Versammlung und das junge Pferd? Eine spannende Frage, die mir kürzlich über YouTube gestellt wurde und mich in Punkto Talent, Begabung und Frühförderung nachdenken hat lassen.
Titelbild: Katharina Gerletz Fotografie, Lipizzaner Konrad in der Galopp-Pirouette
Versammlung und was wir sein könnten
Vor Jahren bin ich über das Buch von Neurowissenschaftler Gerald Hüther gestoßen mit dem spannenden Titel: „Was wir sind und was wir sein könnten“. Es ging um den Fokus auf Talent und Begeisterung.
Dazu eine kleine Geschichte:
Mit 5 war ich in der musikalischen Früherziehung. Meine Erinnerung daran? Anna und ein Xylophon – wenig später sollte es dann die Geige hörne, da mir unfassbar viel Talent nachgesagt wurde. Ich kann bis heute keine Noten richtig lesen, ich habe ein Stück gehört und es nachgespielt. Vorzugsweise Vivaldi. Trotzdem war mein Berufswunsch nicht bei den Wienern Philharmonikern – meine Welt war im Stall – bei den Pferden.
Was das Leben lehrt? Es geht immer um Begeisterung – Talent alleine reicht nicht aus, um seine Träume zu leben. Und manchmal kann auch mangelndes Talent dank immenser Begeisterung Berge bewegen.
Was wir sind und was wir sein könnten
Der Titel von Gerald Hüther hat mich sehr inspiriert. Meine Stute Tarabaya war breitbeinig, extreme Schubkraft, extreme Beschleunigung. Extreme Meinung. Tabby war häufig erst mal skeptisch und auf eine Frage, ob sie etwas könnte, reagierte sie gerne mit einem lautstarken „Das kann ich nicht“. Hat mich irgendwie an die Sache mit der Geige erinnert („Kannst du nicht ein bisschen üben“?)…und ohne Motivation hätte ich wohl nicht eine Note gespielt.
„Eine Begabung oder ein Talent ist ja zunächst nur eine Möglichkeit, um später eine besondere Fähigkeit zu erwerben und bestimmte Leistungen zu erbringen. Die Freude und Begeisterung am Lernen und an der Entfaltung der eigenen Talente ist in jedem Kind angelegt und so stark wie ein Naturgesetz. Das darf doch nicht verkümmern, wenn Kinder in die Schule gehen. Da müssen wir ansetzen.“
Quelle: Gerald Hüther https://www.gerald-huether.de
Tabby hat somit gelernt, sich gesünder zu bewegen – und schließlich war sie immer mit Feuereifer dabei.
Tabby war geballte Schubkraft und konnte doch auch komplette Hankenbeugung sein – weil sie wollte!
Versammlung und das junge Pferd – was Amena ist
Vor wenigen Tagen haben die Vorbereitungen rund um Celina Skogans Webinar – Kurs mit Bent Branderup am 20. und 21. Februar 2021 begonnen. Ich wurde gebeten ein kleines Vorstellungsvideo zu drehen. Gesagt getan. Weil ich mit unserem Maestoso Amena an dem Kurs bei Bent teilnehmen werde, habe ich freilich auch Amena vorgestellt.
Das Video dazu zeige ich euch auch gleich:
Jedenfalls kam freilich auch die spannende Frage auf, ob es für ein 4,5 Jahre altes Pferd gesund sei, zu versammeln?
Amena wird im April 2021 5. Er kam im November 2018 zweijährig zu uns. Damals haben wir Führen geübt, am Putzplatz stehen, Wasser und Abspritzen usw. Nach den ersten Spaziergängen haben wir uns langsam an die Bodenarbeit heran getastet. Und was soll ich sagen. Dank meiner hervorragenden „Vorbildung“ durch meine lieben Stuten Tabby und Pina konnte ich Amena ein sehr präziser Tanzpartner sein.
Amena hat so schnell alle Hilfen verstanden. Und wir haben eigentlich auch nie wirklich „geübt“.Wenn ich mit meinen Pferden bin, dann versuche ich die Zeit Vollendes zu genießen und im Moment zu sein. Und manchmal, wenn man ein sehr gutes Gefühl hat – das Pferd hat beispielsweise das erste Mal eine zeigende Hilfe mit der Gerte verstanden – dann ist sofort Schluss. Dann ist man nach wenigen Minuten zufrieden. Das hat freilich den Vorteil, dass man immer sehr motivierte Schüler hat, denen der Schultag auch niemals zu lange wird. Und Schultage gibt es auch nicht täglich – denn wir gehen spazieren oder schmusen oder sind frei unterwegs.
In der Freiarbeit in der großen Halle am Horse Resort am Sonnenhof lege ich Amena gerne einen Strick um den Hals – wir haben vier offene Tore, durch die Amena jederzeit vor mir „flüchten“ könnte, wenn es zuviel wird – und wenn er Nein sagt, dann ist es auch absolut in Ordnung für mich. Hat er aber nie gemacht – im Gegenteil.
Anbei ein Video vom August 2019.
Versammlung und das junge Pferd – was ist zu früh?
Meine wichtigsten Gesprächspartner sind meine Pferde.
