Wie viel Vorwärts darf es denn sein für das junge Pferd? Wenn es um das korrekte Vorwärts geht, dann scheiden sich die Geister, dann gibt es immer wieder Stoff für lebhafte Diskussionen, vor allem, wenn es um das Thema „Vorwärts und Jungpferd“ geht.
Mit meiner Trakehnerstute Tabby hatte ich, als sie vier Jahre alt war, die spannende Herausforderung breitbeinig fußende Hinterbeine zu sortieren. Die Aufgabe lautete weiter übermässigen Schub zu kontrollieren und dabei aber nicht die Gehlust abzuwürgen wie einen Motor in der ersten Fahrstunde. Mein Lipizzaner Konrad (Conversano Aquileja) ist das komplette Gegenteil. Viel Veranlagung zu Tragen, viel Veranlagung für Versammlung. Hier ist die Schwierigkeit ebenso ein korrektes Vorwärts zu etablieren aber aus einer ganz anderen Ausgangslage. Spannend!!
Die Tipps der Alten Meister
Aktuelle Herausforderungen – da lassen sich die Alten Meister immer wieder gerne befragen.
François Robichon de la Guérinière arbeitete vor allem im Trab. Er nutzte den Zweitakt, um den Vorwärtsdrang gezielt zu kontrollieren – sowohl „stürmischen“ wie auch „faulen“ Pferden kam die Arbeit im Trab zu Gute. Der Schritt wurde in den ersten Schritten der Ausbildung freilich auch hinzugezogen, vor allem um den Bewegungsapparat schonend aufzubauen.
„Durch den Trab, der die natürlichste Gangart ist, macht man das Pferd leicht in der Hand, ohne das Maul zu verderben und seine Körperteile frei beweglich, ohne diesen zu schaden….Der Zweitakt, bei dem zwei Beine in der Luft und zwei am Boden sind, verschafft den Spielbeinen eine Leichtigkeit, sich zu heben, gehoben zu bleiben sowie vorwärts zu greifen und ergibt dadurch den ersten Grad von Biegsamkeit in allen Teilen des Körpers“.
François Robichon de la Guérinière
Früher sagte man gewandt, gehorsam und biegsam. Heute sprechen wir von Balance, Losgelassenheit, Durchlässigkeit und Formgebung, selbstverständlich sprechen wir auch von Tempo und Takt, dazu mehr aber später.
„Ein Pferd, dessen Körper nicht vollkommen frei und biegsam ist, kann dem Willen des Menschen nicht mit Leichtigkeit und Eleganz gehorchen. Durch die Biegsamkeit wird das Pferd zwangsläufig gelehrig, denn es kostet das Pferd dann keine Mühe, das zu tun, was man von ihm verlangt“.
François Robichon de la Guérinière
Womit beginnen?
2017 kam mein junger Lipizzaner Konrad zu mir, 2018 folgte der junge Amena, ebenfalls Lipizzaner. Wie halte ich es nun mit der Ausbildung meiner Jungpferde?
Am Anfang steht die Beziehungspflege, das gegenseitige Kennenlernen steht an erster Stelle. Ich fasse in einem kurzen Abriss zusammen, wie es dann weiter geht:
Wir verbringen viel Zeit miteinander, tasten uns an erste Führübungen heran. Dazu gehört eine parallele Position neben dem Pferd, eine Frontposition vor dem Pferd und mit steigender Verbindung probieren wir auch aus, wie es ist etwas weiter hinten, neben der inneren Hüfte des Pferdes zu laufen oder seitlich auf mehr Distanz.
Mir ist dabei wichtig, dass wir uns synchronisieren. Darunter verstehe ich, die Einhaltung des gewünschten Abstands, so dass sich Pferd und Mensch wohl fühlen und eine gemeinsame Ausrichtung hinsichtlich der Energie. Können wir also wirklich zusammen bleiben, wenn wir das Tempo steigern oder drosseln? Das ist auch eine wichtige Basis für spätere Aufgaben. Nach und nach erkunden wir die formgebende Arbeit.
„Arbeit“ steht bei meinen Youngstern zwar hoch im Kurs, denn sie sind immer super motiviert. Aber diese Motivation erhalte ich auch gezielt, indem ich die Denkaufgaben abwechslungsreich und spielerisch gestalte und viel draußen unterwegs bin. Die Schulzeit ist sehr kurz gehalten, wenn es darum geht neue Inhalte zu verstehen, zu lernen und zu erinnern. Die Formgebende Arbeit kommt hier in der Bodenarbeit relativ rasch auf den Stundenplan, wenn die Basisübungen absolviert sind.
Wir arbeiten an Stellung und Biegung und dann bestimmt das jeweilige Pferd natürlich das Lerntempo. Konrad und Amena haben sehr rasch verstanden, was ich mit einem inneren oder äußeren Schenkel meine und was die Gerte an der inneren oder äußeren Halsseite angelegt bedeutet. Dann kamen spielerisch erste Seitengänge wie Schulterherein, Kruppeherein, später Traversalen, Pirouetten und Renvers hinzu. An der Longe verfeinern wir die Arbeit auf Distanz und wiederholen alle Inhalte in den drei Grundgangarten. Sich zu versammeln fällt den Buben leicht und sie haben viel Freude dabei – daher nehme ich Vorschläge und Angebote an – bin aber in Anbetracht der körperlichen Entwicklung stets vorsichtig, auch wenn meine Lipizzaner meinen „sie könnten Bäume ausreißen“.
1994 – mein erstes Jungpferd
Eine Reise zurück in die Vergangenheit. 1994 habe ich meinen Trakehner „Wiesenkobold“ angeritten. Führübungen waren damals auch am Stundenplan aber sicher nicht in der heute gelebten Akribie. Wir sind auch viel spazieren gegangen und haben uns damals mit Longenarbeit befasst. Dann kam nach einem halben Jahr der große Moment. Ich bin aufgesessen und erstmal gestanden.
