Ein Leben lang reicht nicht aus, um Reiten zu lernen. Ganz ehrlich, wie attraktiv ist ein Ziel, wenn man niemals ankommt? Da gibt es jetzt einige Pros und Contras zu erörtern.
Ein Leben reicht nicht aus, um Reiten zu lernen
Ich habe diese Zeilen zum Jahresanfang geschrieben, da ist man ja immer motiviert und hat jede Menge Pläne. Jahresanfang und ich war schon mittendrin: Meine Zeit ist begrenzt und ich kann nicht alles Wissen wie ein Schwamm aufsaugen, was ich jedoch so gerne möchte. Mein Bücherregal ist voll und ich schwanke zwischen Philosophie, weil das auch der Reiterei so viel bringt, zwischen Oliveira, Solinski und einer neuen Veröffentlichung über Forschung rund ums Pferd. Was soll ich zuerst aufschlagen? Und reicht es nicht, dass ich mich auf meinen Pferden sicher und wohl fühle?
Sicher würde das reichen. Meine Pferde, denke ich und stelle fest. Keines gleicht dem anderen. Daher ist die Forschung ja so wertvoll. Meinen Konrad kann ich unmöglich mit Mandrake vergleichen. Konrad ist jemand, den man auch sehr häufig nach einer Wiederholung fragen kann. Wenn wir etwas üben, dann können wir Details öfter mal in noch kleinere Einzelheiten zerlegen. Ich habe Zeit zu spüren und zu überlegen, was als nächstes kommt. Mit Mandrake ist es viel mehr probieren. Er ist immer motiviert, aber ich darf ihn nicht mit zu vielen Wiederholungen sekkieren. So unterschiedlich alleine ist der emotionale Zugang meiner Pferde.
So unterschiedlich lernen und denken sie und da habe ich über die Physis noch lange nicht gesprochen. Während ich auf Mandrake ein anderes Sitzgefühl habe, als auf Konrad gibt es hier freilich noch immer den Unterschied des „Neuen“ versus des „Altbekannten“. Ja, mittlerweile ist mein Konrad das älteste meiner Pferde (2023 ist er 9 Jahre alt) und wir sind schon miteinander vertraut wie ein altes Ehepaar. Mandrake ist größer als Konrad, dafür aber gleich mal um gute 10 Zentimeter im Rücken kürzer. Das macht natürlich einen ganz anderen Rückenschwung aus, beeinflusst meinen Sitz ganz anders und vice versa beeinflusse ich Mandrake auch ganz anders als Konrad.
Das Fazit? Wenn ich mein jährliches „Date“ mit Gustav Steinbrecht habe, den man auch mehr als einmal im Leben gelesen haben „muss“, dann finde ich Hinweise für jedes meiner Pferde an unterschiedlichen Stationen der Ausbildung. Was für Mandrake mit 5 Jahren gilt, war für Konrad ein ganz anderes Thema und es hätte sich wohl auch ganz anders angefühlt.
Und wenn ich nur einen Konrad hätte? Dann wäre es auch so, dass ich nach Steinbrecht bei Oberst Podhajsky nachschlage und dort sicherlich ebenso fündig werde. Es ist ja auch so im Unterricht. Was Trainer A formuliert sagt Trainer B vermutlich auch – aber häufig mit ganz anderen Worten, schließlich haben wir ganz unterschiedliche Pferde gefühlt und von ihnen gelernt.
Und weil wir ja wirklich alles wissen wollen, kann man da schon unter Zugzwang geraten, wenn man sich der Wahl stellt, welche Literatur denn befragt werden soll oder auch welcher Reitlehrer eingeladen werden soll.
Reicht ein Leben wirklich nicht aus, um Reiten zu lernen?
Das kommt darauf an. Wenn ich zum Ziel habe, immer weiter zu forschen, immer weiter einzutauchen in die Materie, dann geht es uns letztlich wie Sokrates, der schon sagte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Die Neugierde also immer wach halten, das macht die Reise freilich spannend, da meldet sich jedoch das kleine Kind in uns von der Rückbank (oder manche denken jetzt an den Esel von Shrek) und wir hören die naiv gestellte Frage: „Aber sind wir denn nicht schon da“?
