Themenseminar „Vorwärts-abwärts“ in Ainring bei Salzburg

Warum brauchen wir eigentlich ein Vorwärts-abwärts und wie sollte es korrekt geritten werden?
Darüber sprach Bent Branderup beim Themenseminar im Oktober 2016 in Ainring.

„Das richtige Vorwärts-Abwärts“?

Gibt es denn ein richtiges „Vorwärts-abwärts“, das alle reiterlichen Probleme löst?

Bent Branderup musste die gleich zu Beginn gestellte Eingangsfrage verneinen.

Die wichtigste Essenz der Reitkunst: Auf die Individualität des Individuums einzugehen! (Bent Branderup)

Den Anfang allerdings macht dazu die Theorie. So erklärte uns Bent wie Energie überhaupt ins Pferd kommt. Dabei müssen wir bei der Hinterhand ansetzen:

Die Hinterhand wird tätig und überträgt beim Übergang vom Becken ins Sakrum den Schwung auf die gesamte Wirbelsäule des Pferdes. Schwung bzw. Schwingungen dürfen nicht interpretiert werden wie etwa in der Musik. Schwung in der Reitkunst meint die dreidimensionale Schwingung der Wirbelsäule des Pferdes.

Schwingt die Wirbelsäule, wird der Brustkorb in Rotation versetzt. Wenn das linke Hinterbein nach vorne greift wird diagonal die rechte Schulter frei – eine solche Übertragung aus der Hinterhand auf die Vorhand wäre ideal.

Was, wenn aber Schwingungen aus der Hinterhand nicht korrekt übertragen werden?

Dann geht das Pferd nicht mehr korrekt über den Rücken, es wird zum so genannten Schenkelgänger.

Wie hoch und wie tief?

Das ist die spannende Gretchenfrage. Bent Branderup erklärte den Teilnehmern zunächst die Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule des Pferdes.
Im Halsbereich finden wir hier am meisten Beweglichkeit, daher gelingt es den meisten Reitern auch hier die größte Manipulation umzusetzen. (Und das eben nicht immer zum Wohl des Pferdes!)

Das Ziel der gesamten Reiterei sollte jedoch nicht lauten: Schädel tief – sondern: Brustkorb rauf! Schließlich kann uns ein Pferd nicht auf dem Rücken tragen, wenn es ohne Reiter seinen Brustkorb nicht von selbst anheben kann. Da das Pferd über kein Schlüsselbein verfügt, sind die Schultern relativ frei im Gewebe aufgehängt.

Das Fazit: Der Schwerpunkt von Mensch und Pferd müssen also übereinstimmen, wenn uns das Pferd korrekt tragen soll.

Und wenn die Hinterhand nicht trägt, dann muss es die Vorhand tun. Daher: Arbeite die Hinterhand deines Pferdes! Je weiter die Hinterfüße nach vorne greifen können, umso tiefer könne das Pferd sich nach vorne dehnen, ohne auf die Schulter zu fallen.

Der größte Fehler liegt bei den meisten Reitern dann aber im Tempo, denn Vorwärts ist nicht schnell. Davor warnte bereits Gustav Steinbrecht im „Gymnastium des Pferdes“:  „Ich meine nicht das Schnelle…“.

Ein weiterer Fehler kann sein, wenn das Pferd zu tief kommt. Sinkt der Brustkorb tiefer als der Ansatz der Halswirbelsäule, ist das Buggelenk nicht mehr in der Lage den Arm nach vorne zu setzen. Deswegen sollte die Unterhalslinie nicht tiefer kommen als das Buggelenk – das wäre eine Grundsatzregel – die aber je nach Halsansatz (und da gibt es auch rassespezifische Unterschiede) differenziert betrachtet werden muss.

Einfach den Kopf und Hals anheben?

Können Sie den Stuhl anheben, auf dem Sie sitzen?

Mit einem wunderbaren bildhaften Vergleich erklärt Bent Branderup, warum ein manuelles Heben des Halses durch den Reiter zu keiner gesunden Bewegung führen kann. Der Brustkorb kann nur mit Hilfe der Hinterhand gehoben werden, der Hals kann den Brustkorb nicht heben.

Warum kann bei der Arbeit im Stand doch tiefer als das Buggelenk gedehnt werden?

Diese Arbeit diene beim jungen Pferd vor allem der geistigen Arbeit und Entspannung.