Und dann gibt es auch noch vertraute Menschen, die ich gerne um Rat frage und mal eben schnell zum Telefonhörer greife.
So habe ich in Dänemark bei meinem Ausbilder Bent Branderup angerufen:
Ihn habe ich ebenso bezüglich der Versammlung für das junge Pferd befragt:
„Man muss unterschieden, was dem Pferd leicht fällt und was ihm nicht leicht fällt. Bei der Versammlung müssen wir freilich als kundige Ausbilder darauf Rücksicht nehmen, dass das Sprunggelenk relativ spät ausgebildet ist. Hier ist die Frage auch elementar, ob die Hinterbeine für mehr Vorgriff oder mehr Rückschub ausgelegt sind. Für Pferde, deren Fähigkeit im Schieben liegen wird die Belastung und Beugung des Sprunggelenks eine größere Belastung für den Knochenbereich darstellen“.
Bent Branderup
Bent erzählt mir, dass man an den Knochen auf jeden Fall sehen kann, ob die Wachstumsfugen geschlossen sind oder nicht. Bei einer Sektion kann man jedenfalls nicht bei den Bändern feststellen, ob sie dehnungsfähig waren oder nicht. Eine spannende Sache – was man nämlich sieht, sind die Verschleißspuren.
„Wenn wir uns die Hufrolle ansehen, dann haben beispielsweise Quarter Horses, die stark auf der Vorhand geritten werden ebenda typische Probleme. Sehnen und Bänder wurden stark über belastet – auch daher ist es ein Irrtum zu glauben, dass Versammlung eine Mehrbelastung wäre, denn das Pferd, das auf der Vorhand läuft und dabei noch einen Reiter trägt wird garantiert über belastet.
May Davis, eine der führenden Forscherinnen im Bereich Sektionen behauptet, sie könne an den Ellenbogen sehen, ob das Pferd zuvor geritten wurde oder nicht. Dieser Belastung des Ellebogengelenks versuchen wir durch Versammlung entgegen zu wirken.“
Bent Branderup
Anna: Zwischen der heutigen Forschung und den Alten Meistern gab es irgendwann die Heeresdienstovorschrift, aus der auch die Skala der Ausbildung entstanden ist. Hier kommt Versammlung zum Schluss. Was meinst du dazu?
Bent Branderup: „Die FN baut ja auf den Lehren der Kavallerie auf, da ging es darum einen jungen Mann und eine Remonte aus landwirtschaftlicher Zucht mit Einpaarung von Vollblut so schnell wie möglich transportfähig zu machen. Bei dieser Reitweise war es gar nicht vorgesehen, dass Versammlung stattfinden sollten. Die Offiziere haben sich dann aus der Gruppe der jungen Pferde tatsächlich die Talente heraus gesucht und sie dann anders ausgebildet – ABER diese Pferde mussten natürlich auch sofort mit der Truppe einsatzfähig sein. Zuerst kam also der Job, dann das Vergnügen könnte man sagen. Ein akademisches Pferd hat, wenn wir hier an Antoine de Pluvinel denken, einen ganz anderen Ausbildungsstand erworben, bevor man sich drauf gesetzt hat. Erst das Hohe Schule Pferd war dienlich für den imperialen Gebrauch.“
Anna: Du kennst ja meine Arbeit mit Amena und ich freue mich auf den Unterricht, du hast selbst auch iberischen Nachwuchs im Stall stehen. Wie gestaltest du hier die Arbeit aktuell?
Bent Branderup: J“a, mein Arquero kam vierjährig zu mir und wird im Juni 2021 5 Jahre alt. Ich habe das erste Jahr nur Bodenarbeit und Longieren gemacht. Erst heute hatten wir mit Pad und Zügeln gearbeitet. Er kann alle Seitengänge im Schulschritt – und auch im Crossover zum langen Zügel lässt er sich versammeln bis in den Schulschritt hinein – aber geritten habe ich ihn noch nicht. Ich fange damit frühestens an, wenn die Pferde viereinhalb, fünf Jahre alt sind. Bei Arquero ist nicht die Arbeit an der Versammlung schwer – eher das abwärts strecken war ein Thema.“
Anna: Du hast jetzt aber auch sehr versammlungs-begabt Pferde – war das bei deinen anderen Pferden auch ähnlich?
Bent Branderup: „Bei meinen Knabstruppern und Frederiksborgern war die Ausbildung zur Versammlung freilich ein längerer Prozess – und auch wenn mein Rappe Thysson schon Piaffe und Levade kann – er wird mit seinem langen Rücken einen Reiter nicht wirklich gut tragen, daher reite ich ihn ja auch sehr wenig. Und das bringt uns zur Essenz der Versammlung – es geht ja nicht darum, das wir auf der Stelle treten, es geht darum, dem Pferd beizubringen, uns zu tragen.“
Anna: Kann man das messbar machen?
