„Wir sind als Reiter nicht an allem Schuld, aber als Züchter fördern wir auch viel Blödsinn“. 

Bent Branderup

Gewohnt kritisch eröffnet Bent Branderup sein Themenseminar zur Blickschulung Anfang Oktober in Ainring bei Salzburg. 

Wie immer fordert Bent Branderup sein Auditorium auf, genau hinzuhören – oder eben zu sehen. 


„Genetisch gesehen gehen alle töltenden Pferde auf eine Mutation zurück. Diese Mutation ist nicht mal besonders alt, wir haben also Dinge bewusst selektiert, die es in der Natur so gar nicht geben würde.

Das jetzige Konzept Pferd gibt es seit einer halben Million Jahre unverändert. Seit einer halben Million Jahre ist das Konzept Pferd funktional. Wir sind also als Menschen eine ziemlich junge Gattung. Das Grundkonzept der Bewegung ist daher sehr, sehr alt. Daher setzen wir mit unserer Blickschulung bei der Bewegung an – und Bewegung, die geht von der Wirbelsäule alt. Das Konzept der Wirbelsäule ist 540 Millionen Jahre alt. Das Individuum hat entschieden, wo es hinlaufen will, beispielsweise in Richtung des Futters und die Wirbelsäule hat dafür gesorgt, dass das Individuum angekommen ist. Zunächst bei den Fischen und zwei Mio. Jahre später bei den Tieren mit Beinen.“

Deswegen beginnt Blickschulung immer bei der Wirbelsäule

„Wenn moderne Richter den Unterschied nicht mehr sehen können zwischen Rücken- und Schenkelgängern, dann ist die Reitkunst tot.“ 

Mit bunten Stiften wird nun aufs Papier gezeichnet. Wir beschäftigen uns nun eingehend mit der Wirbelsäule. 


„Wenn wir als Ausbilder beginnen, die Wirbelsäule zu manipulieren, dann fangen wir am Kopf an. Das beginnt schon, wenn wir dem jungen Pferd ein Halfter anlegen und es halfterführig machen. Von da an geht es aber häufig schief, da wir die Köpfe der Pferde in eine umphysiologische Position nehmen. Wir sehen sehr viele Pferde, die schon Schäden von den ersten Führungen haben. Der Mensch entdeckt leider, dass wir das Pferd beherrschen können, wenn wir den Kopf festhalten können. Die Halswirbelsäule ist aber ein elementarer Bestandteil der Bewegung. Schwung hört nicht auf, selbst wo Beine wild strampeln. Schwung braucht zum Schwingen immer eine Wirbelsäule.“

Aber man muss es freilich auch nicht immer schlecht machen. Wer neu ist in der Reitkunst, dem rät Bent Branderup als Ausbilder mit jenen Themen zu beginnen, die man leicht visualisieren kann. 

„Wenn ich dem Pferd nicht beibringen kann, die Hufe ordentlich zu geben, was will man dann in der Bahn vermitteln. Wenn das Pferd eine Kolik hat und in die Klinik muss, dann ist es zu spät, dem Pferd beizubringen auf den Hänger zu gehen“.  

Schau genau: Die Arbeit mit dem Kappzaum

Wenn wir in der Bahn arbeiten, dann beginnen wir mit dem Kappzaum dem Pferd beizubringen, sich als erstes abwärts zu strecken. Im Stehen, betont Bent Branderup kann es vorerst kein zu tiefes Formen geben. Ein Pferd kann schließlich 12 bis 16 Stunden pro Tag mit der Nase am Boden Gras fressen. Für die Bewegung freilich kann es eine zu tiefe Kopfposition an. 

Hier beginnt die erste Blickschulung. 

  • Was ist für die Grundbewegung des Pferdes zu hoch?
  • Was ist zu tief?
  • Wo kann sich die Wirbelsäule am Besten bewegen? 

Wenn das Pferd die Nase abwärts streckt, dann muss das Vorderbein freilich noch immer nach vorne schwingen können unter die Nase. Bent Branderup nutzt erneut eine Erklärung aus der Evolution. Das Auge kam in der Entwicklung vor dem Bein. Die Pupille von Mensch, Pferd und Katze unterscheiden sich. Eine Pferdepupille liegt horizontal und deswegen muss die Nase leicht vor der Senkrechten stehen, sonst kann das Pferd freilich nicht mehr sehen, wo es sich hinbewegt. 

Jetzt liegt es an uns Ausbildern zu unterscheiden ob das Vorderbein vorwärts oder rückwärts unter den Bauch schiebt. Das Vorderbein ist allerdings nicht für ein weites Greifen unter den Bauch gemacht, das erkennen wir auch an der Konstruktion der Hufrolle des Pferdes. 

Ein stark auf der Vorhand laufendes Pferd überstrapaziert seine Sehnen und Bänder. 

Dem Pferd beizubringen den Kopf zu senken, ist also nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir müssen verstehen lernen, was für das jeweilige Pferd, ganz egal, wie es gebaut ist, eine korrekte Formgebung der Wirbelsäule bedeutet. Geht es zu tief, zu hoch oder zu eng? 

