Ewiger Stillstand, es gibt keinen Fortschritt – was tun, wenn es in der Pferdeausbildung nicht weiter geht. Ein Erfahrungsbericht und ein paar Gedanken.
Ich sitze mitten in meinem Bürochaos und miste aus. Unterlagen, die ich nicht mehr brauche, Werbung, Unterlagen, die ich nie gebraucht habe, Aufzeichnungen und Notizen. Dazwischen „stolpere“ ich in meiner Zettelwirtschaft auf ein gefaltetes liniertes Blatt. Es ist datiert. März 2013 steht in der ersten Zeile. Trainingsnotizen Tarabaya. Ich überliege die Zeilen. Das, was damals nicht klappte und Kopfzerbrechen bereitete, ist heute absolut in Vergessenheit geraten. Aber beim Lesen der Zeilen entführen mich meine Worte in die Vergangenheit. Ich kann fühlen, wie sehr ich mich damals sorgte, alles richtig zu machen. Ich spüre meine Unzufriedenheit vergangener Tage. Unzufriedenheit, weil man immer wieder das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten. Unzufriedenheit, weil man es doch besser machen könnte. Unzufriedenheit, weil ich ständig das Gefühl hatte, nicht genug zu wissen oder nicht genug zu tun.
Heute kann ich über diese Zeilen schmunzeln, denn ich weiß, dass wir wenige Wochen später mit Beharrlichkeit und Übung den Takt verbessern konnten. Und was wir in den folgenden Monaten noch geschafft hatten! So ein Rückblick macht dann doch plötzlich Spaß
Mein Rezept gegen den Stillstand
„Bei dir geht es ja leicht. Du hast Talent“.
diverse Reiter..
Wer hat diesen Satz schon mal gehört oder gedacht? Sehr oft gehen wir davon aus, dass Kreativität und Brillanz quasi aus dem Nichts erscheinen. Das Schicksal liegt aber nicht in den Sternen und Talent ebenso wenig. Um etwas zu schaffen, liegt viel Arbeit vor uns. Wir werden uns oft fühlen wie Sysyphos. Den schweren Stein ewig auf den Berg rollen, um erneut am Ziel zu scheitern. Die große Gefahr liegt darin aufzugeben, sich am Stillstand zu langweilen, zu fürchten oder den Stillstand eben nicht für sich zu nutzen.
Wenn wir etwas lernen, dann durchlaufen wir grundsätzlich 3 Stufen, auf dem Weg ein wahrer Meister unseres Fachs zu werden. In der ersten Stufe werden wir gute Handwerker, in der zweiten Stufe nutzen wir unsere Kreativität, in der dritten können wir Handwerk und Kreativität kombinieren.
„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“. Echt nicht. Viele, hunderte, gar tausende Stunden verbringen spätere Meister voll der Hingabe, wenn sie sich mit „ihrer“ Materie auseinandersetzen. Sei es Sport, Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft – was auch immer.
Zwei Damen – meine Lehrmeister
Immer wieder bin ich mit meinen zwei Stuten Tabby und Pina an ein bestimmtes Plateau gekommen und musste dann mal gehörig meine grauen Zellen bemühen.
Was hat mir geholfen?
- Frag Gustav. Sehr oft hat mir Gustav Steinbrecht weitergeholfen. Nein, ihr wollt kein Foto meiner Ausgabe sehen, voller Post It und Notizen zu meinen eigenen Pferden oder Schülerpferden
- Wälze die Biomechanik. Manchmal gibt es eine ganz einfache biomechanische Erklärung, warum etwas nicht klappen kann. Selbst, wenn einige Dinge noch nicht funktionieren und es wohl noch länger dauern wird, bis dieses Etappenziel erreicht ist – es ist allemal ein Trost und man kann mit dieser Art von „Stillstand“ auch leichter umgehen, wenn man weiß, warum man gerade an einer Sache scheitert.
