Neulich hatten wir ein spannendes Webinar in unserer „Einfach Reiten Persönlich“ Lerngruppe. Dabei kam von Petra die Frage auf, was wir heute anders machen als früher. Eine super spannende Frage, die mich auch in weiterer Folge noch etwas länger beschäftigt hat. 

Kurz gesagt – was mache ich heute anders

Wenn ich auf meine reiterliche Entwicklung zurück blicke, dann hat sich in den letzten 16 Jahren wahnsinnig viel getan und das verdanke ich tatsächlich der Akademischen Reitkunst. Im Grunde kann ich sagen, mache ich heute vor allem eins anders: 

  • Bodenarbeit
  • Longieren 
  • Handarbeit 
  • Hilfengebung und Timing beim Reiten 
  • Ich weiß mehr (und auch das, was ich nicht weiß)
  • Ich höre auf meine Pferde und mache bei jedem Pferd etwas anders 
  • Was ich künftig anders machen werde 

Aber vielleicht willst du es noch genauer wissen, was sich in den letzten Jahren so extrem verändert hat. 

Bodenarbeit – was sich geändert hatte 

2007 kannte ich noch keine Bodenarbeit in diesem Sinne. Ich wusste, dass man am Boden mit dem Pferd Führtraining machen kann, Horsemanship und so Zeug, aber das „Kreiseln“ eines Pferdes sagte mir nicht so zu bzw. konnte ich damals auch noch überhaupt keinen Connex zur Gymnastizierung herstellen. 

Als ich mit der Akademischen Reitkunst in Berührung kam, gab es vor allem Handarbeit und eine seitliche Führposition zum Erarbeiten der Seitengänge. 

Und da hat es in den letzten Jahren eine absolut rasante Entwicklung gegeben. 

Die Frontposition vor dem Pferd wurde „Trend“, einerseits hat sie den Vorteil, dass wir das Pferd sehr gut überblicken können, andererseits schulen wir aus dieser Position unsere Einfühlsamkeit für die Bewegungen der Pferdewirbelsäule. Aus dieser Position wurde dann völlig wandunabhängig die komplette Arbeit mit dem inneren und äußeren Hinterbein hinzugefügt, aber auch die Schulung von Paraden, sowie die inneren und äußeren direkten und indirekten Zügelhlifen dem Pferd beigebracht. Was danach kam, war natürlich ein sensationeller Durchbruch beim 

Longieren 

Plötzlich ließen sich alle Hilfen übertragen, so dass ich nicht nur eine konstante Formgebung erarbeiten konnte, auch Übergänge ließen sich fließend umsetzen und ich konnte den Pferden ebenso die Versammlung an der Longe erklären, wobei ich auch die Seitengänge nutzte, um die Pferde gerade zu richten und in Balance zu bringen. 

Noch nie war mir ein erster Galopp des Jungpferdes so nach oben gelungen und ich bin sicherlich nicht die einzige, die von den Möglichkeiten der Synchronität und Spiegelung von Körpersprache begeistert war. 

Handarbeit 

Handarbeit kannte man 2007 nur beidhändig geführt von innen. Plötzlich war da ein riesiges Spektrum da, Handarbeit von innen oder außen geführt, einhändig oder beidhändig und volle Konzentration auf die Hinterhand. Meine Stute Pina war mir hier trotz ihrer Größe eine hervorragende Lehrmeisterin und wir meisterten schließlich Galopp von außen geführt in Versammlung an der Hand, Schulparaden, Piaffen und Schulschritt. 

Hilfengebung 

Das war der große Durchbruch, auf den ich zuvor 20 Jahre meines Reiterlebens gewartet hatte. Ich konnte zwar reiten, aber ich wusste nicht wirklich wie und warum etwas gelang oder eben misslingen musste. Jetzt hatte ich endlich ein Timing für sämtliche Hilfen zur Verfügung, wann welche Schenkelhilfe Sinn macht. Schenkel ist außerdem nicht gleich Schenkel, plötzlich differenzierte ich zwischen 6 unterschiedlichen Schenkelhilfen und einer Vielzahl an Paraden in allen Nuancen und Zügelhilfen. Daneben wälzte ich endlich die richtigen Bücher und verpasste mir selbst mindestens ein jährliches „Date“ mit Gustav Steinbrecht. 

