Das Wort „Trageerschöpfung“ ist in aller Munde, handelt es sich um eine neue Modeerkrankung bei Pferden? Wenn Reiter mit der Trageerschöpfung konfrontiert sind, wissen sie oft nicht weiter. Wie ist nun vorzugehen? Was bedeutet eine Trageerschöpfung für das Pferd überhaupt? Wie erkennen wir sie? Entsteht sie durch schlechtes Reiten oder überlastende Arbeit mit dem Pferd? Wie kann man ihr vorbeugen oder wie kann man sie verhindern? Fragen über Fragen….
Die Trageerschöpfung im Fokus
Wenn wir von Trageerschöpfung sprechen, dann sind der Brustkorb und der Rücken des Pferdes nach unten abgesackt. Eine gute Oberlinie zeichnet sich durch gut sichtbare Muskulatur zwischen Halswirbelsäule und Nackenband bzw. Mähnenkamm aus. Die Rückenmuskulatur bettet die Dornfortsätze der Wirbelsäule gut ein, diese sind freilich nicht sichtbar, die Kruppe ist rund und die Muskulatur wirkt gut tonisiert, das heißt sie ist weder verspannt noch schlaff. Bei der Trageerschöpfung ist die runde Oberlinie verschwunden und die Rückenmuskulatur nicht mehr erkennbar. Durch das Absinken des Brustkorbes wird es sogar rund um die Wirbelbereiche eng und die Nervenaustrittslöcher werden komprimiert. Das Pferd hat dadurch Schmerzen.
Durch das Absacken des Brustkorbes wird die Brustmuskulatur stark überlastet und die Nackenmuskulatur wird überdehnt. Das Pferd versucht mit der Schultermuskulatur den Brustkorb wieder nach oben zu stemmen, wodurch die Schultermuskulatur verspannt und sich an der Schulter „Päckchen“ bilden, die schnell als Fettpolster oder Muskelpakete eingestuft werden können, wenn das Pferd nicht als Ganzes beobachtet wird.
Das Pferd versucht freilich gegenzusteuern: Damit der Rücken gehoben werden kann, hat die Hinterhand mächtig viel zu tun.
Sie versucht durch das Anspannen der Kruppenmuskulatur den Rücken hochzuheben, wodurch diese verspannt und auch die Muskulatur an den Sitzbeinhöckern wird fest. Dies erkennt man, wenn sich die Muskulatur an den Sitzbeinhöckern von der restlichen Hinterhand förmlich „abkapselt“ – auch hier nehmen wir deutlich verspannte Muskeln wahr. Die Kruppe erscheint nicht mehr rund, sondern ist eingefallen (von hinten scheint sie wie ein Dach) und der Rücken sackt immer weiter ab. Auch die Lendenmuskulatur versucht zur Stabilität beizutragen und wölbt sich auf, sodass die Lendenwirbelsäule deutlich sichtbar wird
Wenn man sein Pferd als Ganzes betrachtet, sollte man auf die Sattellage achten, ob diese eingesunken ist und der Widerrist stark hervortritt. Auch ein herausstehendes Brustbein und rückständige Vorderbeine können Anzeichen einer Trageerschöpfung sein
Wie kann eine Trageerschöpfung entstehen?
- Wenn das Pferd nach einer langen Pause zu intensiv ins Training kommt.
- Zu schwerer Reiter
- Plötzliche Umstellung der Lebensumstände – auch eine Umstellung von Boxenhaltung mit wenig Auslauf in permanente Bewegungshaltung kann zu einer Trageerschöpfung führen
- Körperliche Voraussetzungen:
Breitbeiniges oder sehr schmales Fußen erschweren eine korrekte Kraftübertragung über den Rücken und somit ein Anheben des Brustkorbes aus der Hinterhand - Zu feste Reiterhand
- Unpassender Sattel
- Unregelmäßige oder qualitativ ungenügende Hufbearbeitung
- Lahmheit, die übergangen bzw. übersehen wird
- Der Brustkorb des Pferdes darf nie schwingen (beispielsweise bei gut gemeinter Idee von Versammlung, die jedoch schlecht ausgeführt wird, der Rücken schwingt nicht mit)
- Der Reiter blockiert das Pferd im Sitz
- Zu starke Nutzung/ Überforderung des Pferdes
Trageerschöpft – Ein Beispiel aus der Praxis
Meine Stute Amira ist im Mai 2017, also genau vor 3 Jahren, von einem Boxenstall mit Halbtagskoppel in einen Aktivstall umgezogen. Der Aktivstall hatte neu eröffnet und ich wollte meiner roten Stute die perfekte Haltung bieten. Die Bewegungsqualität und vor allem Quantität meines Pferdes sollte nicht abhängig sein von meiner Zeit. Pferde sollen sich in ihrer Freizeit ausreichend bewegen können, das Reiten ist nicht dazu da, um Kilometer aufs Pferd zu spulen.
