Der Beipackzettel für das „Aspirin der Reitkunst“, das Schulterherein, verspricht viel, verrät aber auf den ersten Blick nichts von den starken Nebenwirkungen, die Reiter beim Erarbeiten des Schulterherein plagen können. Ein Überblick über die größten Stolpersteine.

Das Aspirin der Reitkunst

So oder ähnlich könnte es lauten: Die positive Wirkung des Schulterherein wurde seit Jahrzehnten von diversen Pferden überprüft und bestätigt:

  • Schulterherein bewirkt eine erhabene Schulter und hebt den Brustkorb durch den gezielten Einsatz des inneren Hinterbeins.
  • Durch das Schulterherein werden die Hanken mehr gebogen und eine verbesserte Tragkraft der Hinterbeine erzielt.
  • Schulterherein unterstützt Geraderichtung und hilft Schiefheiten auszugleichen.
  • Schulterherein im Schritt und Trab hilft ein gerades Angaloppieren zu erarbeiten
  • Schulterherein kann Unregelmäßigkeiten des Tempos  im Trab verbessern
  • Das Herandehnen und die Anlehnung an den äußeren Zügel werden durch Schulterherein verbessert
  • Das Schulterherein führt zu einem lockeren Genick und entspanntem Kiefergelenk
  • Verspannungen werden gelöst, Dehnungshaltung im Schritt wird verbessert
  • Schulterherein bzw. Schultervorstellung verbessert auch die Piaffe
  • Schulterherein verbessert die Grundgangarten, auf 4 Hufschlägen ausgeführt kann es auch Pferden, die im Schritt zum Pass neigen helfen wieder in den Schritt zu finden

..und die Nebenwirkungen für den Reiter

Was sich leicht anhört ist in der Umsetzung – vor allem für den Reiter schwer. Manchmal könnte man fast schon eine Selbsthilfegruppe fürs Schulterherein gründen. „Hallo mein Name ist Anna und ich habe Probleme beim Schulterherein konstant in meinem Körper zu bleiben“… 😉 Spaß beiseite, folgende Probleme plagen den Reiter beim Schulterherein am häufigsten:

  • Der Reiter sitzt zu stark nach innen
  • Der Reiter sitzt zu stark nach außen
  • der Reiter zieht das Pferd am inneren Zügel herein
  • Der Reiter hat den äußeren Zügel zu stark dran
  • Der Reiter dreht seine eigene Schulter nach außen
  • Der Reiter treibt mit dem inneren Schenkel zu viel und zieht die Fersen hoch
  • Der Reiter verspannt
  • Der Reiter  knickt in der äußeren Hüfte ein
  • Der Reiter führt beide Unterarme nach innen und verspannt sie dabei
  • Der Reiter konzentriert sich zu sehr aufs seitwärts

 

Der Reiter sitzt zu stark nach innen oder nach außen

Wenn der Reiter zu stark nach innen sitzt, tritt das Pferd mit dem inneren Hinterbein nicht zum Schwerpunkt. Bildlich kann man sich den inneren Sitzknochen wie einen Pfeil nach unten darstellen, als Wegweiser für das Pferd („da sollst du hinsteigen“), der eigene Schwerpunkt im Bauch darf dabei ein wenig in Richtung der äußeren Schulter des Pferdes wandern. Oft hilft es schon die Augen in „Fahrtrichtung“ zu wenden, also außen am Pferd vorbei zu schauen. Wenn der Reiter nach außen sitzt, dann sitzt er praktisch dort belastend, wo es eigentlich zu einer Dehnung kommen sollte. Der Brustkorb des Pferdes, sowie der äußere Rippenbogen sollten sich heben, die äußere Schulter freier werden. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, wo der Reiter im Schulterherein sitzen sollte. In Bewegungsrichtung? Das wäre dann praktisch nach außen. Nach innen? Steinbrecht schreibt hier beispielsweise bei einer korrekten Ausführung des Schulterherein wird dem Reiter durch das Pferd ein sanfter Hang nach innen verliehen. Wo sollte man nun sitzen? Der innere Sitzknochen ist quasi der Kompass und Zielvorgabe für das auffußende innere Hinterbein. Wird der Schwerpunkt in Richtung äußerer Schulter verlagert (Der Schwerpunkt und nicht der äußere Sitzknochen) kann mehr Vorwärts im Schulterherein geritten werden, wird der Schwerpunkt in Richtung innerer Hüfte verlagert, wird das Schulterherein zunehmend versammelnd.