Ich weiß heute mehr als damals 

Ich weiß heute so viel mehr als 2007. Ich verstehe die Zusammenhänge im Pferd, ich konnte durch meinen Wissensschatz unheimlich vielen Pferden und ihren Zweibeinern helfen. Ich weiß aber auch, was ich noch nicht weiß und schließe die Lücken permanent und bin dabei nicht unzufrieden, selbst wenn sich weitere Wissenslücken auftun und ich permanent am Forschen bin. War Akademische Reitkunst für mich am Anfang, als ich sie kennen lernte noch eine Reitweise, ist es heute für mich vor allem mein persönlicher Zugang. Akademisch zu arbeiten bedeutet für mich, immer alles in Frage zu stellen. 

Vermutlich ist das für viele Reiter auch sehr unbequem. Schließlich sehnen wir uns ja so sehr nach einer genauen Vorgabe, einer Anleitung, die wir Schritt für Schritt abarbeiten können. Im Grunde ist das durch die verschiedenen Facetten der Bodenarbeit und die einzelnen Schritte beim Reiten auch möglich. Aber wir kommen nicht umhin uns mit den Erkenntnissen aus Biomechanik, Biotensegrity und vielen weiteren Quellen zu beschäftigen, um auf unserer Reise immer mehr Meilensteine zu sammeln. 

Und das ist auch der wesentliche Punkt, der sich bei mir verändert hat. Wollte ich früher unbedingt „ankommen“ und etwas erreichen, freue ich mich natürlich auch heute über jeden Verständnisdurchbruch, aber ich bin süchtig nach Bildung. Ich erreiche Etappen und kein Endziel und das ist auch gar nicht so wichtig. Wichtiger ist mir, dass ich morgen mehr weiß als heute und dieses Wissen auch an meine Schüler so weiter geben kann, dass sie sehr selbstständig an Hausübungen feilen können. 

Ich höre auf meine Pferde und mache bei jedem Pferd etwas anders

Was mir Tabby beigebracht hat 

Tabby hat mir beigebracht, was Vorwärts wirklich bedeutet. Rückblickend muss ich sagen, auch wenn ich die komplette Hankenbeugung mit ihr erreicht habe, würde ich heute etwas anders an die Sache heran gehen. Ich habe vor allem verstanden, dass ich das Vorwärts niemals abwürgen darf und habe durch sie auch gelernt, dass wir Schubkraft nicht unbedingt als etwas negatives betrachten müssen. Ohne Schubkraft keine Tragkraft. 

Was mir Pina beigebracht hat

Pina hat mir unheimlich viel über Reha Arbeit beigebracht und auch sehr viel zur Frage beigetragen, wie das Pferd tatsächlich den Rumpf korrekt anheben kann, woran es scheitert, wenn die Hankenbeugung top ist, die Anhebung des Rumpfes aber ein Flop. 

Was mir Konrad beigebracht hat

Ein Pferd mit wenig Schub ist nicht unbedingt ein Vorteil. Und die Begabung für Versammlung ersetzt keine korrekte Basisarbeit. Ein sehr talentiertes Pferd macht Abkürzungen nicht unbedingt zu einem Gewinn. Auch wenn sich das Pferd bereits von Haus aus sehr schön formt sind Gehfreude und Formgebung über den Rücken einfach trotzdem eine wichtige Basis. Der Reiter formt das Pferd! 

