„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“. Wer kennt ihn nicht, den Satz von Gustav Steinbrecht, der die deutsche Reitkunst so nachhaltig prägte, wie kein andererer. In seinem 1884 – ein Jahr vor seinem Tod erschienenen großen Werk „Das Gymnasium des Pferdes“ kritisierte Steinbrecht bereits den Verfall der Reitkunst. Wer sein Vermächtnis liest, attestiert dem Vater der deutschen Reitlehre beinahe hellseherische Fähigkeiten.

Kunst oder Kommerz?

Was würde Steinbrecht heute sagen? Ein fiktives Interview holt Steinbrecht zurück ins Hier und jetzt.

Herr Steinbrecht, ich sehe Sie mit kritischem Blick an der Bande stehen.

Steinbrecht: Sie kennen mich als passionierten Verfechter der Reitkunst. Wie ich schon im „Gymnasium des Pferdes“ verfasst von meinem lieben Schüler Paul Plinzner festgehalten habe, kann ich sowohl vor 130 Jahren wie heute sagen:

Die schönsten Künste erzeugen etwas wirklich wahrhaft Schönes nur dann wenn sie sich innerhalb der Grenzen des Natürlichen halten. Jede Überschreitung dieser Grenzen wird sofort durch Zerrbilder und Karikaturen bestraft. Die Mode mag diese Übertreibungen ja schön finden. Mit der wahren Kunst hat so manches aber nichts gemein.

Sie beziehen sich auf den Bewegungsablauf der Pferde heute?

Steinbrecht: Ja. Schon zu meiner Zeit kannte man Möglichkeiten, um mit verschiedenen mechanisierten Arten die Vorderbeine der Pferde zu heben. Da gibt es die paukende oder die stechende Art, bei der die Hand des Reiters rückwärts einwirkt und die Vorderbeine durch die Kompression in der Wirbelsäule des Pferdes, wie der Name schon sagt nach vorne stechen. Diese vermeintliche Energie verkauft diese Bewegungen ungeschulten Augen als echten Schwung. Wenn wir uns aber die Reitergruppen der alten Griechen aus ihren Olympischen Spielen ansehen, verstehe ich nicht, dass stechende Vorderbeine diese Grazie und Anmut übertrumpfen.

Vielleicht fällt es den Betrachtern schwer zu glauben, solche Bewegungen wären möglich gewesen?

Steinrbecht: Ich denke, den alten Meistern der Bildhauerkunst wäre es nicht möglich gewesen, ein solches Bild für die Ewigkeit festzuhalten, wenn sie solche Modelle nicht vor Augen gehabt hätten.

Sie kritisieren in ihrem Buch das Aussterben der Schulreiterei. Wie haben Sie den Spagat zwischen Campagneschule und Schulreiterei geschafft?

Steinbrecht beobachtet ein Pferd, das mit Kandare und Unterlegstrense an uns vorbei geführt wird.

Steinbrecht: Ja sehen Sie. Das zum Beispiel (zeigt auf die Zäumung). In meiner Zeit hat sich schon das gesamte Vokabular geändert. Manchmal hatte ich das Gefühl, man müsse wirklich jede Anweisung Wort für Wort niederschreiben. Wenn die Alten Meister etwa von der Zügelhand sprachen, dann meinten sie natürlich die linke Hand, die den Kandarenzügel blank führt. Das setzt aber ein vollkommen ausgebildetes Pferd voraus, das über den Sitz zu reiten ist und zwischen den Zügeln geführt werden kann. Die alten Miester haben weder Zeit noch Mühe gescheut, eine gründliche Ausbildung umzusetzen. Zu meiner Zeit wie heute, sehe ich alleine durch diese Zäumung (zeigt noch einmal auf das Pferd) die Bestätigung unseres Eingeständnis, dass wir unsere Pferde nicht in solcher Vollendung ausbilden wollen oder können, um sie mit den Kandarenzügeln der linken Hand allein unter allen Umständen beherrschen zu können.
Ich glaube es scheitert aber eher am Wollen, denn Können.