Bent Branderup: „Ja, die Uni Stockholm hat bei modern gerittenen Pferden Piaffen gemessen und gesehen, dass dabei manchmal sogar mehr Gewicht auf der Vorhand ist, als auf der Hinterhand. Das ist das Problem bei den Messungen auf dem Laufband – wirklich messbar wird das Ganze erst durch den Einsatz von Hufschuhen – das wäre auch eine transportable Möglichkeit in der Forschung. Hier wäre ich sehr interessiert den Unterschied bei Thysson messen zu können vom vorwärts abwärts strecken bis zur Levade und zu sehen, wie sich das Gewicht sukzessive verschieben lässt.
Wenn wir den Jungpferden Versammlung beibringen, dann bringen wir ihnen bei zu tragen. Wird ein junges Pferd unvorbereitet geritten, dann setzt sich der Reiter auf die Vorhand des Pferdes. Wir streben also ein Gleichgewicht an, auch in der Abnützung der Hufe, bevor wir überhaupt ans Draufsitzen denken. Der moderne Reiter nimmt häufig in Kauf, dass die Vorhand mehr belastet wird.“
Anna: Wenn der Reiter auf dem Pferd sitzt, dann drückt er den Brustkorb nieder. Das ergibt sich schon durch den Skelettaufbau des Pferdes. Ohne Schlüsselbein fehlt dem Pferd eine knöcherne Verbindung von Schultern zum Brustkorb – der Brustkorb – relativ lose in Muskulatur aufgehängt sackt leicht ab. Ist dies die größte Belastung, deiner Meinung nach?
Bent Branderup: „Nein, die größte Belastung ist nicht die Versammlung, nicht das drauf sitzen, sondern die Entschleunigung, also die Dezeleration. Da kommen die echten Spitzenbelastungen zustande. Ein Pferd kann nicht stärker beschleunigen als seine eigene Kraft es zulässt – aber Entschleunigen – das ist auch das, was die Leute im Verkehr tötet. Auf 200 Sachen beschleunigen ist ja leicht – aber von 200 Sachen runter und gegen einen Baum fahren – da sind die Kräfte so kolossal, dass man eben davon stirbt. Das was gefährlich ist, ist nicht die Geschwindigkeit sondern die Entschleunigung.“
Anna: Dann liegt das Talent der Versammlung eigentlich auch in der Entschleunigung?
Bent Branderup: „Richtig – ein Pferd, wie mein Dorado oder Amena setzt den Hinterfuß zur Entschleunigung ein. Andere Pferde setzen aber den Vorderfuß zur Dezeleration ein. Weil du früher gefragt hast, ob man das Talent des Pferdes in einer Sektion sehen würde? Nein – denn es sind die selben Knochen – das Pferd, das aber das Talent zur Entschleunigung hat, bringt Talent zur Versammlung mit.
Das will heißen, wir versammeln nicht, um auf der Stelle zu strampeln, wir versammeln, um den Pferden beibringen geritten zu werden und zu tragen. Wenn wir die Vorhand nicht entlasten können, dann können wir die Gewichtsverteilung nicht beeinflussen.
Das relativ unvorbereitete Jungpferd zu reiten – das ist das, was wir in unserer Kultur seit der Kavallerie nun mal machen. Auch die Naturvölker habe nes so gemacht – sich einfach drauf gesetzt. Es gibt aber auch Pferde, besonders sehr naturbelassene Rassen, die prinzipiell auch damit weniger Probleme haben als die heutige, moderne Zucht.“
Anna: Und wie lange versammelst du?
Bent Branderup: „Ich arbeite meine Pferde jeden Tag – aber nur kurze Zeit und belaste sie nie sehr lange. Um es mit Paracelsus zu sagen: Die Menge macht das Gift. Viel von den Dingen, die Medizin sind, würde ja in anderen Mengen tödlich sein.“
Anna: vielen Dank für das Gespräch!
Versammlung hat vielen Pferden geholfen, um zu mehr Bewegungsqualität zu kommen. Meine jungen Lipizzaner Buben bringen viel Talent mit, daher sind wir auch möglichst abwechslungsreich unterwegs. Aber die größte Freude, ein Wiehern, Blubbern und Jauchzen haben sie, wenn ich ob ihrer Schönheit und Kraft „in Ohnmacht“ falle. Die größte Freude haben sie, wenn sie sich selbst am besten gefallen – mein Part ist sie fröhlich und glänzend zu machen – und nicht auszubeuten. Selbst wenn das Talent da ist. Die Begeisterung darf niemals fehlen – das weiß ich aus Erfahrung.
Und wann kommen die Seitengänge?
Wie man Seitengänge korrekt und richtig reitet, das erfahren wir am Online Kurs mit Bent Branderup, organisiert von Celina Skogan. Dank moderner Technik müssen wir also nicht an den Nordpol zu Celina, sondern können bequem von daheim und der eigenen Halle aus am Kurs teilnehmen. Für mich das erste Mal – online Unterricht nehme und gebe ich selbst auch – aber so ein Kurs ist schon eine anderes Sache. Ich bin gespannt drauf.
Alle Infos unter folgendem Link
Danke für den interessanten Beitrag. Ich bin selbst Pferde-Trainer und arbeite jeden Tag mit meinen beiden Pferden – aber immer nur kurze Zeit und ich belaste sie nie sehr lange.