Der Reiter zieht das Pferd am inneren Zügel herein/
Der Reiter hat den äußeren Zügel zu stark dran

Die Hilfengebung beim Schulterherein sieht vor, dass eine sachte Einwirkung des äußeren Zügels dazu führt, die Vorhand ein wenig nach innen zu holen. Wenn Reiter mit dem Außenzügel nicht durchkommen, kann es passieren, dass sie den Druck am Außenzügel erhöhen. Dies führt nur dazu, dass die äußere Schulter erst recht nicht freier wird.  Das Pferd kippt dann auf die äußere Schulter bzw. verliert die Richtung, manche Pferde kommen dann auch nach innen. In so einem Fall wird auch gerne „überkorrigiert“ – das heißt, anstelle außen leichter zu werden, hält nun der innere Zügel dagegen und drückt das Pferd wieder nach außen. Was als leichte Parade am inneren Zügel gemeint war, wird nun zu einem ständigen Zug, der das Pferd weniger leicht nach innen, als auf die äußere Schulter kippen lässt. Die Lösung? Wer das Pferd gut auf das Schulterherein vorbereitet und durch sachte Paraden vom inneren Zügel löst, bekommt leichter den Kontakt zum inneren Hinterbein und somit auch den gewünschten Schwung in Richtung Schwerpunkt.

Der Reiter dreht seine äußere Schulter nach außen

Kopf parallel zu Kopf, Schultern parallel zu Schultern, Hüfte parallel zu Hüfte. Die Wunschvorstellung eines jeden Reiters ist wohl ein Pferd, das sich lediglich durch die Schulterbewegung dirigieren lässt. Dieser „Trick“ gelingt jedoch schon bei Pferden, deren Ausbildung noch nicht so weit ist. Reiter, die sich bewusst darauf einlassen, ihre äußere Schulter nach vorne zu drehen (hilfreich kann dabei die Vorstellung einer Wendung weg vom Hufschlag sein) werden merken, dass ihr Pferd durch die Drehbewegung der Schultern sofort willig folgt. Oft nutzen alle sorgfältig gegebenen Zügel- oder Schenkelhilfen nichts, wenn der Reiter die Bewegung in seinem Sitz nicht zulässt.

Der Reiter treibt mit dem inneren Schenkel zu viel und zieht die Fersen hoch/ Der Reiter knickt in der äußeren Hüfte ein

Wenn der Reiter sich zu sehr auf das innere Hinterbein konzentriert können zweierlei Fehler passieren. Einerseits kann er das innere Hinterbein ähnlich wie beim Schenkelweichen zu weit nach innen – und damit vom Schwerpunkt weg treiben. Das Pferd fällt dann auch auf die äußere Schulter. Vor lauter Treiben kommt der Reiter dann mit dem Innenschenkel zu stark nach hinten, seine eigene Hüfte fällt dann zurück, die Hinterhand des Pferdes  fällt aus. Das Pferd steigt dann hinter dem Schwerpunkt vorbei und schwingt aus einer zurückgelagerten inneren hüfte nach vorne. Oder aber durch das übermäßige Treiben werden die Fersen hochgezogen. Die Folge: Der innere Sitzknochen wird angehoben, der äußere Sitzknochen wird vermehrt belastet. Dasselbe Problem passiert, wenn der Reiter in der äußeren Hüfte einknickt. Auch dann wird der äußere Sitzknochen vermehrt belastet.

Der Reiter verspannt (in den Unterarmen)

Die Konzentration steigert sich. Alles ist aufs Schulterherein konzentriert. Wie sagt Bent Branderup so schön in seinen Kursen? Entspannung marsch. Gäbe es aber die Entspannung auf Knopfdruck, wir würden wohl mit freundlicheren Gesichtern durch die Straßen laufen. Rasche Abhilfe kann eine tiefe und bewusste Bauchatmung sein. Oder genau auf den eigenen Körper zu hören. Wo sitzen Verspannungen? Habe ich vor lauter Konzentration die Schultern hochgezogen. Halte ich die Unterarme fest und übertrage die Spannung auf den Zügel. Vor lauter Konzentration und „ins Pferd Schauen“ nicht auf den eigenen Körper vergessen – denn dieser ist ja zuständig für die Primärhilfe Sitz! Manchmal hilft hier auch eine Parade zum Halt, um seinen Geist und Körper zu sortieren und schon kann es weiter gehen. Wenn man vor lauter Konzentration zur Anspannung neigt, kann es auch hilfreich sein, nur kurze Reprisen Schulterherein zu verlangen.

Der Reiter konzentriert sich zu sehr aufs seitwärts

Wenn sich der Reiter zu sehr auf seitwärts konzentriert kommt es meist zu den Folgefehlern: Ausfallen des äußeren Hinterbeins, das Pferd lässt sich auf die äußere Schulter fallen, eine falsche Brustkorbrotation wird zu Gunsten des Seitwärts in Kauf genommen. Das Pferd weicht eher dem Schenkel, als dass der innere Hinterfuß nach vorne schwingen kann. Für das Schulterherein gilt: Je mehr Versammlung umso mehr Seitwärts darf verlangt werden. Im vorwärts sollte man sich daher nicht auf die Ausführung auf vier Hufschlägen kaprizieren. Auch hier gilt: Weniger ist mehr.

Verlangen wir gerade am Anfang ein paar gute Schritte Schulterherein und konzentrieren uns vor allem auf das Freiwerden der äußeren Schulter – weniger auf das Seitwärts, dann reiten wir mit der Zeit Schulterherein ohne Nebenwirkungen – ganz einfach 😉

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