- Doch wir sind auch mal da.
- Man muss auch mal Punkte machen dürfen.
- Das ist aber für viele Menschen, die sich selbst zum Ausbilder ihres Pferdes zu werden aufmachen nicht einfach.
Der Zeitpunkt für Meilensteine
Wenn wir also die Ausbildung unseres Pferdes beschreiten, dann gibt es die Bodenarbeit und mit ihr so viele Facetten. Wir lernen das Pferd in der Frontposition zu schulen, wobei wir dabei natürlich auch selbst feste die Schulbank drücken. Zuerst geht es um die verschiednen Hilfen, die wir ihm beibringen. Wir arbeiten an einer Formgebung über die Schenkelhilfen, wir erklären, wie man den Körper gerade richten kann, wir etablieren Schenkel- und Zügelhilfen und bereiten das Pferd auf das Reiten vor.
Und wenn die Bodenarbeit abgeschlossen ist, dann tüfteln wir gerne an der Longe weiter, vielleicht kommt dann auch noch die Handarbeit dazu, weil so eine geschulte Hand – das kann schon enorme Vorteil beim Reiten bringen.
Fakt ist aber auch: Es ist manchmal wichtig, einen gewissen Schlusspunkt zu ziehen – je nachdem welche Ziele man selbst hat – und man darf sich auch nach dem Licht am Ende des Tunnels sehnen.
Ich erinnere mich noch immer sehr gerne an einen spontanen Weihnachtsausritt mit meiner Freundin Brigit. Birgit durfte damals Tabby reiten und war von ihrer Feinheit begeistert. Wir ritten so durch die Gegend, konnten uns in Ruhe unterhalten, Pina und Tabby hörten aufmerksam zu und wir vier hatten eine gute Zeit. Mühelos liessen sich die Pferde anhalten, wenden, vorwärts reiten und über Wurzeln dirigieren.
Ich weiß noch genau, wie ich Birgit damals sagte: „Eigentlich ist Tabby für mich fertig ausgebildet“.
Warum? Weil sie zuverlässig mit fremden Reitern im Gelände unterwegs war. Ich konnte ihr da absolut vertrauen. Weil sie jede Hilfe verstand, auch wenn sie nicht von mir kam, was für sie freilich auch bei Fremdreitern ungewohnt war. Auch wir Reiter fühlen uns ja nicht immer gleich an. Und alles was neben dem zuverlässigen Reiten der Grundgangarten, dem Erhalten einer Formgebung über den Rücken, Geschmeidigkeit führte sowie dem für das Pferd schadlosen Trage des Reiters – das war prinzipiell das Ziel.
Ob da noch Piaffe, Schulhalt oder Schulgalopp dazu kam war eigentlich nicht mehr wichtig. Das Ziel war erreicht.
Warum erreichen wir Ziele nicht mehr?
Mittlerweile hören wir nicht mehr auf das Kind von der Rückbank. Das Kind fragt manchmal ganz vorsichtig, ob wir schon da sind und erhält dann eine sehr pampige Antwort.
Du siehst ja, die Stellung ist noch nicht perfekt. Wir sind noch lange nicht da.
Manchmal würden wir lediglich ein bisschen üben müssen – wir und das Pferd. Aber weil die Stellung noch nicht passt, überlegen wir, wie wir den Brustkorb besser rotieren lassen könnten. Grundsätzlich ein sehr guter Plan, allerdings sehen wir jetzt eine drehende Hinterhand und überlegen das Pferd bereits in einer Beistellgruppe zu inserieren, da wir das Kind mittlerweile am Kindersitz festgeschnallt haben. Wir hören nicht auf spielerische Einwände und reden uns ein, dass wir als Ausbilder unseres Pferdes eh nichts taugen.
Vielleicht wird der eine oder andere an dieser Stelle nicken und schüchtern einwerfen, dass die Stellung ja wirklich nicht korrekt war und das Pferd ja Schaden nimmt, wenn eine falsche Stellung in falscher Biegung resultiert.
Ja. Wie gesagt. Übung macht den Meister. Aber auch bei vielen Inhalten an der Basis dürfen wir uns auch mal meisterlich auf die Schulter klopfen.
