pferdekörper fühlen. Ja, wenn der passende Lerntyp und eine gehörige Portion Begeisterung fürs Tüfteln und Ausprobieren aufeinander treffen, dann kann man sogar sehr viel aus dem Internet oder aus Büchern lernen, ohne von Beginn an den direkten Unterricht mit dem Trainer zu nutzen. So etwas ist tatsächlich möglich.
Technik und Gefühl
Die Technik ist eine Sache, die man aus Büchern, Videos, Lernplattformen oder eben im direkten Kontakt mit einem Trainer lernen kann – das Gefühl muss man wirklich beim Üben entwickeln. Und wer sich fragt, ob denn nur die talentierten Meister vom Himmel fallen? Nein, die mit „Sitzfleisch“ und Ausdauer – gemünzt auf die vielen Wiederholungen beim Lernen. Einen Podcast dazu gibt es hier
Und jetzt – wie gehe ich es an?
Mein persönlicher Tipp: Am Anfang steht ein Ziel und eine Bestandsaufnahme. Wie sieht der aktuelle Ausgangspunkt aus, von dem wir loslegen? Welche Schritte der Basis sind vorhanden, wie gut sieht mein Fundament aus. Was klappt gut und was noch nicht. Unbedingt auch immer formulieren, was eigentlich gut funktioniert!
Aus den formulierten Zielen ergeben sich auch die Übungen. Was ist notwendig, warum sollte was geübt werden? In welcher Position kann ich meinem Pferd momentan am meisten helfen/ wo stehe ich mir möglicherweise selbst im Wege?
Gibt es eine letzte Trainingsstunde aus der ich schöpfen kann, die mir Anleitung zu Üben geben kann? Kann ich meinen Trainer um Rat fragen, wenn ich meine Hausübung ausformuliere?
In welchen Abständen wäre es gut Kontrolle und Feedback zu bekommen – welche Abstände tun auch mir selbst gut, um ausreichend reflektieren und feilen zu können?
Tagesverfassung und Situationselastizität
Auch wenn ich mir ein bestimmtes Ziel für den heutigen Tag vorgenommen habe. Es kann sein, dass ich – im Stall angekommen weder mental noch physisch in der Lage bin, die heutige Struktur im Training unterzubringen. Na und? Auch das macht nichts. Ebenso kann auch das Pferd einen schlechten Tag haben. Für die genaue Planung sollte man folgende Dinge berücksichtigen:
- Tage, an denen man das wiederholt, was man recht gut kann.
- Tage, an denen man mal was Neues oder Schwieriges ausprobiert.
- Tage, an denen man einfach schön mit dem Pferd Zeit verbringt, beim Zusammensein, beim Lesen eines Buches auf der Weide, bei einem gemeinsamen Spaziergang, beim ausführlichen Betüddeln.
Ich wünsche gutes Gelingen auf dem Weg zur Selbstständigkeit
Du musst es auch nicht ganz alleine schaffen
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