Das Herz sagt nein. Der Bauch sagt nein. Und doch bleiben die Worte im Hals stecken. Es ist wie verhext. Wir lieben unser Pferd. In vielen Fällen würden wir sogar sagen, wir lieben unser Pferd über alles. Und trotzdem – uns ist offensichtlich auch wichtig, was andere über uns denken.
Es ist nur eine Meinung
„Ich bin so glücklich, endlich konnte sich mein Pferd entspannen und loslassen“.
Ein junges Mädchen teilt in der Stallgasse sein Glück. Ihr Pferd hatte sie aus schlechten Verhältnissen übernommen, es hatte lange gebraucht Vertrauen aufzubauen und sich im gemeinsamen Tun zu entspannen.
„Ich finde ja nicht, dass es gut ausgesehen hat. Das Pferd hat das Halspendel nicht korrekt benutzt“,
so die Antwort der Einstellerkollegin. Sie hat für die Ausbildung ihres Pferdes einen anderen Weg gewählt.
Jeder hat seine Meinung. Wir beobachten, bewerten und bilden ständig eine Meinung, die freilich aufgrund der Summe unserer Erfahrungen geprägt ist. Dazu kommen noch eigene Ansprüche, Erwartungen und gelegentlich mischt sich auch noch Unkenntnis in das Sammelsurium an Argumenten, die letztlich zu unserer Meinung führen.
Die Vielfalt an Meinungen führt dann häufig dazu, dass wir uns ärgern. Wir haben vielleicht eine andere Meinung als unser Gegenüber. Wir ärgern uns, weil wir unseren Gesprächspartner überzeugen wollen, dass wir recht haben. Wir haben auch unsere Erfahrungen gemacht und wollen unsere Kollegin nicht in dieselbe Sackgasse laufen lassen. Wir argumentieren uns um Kopf und Kragen, mit dem Ergebnis, dass wir für noch mehr Verunsicherung oder sogar Ablehnung sorgen.
Wir könnten aber auch einfach auf Meinungen verzichten! Wie würde das wohl aussehen?
Bei meiner Stute Barilla wurden Wolfszähne gefunden. Barilla war immer sehr unstet in der Anlehnung, sie suchte niemals zur Hand, sie ließ sich nur widerwillig vorwärts treiben. Es war sehr wahrscheinlich, dass der Zahnbefund auch freilich mit unseren Anlehnungsproblemen in Verbindung stand. Also wurden die Wolfszähne in einer sehr mühevollen Prozedur gezogen. Barilla sollte dann einige Tage später gar kein Gebiss tragen. Ich ritt sie dann einige Zeit lang gebisslos – und es schien, als hätten wir niemals ein Problem miteinander gehabt. Sie war weich in der Anlehnung, ich hatte kein Gewicht in der Hand – sie missbrauchte also meine Hand nicht als Stütze. Ihre Balance wurde besser, dadurch freilich auch Losgelassenheit, Durchlässigkeit, Tempo und Takt. Die Formgebung war ein Traum. Kurz – wir waren zufrieden.
Ich hätte doch einfach zufrieden bleibe können. Aber ein ordentliches Pferd reitet man doch mit Gebiss. Ich hatte Barilla weder als Turnierpferd registrieren lassen, noch hatte ich irgendwelche Ambitionen. Und trotzdem. Das wunderbare Reitgefühl, dass ich damals hatte konnte sich nicht gegen die gängige Meinung bei uns im Stall durchsetzen. Ich wurde unzufrieden, obwohl wir gebisslos so glücklich unterwegs waren. Ich ritt danach jahrelang wieder mit Gebiss, jedoch nicht sonderlich von Erfolg gekrönt. Hätte ich auf die Meinung der Anderen verzichtet, hätte ich mich einfach auf das Bauchgefühl und auf Barillas Feedback verlassen, wir wären viel harmonischer und zufriedener unterwegs gewesen.
Ich möchte dir gefallen
Wie oft tun wir genau das, was uns gefällt und wie oft tun wir das, was anderen gefällt? Es ist ja durchaus menschlich, gefallen zu wollen.
„Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen“.
Aus dem Film Fight Club.
„Ich reite mein Pferd nicht“. Mit dieser Erklärung erntet eine junge Dame oft fassungslose Blicke. Wie? Man reitet das Pferd nicht? Aber wozu hat man denn sonst ein Pferd?
Pferd und Mensch harmonieren miteinander, verbringen eine gute Zeit. Es gibt so viele sinnvolle und facettenreiche Wege, mit dem Pferd etwas zu unternehmen, das muss nicht immer vom Sattel aus passieren. Egal ob man ein älteres Pferd besitzt, dem die Bodenarbeit zur Rehabilitation gut tut oder einen Youngster, den man eben noch nicht zu früh reiten möchte. Reiter, die behutsam mit ihren Pferden umgehen, ernten nicht immer verständnisvolles Feedback.
