Über den korrekten Rückenschwung gibt es viele Aussagen und Interpretationen, die ebenso viele Diskussionen und Diskrepanzen auslösen. Während die einen Schwung mit einer gesteigerten Energie verbinden, sprechen andere von einem Drehimpuls eines rotierenden Körpers. Schwung kann aber auch ein Lebensgefühl bezeichnen, Schwung gibt es nicht nur in der Reitkunst, sondern auch beim Skifahren und Golfspielen.

In der FN wird Schwung definiert als…

„die Übertragung des energischen Impulses aus der Hinterhand über den schwingenden Rücken auf die Gesamt-Vorwärtsbewegung des Pferdes.“

Weiter heißt es:

„Schwung kennzeichnet die Grundgangarten Trab und Galopp, weil sie eine Schwebephase aufweisen. Der Schritt hat keine Phase der freien Schwebe und kann daher auch nicht als schwunghaft bezeichnet werden.“

In der Akademischen Reitkunst…

…attestieren wir dem Schritt allerdings alles andere als Schwunglosigkeit – um diese Definition müssen wir allerdings im Pferdekörper dort hin reisen, wo Schwung passiert.

Die Wirbelsäule

Auf meinen Kursen oder im Unterricht frage ich oft bei meinen Schülern nach, ob sie mir zeigen können, wie die Wirbelsäule des Pferdes verläuft. Nicht immer sind dann die Angaben meiner Schüler korrekt, viele stellen sich die Wirbelsäule des Pferdes gleich wie die Wirbelsäule des Menschen vor und würden die einzelnen Wirbel direkt unterhalb des Mähnenkammes einzeichnen.

Wenn wir allerdings die tatsächliche Wirbelsäule des Pferdes betrachten, dann sehen wir drei Kurven – siehe Titelbild

Mehr als 50 einzelne Knochen bilden die Wirbelsäule, die sich von der Halswirbelsäule (7 Halswirbel) über die Brustwirbelsäule (18 Brustwirbel), Lendenwirbelsäule (6 Lendenwirbel), Kreuzwirbelsäule (5 Stück) bis zur Schweifwirbelsäule (15 bis 21 Wirbel) erstreckt.

Aufgaben der Wirbelsäule:

  • Bildet die knöcherne Mitte des Körpers
  • Schützt das Rückenmark

Soweit die Anatomie. Für uns Reiter ist aber natürlich die biomechanische Funktion am Wichtigsten:

  • Die Wirbelsäule überträgt die Kraft, die in der Hinterhand entsteht über das Becken bis hin zum Kopf, also von hinten nach vorne.
  • Die verschiedenen Abschnitte der Wirbelsäule (Hals-, Brust-, Lendenwirbelsäule, Kreuzwirbelsäule und Schweif) haben ganz unterschiedliche Beweglichkeiten, insgesamt kann aber – und das ist besonders wichtig – von einer dreidimensionalen Bewegung der Wirbelsäule gesprochen werden.

Alles Dreidimensional?

Konkret gesagt bedeutet das, die einzelnen Wirbelkörper können sich beugen und strecken, außerdem können sie sich in der Länge biegen und eine Drehung nach links und rechts ausführen. Je dicker die Bandscheiben zwischen den einzelnen Wirbelkörpern, umso beweglicher ist das Pferd in diesem Bereich der Wirbelsäule.

Vereinfacht stellen wir uns folgendes vor : Wir führen unsere Hände in einem Abstand von ca. 10 Zentimetern zueinander – also ohne dass sich die Handflächen berühren. Nun formt die linke Hand ein C, die rechte Hand spiegelt das C. Fingerkuppen und Ballen berühren einander gerade nicht, sind sich aber nah.  Die Rundung in unseren Fingern stellen wir uns als Brustkorb des Pferdes vor, dort, wo sich die Finger nicht berühren liegen in unserer Fantasie die Dornfortsätze des Pferdes. Der Brustkorb kann sich nun auf und ab, zur Seite und in Rotation bewegen.

Wenn wir auf dem Pferd sitzen und uns bemühen die Bewegung des linken Hinterbeins zu erfühlen, dann können wir rasch feststellen: Wenn das linke Hinterbein, als inneres Hinterbein, den Boden verlässt und nach vorne unter den Pferdebauch geführt wird, wird unser linker Sitzknochen nach unten geführt. Der innere Oberschenkel am Pferd fühlt sich an, als gleite er nach vorne unten. Die Bewegung fühlt sich an, als würde man selbst laufen. Die innere Hüfte geht also nach vorne-unten. Während es auf der linken Seite also nach unten geht, wird die rechte Pobacke des Reiters sanft gehoben. Wenn es also links abwärts geht, geht es für uns rechts aufwärts.

Sehr oft hat sich aber in den Köpfen der Reiter ein „Auswischen des Sattels“ verankert. Wir schieben dann mit beiden Sitzknochen gleichzeitig das Pferd vorwärts – die natürliche Bewegung des Pferdes würde uns aber zu einer ganz anderen Bewegung einladen.

Das ist etwa so, als würden zwei Tanzpartner nicht ganz einig sein über den Takt: der eine möchte Walzer tanzen, der andere lieber Salsa.

Gleichzeitig beschweren sich viele Reiter darüber, auf dem Pferd Kreuzschmerzen zu bekommen, dabei wurde ihnen möglicherweise Reiten sogar als heilsame Methode für den eigenen Rücken empfohlen. Stimmt das etwa nicht?

Doch es stimmt. Schließlich gibt es viele Angebote im Heiltherapeutischen Reiten, die große Erfolge erzielen und Menschen oft die Beweglichkeit wieder geben oder sie überhaupt erst ermöglichen.

