Wußten Sie, dass es einen Reitmeister gab, der auf seinen Pferden die große Sonntagszeitung las? Auf seinen Kursen erzählt Bent Branderup gerne Anekdoten von Reitmeistern vergangener Tage – darunter auch die Geschichte von Oskar Maria Stensbeck (1858 -1939). Stensbeck, der selbst ausgebildete Pfede noch mit 80 Jahren unter dem Sattel vorstellte griff mit zunehmendem Alter und Bewegungs-einschränkung auf ein einfaches Konzept zurück. Weil er nicht mehr so beweglich war, mussten die Pferde eben im Stehen alle Reiterhilfen erlernen. So präzise vorbereitet war es für die jungen Bereiter kein Problem, sich in den Sattel der von Stensbeck geschulten Pferde zu schwingen und auch vorwärts zu reiten.

7 Gründe, warum es sich lohnt mit dem Pferd mal im Stand zu arbeiten!

  1. Die Arbeit im Stehen ist einerseits wichtige Basis, andererseits Messlatte für die vorangegangene Schulung.
    Bent Branderup
    sagt „Ein Zirkuspferd kennt die Übung, ein geschultes Pferd versteht die Hilfe“. Und: Egal ob wir im Stehen oder in der Vorwärtsbewegung arbeiten, es sind die gleichen Muskeln, Sehnen, Gelenke und Knochen, die wir beanspruchen – allerdings – man denke an die Physiotherapie – beugen langsame Bewegungen einer falschen Belastung vor.
    Im geschulten Halt können wir überprüfen, ob unser Pferd alle Hilfen annimmt. Lässt es sich im Linkssitz biegen, so dass der Rippenbogen innen nach unten sinkt? Korrespondieren Stellung im Genick und Biegung, sowie das Vornehmen der inneren Hüfte miteinander? Reagiert mein Pferd wenn ich am inneren Steigbügel leicht vibriere und biegt sich um den inneren Sitzknochen? Kann ich es vom äußeren Schenkel, der etwas nach hinten verlagert hinter der Gurte liegt auch wegbiegen?
  2. Gustav Steinbrechts Leitsatz „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ lässt sich auch auf die Arbeit im Stand umlegen!„Die allmählich gewonnen Biegung im Gange ist vielmehr die Vorbereitung für die Übung auf der Stelle, indem das richtige Biegen im Steillstehen stets eine gesteigerte Aufgabe für das Pferd ist und als ein Prüfstein für den Gehorsam auf Hand und Schenkel gelten kann. Der Reiter hat daher sein Pferd ganz nach den Regeln, wie er es im Gange mit Hand, Schenkel und Gewichtsverteilung arbeitet, auch auf der Stelle zu biegen, nur mit doppelter Aufmerksamkeit und Energie, da ihm hier die Unterstützung von Schubkraft und Balance fehlt, die er im Gange hat.“ (Gustav Steinbrecht)
  3. Vertrauen, Blickschulung und Schulung des Gefühls! Wenn wir beginnen mit unserem Pferd zu arbeiten, beginnen wir unseren Blick, unser Gefühl, unsere Hand vor allem bei der Arbeit im Stehen zu schulen. Zwingen sollte man ein Pferd jedoch nicht stillzustehen. Einige Pferde entspannen besser in der Bewegung, andere im Stehen. Wie die Einheit der gemeinsamen Arbeit beginnt, sollte der Ausbilder mit Bedacht wählen. Wenn wir mit etwas Abstand vor dem Pferd stehen (so weit, dass wir den Arm nicht über Gebühr ausstrecken müssen und so nah, dass wir das ganze Pferd gut im Überblick haben), können wir ein erstes Abwärtssenken des Halses und des Kopfes abfragen. Pferde die verspannen, sollten nicht zum Nachgeben mit dem Kappzaum gezwungen werden. Oft hilft ein Leckerli. Kann das Pferd Gras oder Heu vom Boden fressen, sollte es sich auch abwärts strecken können. Verspannungen oder Gegendruck haben auch oftmals psychische Ursachen. Auch das Vertrauen muss stimmen, schließlich legt das Pferd ja vertrauensvoll den Kopf in die Hände des Ausbilders.