Was mir Amena beigebracht hat

Lass dir Zeit mit dem Reiten und geh die Extrameile. Soll heißen – auch wenn Amena viele ähnliche Angebote gemacht hat, wie der Konrad bin ich dennoch länger an der Basis geblieben, da ich nun gründlicher auf etwaige Fehler aufmerksam wurde und die Fehler, die ich bei Konrad gemacht hatte, bei Amena vermeiden konnte. 

Was mir Mandrake beigebracht hat

Mandrake hat mir beigebracht, die Bücher, die ich vor 2007 studiert hatte noch einmal zur Hand zu nehmen und mein Wissen VOR der Akademik nun verständlich neu auszuformulieren. Mandrake findet vor allem großen Gefallen an Bewegung. Er hat mir gezeigt, dass es da und dort vielleicht in der Ausbildung zu viel Wunsch nach „Bewegungskontrolle oder Bewegungsoptimierung“ gibt und wir die Selbstständigkeit des jungen Pferdes niemals außer Acht lassen dürfen. Mandrake hat für mich Zwanglosigkeit neu formuliert mich auch sehr viel über die Frage nachdenken lassen: Wie viel Formgebung dürfen wir tatsächlich erarbeiten, wenn wir beherzigen wollen, dass sich Kopf- und Halsposition zuletzt aus der Tätigkeit der Hinterhand ergeben. 

Was ich künftig anders machen werde? 

Ich bleibe dran. Ich hinterfrage alles, selbst wenn es ein erfolgsversprechendes Konzept war. Ich halte niemals dogmatisch an einer Sache fest. Was heute gut war, kann morgen bereits anders sein. Das hat mir ja freilich auch die Entwicklung innerhalb der Akademischen Reitkunst gezeigt, da sich gerade in den letzten Jahren sehr viel getan hat. 

Was ich auf jeden Fall nicht mehr mache, ist eine frühe Forcierung von Versammlung hinsichtlich der Schulparade. Ja, aus der Bewegung kann man auch mit schöner Hankenbeugung zu einer ganzen Parade kommen und umgekehrt – aus dem Stand mit etwas Hankenbeugung in Bewegung kommen. Aber grundsätzlich arbeite ich mit meinen jungen Pferden nicht mehr so viel im Stand. Die Gefahr an Fehlerquellen insbesondere im Bereich des Lumbosakralgelenks sind sehr groß, so dass sich Katzenbuckel, abgesackter Brustkorb trotz toller Hankenbeugung usw. tief als Bewegungskonzept im Pferd verankern, schließlich hat sich „Mutti“ ja gerade so immens über diese Idee gefreut. 

Ich forme immer weniger mit der Hand und lasse die Form mehr aus dem Pferd heraus entstehen. Das heißt ich habe mich wirklich intensiv mit den Themen Schubkraft vs. Tragkraft auseinander gesetzt. Schub war für mich beinahe schon ein Gräuel, ich habe auch viel darüber nachgedacht, dass uns „Akademikern“ häufig vorgeworfen wurde, zu langsam zu sein und zu stark zu biegen. Dieses Vorurteil hält sich fest, und es gibt Reitweisen, die jede Kritik von sich weisen und den Kritikern halt zurufen: „Wenn Sie das so sehen, dann haben Sie das einfach nicht verstanden oder wollen nicht verstehen“. 

Ich für mich habe beschlossen auf jeden kritischen Einwand mittels Nachdenkprozess zu reagieren. Immer. Manchmal haben Kritiker Recht, auch wenn sie nicht die gleichen Dinge sehen. Auch wenn ihr Fokus woanders liegen mag. 

Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich auch in den letzten 17 Jahren viel entspannter geworden bin, was Fehler anbelangt. Ein Fehler ist noch lange kein Drama und bringt das Pferd noch nicht um. Es muss nicht alles sofort perfekt laufen, wir dürfen üben und ich mag keine künstliche Dramatik, sprich ich bin pragmatischer geworden und versuche zunächst ein tüchtiges Gebrauchspferd aus meinen Youngstern zu schulen, mit denen Entspannung, Vorwärts und Spaß im Gelände kein Problem darstellen. Erst danach kommt die Kunst und sie darf einfach auch niemals künstliche werden, nur weil man ein tolles Bild beispielsweise eben von der Schulparade gesehen hat und das unbedingt auch erreichen möchte. 

