Stimmen aus der Vergangenheit
Wie sollte man auf dem Pferd sitzen? Auf einem jungen oder auf einem ausgebildeten Pferd? Als Anfänger oder als erfahrener Reiter? Welches Vermächtnis hinterlassen uns die Stimmen aus jüngster und älterer Vergangenheit? Für unseren Kurs mit Bent Branderup Ende Juni 2019 lautet das Motto: „Primäre Hilfengebung“ – also alles rund um das Thema „Sitz“.
Welche Ratschläge vergangener Tage können wir auch noch heute nutzen?
Antoine de Pluvinel (1555 bis 1620) war der Reitlehrer von Ludwig XIII in Frankreich. Pluvinel wusste, dass die Arbeit mit dem Sitz praktisch nie aufhört:
„Tatsächlich ist es auch so, dass man, um in der Reitkunst seine Sache gut zu machen und Perfektion zu erreichen, mit der korrekten Haltung zu Pferde den Anfang machen und ständig bis zum Schluss daran weiterarbeiten muss. Schließlich bereitet es mehr Vergnügen, einem Reiter zuzusehen, der nichts von der Kunst versteht, aber gut zu Pferde sitzt, als einem Könner, der keine Eleganz ausstrahlt“.
Antoine de Pluvinel
Für Pluvinel war die aufrechte Haltung im Sattel praktisch gleichgesetzt mit der eigenen Haltung auf zwei Beinen.
Dr. Udo Bürger war leitender Veterinäroffizier an der berühmten „Kavallerieschule Hannover“. In seinem Werk „Vollendete Reitkunst“ aus dem Jahr 1959 prangert er vor allem mangelnde Fitness beim Menschen an:
„Die meisten Menschen tragen sich miserabel, ohne es zu wissen. Das Leidenskreuz der Menschheit ist das Hohlkreuz. Dazu gehört der vorgedrückte Bauch. Da müssen wir mit der Korrektur an uns selbst anfangen, wenn wir mit dem Kreuz Einwirkung auf das Pferd erzielen wollen. Und ohne diese geht es nun mal nicht. Aber wir sollten nur versuchen, uns im Sattel gerade zu halten. Wir sollten immer daran denken und uns richtig tragen“.
Udo Bürger
Tragkraft, also Stabilität und Kraft, benötigen wir Reiter. Aber auch Mobilität. Der Herzog von Newcastle (1592 bis 1676) wusste bereits zu seiner Zeit um die Bedeutung von Körperbeherrschung, denn er attestierte dem Reiter einen beweglichen und einen unbeweglichen Teil. Beweglich darf man im Oberkörper bis zur Taille, Newcastle spricht vom „Gürtel“, sein, auch die Schenkel von den Knien bis zu den Füßen dürfen nicht regungslos verharren. Zwischen Taille und Knie definiert der Herzog von Newcastle den unbeweglichen, „mit dem Pferd verschmolzenen Teil“. Der Reiter darf also Kopf, Schultern und Arme bewegen – heute eine oft unbewegliche und festgehaltene Problemzone für Reiter.
Ein Tipp von Newcastle hat sich bis heute ebenso gehalten:
„Die Arme müssen am Ellenbogen abgewinkelt und ungezwungen an den Körper gelegt werden und natürlich auf die Hüften heruntersinken“.
William Cavendish, Herzog von Newcastle
Wenn der Mensch denkt und der Körper aber nicht folgt, ist alle Ungezwungenheit von dannen.
François Robichon de la Guérinière(1688 bis 1751) betonte ebenso die Losgelassenheit und Entspanntheit des Sitzes. Um das Unmögliche möglich zu machen, erlaubte er dem Reiter sich vorübergehend etwas fester zu machen und anschließend wieder zu entspannen. Er betonte Gleichgewicht und Balance, wobei jedoch die Bewegungen des Reiters solltenaber so gering bleiben sollten, dass sie die Haltung des Reiters einerseits verschönerten, andererseits aber legte er Wert auf einen brauchbaren Sitz mit Hilfen, die für das Pferd tatsächlich auch als solche erkannt werden.
Die (Unter) Schenkel sind seiner Meinung nach in der richtigen Haltung, wenn sie locker vom Knie gerade und locker nach unten fallen, so dass sie am Pferd liegen, ohne es jedoch zu berühren. Der Reiter müsste dann Oberschenkel und Knie etwas nach innen drehen, damit die flache Seite der Oberschenkel wie „angeleimt“ an den Sattelpauschen zum Liegen kommt.
Hier die nächste, noch heute aktuelle Problemzone für viele Reiter: Guérinière forderte von seinen Schülern lockere, jedoch ruhig gehaltene Schenkel, die das Pferd nicht durch ständige Berührung in der Hilfengebung verwirren.
Werden sie zu weit abgespreitzt, kann man nicht rechtzeitig auf das Pferd einwirken, nämlich genau in dem Augenblick, in dem das Pferd einen Fehler begeht. Sind sie zu weit nach vorne gestreckt, können sie nicht am Bauch einwirken, wie es die Schenkel sollen. Liegen sie jedoch zu weit hinten, trifft die Schenkelhilfe auf die Flanken, einen Körperteil, der kitzelig und zu empfindlich ist, um die Sporen einzusetzen.
François Robichon de la Guérinière
„Ferse tief“ – das kannte auch Guérinière, betonte jedoch auch hier nicht zu stark den Absatz nach unten zu drücken, da sonst der Schenkel zu beweglich werde. Noch heute gilt, mit dem Fuß, Absatz und Sporn Vorsicht walten zu lassen. Guérinière kam dem Ursprung der Drehbewegung jedoch auf die Schliche – die richtige Drehung vollführt nämlich der Oberschenkel aus der Hüfte heraus – dadurch werden dann Unterschenkel und Fuß in die richtige Lage gebracht.
