Vorwärts-abwärts oder Aufrichtung? Vor- und Nachteile, was kommt zuerst? Was braucht mein Pferd? Und was ist richtig? Zu diesem Thema hatte Marius Schneider, Meister der Akademischen Reitkunst am 21. und 22. Mai 2016 zu einem spannenden Themenseminar auf sein Gestüt Moorhof in Lüdinghausen auf Burg Kakesbeck geladen. Vortragende waren Bent Branderup und Christin Krischke von der Hofreitschule Bückeburg. Kursteilnehmerin Stefanie Niggemeier hat den Kurs für meine Blogleser zusammengefasst:
Der individuelle Fokus…
Am Samstag wurden bereits alle Teilnehmer mit einem ersten Theorievortrag und anschließender Praxis in das Thema rund um „Vorwärts-Abwärts“ eingestimmt. Dabei kamen schon einige Fragen auf, die mit der Verschiedenheit und den Besonderheiten der einzelnen Pferde korrelierten.
Besonders schön war hier der individuelle Fokus. So wurde nicht nur auf die Auswahl des richtigen Werkzeugs wie beispielsweise Zäumung (Kappzaum oder Gebiss, oder sogar Halsring) Rücksicht genommen. Die richtige Technik (Bodenarbeit, Longenarbeit, Handarbeit oder Reiten), aber auch das Hinzufügen von geometrischen Figuren in der Bahn ( Zirkel, Volte, Schlangenlinien) konnte jedem Pferd somit helfen, die richtige horizontale Balance zu finden.
Diese Balance, das wurde schnell klar, ist so verschieden wie das Individuum selber. Bent Branderup führte hier immer wieder an,…
dass die Ausbildung des Pferdes stets eine ewige Suche bleiben müsse, dass niemals eine Perfektion erreicht werden könne und gerade die Akademische Reitkunst keine generellen Lösungen biete, sondern verschiedene, auf den jeweiligen Menschen und sein Pferd in diesem Moment passende Möglichkeiten gesucht werden müssen.
Am Sonntag dann reiste das Team der Hofreitschule Bückeburg an und der Tag begann mit einem spannenden Vortrag von Christin Krischke, die in ihrem im letzten Jahr erschienen Buch „Du entscheidest“ eindeutig das dauerhafte zu tiefe Reiten des Pferdes in der Bahn kritisiert und Alternativen im Sinne der Lehren der Alten Meister aufzeigen will.
Was ist denn der Punkt der Kritik?
Christin Krischke führte in ihrem mit entsprechenden Bildern untermalten Vortrag aus, dass ein grundsätzlich zu tiefes Reiten des Pferdes keinen Muskelaufbau im aktiven Trageapparat bringen kann und erklärte anhand von verschiedenen, in der Hofreitschule durchgeführten Experimenten, dass Pferde bei einem zu tiefen Reiten schnell auf die Vorhand geraten können. Die Vorhand, so führte sie weiter aus, sei aber nicht dazu geschaffen, zusätzlich zum Gewicht des Pferdes auch noch ein Reitergewicht, noch dazu in schneller Bewegung zu tragen. Dadurch würden viele Pferde schon vor ihrer Zeit verschlissen und große gesundheitliche Probleme bekommen.
Die einzige Lösung, so die Referentin, sei es, dem Pferd als Reiter aktiv zu helfen, sich selber zu tragen- und das sei anatomisch gesehen nur mit Hilfe der aktiven, tragfähigen Hinterhand und Rumpfmuskulatur möglich. Vor allem in der Versammlung, die immer wieder nur kurz gearbeitet würde, sei dies der Fall und ein stundenlanges Reiten im großen Rahmen mit Reiter auf dem Rücken sei nicht im Sinne der Gesundheit des Pferdes. Anschließend beantwortete Christin Krischke einige Fragen des interessierten Publikums.
Wie sieht Bent Branderup dieses Problem?
Bent Branderup stimmte in seinem anschließenden Vortrag seiner Vorrednerin in vielen Dingen zu. Auch er hielt es für fatal, die Vorhand oder auch nur ein Vorderbein als Stütze unter den Bauch des Pferdes zu bringen; die Begriffe der „Tragkraft“ im Gegensatz zur „Schubkraft“ definierte er hier ausführlich. So sei das so oft von Gustav Steinbrecht zitierte :„Reite Dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ auf keinen Fall so zu verstehen, dass das Pferd bei immer schnellerem Laufen die Hinterbeine immer besser zur Tragkraft nutzen könne.