  4. Sei ein Detektiv! Klappt`s mit der Stellung? Nein? Dann ist Ursachenforschung angesagt. Der Blick kann vom Pferdekopf bis zu den Hinterhufen den Grund erkunden. Möglicherweise ist eine falsche Rotation des Unterkiefers eine Ursache. Im Stehen kann der Reiter bequem vom Boden aus den Kiefer lösen. Die Beweglichkeit zwischen 1. und 2. Halswirbel kann überprüft werden. Die Hände können weiter auf Erkundungstour wandern und die Halswirbeln einzeln auf Verspannungsknoten abtasten. Lässt sich eine Parade durch den Pferdekörper schicken, oder stößt man auf einen Widerstand? Kommt das Pferd auf die Schultern, ist der Kopf möglicherweise zu tief gedehnt, in welcher Halshaltung fühlt sich mein Pferd wohl. Lernen wir unser Pferd ausführlich vom Boden kennen, dann wissen wir besser, wie es um seine Beweglichkeit gestellt ist!
  5. Täglicher Bewegungscheck: Tägliche Bewegung ist schon ein Must have geworden. Aber sowohl beim Menschen, wie beim Pferd gilt: die Bewegungsqualität muss stimmen. Als Menschen kennen wir das. Es gibt auch Tage, da ist man mal weniger beweglich. Wer sein Pferd vor dem Reiten im Stand löst und dies entweder vom Boden, oder vom Sattel tut, wird auch die kleinen feinen Unterschiede bemerken. Streckt sich das Pferd ohne Probleme abwärts, oder bleibt es mitten in der Dehnung ruckartig stecken? Muss es einen Schritt nach vorne machen, kommt es auf die Schulter und aus der Balance? Bereits das Aufwärmen verrät so einiges über die Qualität der Arbeit in der Vergangenheit!
  6. Schulung der Körpersprache: Wenn wir vom Boden aus arbeiten, schlagen wir quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits können wir unsere Körpersprache verbessern. Wer das Pferd mit dem eigenen Brustkorb blockiert und sich zu weit nach vorne lehnt, wird beispielsweise weniger erfolgreich im Kruppeherein sein. Wer sein eigenes Gewicht ausbalanciert und ausgeglichen verlagert, der kann das Pferd zwischen den Schultern lösen und für die Schulung der Parade etwas Gewicht in Richtung Hinterhand verlagern. Der positive Nebeneffekt: Wir bringen unser Pferd in Balance!
  7. Schulung des Sitzes: Die gleichen Übungen können auch vom Sattel aus überprüft werden. So können wir den Zirkel im Stand von den inneren Hilfen vergrößern und von den äußeren Hilfen verkleinern. Bent Branderup empfiehlt immer wieder den Seitengang im eigenen Körper zu verinnerlichen. Soll heißen: Im Stehen kann der Schulterhereinsitz geübt werden. Dabei bleibt das Pferd um den inneren Sitzknochen, inneren Schenkel gebogen. Außenzügel und innerer Schenkel sekundieren dem Sitz, die äußere Schulter zu bewegen. Der Schwerpunkt des Reiters wandert ein wenig in die gedachte Bewegungsrichtung, also außen an der Schulter vorbei, der Nabel und damit der Bauch geben die seitliche Bewegung vor. Im Stehen kann so in aller Ruhe „behirnt“ werden in welche Richtung der Schwerpunkt wandert und wie der eigene Körper aus dem Bauch heraus die Schultern bewegt.

 

Ein Sprichwort über die „Akademische Reitkunst“ lässt mich immer wieder Schmunzeln: Akademische Reitkunst heißt: Im Stehen über den Schritt und im Schritt über den Trab nachdenken. Wer im Stehen arbeitet, sollte die Arbeit im Stehen auch für die Schulung des Vorwärtsgefühls nutzen! Wer den Halt gründlisch schult, reitet Einfach 😉

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