Hier eine Leistungsshow für dreijährige Pferde, da der sechsjährige, der jetzt erst wirklich seine Ausbildung zum Reitpferd antritt. Alles davor war spielerisch. Warum müssen wir dies überhaupt beurteilen?
Wenn der Ausbilder des dreijährigen wütend wird, weil sich ein Einstellerkollege dafür entscheidet, das eigene Pferd erst mit sechs Jahren reiterlich zu fordern, dann liegt die Ursache für diese schlechten Gefühle freilich bei uns selbst. Der Besitzer des sechsjährigen ist nur die Zielscheibe für unsere eigenen Gefühle.
Die Entscheidungen der Anderen lösen Gefühle in uns aus – jedoch liegt es nicht an der Entscheidung selbst (zb das Pferd erst mit sechs Jahren unter dem Sattel auszubilden), sondern an der eigenen Entscheidung. Jeder kann doch selbst entscheiden, es liegt dann immer in unserer Hand. Die Ursache für ein schlechtes Gefühl liegt doch in uns selbst. Vielleicht fühlt sich der Besitzer des dreijährigen selbst nicht so wohl, wenn er das Pferd so früh in der Ausbildung voran treibt. Vielleicht hat er sein Bauchgefühl immer wieder zum Schweigen gebracht, so wie ich damals nicht akzeptieren wollte, dass meine Stute und ich ohne Gebiss viel glücklicher unterwegs waren.
Eine Schülerin hat mir jüngst auch erzählt, sie ernte für die langsame Herangehensweise mit ihrem Pferd nur Unverständnis. Sie fragt sich dann, ob sie alles richtig oder viel falsch macht? Warum muss sie sich überhaupt mit diesen Gedanken auseinander setzen? Bevor diese Kritik an sie herangetragen wurde, war sie mit sich, ihrem Pferd und der Entscheidung es langsam angehen zu lassen ja auch außerordentlich zufrieden.
Ich mach das nur für mich
Wir reiten, weil wir Zeit mit Pferden schön verbringen wollen. Ich mache das letztlich nur für mich. Meinem Pferd möchte ich ein möglichst schönes Zuhause bieten. Es soll sich wohl fühlen und auch mit mir Zeit gerne verbringen wollen. Das ist mir eigentlich am Wichtigsten.
Mein Lipizzaner Konrad zeigt mir immer sehr deutlich, wie gerne er mit mir zusammen ist. Das sind eigentlich die schönsten Momente, die wir miteinander haben. Ich freue mich natürlich sehr, da er sich immer anstrengt, mir gefallen möchte und sich in der Bewegung so gerne ausprobiert. Aber das Wichtigste ist nun mal die Beziehung.
In einer Leistungsgesellschaft aufgewachsen, ambitioniert zu lernen und mit einem Hauch Perfektionismus ausgestattet ist es mir nicht immer leicht gefallen, „einfach so für mich“ zu reiten. Ich habe oft gemerkt, dass ich mich anders verhalte, wenn an der Bande Zuschauer dabei sind. Bei so manchem Kurs war es wichtiger zu zeigen, was wir alles schon können, als sich auf die Kleinigkeiten zu besinnen, die das wichtige Fundament in der Pferdeausbildung erschaffen.
Bent Branderup fragt in seinen Abschlussworten auf den Kursen immer, für wessen Augen wir reiten. Und er legt uns nahe, in den Augen der Pferde ein guter Mensch zu sein. Wir müssen in den Augen der Pferde bestehen – und nicht in den Augen anderer Menschen.
Was denkst du von mir?
Ich habe sie gelesen und gehört. Die immer wieder gleich lautenden Kritikpunkte, die da in sozialen Medien gerne geäußert werden. Es ist ganz egal, welche Reitweise sie betreffen, es gibt überall Kritik und jeder will den anderen von seinem eigenen Konzept überzeugen.
Ich bin es leid, diese Dinge zu lesen. Mir ist es nicht wichtig, was andere von mir denken. Mir ist es wichtig, was meine Pferde von mir denken. Meine Fuchsstute Tarabaya ist aktuell verletzt, seit Jänner laborieren wir an einem Knochenmarksödem im Fesselgelenk. Tabby sagt mir sehr genau, was geht und was nicht geht. Ich höre da sehr genau hin. Und wenn wir in Punkto Reitkunst nicht mehr „reiten“, dann schlagen wir jetzt einfach ein anderes Kapitel unseres gemeinsamen Weges auf. So einfach ist das. Und hier zählt nur die Meinung von Tabby. Wir werden uns gemeinsam überlegen, was Tabby künftig Freude bereitet.
Dem Glaubenskrieg der Reitweisen danke ich ab. Ich versuche meine Emotionen im Zaum zu halten, nicht immer gelingt das, Pferde sind freilich ein ganz emotionales Thema.
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