Und auch das erste Herantasten an Stellung und Biegung wird wohl im Stand passieren. Bent Branderup erklärt anschaulich welche Gelenke an Stellung und Biegung beteiligt sind und macht auf die Verbindung zwischen Hüfte und Genick aufmerksam.

Die Sache mit der Hinterhand

Wie weit kann nun ein Hinterfuß nach vorne, ohne das Pferd auf die Schulter zu werfen? Dort wo die Nase des sich abwärts streckenden Pferdes hinzeigt, dort soll das Vorderbein hin schwingen. Diese Daumenregel könne jederzeit – außer im Schulterherein befolgt werden – hier stimmen Nasenposition und Auffußungspunkt nicht überein.

Bent Branderup referierte am Nachmittag nicht nur über die Beweglichkeit von Gelenken, über die Schulparade und das Gefühl, das wir in der Parade vom Pferd empfangen. Es ging auch durchaus „zwischenmenschlich“ zur Sache.

Er verglich den Segelsport und das Reiten. Wer mit seinem Boot im Hafen anlege, der könne sich vor fleißigen Helfern nicht mehr retten – im Reitstall sieht das mit der Hilfsbereitschaft oft anders aus. Da erlebe man sogar das Phänomen, dass man (oder vorwiegend Frau) sich mehr über den Misserfolg des anderen freue, als über den Erfolg.

Das zustimmende Nicken aus dem Publikum machte eindeutig klar: Diese Erfahrung ist kein Klischee, sondern findet wohl sehr häufig statt.

Und ganz besonders: Wer vor Publikum reitet, spürt möglicherweise auch das Feedback aus dem Publikum, das sich ganz unterschiedlich manifestiert. Manchmal wird man beflügelt – und manchmal ist es genau umgekehrt.

Dabei teilen wir doch gerade in der Akademischen Reitkunst die Begeisterung für das Lernen, es geht um das Tüfteln an Problemen und nicht um die perfekte Show.

Ein guter Reiter möchte in den Augen seines Pferdes glänzen. Und ein gutes Pferd ermöglicht uns die Entwicklung unserer Fähigkeiten und Werkzeuge als Reiter und Ausbilder.

Alle müssen?

Müssen wir denn jetzt alle vorwärts-abwärts? Und muss das alles quasi maßstabsgetreu nachgeritten werden?

„Alle müssen – das bedeuet ja fast schon eine Religion. Dabei haben wir es mit Anatomie zu tun – und die ist nun mal immer unterschiedlich und zutiefst individuell“.

Individuell ging es dann eben auch im Unterricht weiter. Für das Publikum gab es unterschiedliche Pferde und Ausbildungsstände zu sehen.

Da kam das schwere Kaltblut ganz leichtfüßig zum Tanzen, die früher sehr „heiße“ Paso Stute Mariquita hörte in der Cross-Over Arbeit am Boden wunderbar zu und zeigte schöne Hankenbeugung. Junge Spanier in der Grundausbildung und die ältere Dame „Swirre“ mit einem ganz und gar nicht idealen Rücken zeigten, was durch schonende Gymnastizierung möglich ist.

Ich war diesmal mit „Pina“ mit dabei. In der ersten Einheit waren unsere zwei Geister noch nicht wirklich in Einklang. Wir redeten da doch ein wenig aneinander vorbei – dafür bin ich Pina unheimlich dankbar für die zweite Einheit am Samstag und unseren tollen Abschluss am Sonntag. Wir konnten wieder viel Input mit nach Hause nehmen.

Wie unterschiedlich die Pferde des Kurses an ihre Hausübung gehen – das betonte Bent Branderup im letzten Theorievortrag. Er betonte noch einmal, dass man zwar ein paar goldene Regeln aufstellen könnte, allerdings könne die eine Herangehensweise für Pferd A vollkommen korrekt sein, für Pferd B aber nicht zum gewünschten Ziel führen.

Theorie ist nur sinnvoll, wenn sie eine Praxis begleitet.

Ist Bent Branderup uneinig mit Reitweisen? Nein, denn er sagt, es geht nicht darum nach welcher Reitweise man nicht reiten kann. Es geht darum Werkzeuge zu sammeln.

Und sammeln kann eine echte Leidenschaft werden, denn das Sammeln hört nie auf.

Sammeln wir also unsere Werkzeuge, dann Reiten wir Einfach. 🙂

 

Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Bent Branderup für den einmaligen Unterricht bedanken. Danke an Andrea Harrer für die großartige Organisation vor Ort 🙂 Wir kommen sehr gerne nächstes Jahr wieder!

 

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