Wenn es im Kreuz zwickt, dann suchen wir den Arzt oder Physiotherapeuten auf. Pferde können nicht sofort sagen, wenn es zwickt. Ein Phänomen, über das viel diskutiert wird, ist die sogenannte Trageerschöpfung. Ich habe bei der Physiotherapeutin Laura Haitzmann, die nicht nur Pferden, sondern auch Menschen in Punkto Bewegungsqualität auf die Beine hilft nachgefragt – übrigens auf vielfachen Wunsch meiner Leser, die sich einen Artikel zu diesem Thema gewünscht hatten:

Laura, zur Definition Trageerschöpfung, wie könnte man das denn beim Menschen gleich setzen, oder übersetzen?

Laura: Das Wort Trageerschöpfung ist dank vieler aufklärender Artikel mittlerweile in den Köpfen der Pferdemenschen angekommen, dennoch werden einige bei diesem Wort ratlos den Kopf schütteln oder spätestens dann, wenn man sie fragt WAS aus Sicht des Besitzers bei einer Trageerschöpfung zu tun sei. Manche mögen es auch als Modediagnose abtun. Fakt ist, das Pferd weist einen Erschöpfungszustand auf und es besteht Handlungsbedarf!

Wie erkenne ich als Reiter eine Trageerschöpfung?

Laura: Der Brustkorb sinkt mit dem Rücken des Pferdes nach unten, hierbei reichen wenige Zentimeter. Durch dieses Absinken wird es im Bereich der Wirbelgelenke eng, Nervenaustrittslöcher werden komprimiert, das Pferd hat Schmerzen. Die logische Folge ist eine Verspannung der umgebenden Muskulatur. Besonders die Schultermuskulatur hinter und unter dem Schulterblatt ist hier verspannt, sie versucht nämlich gegen dieses Absacken des Brustkorbes anzukämpfen. Auch die Kruppenmuskeln weisen eine ungesunde Spannung auf, da sie versuchen den Rücken von hinten anzuheben. Diese Verspannung setzt sich fort bis in die gesamte Hinterhandmuskulatur, um das Becken zu stabilisieren. Schließlich versucht das Pferd häufig durch Rundmachen der Lendenwirbelsäule den Brustkorb anzuheben.

Ich als Reiter sehe bei einer Trageerschöpfung eine eingesunkene Sattellage, einen scheinbar herausragenden Widerrist und ausgeprägte Muskulatur im Schulterbereich und Unterhals. Zudem kann ein prominentes Brustbein sowie rückständige Vorderbeine oder eine nach innen zeigende Zehe zusätzliche Hinweise liefern. Durch die verspannte Lende ist eine Schwungübertragung von der Hinterhand auf die Vorhand nicht mehr möglich, die Pferde werden kurztrittig.

Wie man diesen Zustand beim Menschen gleich setzt ist nicht ganz einfach zu beantworten, da wir uns auf zwei Beinen bewegen und nicht auf vier. Zudem tragen wir ja selten einen Reiter auf unserem Rücken spazieren.  Aber ich möchte es mit folgendem Beispiel versuchen, auch wenn es nicht das komplette Beschwerdebild wiederspiegelt:

Versuche dein Brustbein Richtung Bauchnabel zu ziehen und dann spanne in dieser Haltung alle deine Nackenmuskeln an. Wenn du es schaffst diese Spannung im Stehen aufrecht zu halten versuche so zu gehen. Du wirst einen steifen verhaltenen Gang bemerken.

Die Lösung wäre eine Entspannung der Oberlinie, der Hals müsste sich strecken dürfen. Was aber immer geht ist den Hals aufzurollen. Viele Reiter geben sich mit diesem Zustand-leider-zufrieden.

Welche Ursachen aus deiner täglichen Praxis kennst du für Trageerschöpfung?

Laura: Hier kann ich zunächst folgende Ursachen nennen:

  • disharmonische Hufbalance/generell Schmerzen in den Beinen
  • mangelnder Vorgriff aus der Hinterhand
  • zu langes Reiten für den Trainingszustand des Pferdes
  • fester Zügelzug /absolute Aufrichtung
  • klemmender Sattel
  • klemmender Reiter
  • zu schwerer Reiter, bzw. mangelnde Vorbereitung des Pferdes auf das Tragen eines Gewichtes
  • schlechte Haltung
  • auch große Narben von Kolikoperationen können die Tätigkeit der Bauchmuskulatur einschränken

Generell spielen immer mehrere Ursachen zusammen, man könnte sagen das Geschehen ist multifaktoriell. Durch die oben genannten Auslöser sackt wie schon beschrieben der Brustkorb ab. Die unteren Halswirbel und die vorderen Brustwirbel geraten in eine unangenehme Drucksituation – der Therapeut würde dann von einer Blockade sprechen. Die Muskeln rund um diesen Bereich machen sich fest.

Welche Muskeln sollten im Fall des Falles gekräftigt werden und wie?

Laura: Anfangs macht es keinen Sinn mit einem Kräftigungsprogramm im eigentlichen Sinn zu starten. In diesem Fall sollte man sich erstmal an Fachpersonal wenden, welches durch eine Funktionsdiagnose des Cervicothorakalen Übergangs eine Bestätigung des Verdachtes liefert. Danach wird das Pferd mit Weichteiltechniken und anderen Techniken von seinen Schmerzen so gut wie möglich befreit und erst dann, wenn die Muskulatur wieder annäherungsweise arbeiten kann, nimmt man das Training auf.