Eine Blickschulung ist nur dann abgeschlossen, wenn der Ausbilder bescheid weiß über die korrekte Stellung und Biegung. Stellung bezieht sich dabei immer auf das Genick, Biegung betrifft die gesamte Wirbelsäule. Die Stellung darf daher nicht am Hals stattfinden, so dass die gesamte Wirbelsäule daran teil nimmt. Für eine korrekte Stellung müssen wir uns also unweigerlich mit den Gelenken hinter dem Schädel beschäftigen. Das erste und zweite Gelenk sind hier von Interesse – das erste Gelenk ist vereinfacht gesagt das „Ja-Sager“ Gelenk, das zweite Gelenk ist das „Nein-Sager“ Gelenk – hier würde beispielsweise ein Verwerfen im Genick entstehen. 

„Das was wir Biegung nennen ist eine Rotation und eine Drehung der Wirbelsäule. Hier müssen wir unsere Bickschlung von hinten beginnen: Wir sehen das Becken und in dem Moment wo ein Hinterbein am Boden aufkommt wird eine Schwingung in die Wirbelsäule übertragen. Die Zentren für Bewegung liegen einmal zwischen den Schulterblättern und einmal im Beckenbereich. Kleinhirn und Wirbelsäule machen die Bewegung möglich, der Impuls geht also von der Wirbelsäule aus und wir sehen eine Bewegung, wo ein Bein nach vorne greift und da geht dann das bEcken vor und runter und das gegenüberliegende Bein schiebt nach hinten. Da geht dann das Becken hinten hoch. Da wollen wir bei jedem Pferd heute sehen, was macht sein Becken und hat das Pferd überhaupt noch eine natürliche Beckentätigkeit“? 

Besorgte Blicke, jeder im Publikum ruft sich jetzt die Bewegung seines Pferdes in Erinnerung. Was ist also eine unnatürliche Beckentätigkeit? 

Bent Branderup fährt fort: 

„Hat das Pferd die natürliche Beckentätigkeit nicht, dann ist es ein Schenkelgänger geworden. Dann ist es kein Rückengänger mehr. Das kann verschieden Ursachen haben, einerseits die Zucht, andererseits ein unpassender Sattel oder falsches Training. Manche Pferde sind so schwer gezüchtet, dass der Brustkorb in der Thoraxschlinge festhängt – dann ist eine korrekte Beckentätigkeit nicht mehr möglich. In der Bodenarbeit können wir überprüfen, wie sich das Becken der Pferde bewegt, dann muss die Bewegung isch freilich auf die gesamte Wirbelsäule fortpflanzen. Die Schwungübertragung muss an den Vorderbeinen sichtbar werden.“

Schau genau auf beiden Seiten

Alle Pferde haben von Natur aus eine Hohlheit auf der einen Seite. Das hießt sie können auf dieser Hand einen Zirkel leichter gehen. Damit wir aber einen Links- und einen Rechtsgalopp haben, bilden wir beide Seiten der Pferde gleichmässig aus. Ein Pferd, das geradegerichtet ist, ist auch auf der schlechten Seite im Galopp theoretisch ausdauernder. Daher müssen wir in der Ausbildung überprüfen, auf welcher Seite sich das Pferd gut biegen kann und auf welcher Seite es steifer ist. 

Nun wird auch das Rätsel der Diagonalen gelüftet. Wenn sich die linke Hüfte vor und runter bewegt, dann soll die rechte Schulter hoch und frei bewegen. Das nennen wir letztendlich Biegung. Wenn das äußere Vorderbein beispielsweise vor dem inneren Hinterfuß den Boden im Galopp berührt, dann haben wir einen Passgalopp und die Diagonale ist abhanden gekommen. 

„Alle Pferde sollten in den Grundgangarten beide Vorderbeine gleich hoch heben. Wie häufig sehen wir Pferde mit einem Vorderbein, das scheinbar im Galopp danieder hängt. Dann ist ebenso die Diagonale abhanden gekommen“. 

Als Ausbilder müssen wir daher auch die Unterschiede sehen lernen zwischen gebogen und verbogen. Haben wir ein Pferd und er Linksstellung, dann muss der Brustkorb rechts hoch rotieren. Die Dornfortsätze müssen leicht nach innen zeigen. 