Amira gewöhnte sich schnell an den Alltag in der Herde. Sie war mit den anderen an der Heuraufe, sie hatte in Windeseile verstanden, dass es bei der Kraftfutterstation etwas zu holen gibt, sie wusste wo das Wasser ist und sie legte sich regelmäßig in die Liegehalle, um sich auszuruhen. Das Konzept des Aktivstalles war perfekt und penibel ausgearbeitet und entsprach dem natürlichen Alltag eines Pferdes.
Alles schien perfekt! Mein Pferd hatte sich an sein neues Zuhause gewöhnt. Pferd glücklich – Mensch glücklich.
Die Rechnung der Haltungsänderung kam dann erst später. Ende Juni hatte Amira eine schwere Kolik, da sie zu wenig getrunken hatte. Es war ein extrem heißer Tag mit 36 Grad und sie hielt sich in der kühlen Liegehalle auf und fraß dabei recht viel Stroh. So kam es zu einer Verstopfung mit einer leichten Verlagerung des Darms. Zum Glück konnten wir durch schnelles Eingreifen und rasche Hilfe durch die Tierärztin einen Besuch in der Tierklinik verhindern.
Amira erholte sich schnell und schien wieder fit zu sein. Sie hatte jedoch sichtlich abgenommen, was auf den ersten Blick nicht unbedingt negativ war, da sie etwas zu viel Gewicht auf den Rippen hatte. Sie nahm jedoch in den nächsten zwei Monaten weiter ab und man bemerkte eine starke körperliche Veränderung. Die Muskulatur wurde schlechter, sie schien immer träger zu werden und die bis dahin gut bemuskelte Hinterhand war verspannt.
Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Unsere Arbeit verlief immer nach Maß, wir waren sehr viel am Boden unterwegs und immer bedacht auf eine korrekte Gymnastizierung. Also haben wir uns gemeinsam auf Ursachenforschung begeben. Rückblickend hatte sich Amiras körperliche Verfassung mit dem Einzug in den Aktivstall verändert. Hier kann ich nur den Tip weitergeben, gerne auch von außen einen Trainerkollegen zu konsultieren – in meinem Fall habe ich gemeinsam mit Anna Eichinger überlegt, wann sich, was verändert hatte. Fragen von außen können helfen, aus der Situation heraus zu treten und die Sache neutral von außen zu betrachten.
Niemals hätte ich mir gedacht, dass eine Haltungsänderung so eine körperliche Belastung darstellen konnte.
In Absprache mit unserer fürsorglichen Stallbesitzerin kam Amira 2 bis 3 Mal in der Woche über Nacht in eine Box, um sich wirklich auszuruhen, sie bekam zusätzliches Futter und wurde hauptsächlich vom Boden aus gymnastiziert. Die Dehnung der Oberlinie und das korrekte Untertreten der Hinterbeine, um den Brustkorb wieder zu heben, hatten oberste Priorität.
Der bevorstehende Winter machte den Aufbau nicht unbedingt leichter, aber auch dieser Hürde blickten wir ins Auge. Noch wollte ich den Traum vom „Luxusleben für Pferde“ nicht aufgeben, da sich Amiras physischer Zustand kontinuierlich verbesserte.
Was uns den Aufbau erschwert hat, war Amiras Bewegungskonzept, sehr schmal zu fußen, man bezeichnet dies als „Seiltänzer“ Syndrom. Dadurch ist die korrekte Übertragung von Kraft und Rückenschwung über das stehende Hinterbein ins Becken und weiter an die Wirbelsäule erschwert. Der korrekte Schwung über den Rücken ist allerdings essenziell für ein Reitpferd und gerade für ein Pferd mit einer Trageerschöpfung besonders wichtig, denn ohne korrekten Schwung kann das Pferd den Brustkorb nicht anheben. Das Ergebnis: Der Brustkorb sackt wieder ab, die Schultern müssen die Belastung kompensieren. Amiras Bemuskelung an der Schulter wird uns also auch im Stand fotografiert darüber Aufschluss geben, wie es um ihre Bewegungsqualität steht.
Amira hat sich nach diesen 8 Monaten an die Haltung im Aktivstall gewöhnt. Sie hatte an Kraft und Energie dazu gewonnen, was sich auch an der wachsenden Bewegungsfreude bemerkbar machte. 2 Jahre später, wohnt Amira immer noch im Aktivstall „Equimotion“ und genießt ihre Freiheit.
Trotz der schweren Anfangsphase möchte ich diese Art von Haltung nicht missen. Man sieht deutlich wie glücklich die Pferde sind, da sie ihren persönlichen Tagesablauf gestalten können und nicht gänzlich abhängig sind durch ein „Management“ durch den Menschen.
Ich habe durch Amira deutlich an Erfahrung dazu gewonnen und werde nie wieder unterschätzen, wie anstrengend die Änderung des Alltages für ein Pferd sein kann.