Wir erreichen manche Ziele nicht mehr, weil wir sie uns permanent höher stecken. So schön der Gedanke auch ist, dass wir wie Sokrates nie alles wissen werden – so ernüchternd kann das Ganze auch sein, wenn wir uns nie für die kleinen Erfolge belohnen.
Dafür muss man aber auch wissen, wann eine Sache geschafft ist.
Und es gibt sie, die Meilensteine.
Einerseits gibt es da die Meilensteine, die wir selbst fest legen.
Und da gibt es natürlich auch unterschiedliche Zugangsweisen. Bei mir selbst war es lange Zeit so, dass ich alles Erreichte und Geschaffte schnell ad acta gelegt habe und große, wie kleine Erfolge nicht wirklich gefeiert habe. Ist ja schließlich selbstverständlich, wenn man was dafür tut. Wozu also den Partyhut aufsetzen. Das Kind von der Rückbank hätte aber gerne an der kleinen Waldlichtung angehalten und einen kleinen Tanz zwischen den Bäumen veranstaltet – einfach aus Freude, dass wir das jetzt geschafft haben. Ich hatte es jedoch eilig, zum nächsten Ziel zu kommen, wobei ich das auch nicht bewusst wahrgenommen hätte.
Warum wir also häufig nie ankommen – das sind wir selbst.
Auch weil sich unsere Ziele verschieben. Eine vernünftige Parade zum Halten geschafft. Klasse, aber jetzt muss die Schulparade her.
Ich erinnere mich sehr an meine eigene Frustration, als ich Schülerpferden und Berittpferden rasch das Einbeugen der Hanken erklären konnte, meine Stute Tabby dafür aber wirklich lange gebraucht hat. Eines Tages fuhr ich mit diesen Gedanken von einem Tageskurs nach Hause. Und plötzlich fiel mir ein, dass ich Tabbys Geduld mir zuzuhören und sich wirklich auf Inhalte einzulassen wirklich wertschätzen konnte. Denn am Tageskurs hatte ich viele temperamentvolle Pferde, die häufig ein richtig schönes Zufallsprodukt „ausgespuckt“ hatten – mit ziemlicher Sicherheit hatten die Pferde aber die Hilfengebung, die gemeinsame Kommunikation noch nicht verstanden, da sie viel schneller reagiert und keine gut überlegte Antwort formuliert hatten.
Manchmal sind wir also bei wirklich tollen Zielen angekommen und sehen sie nicht – weil wir nicht gut genug darauf achten wollen.
Der erste Schritt zur Erreichung von Zielen ist also die Achtsamkeit und die Wahrnehmung der vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
Welche Ziele gibt es?
In der Ausbildung des Pferdes gibt es folgende Ziele:
- Führen in Synchronität: Gemeinsam angehen und gemeinsam anhalten – und das nicht nur im „Sandkasten“.
- Formgebung im Stehen: Das bedeutet einander zuhören zu können und einander auch zu fühlen. Was passiert im Pferdekörper und was nehme ich im eigenen Körper wahr?
- Formgebung in der Bewegung: Das Pferd in der Bewegung über den Rücken formen und gerade zu richten.
- Schritt, Trab und Galopp in Balance: Das Pferd aus jeder Gangart in die nächste übergehen zu lassen und dabei die Formgebung über den Rücken zu behalten.
- Schritt, Trab und Galopp in Balance und im Gelände
Diese Liste lässt sich freilich noch lange fortsetzen.
Für den einen mag der Tanz am Boden bereist das Höchste der Gefühle sein. Für den anderen ein Ritt auf dem Stoppelfeld ohne Angst und mit der Gewissheit, das Pferd am Ende der Galoppstrecke sicher durchparieren zu können. Und dann gibt es freilich auch noch den Traum von der Piaffe, weil sich Tanzen nicht schöner anfühlen kann.
Wir dürfen ein Leben lang reisen und nicht ankommen. Das ist okay. Aber es ist schade, wenn wir ab und an nicht auf die Stimme von der Rückbank hören, die da sagt: Jetzt wäre es Zeit für eine anerkennende Pause!!
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