Wie kommen Sie denn darauf?

Steinbrecht: Sehen Sie, egal welchen Beruf, welche Profession man im Leben anstrebt. Der Kunde ist König. Wenn ich das Werk des Monsier Pluvinel durchblättere muss ich mir eingestehen, dass Pluvinel noch einen ganz anderen König als Kunden hatte. Der König begab sich mit offener und wissbegieriger Einstellung in die Schulung bei Monsieur. Zu meiner Zeit gab es schon das Diktat der Kunden. Ich musste bereits die Ansprüche der vorwärtsreitenden Kavallerie erfüllen. Ich bedauerte mehr als einmal gut ausgebildete Pferde dann im Zirkus zu sehen. Und ich bedauere, dass die Versammlungsschule nicht in ihrer Tradition so erhalten bleiben konnte. Ich verstehe vor allem nicht das Bestreben, Reiten als etwas Unbequemes zu erleben – nur weil alles etwas schneller in der Ausbildung gehen muss, macht man das Pferd für sich selbst und für den Reiter unbequem? Das erscheint mir einfach nicht logisch.

Schnell ist ein gutes Stichwort! Reite dein Pferd vorwärts…

Steinbrecht: …und richte es gerade. Ja. Ich sehe, was mit diesem Satz passiert ist. Wenn ich in die Reitinstitute von Heute blicke, dann sehe ich rasante Pferde, entlang der ganzen Bahn laufen. Weder gerade, noch vorwärtsgeritten. Sie sind rückwärtsgeritten. Der Rückschub dominiert, die Hinterbeine kommen trotz des hohen Tempos nicht ins Vorwärts. Bedauerlich, dass man nicht weitergelesen hat, denn ich betone in meinem Buch, dass ich unter dem Vorwärtstreiben nicht in eiligen und gestreckten Gangarten meine, sondern lediglich die Sorgfalt des Reiters betone, bei allen Übungen die Schubkraft der Hinterhand in Tätigkeit zu erhalten , damit das Bestreben des Pferdes, die Last vorwärts zu bewegen in jeder Situation wirksam bleibt, egal ob man vorwärts rückwärts oder seitwärts reitet.

Sie haben sich mit viel Biomechanik befasst. Wer Ihr Werk liest, kommt nicht umhin sich genau mit dem Körper des Pferdes, vor allem in der Biegung zu befassen.

Steinbrecht: Es war mir ein Anliegen, das Verständnis von Biegung und vor allem das Wissen, warum wir geraderichten und biegen zu fördern. Man vergesse nie, dass die Dressur eine geregelte Gymnastik, aber keine Zwangsmethode sein soll, und dass der Körper des Pferdes in die gewünschte Form nicht einmal hineingepresst, sondern allmählich befähigt werden soll.

Das sehe ich leider aktuell nicht immer gegeben. Die alten Meister verstanden es, die Hanke gründlich zu arbeiten und sind uns einst – und wie ich es vorausgesehen habe, besonders im Jetzt ein bleibendes Vorbild. Wer heute alte Stiche sieht, bleibt staunend zurück, ja die Bilder werden schon wie halbe Wunder betrachtet. Aber sie hatten ihre Kunst nur der Arbeit an der Tragkraft zu verdanken, und wenn es uns ernst ist, die Reitkunst als schöne Kunst zu erhalten und nicht zur Philisterei und zum Marionettenspiel verkommen zu lassen, so gibt es nur den einen Weg: Wir müssen den alten Meistern nachstreben.

Streben wir den Alten Meistern nach, dann reiten wir einfach 😉

PS: Gustav Steinbrechts „Gymnasium des Pferdes“ kann ich jedem, der sich für Reitkunst interessiert nur wärmstens ans Herz legen!