Ganz im Gegenteil würde auf diese Weise dann die Schubkraft überwiegen. Er bezog sich hier auch auf sein gerade erschienenes Buch „Die Logik hinter den Biegungen“, in dem er Steinbrecht modern interpretiert, und erklärte, was Steinbrecht mit „Vorwärts“ eigentlich meine:
Beide Hinterfüße müssen, um die Vorhand entlasten zu können, immer weiter unter den Bauch nach vorne gearbeitet werden, als dass sie „hinten herausschieben“ können. Nur das Bein, so erklärte er, das unter der Masse sei, könne Gewicht aufnehmen und zum Tragen kommen.
Dazu zeigte auch Bilder verschiedener Pferd in verschiedenen Balancezuständen, so dass das Publikum genau sehen konnte, worum es ihm in seinen Ausführungen ging.
Wie ging es dann weiter?
Im Anschluss kamen einige hochinteressante Fragen aus dem Publikum zu den gehörten Vorträgen.
So ging es zum Beispiel darum, ob nicht ein Blick in den Pferdekörper mittels Röntgen beispielsweise zeigen könne, wo für dieses Pferd nun die ideale Kopf-Hals-Haltung sei, in der es sich am besten stabilisieren könne. Beide Referenten, teilweise unterstützt von Hofreitmeister Wolfgang Krischke und Diana Krischke, die medizinisch in diesem Bereich an der Universität Witzenhausen forscht, freuten sich über die Inspiration zu diesem Austausch und gaben ihre Meinungen zu diesem und weiteren Themen kund. Schnell waren sich alle einig: ein bestimmtes Ziel in der Ausbildung des Pferdes, beispielsweise die Ausbildung des Pferdes als ein Reitpferd in der Bahn, erfordert auch einen bestimmten Weg. Diesen Weg haben die Alten Meister bereits gefunden, wir müssen nun sehen, wie unsere modernen Pferde von dem in vergangenen Zeiten Formulierten den größten Benefit haben, ohne dass wir dogmatisch in der Vergangenheit festgefahren sind.
Wie sah das in der Praxis aus?
Nach den Vorträgen und anschließender Diskussion wurden die Praxisteilnehmer des Seminars mit ihren Pferden in die Reithalle gebeten und an jedem Pferd wurde, begleitet von Bent Branderup demonstriert, in wieweit dieser Körper vom Ideal abweicht, das die Alten Meister als Optimum des Reitpferdes beschrieben hatten. Natürlich ging es dabei nicht um eine Fehlersuche bzw. Zurschaustellung der jeweiligen Defizite, sondern an eine logische Anpassung der weiteren Ausbildung, wie man helfen könne, was notwendig sei, damit das Pferd lange gesund sowohl sich selbst tragen, als auch mit zusätzlichem Gewicht des Reiters belastet werden könne.
Dadurch konnte man schnell sehen, dass es niemals eine strikte Abfolge von Ausbildungsstufen, wie man heute in der Skala der Ausbildung vermuten könnte geben kann, da die Individualität des Lebewesens Pferd nicht außer Acht gelassen werden darf.
Das, was dem einen Pferd helfe, verschlechtere die Balance des anderen Pferdes – das war aus den vielen Praxisbeispielen für das Publikum sehr gut zu beobachten. Balance, Form und Losgelassenheit seien Dinge, die sich nicht trennen ließen, so Bent Branderup. Gerade auf Letzteres legte er mit den scherzhaft hervorgebrachten Worten „Entspannung, Marsch!“ größten Wert, denn:
„ Nur ein Pferd, dessen Geist seinem Ausbilder zugewandt ist und dessen Körper dadurch weich ist, wird sich formen lassen wollen. Die Abwesenheit von Spannung ist das Ziel, das wir suchen: Harmonie mit dem Familienmitglied Pferd“
betonte Bent Branderup immer wieder. Diese Untrennbarkeit von Geist und Körper ist ihm elementar wichtig, daher solle die Hilfengebung des Menschen immer ein Vorschlag sein, den das Pferd annehme oder sich zuerst in Lösungsansätzen ausprobiere – so, wie es ihm vom Verständnis und der Umsetzung her möglich sei. Hier sei die Akademische Reitkunst eine gute Möglichkeit, mit dem Pferd gemeinsam Zeit schö
n zu verbringen- man könnte sagen „l´art pour l´art“- die Kunst als Kunst ist sich genug.