Der Unterschied? Wir „aktive Reiter“ möchten oft so gerne auf dem Pferd etwas produzieren, wir schieben das Pferd vorwärts entgegen seiner natürlichen Bewegung. Menschen, die das Pferd im Rahmen einer Therapie kennen lernen, wollen oft gar nichts erzeugen. Sie sind auch viel eher im Moment mit dem Pferd und genießen die Bewegungen, anstelle etwas zu verbessern oder erzeugen zu wollen.

Observieren von Bewegungen

Beobachten wir das Pferd genauer. Legen wir einen Sattel auf den Rücken und arbeiten wir unser Pferd in der Bodenarbeitsposition (wir befinden uns also vor dem Pferd und führen es am Kappzaum vorwärts, während wir rückwärts laufen) oder aber wir beobachten unser Pferd an der Longe. Wir sehen nun wie der Sattel links und rechts schwingt. Unsere Augen wandern erneut zum inneren Hinterbein, links. Was passiert mit der Hinterzwiesel des Sattels, wenn das innere Hinterbein vorgeführt wird? „Kippt“ der Sattel ein wenig nach innen oder etwa nach außen? Wie sich der Sattel auf dem Pferd bewegt, gibt uns auch Aufschluss über den korrekten Rückenschwung. Bewegt sich der Sattel scheinbar nach innen-unten, dann rotiert der Brustkorb korrekt nach innen-unten, wenn das innere Hinterbein vorgeführt wird. Die Nickbewegung des Pferdes ist eher nach vorne-unten, als nach hinten oben – wenn wir die Bewegung hinter den Ohren genau beobachten. Nehmen wir erstere Beschreibung wahr, dann ist das Pferd ebenso über den Rücken unterwegs und überträgt seinen Rückenschwung korrekt. Wenn das Pferd das innere Vorderbein (links) hebt, dann wird der Kopf ebenso nach links innen seitlich federn. Die vertikalen und horizontalen Bewegungen sind nicht nur im Schritt, sondern auch im Galopp bei gestrecktem Hals für unser Auge extrem gut wahrnehmbar. Ein weiteres Zeichen für die großen Schwingungen der Wirbelsäule – eben nicht nur im Galopp – sondern auch im Schritt.

Den Schwung kaputt machen

Für meine Schüler habe ich gerne ein Experiment aus dem Alltag. Wir fassen uns an der Hand und gehen „händchenhaltend“ spazieren. Freilich, für diese Übung muss man sich schon einigermaßen wohl miteinander fühlen (daher ist auch für unsere Pferde die Etablierung einer angenehmen Beziehung wichtig, bevor es an die Arbeit und Ausbildung geht).

Wir gehen also Hand in Hand. Es fühlt sich gut an, wir schwingen beide mit unseren Händen nach vorne und zurück. Wir Menschen sind Traber: Wenn also mein rechtes Bein den Boden verlässt und nach vorne greift, greift auch meine linke Hand nach vorne. Nach einigen Metern kann sich das Paar aufeinander eingestellt haben – oder eben auch nicht. Haben wir einen Partner der im Größenverhältnis und Gangmaß nicht so gut zu uns passt, dann werden wir in der Bewegung unserer Wirbelsäule gestört. Es kann auch sein, dass sich Hand und Arm unseres Partners schwer auf uns stützen. Wir fühlen uns unnötig belastet. Der Rhythmus passt nicht mehr zusammen – und plötzlich laufen wir nicht mehr unserer Natur entsprechend mit einer diagonalen Fuß-Hand Folge – sondern parallel. Wir laufen Pass. Der Rücken fühlt sich nach einigen Metern schon sehr unbeweglich an – Bequemlichkeit sieht anders aus. Wir sind richtig erleichtert, wenn wir die Hände voneinander trennen dürfen und wieder in unseren eigenen Rhythmus zurück finden.

So geht es auch vielen Pferden – vor allem dann, wenn Schwung mit Spannung verwechselt wird. Gebetsmühlenartig kann man hier den wichtigsten Grundsatz von Gustav Steinbrecht zitieren: „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ – nicht aber ohne dessen Warnung hinzuzufügen: „ich meine nicht das Schnelle“. Soll heißen: Wenn der Hinterfuß des Pferdes nicht nach vorne greift, sondern hinten hinaus gegen die Hand schiebt, dann entsteht Spannung, der Reiter spürt dies unmittelbar durch das in die Hand gedrückte Gewicht. Wie also können wir verhindern den Schwung kaputt zu machen?

Eine immer häufiger gehörte Empfehlung lautet: Auf keinen Fall Schritt zu reiten- bzw. zu „arbeiten“. Der Schritt ist ja schließlich auch am störanfälligsten. Einerseits wird dem Schritt kein Schwung attestiert, andererseits weiß man also um die rasche Zerstörung des Schritts (und des korrekten Schwungs).

In der Akademischen Reitkunst wird aber viel Schritt geritten – vor allem für uns Menschen als Lernende ist es hilfreich erstmal im Schritt zu tüfteln und zu fühlen, wann denn ein Hinterfuß den Boden verlässt, wo der Fuß dann genau abgesetzt wird, wie sich Bewegung unter dem Reiter anfühlt und und und…Wir brauchen also den Schritt, den wir bei Beachtung der wichtigsten Grundelemente: Balance, Losgelassenheit, Durchlässigkeit, Formgebung, Tempo und Takt nicht zerstören, sondern durch eine durchdachte Ausbildungsleiter von der Bodenarbeit, über die Longenarbeit, Crossover, Langer Zügel, Handarbeit bis zur Arbeit imSattel bewahren und schulen können.

Beachten wir den korrekten Schwung, dann reiten wir Einfach 😉