Wie kann man einer Trageerschöpfung vorbeugen?
Genau beobachten
Es ist wichtig, dass man sein Pferd immer wieder in der körperlichen Gesamtkonstitution begutachtet. Dabei kann es helfen, regelmäßig Fotos im Seitenprofil zu machen, damit man Veränderungen leichter erkennt. Gerade wenn man das Pferd in neue Lebensumstände eingliedert, ist es wichtig den Pferdekörper und das Wohlbefinden genau im Auge zu haben.
Sattel kontrollieren
Der Sattel sollte regelmäßig auf seine Passform kontrolliert werden, damit Druckstellen und somit Verspannungen vorgebeugt werden kann.
Langsam das Training steigern
Wenn das Pferd längere Zeit aus verschiedenen Gründen, wie eine Verletzung, Krankheit oder berufliche Engpässe nicht gearbeitet wurde und viel Pause hatte, sollte das Pferd wieder langsam an die Arbeit herangeführt werden. Geht man zu schnell ins alte Trainingskonzept zurück, kann man die Muskulatur überfordern und somit Verspannungen hervorrufen. Macht man dies über einen längeren Zeitraum, kann das Pferd zu Schaden kommen.
Guter Unterricht
Guter Unterricht ist für das korrekte Training das A und O. Ein Trainer kann helfen, den Bewegungsablauf des Pferdes zu analysieren und genau auf diesen einzugehen. Er kann bei der Hilfengebung helfen und den Reitersitz, sowie die Reiterhand schulen.
Regelmäßige Hufbearbeitung
Das regelmäßige Bearbeiten der Hufe ist unumgänglich. Eine richtige Hufstellung ist für den ganzen Pferdekörper wichtig. Denn ohne Huf, kein Pferd
Trageerschöpft – zum Weiterlesen
- Bodenarbeit in der Praxis
- Wenn Pferde in die Jahre kommen
- Die Trageerschöpfung
- Warum sich guter Unterricht lohnt
Hallo Viktoria, danke für diesen guten Artikel! Ich lese immer wissbegierig mit und freue mich jedes Mal über die Texte, die bei Euch einfach „rund“ sind 🙂
Diesmal habe ich eine Verständnisfrage: Weiter unten im Artikel schreibst Du
„Dadurch ist die korrekte Übertragung von Kraft und Rückenschwung über das stehende Vorderbein ins Becken und weiter an die Wirbelsäule erschwert“ (es geht um das schmale Fußen, Seiltänzergang)
Meinst Du eigtl das Hinterbein? Oder tatsächlich das Vorderbein- dann muss ich nachfragen, wie diese Kraftübertragungskette gemeint ist?
Ich finde es besonders hilfreich, dass Du Amiras körperlichen Zustand so gut dokumentiert hast und hier den Verlauf beschreibst. Das habe ich in der Geschichte mit meinem Wallach leider so kontinuierlich nicht gemacht (erkenne aber natürlich hier viele Punkte wieder), weiß aber mittlerweile auch, wie schnell durch einen großen Offenstall und kleine Veränderungen ein enormer Stress fürs Pferd entstehen kann.
Danke!!
LG Annika
PS: kann es sein, dass ein Buchstabendreher in Deinem Benutzernamen im System besteht? 😉
Liebe Annika!
Vielen Dank für dein liebes Feedback 🙂 Ich freue mich immer sehr, wenn unsere Beiträge gerne gelesen werden!
Du hast mit deiner Anmerkung zum Vorderbein natürlich recht! Da gehört das Hinterbein hin, dann ist die Übertragungskette wieder logisch 😉
Danke auch für den Hinweis mit meinem Namen! Das überliest man beim eigenen Namen ganz schnell, dass da ein Dreher drinnen ist!
Das mit dem Offenstall ist wirklich nicht zu unterschätzen, wenn ein Pferd das zuvor nicht kannte. Ich habe auch oft beobachtet, dass manche Pferde im Offenstall gar nicht zurecht gekommen sind und wieder aus der Herde genommen wurden. Zum Glück gibt es bei uns auch die Möglichkeit sein Pferd in der Box zu halten mit ganztägigen Koppelgang in Kleingruppen. Somit muss man dann auch nicht wieder einen neuen Stall suchen.
Ich wünsche dir weiterhin viel Freude beim Lesen unserer Beiträge 🙂
Alles Liebe
Viktoria
Danke Dir! 🙃
Das ist gut- wenn es auch für die Boxenpferde durchs ganze Jahr Auslauf mit Artgenossen gibt. Und auch die Möglichkeit, einem Offenstallpferd nachts eine Box zu gönnen. Ich denke, das täte vielen in den relativ großen Herden (so kenne ich es im stadtnahen Raum) auf relativ engem Raum doch gut..
Viele liebe Grüße
Annika