- Frag Kollegen. Ich bin froh, Teil einer internationalen Trainergruppe zu sein. Wir arbeiten unausgesprochen und unabhängig voneinander oft in unserer eigenen Reiterei an ähnliche Themen – hier ist der Austausch ungemein hilfreich. Und natürlich organisiere ich Kurse mit Kollegen auch, um guten Unterricht zu bekommen. Auf meinem Computer hängt beispielsweise ein Post It mit einem Zitat von Christofer Dahlgren aus einem Kurs, den wir 2014 organisiert hatten. Dieser ist ein kleiner Leitspruch geworden für mich und meine Fuchsstute.
- Denk an das Gegenteil. Wenn ich darüber nachgedacht hatte, dass es unbedingt eine bestimmte Sache sein müsste, die mir bei einem akuten Problem helfen könnte, habe ich auch oft genau durch das Gegenteil eine Lösung bekommen, wenn der ursprüngliche Plan nicht funktioniert hat. Beispiel: Der äußere Brustkorb sinkt in der Biegung ab, ich werde vom Pferd außen tiefer hingesetzt. Anstelle auf der inneren Seite unbedingt „tiefer“ sitzen zu wollen, hebe ich außen meinen Sitzknochen an und lade das Pferd ein, mir entgegen zu kommen. Wieder an das Gegenteil denken: Diesmal nehme ich die Belastung deutlich auf die äußere Seite mit, verstärke beim Pferd das Gefühl und nehme den Sitzknochen erst dann wieder ein wenig nach oben. Oder: Ich dachte Versammlung wäre der Schlüssel zur Lösung des spezifischen Problems. Vielleicht war aber Versammlung gar nicht dran, sondern mal ein bisschen mehr Dehnung und ein bisschen frischeres Vorwärts. Vielleicht war es nicht die Arbeit im Viereck dran, sondern Qualitiy Time zu Zweit.
Einhörner und pädagogische Zauberwesen
Wir haben alle unsere Grenzen. Wir stoßen an ihnen an, wir merken, es geht nicht weiter.
In jedem seiner Kurse erwähnt Bent Branderup grüne oder gelbe Bereiche und rote, die ganz sicherlich zu meiden sind. Wir fühlen uns wohl bei grün. Gelb ist schon so eine Grenzsache und bei rot, da wollen wir ja natürlich gar nicht ankommen. Ein bisschen eintauchen in den gelben Bereich müssen wir aber, sonst geht natürlich nichts weiter. Das Stimmungsbarometer muss aber bei gelb nicht gleich in den Keller sinken. Natürlich liegt es auf der Hand, dass man sich über Erfolge mehr freut, als über Misserfolge. Dabei sind es aber die Misserfolge aus denen wir tatsächlich etwas lernen.
Mein Lipizzaner Conversano Aquileja aka Konrad ist für mich mein ganz persönliches Einhorn. Er versteht mich scheinbar blind und immer mühelos. Freilich. Er kann gut zuhören. Freilich. Er bringt alle körperlichen Voraussetzungen mit. Und er will. Aber meine klare Sprache ihm gegenüber, meine pädagogischen Fähigkeiten habe ich meinen Stuten zu verdanken. Zwei Pferde, bei denen mental und körperlich nicht immer alles so einfach gelaufen ist.
Wenn der Frust über den Stillstand groß ist, dann hilft es vielleicht in Erinnerung zu rufen, dass man sich über die selbst genommenen Hürden viel eher freuen kann, als über die Hürden, die das Wunderpferd nahm und einen einfach „mitgenommen“ hat.
Von Tellerrändern, vom „Wir Gefühl“ und Werten
Meinen Blog poste ich in sozialen Medien und natürlich verfolge ich ab und an auch, was in diesen vorgeht. So wird natürlich auch das kollektive Wissen auf Facebook angezapft, wenn`s nicht mehr weiter geht. Was in akademischen Gruppen auffällt: Manchmal werden gänzlich „fremde“ Konzepte angeboten – was gerne auch in einer Diskussion ausartet, was nun akademisch sei und was nicht.