Dann zeigte das Team Bückeburg den mitgebrachten Schulhengst Raisuli unter Elevin Patrizia Schneider in der angewandten Reitkunst, begleitet von Christin und Wolfgang Krischke. Der Hengst zeigte zuerst die Basisarbeit, wie sie in der Hofreitschule täglich mit den Pferden geübt werde: Seitengänge und Biegungen, zuerst im Schritt, dann auch in Trab und Galopp in einer für das Pferd eingeübten Routine, die es ihm leichter mache, sich in der Arbeit zurechtzufinden. „Übungsabfolge“ nannte Wolfgang Krischke die Arbeit in Schulterherein, Travers uns Renvers. Dann folgte die stärkere Gymnastizierung , nach Vorbild der Alten Meister auch mal in Nachahmung der Arbeit um einen Pilaren herum auf einem sehr kleinen Zirkel.
Dass dabei deutlich mehr Seitwärts als unter der Anweisung von Bent Branderup gefordert würde, fällt Christin Krischke sofort auf:
„Wir wollen den Pferden in der angewandten Reitkunst beibringen, dass sie auch dann nicht fallen, wenn sie sich nicht in völliger Balance befinden. Das vermittelt ihnen, so denken wir, ein gutes Körpergefühl.“
Die Motivation der Pferde, mit dem Menschen zusammenzuarbeiten sieht die Hofreitschule in dem gemeinsamen Erreichen von konkreten Zielen, wie wir im anschließenden Waffengarten vorgeführt bekommen. So freue sich das Pferd ebenso wie der Mensch, wenn die Lanze den winzig kleinen Ring vom Galgen steche. Die Reitkunst in ihrer konkreten Anwendung bekäme eine Zweckmäßigkeit, die Reiter und Pferd erfreuten. Wie eindrucksvoll solch eine Praxis sein kann, zeigt der Hengst Raisuli: hier und auch beim anschließenden Demonstrieren von Lektionen der Hohen Schule konnte man sehen, welche Kräfte unseren Pferden innewohnen.
Das Fazit
Die Diskussion, wie auch die anschließende Arbeit in der Praxis haben alle Teilnehmer beflügelt und inspiriert. Ein Gedankenaustausch auf so hohem Niveau, in einer so freundlichen, konstruktiven Atmosphäre war ein absoluter Genuss und immer wieder wurde klar, dass es niemandem darum ging, „Recht zu haben“. Es ging um Meinungen, die ausgetauscht wurden, darum zu zeigen, dass verschiedene Ziele verschiedene Wege erfordern und darum, dass eine Meinung, so betont Bent Branderup in Konsens mit Christin Krischke immer wieder, niemals eine Religion werden dürfe.
Nicht nur die rhetorisch gelungenen und natürlich fachlich ausgesprochen fundierten Vorträge haben das Dabeisein zum echten Erlebnis gemacht, sondern auch das Gefüh, dass in der Verschiedenheit Gemeinsamkeit und in der Gemeinsamkeit Verschiedenheit liegen kann und darf – all diese Faktoren haben das Seminar zum unvergesslichen Event werden lassen.
Ich freue mich nun schon und bin gespannt auf die kommenden Themenseminare am 11./12.Juli zum Thema „Hankenbeugung“ und am 17./18. September zum Thema „ Facetten der Bodenarbeit“
Stefanie Niggemeier, Barocke Pferdeausbildung
Vielen Dank an die Kurszusammenfassung, liebe Stefanie Niggemeier, sowie die Fotos! Mehr über die Autorin des heutigen Gastbeitrags gibt es auf ihrer Website!
Finden wir also unsere Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten, dann Reiten wir Einfach 😉
Ich bin gerade durch Zufall auf diesen Bericht gestoßen und habe 1:1 das gelesen, was ich befürworte. Einfach toll. So soll es sein! Danke für den Bericht!
Fantastischer Bericht.