Ich bilde mich weiter fort. Heuer war schon Rebecca Dahlgren bei uns. Ihre Freiarbeit in unser Ausbildungsprogramm aufzunehmen war eine äußerst gute Idee. Rebecca hat viele pädagogisch wertvolle Ideen, die die Pferde dankbar in die Arbeit mit aufnehmen. 

Meine ersten reiterlichen Wurzeln waren durchaus von Egon von Neindorff geprägt – wenn auch indirekt. Die Trakehner Züchterin, bei dir ich sechsjährig zu reiten begann, hatte ihre Pferde in Deutschland gekauft und war dann mit den jungen Nachwuchspferden immer für längere Zeit bei Egon von Neindorff zum Anreiten und Ausbilden. Ihr Unterricht war natürlich sehr durch ihn geprägt, also hatte ich letztes Jahr den Kontakt gesucht und mich durch sie inspirieren lassen. Und ich wollte auch die österreichischen Wurzeln intensiver erforschen und habe mich bei Arthur Kottas Heldenberg weiter gebildet. Er ist ehemaliger 1. Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule und hat noch bei Alois Podhajsky gelernt. Auch hier ein spannender Austausch – eine unschätzbare Gelegenheit, wenn man selbst Lipizzaner aus Piber hat und ein bisschen Reitkunst und Tradition aus der Heimat schnuppern möchte. 

Und natürlich gab es auch Unterricht von Bent Branderup. Im Herbst freue ich mich auf Christofer Dahlgren. 


Was ich in Punkto Haltung anders mache? 

In Punkto Haltung hat sich seit 2007 extrem viel verändert. 

Ich war von 2007 bis 2021 in drei Ställen eingestellt. Der letzte Stall war sicherlich vom Konzept her sehr durchdacht und was die Fütterung und die Möglichkeiten des Auslaufs anbelangt. Trotzdem machte sich in mir der Wunsch breit, die Haltung meiner Pferde selbst in die Hand zu nehmen. 2021 bin ich dann im Selbstversorgerstall Schillignsdorf mit meinen Buben und Frau Pina heimisch geworden und habe diese Entscheidung nicht eine Sekunde lang je in Zweifel gestellt. Auch wenn das mit mehr Arbeit am Hof verbunden ist, an einem Tag der Heuernte das Training der Pferde zurückstecken muss – die Beziehung zu meinen Pferden hat sich nachhaltig so verändert, wir sind eine Familie geworden und endlich sind wirklich alle Pferde in einer Herde zusammen und profitieren von der Beständigkeit innerhalb dieser. 

Was ich anders mache? 

Es lässt sich in wenigen Worten nicht auf den Punkt bringen. Im Grunde Alles. Denn ich habe jede einzelne Hilfe neu behirnt und gelernt. Ich habe mich verändert. Es heißt wirklich nicht umsonst Reitkunst ist Lebenskunst. Und wie Bent Branderup hier sehr schön hinzufügt: Als Künstler lebt man nicht länger, aber mehr. 

Ich habe alles neu gelernt, um letztlich festzustellen, dass vieles ja schon immer da war. Es lag direkt vor mir, aber ich hatte es nicht verstanden. Und genau deswegen gibt es auch Einfach Reiten. Weil mich manchmal die Erkenntnis verunsichert hat, was ich alles noch nicht weiß. Weil ich manchmal an mir zweifelte, ob ich komplexe Inhalte überhaupt jemals verstehen würde. Und weil ich wusste, es geht anderen auch so. 

Was machst du heute anders? Ich bin gespannt auf dein Feedback. Hinterlasse mir gerne einen Kommentar, wie der Lernprozess so bei dir war in den letzten Jahren. 

Was kannst du künftig anders machen?