Auch betonte der französische Reitmeister, dass das Wissen und die Theorie um den korrekten Sitz nicht ausreichten. Übung auf dem sich bewegenden Pferd war das Um und Auf – besonders im Trab und ohne Steigbügel. Spätestens nach fünf bis sechs Monaten Sitzübungen ohne Bügel, fände man die anderen Gangarten leicht. Guérinière empfahl außerdem das Piaffieren zwischen den Pilaren als ausgezeichnete Sitzschulung.
Dieselbe Empfehlung kommt auch von Gustav Steinbrecht (1808 bis 1885). Für den Schüler von Louis Seeger war der Reiter nur dann richtig auf dem Pferd platziert, wenn der Schwerpunkt des Reiters mit dem des Pferdes zusammenfälllt.
Nur dann ist er mit seinem Pferde in vollkommener Harmonie und gleichsam eins mit ihm geworden. Eine Hauptregel für diesen auf richtiger Schwerpunktsverlegung beruhenden Balancesitz ist die, dass das geradegerichtete Rückgrat des Reiters auf dem des Pferdes stets senkrecht ruhen, also mit ihm einen rechten Winkel bilden soll.
Gustav Steinbrecht
Auch Steinbrecht schreibt über die korrekte flache Lage des Oberschenkels – für ihn übrigens ein Hauptgrundsatz in der Lehre vom Sitz. Nur die korrekte Positionierung des Oberschenkels garantiere die Stabilität und Mobilität aus der Reiterhüfte, erweitere die Gesäßfläche und sichert Halt und Balance, ohne das Pferd zu stören.
Das Fußgelenk müsse dabei elastisch bleiben. Auch Steinbrecht sieht einen Fehler darin, den Schüler unbedingt zum Abwärtsdrücken der Ferse zu zwingen. Dadurch versteife sich der Unterschenkel, die vorwärtstreibenden und versammelnden Hilfen wären dadurch nicht mehr in ihrer Qualität garantiert.
Überhaupt – wenn es um die ständige Korrektur des Schülers geht, gibt Waldemar Seunig (1887 bis 1976) uns bis heute einen weiteren wertvollen Hinweis:
„Es muss betont werden, dass Bauart von Pferd und Reiter die Schenkellage beeinflussen und nichts schädlicher ist, als alle Reiter in ein Sitzschema hineinpressen zu wollen. Mutatis mutandis wird ein kurzbeiniger Reiter auf einem kurz und flachgerippten Pferde geschlossener sitzen wie ein langbeiniger, der um mit dem Unterschenkel einwirken zu können, diesen so weit zurücklegen müsste, dass seine Knie sich öffnen. Viele Reitlehrer verlangen, dass die Füße des Reiters vollkommen parallel zur Längsachse des Pferdes gerichtet sein sollen. Befolgt der Schüler gewissenhaft diese Anweisung, so steht er vor dem Dilemma, entweder seine Knie zu öffnen, um mit dem inneren Teil des Unterschenkels in Fühlung mit dem Pferdeleib bleiben zu können – oder diese aufzugeben, um das Knie am Sattel behalten zu können. Die Richtung des Fußes soll dieselbe sein wie beim Gehen, die Fußspitzen also etwas vom Pferde abgewendet, wie es sich ja aus der gespreizten Grätschstellung von selbst ergibt“.
Waldemar Seunig
Wir müssen also an unserem Sitz arbeiten – dürfen aber weder unseren, noch den Körper des Pferdes in eine bestimmte Form hinein pressen. Und hier hilft uns die Erfahrung, die wir – früher wie heute – auf gut ausgebildeten Pferden am ehesten sammeln können.
„Der Reiter muss lernen, die Bewegungen des Pferdes im Schritt, im Trab, im versammelten und im freien Galopp und in allen Arten von Lektionen zu fühlen, ebenso die richtige und feine Anlehnung an die Hand, die Dosierung der Hilfen, wozu sie anzuwenden sind und – wann es nötig ist – zu strafen. Zuerst ist der Schüler auf ein ausgebildetes Pferd zu setzen, danach kann er leichter unterschieden, ob ein noch nicht ausgebildetes Pferd unter ihm etwas richtig, oder falsch macht“.
Antoine de Pluvinel
Richtig oder Falsch – ein gutes Schlusswort fand ich bei Udo Bürger:
Vom Sitz wird primär nur solange gesprochen, bis der Schüler nicht mehr bei jeder Gelegenheit herunterfällt. Danach interessieren mehr die Einwirkungen. Mit der Einsicht, diese richtig anzubringen und – entsprechend einleuchtenden Ermahnungen – kommt der Sitz mit der Zeit von allein.
Udo Bürger
Zum Glück müssen wir jedoch nicht alleine üben und haben auch Unterstützung in der Gegenwart. Lernen wir von- und miteinander – dann Reiten wir Einfach 😉
Liebe Anna, Danke für den spannenden Artikel. Ich habe eine Frage zum Titelbild. Das Gebiss des Pferdes sieht aus, wie ein Port Bit aus der Westernreiterei. Das nutzen Westernreiter in der Regel mit einem Zügel (so habe ich es jedenfalls bisher gesehen) und zwar an den Anzügen. Diese Kombination erscheint mir sehr viel sinnvoller. Kannst Du mir daher sagen, was für ein Gebiss dieses Pferd trägt und wie es wirkt? Ganz liebe Grüße von Bettina
Liebe Bettina, das ist ein Billy Allen Bit mit Shanks. Es wirkt ähnlich wie eine Kombination aus Kandare und Unterlegtrense, nur dass halt ein Gebiss bei Rusty im Maul liegt.