Was ist akademisch? Nun, abgesehen von der Reitlehre, die Bent Branderup unterrichtet – mit der für die Akademische Reitkunst nach Bent Branderup typische Bodenarbeit, Longenarbeit, Handarbeit von außen geführt und dem Crossover – Akademisch bedeutet für mich, dass man sich Gedanken macht, Ziele setzt und Forschungsfragen formuliert.
Wenn ich also stillstehe, etwas schaffen und lernen möchte, dann formuliere ich meine Forschungsfrage und leite daraus eine passende Hypothese ein. Diese Hypothese kann ich natürlich dann im Selbstversuch überprüfen, empirisch spannender ist die Sache natürlich, wenn es mehr Erfahrungen und Meinungen dazu gibt.
Wenn also verschiedene Dinge vorgeschlagen werden, die auf den ersten Blick nicht typisch „akademisch“ erscheinen, dann wäre es allerdings der akademische Zugang zu sagen: Spannend, was passiert da, was kann ich daraus lernen? Wie könnte ich eine Hypothese formulieren? Welche Erfahrungswerte anzapfen.
Eine pauschale Verurteilung a la: Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht, hat mit den Werten der Akademsichen Reitkunst nichts zu tun – es sei denn das Wohl des Pferdes steht zweifelsohne nicht im Vordergrund – bzw. der Grundsatz: Die Dressur für das Pferd und nicht das Pferd für die Dressur findet grobe Missachtung.
Man muss über verschiedene Methoden nachdenken – aber wie heißt es so schön: zu viele Köche verderben den Brei. Oder anders gesagt: den so viel zitierten und gerühmten Blick über den Tellerrand muss man mit Vorsicht genießen.
Mit Vorsicht, da man als Reisender oft nur schwer vorhersagen kann, wie das Wetter am Ziel sein wird. Man kennt ohne genaue Planung und Vorbereitung den Weg nicht – und so kann es viellicht auch mit der einen oder anderen Empfehlung für die Pferdeausbildung sein.
Viele (Um)wege führen nach Rom, aber noch viel mehr Wege führen irgendwo anders hin.
Kathrin Branderup-Tannous
Im Zweifel frage ich also immer nach. Und probiere nicht unbedingt alles selbst aus.
Wenn es nicht weiter geht, dann gehe ich die oben genannten vier Schritte durch – und einen Zusatztipp hab eich auch noch: Manchmal braucht es einfach auch andere Worte, um einen Zusammenhang besser zu verstehen.
Ich schaue mir Videoaufnahmen von meinen Ritten bei Kursen mit Christofer Dahlgren und Bent Branderup an und komme dahinter, dass beide im Prinzip die gleiche Botschaft an mich hatten. Jeder jedoch mit seinen Worten und vielleicht differenzierten Blickwinkel. Manchmal muss man einfach alles, was schon gesagt wurde, nochmal verdauen, analysieren und hinterfragen. Dann stellt man manchmal schmunzelnd fest: Oh, die Lösung gab es doch schon vor Monaten. Aber ich habe nicht so genau hingehört.
Wenn`s nicht weiter geht, dann geht es später mit Riesenschritten weiter.
Super schöner Beitrag, liebe Anna!
Ich empfinde das auch in allen anderen Lebenslagen so, nicht nur in der Reitkunst. Manchmal scheint man still zu stehen und dann merkt man mit ein wenig Abstand, dass man gerade richtig Schwung geholt hat oder diese Pause auch für die persönliche Weiterentwicklung einfach dran war.
Viele Grüße an dich, ich freue mich schon, wenn wir uns im Mai wieder bei Pfernetzt sehen! 🙂
Miri
Hallo liebe Anna,
ein toller Beitrag, vielen Dank dafür! Mir geht es ähnlich – in allen Lebensbereichen. Und nach kleinen oder längeren „Durststrecken“ merke ich dann, dass ich gerade in Wirklichkeit Schwung geholt habe oder etwas anderes tatsächlich so viel wichtiger war, um langfristig zu wachsen.
Viele liebe Grüße, ich freue mich dich schon im Mai bei Pfernetzt wiederzusehen!
Miri