Schau genau aufs Genick: 

„Wir denken also noch einmal gemeinsam über die Stellung nach. Wir schauen auf den Unterkiefer, der hat sein Gelenk hinter dem Auge des Pferdes. In dem Moment, wo wir das Pferd stellen, brauchen wir einerseits Ganaschenfreiheit, damit der Unterkiefer unter den Atlas nach außen platziert werden kann. Stellung darf nicht bedeuten Knochen gegen Knochen zu drücken. Da sieht man dann, dass so mancher Ausbilder mehr Stellung haben möchte und dies mit Schlaufzügeln herbeiführen möchte, das geht jedoch nicht, wenn die Stellung unsauber ist und Knochen auf Knochen aneinander reibt. Der Knick, den wir bei manchen Pferden zwischen zweitem und dritten Halswirbel beobachten ist ziemlich drastisch. Die Blickschulung muss also lauten: Wo ist der Unterkiefer auf der inneren Seite des Pferdes platziert im Verhältnis zum Atlasflügel. Es geht mir darum, Dinge zu finden, die die allermeisten Menschen mit relativ großer Wahrscheinlichkeit lernen zu sehen. Wenn wir andere Dinge besprochen haben, wie die Rotationsrichtung des Brustkorbes, dann ist das weit schwieriger zu sehen. Wir müssen mit dem Auge sehen lernen, auch wenn die Alten Meister wie Steinbrecht sehr viel Gefühl beschrieben haben. So spricht Steinbrecht vom Hang in der inneren Hüfte, um die Korrektheit der Biegung zu beschreiben.“

Vieles können wir von außen sehen, aber auch die Beschäftigung mit der Anatomie ist für den interessierten Ausbilder von großer Bedeutung. 

„Das Zungenbein hat eine muskuläre Verbindung zum Schulterblatt und zum Sternum. Hier verlaufen Faszienzüge vom Zungenbein. Bis zum Hinterfuß. Daher ist auch das Zungenbein ein Schlüssel für korrekteBewegung. Warum haben wohl moderne Pferde so viele Probleme am Zugeben? Die Zunge ist ein Muskel und wenn dieser Muskel falsch belastet wird, dann wächst er anders oder eben „falsch“. Wenn er sich also anders  entwickelt, als Natur und Evolution es vorhergesehen haben, dann hat das freilich Folgen für das gesamte Nervensystem der Zunge und die Bewegung des Pferdes“. 

Schau genau: Gerade richten

Geraderichten bedeutet Körperteile zueinander ausrichten, damit Harmonie entstehen kann. So kann man die Schulter auf die Hüfte ausrichten oder die Hüfte auf die Schulter ausrichten. Auch der Kopf braucht seine Ausrichtung auf den Körper, damit der natürliche Schwung stattfinden kann, Zungenbein und Schultern brauchen ebenso eine gute Grundplatzierung zu einander. 

Bei den Halswirbeln ist es freilich auch spannend, wie man das Pferd bewegen sollte, damit 7 Halswirbel zueinander passen. Zusätzlich erschwerend ist das Problem, das wir zwischen fünftem und siebtem Halswirbel finden. In den meisten Lehrbüchern finden wir hier eine Beschreibung einer Verbindung zwischen Nackenband und den einzelnen Halswirbeln. Die jüngste Forschung zeigt jedoch, dass die Wirbel zunehmend diese Ligamentlamellen, also diese Verbindungen zwischen Nackenband und den Wirbeln verlieren. 

Was passiert also, wenn wir so wichtige Bänder verlieren? Der Knochen wird sich zunehmend verändern, denn er wächst durch seine Belastung. Der Muskel um den Knochen muss sich versteifen, um die neue Hypermobilität der Pferde zu dispensieren, dann brauchen wir also künstliche Steifheit. Müssen wir also erst mobilisieren oder stabilisieren? Sind Dehnungsübungen fördernd oder verstärken wir gar die Hypermobilität? 

Große Augen im Publikum und die Frage – was tun ohne Röntgenblick? 

Gar nicht notwendig, schließlich haben wir die Parade zur Verfügung. 

Schau genau mit der Hand

Was das Auge nicht sehen kann, das kann die Parade freilich erfühlen. Wie ist es um die Wirbelsäule bestellt, wie ist sie geformt? Wo drückt das Pferd gegen unsere Hand und wie können wir eine Parade durch die Wirbelsäule des Pferdes schicken? Was passiert, wenn die Parade nun auf Reisen geht? Drückt die Parade den Brustkorb nieder? Haben wir ein zu tief? Hebt sich der Brustkorb in der Lende und sehen wir einen Katzenbuckel? Drückt die Parade den Brustkorb außen nieder? Die Parade ist dummerweise am besten zu spüren, wenn wir grundsätzlich nichts in der Hand haben. 

Nicht die Hand des Reiters darf aber letztendlich den Kopf platzieren, die Hand kann dem Pferd lediglich einen Vorschlag geben und die Muskeln des Pferdes müssen das tun. 

Nach viel Theorie am Vormittag standen nun 8 Reiterpaare auf dem Programm. 

Hausherrin Birgit zeigte eine wunderschöne Arbeit mit ihrem Quarter Tivio, besonders gefreut hat mich freilich auch das Lob für meine Schüler Andraz und Sepp mit ihren Stuten. Ein schönes Wiedersehen gab es auch mit Verena aus Graz und nach langer Zeit konnten wir auch wieder ihren Berber Larouz bewundern. 

Es war wunderbar, so viele verschiedene Pferde und ihre Menschen zu beobachten und miteinander und voneinander lernen zu dürfen. 

Liebe Birgit, danke für die gelungene Organisation und Veranstaltung! Wir kommen wie immer gerne wieder!

Schau genau zum Weiterlesen