Die grundlegenden Inhalte werden sein: korrektes Dehnen der Oberlinie, korrekte Lastaufnahme der Hinterbeine.

WIE genau man das umsetzt hängt vom Pferd-Reiterpaar ab, die Trainingspläne sind sehr individuell.

Ich habe aktuell einen Fall, wo die Besitzerin kein Interesse an Bodenarbeit und Gymnastik hat. Was habe ich dieser Besitzerin geraten: lasse die Zügel lang, sorge für eine optimale Hufstellung, mache Ausritte mit viel ruhigem Galopp und geh öfter mal mit deinem Pferd in unwegsamen Gelände spazieren. Zudem wird sie ihr Pferd mit einem horse bodyformer longieren, mit dem ich aber derzeitig auch noch keine Erfahrung gemacht habe.

Was würde ich einem mit der Akademischen Reitkunst vertrauten Reiter raten? Irgendwo hat sich ein Fehler eingeschlichen also Back to the basics – zurück zur Bodenarbeit. Gymnastiziere die Hinterbeine,bei den Seitengängen ist weniger oft mehr. Sorge dafür, dass die Hinterbeine wirklich korrekt Last aufnehmen und der Brustkorb sich hebt. Bleibe immer selbstkritisch und lass dir regelmässig von einem erfahrenen Trainer über die Schulter schauen. Vergiss aber auch nicht, mit deinem Pferd mal einen flotten Geländeritt zu unternehmen und einfach nur Spaß zu haben.

Warum kann eine Trageerschöpfung trotz Training zunehmen?

Laura: Wenn die Beschwerden trotz Training zunehmen, wurde entweder das Training nicht überdacht oder ungenügend optimiert oder das Pferd wird wie oben erwähnt für seinen Trainingszustand zu lange gearbeitet. Zudem können falsche Haltung und falsche Hufbalance schwerwiegenden Einfluss auf den Genesungsprozess haben.

Welchen Trainingsplan schlägst du bei solch einem Fall vor?

Laura: Zuerst schlage ich vor den Druck auf den Rücken zu minimieren indem man absteigt und sich intensiv mit vorbereitender Bodenarbeit auseinander setzt, danach werden alle Übungen, die die Brust- und Bauchmuskulatur wieder zur Arbeitsaufnahme anregen forciert, zusammenfassend gesagt: die Hinterhand muss korrekt aktiviert werden. Erst wenn das Pferd soviel Tragkraft aufgebaut hat, dass es das Reitergewicht tragen kann ohne dabei weiteren Schaden zu erleiden kann man das Reitergewicht peu a peu wieder hinzufügen. Dieser Vorgang kann mehrere Monate dauern. Dabei gilt es aber immer die Entwicklung des Pferdes selbstkritisch zu hinterfragen und im Falle des Falles lieber einen Schritt rückwärts zu gehen als 2 Schritte zu viel vorwärts.

Was kann und sollte man an der Haltung eventuell ändern?

Laura: Am wichtigsten erscheint es mir ewig lange Stehzeiten zu vermeiden, indem sich das Pferd mehrere Stunden am Tag mit Artgenossen auf einer möglichst großen Koppel bewegen darf oder die Haltung dahingehend verändert wird, dass die Haltungsform an sich für ausreichend Bewegung sorgt. Sollte das nicht der Fall sein, versuche Bewegungsanreize zu schaffen. Ein guter erster Schritt wäre, die Funktionsbereiche für Fressen, Trinken und Liegen zu verlegen, sodass zwischen diesen ein gewisser Abstand gegeben ist, der die Pferde dazu zwingt, sich zu bewegen. Da Pferde sehr effizient mit ihrer Energie haushalten und unnötige Wege vermeiden, gilt es, die Wegstrecken zu verlängern, um mehr Bewegung zu erzielen.
Das geht mit Zäunen sehr gut. Ein Weidestück oder ein Paddock kann mit einem gesteckten „T“ auch auf kleiner Fläche für Bewegung sorgen. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt und oftmals lassen sich auch mit wenig finanziellem Aufwand sinnvolle Lösungen herbeiführen.

Trageerschöpfung und sofort werden Sattel und co unter die Lupe genommen, aber nicht der Mensch. Was kann der Mensch an sich verbessern, damit es nicht wieder passiert?

Laura: Der Mensch sollte zu allererst Ursachenforschung betreiben und die Auslöser so gut wie möglich abstellen. Das kann beinhalten, dass der Reiter über seine Handeinwirkung nachdenken muss oder eine Sitzschulung besuchen muss, weil der Reitersitz viel zu stark klemmt. Es kann aber auch sein, dass sich der Mensch eingestehen muss, dass die momentane Haltungsform nicht optimal für das Pferd ist oder dass man sich auf die Suche nach einem geeigneteren Hufspezialisten, Sattler oder Trainer machen wird.

Alles in allem geht es darum ein noch besserer Reiter und Pferdemensch zu werden.

Werden wir also bessere Pferdemenschen, dann halten wir unsere Pferde gesund!

Wer mehr über Laura und ihre Arbeit wissen möchte, besucht am besten ihre Webseite!

PS: Wie schon eingangs erwähnt ist dieser Artikel durch das Feedback meiner Leser entstanden. Hast du ein Thema, über das ich schreiben, oder mit einer Expertin wie Laura sprechen soll? Dann hinterlasse dich ganz einfach unter dem Artikel einen Themenwunsch in der Kommentarfunktion!

 

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