Kobold war zwar an der Longe gut mit Stimme und Gertensignalen vertraut, aber von oben konnte er alles nicht so recht zuordnen. Ich wollte los reiten und habe meinen Schenkel benutzt. Er hat an meinen Stiefeln geleckt. Ich habe dann meinen Vater und seinen Schimmel als Stützpädagogen hinzu geholt. Auf einer großen Galoppwiese sind wir dann dem Schimmel und seinem Reiter gefolgt. So konnte ich meinen Co-Trainer bitten mal anzutraben oder später mal anzugaloppieren. Kobold lief hinterher und hat schon bald verstanden, was meine Hilfen bedeuten, die er natürlich zu Beginn rätselhaft fand, aber sich in der Übersetzung am Schimmel orientierte. Der Schimmel etwas kurzbeiniger und vom Temperament her nicht der „eiligste“ half Kobold sich zu sortieren – nach und nach konnten wir aber das Tempo steigern und gemütlich nebeneinander her traben. Ich außen, mein Vater innen. Auch so haben wir schon erste Übungen zur Synchronität eingebaut. Aber diesmal mit einem „Führpferd“.
Und heute?
Heute war das erste Aufsteigen auf meinen Konrad denkbar unspektakulär. Durch die sehr genaue und viel länger dauernde Vorbereitung, nämlich gut zwei Jahre bis wir wirklich mal „geritten“ sind, war bei Konrad sofort ein Grundverständnis da für meine Hilfengebung.
Kehren wir zur Eingangsfrage zurück, wie viel Vorwärts braucht man nun?
Guérinière spricht von zwei Pferdetypen:
„Die einen halten ihre Kräfte zurück und sind meist leicht in der Hand, die anderen fallen auseinander und schlendern nachlässig weg, wobei sie meist schwer in der Hand sind oder gegen die Hand drücken und die Nase wegstrecken…..
Pferde, die keine besondere Gehfreude zeigen und sich verhalten rät Gueriniere in einen „gestreckten und beherzten Trab zu versetzen, um ihnen Schultern und Hanken zu zu lösen. Im Falle der anderen, die von Natur aus auf der Hnad liegen, indem sie die Nase wegstrecken, muss der Trab erhabener und verkürzter sein, damit man sie vorbereitet sich beisammen zu halten. Sowohl im einen wie auch im anderen Fall müssen die Pferde aber in einem gleichmässigen und steten Trab gehalten werden, ohne dass die Hinterbeine nachschleppen. Sie sollen hierbein von Anfang bis zum Ende mit dem gleichen Schwung gehen, dürfen andererseits aber nicht zu lange getrabt werden.“
François Robichon de la Guérinière
Guérinière liefert somit einen sehr klaren Rat, wie das korrekte Vorwärts etabliert werden kann.
Und das Tempo?
Neben Guérinière spricht sich auch Waldemar Seunig für ein gleichmässiges Tempo im Trab aus, betont hier aber vor allem auch den Takt.
„Der Takt kann dem Willen des Reiters und dem Dressurgrad des Pferdes entsprechend geregelt, also richtig, er kann aber auch zu langsam sein, wenn sich die Tritte in zwar gleichmässigen, aber zu lange dauernden Abständen folgen, oder er kann zu eilig sein, wenn die gleichmässigen zeitlichen Abstände der Tritte zu rasch aufeinanderfolgen. ….Das Pferd verliert den Takt in dem Augenblick, als dieses Gleichmaß verloren geht, die Bewegung also aufhört im physikalischen Sinne eine gleichförmige zu sein, wobei das Pferd dann ins Eilen gerät oder sich zu verhalten beginnt.“
Waldemar Seunig
Balance, Losgelassenheit, Durchlässigkeit – Was kommt zuerst? Die Frage nach der Henne und dem Ei kann so nicht beantwortet werden. Ein gleichmässiger Takt ist ganz sicher auch neben der Losgelassenheit die Grundlage für Gleichgewicht und Formgebung und steht auch am Anfang einer jeden Ausbildung. Ohne Losgelassenheit aber keinen Takt, ohne Balance keine Formgebung und und und.
Seunig beschreibt ebenso wie Guérinière die Longenarbeit als Grundpfeiler der Ausbildung. Er betont, dass das Pferd zwanglos laufen soll, sich nach Möglichkeit bereits treiben lässt – und – es soll ein natürliches Tempo finden:
„Hat es beim Longieren seinen natürlichen Trab, in einem Tempo, das es sich selbst sucht, ohne zu eilen, wobei es gleichlange Schritte macht, in einer Haltung, die es von selbst annimmt wird in diesem Trab zunächst auf der linken, dann auf der rechten und dann wieder auf der linken Hand longiert.“
Seunig
Alles über den Rücken
Für die gewünschte Formgebung wünschen wir uns die Hergabe des Rückens. Auch hier betont Seunig, dass man dieses Ziel vor allem im natürlichen Trab erarbeitet,
„..dem Gangmaß, das sich das Pferd selbst wählt und in dem man es mit ganz loser Zügelanlehnung gehen lässt“
Waldemar Seunig
Aber gleichzeitig betont er die Zügelanlehnung niemals zur Stütze werden zu lassen – das Pferd darf die Reiterhand also nicht als fünftes Bein zu missbrauchen lernen.
Die Ruhe des Trabes verhindert, dass das Pferd aus der Balance und somit auf die Vorhand kommt. Auch betont hier Seunig die gleichmässige Fußsetzung, die dann den Takt begünstigt.
„In einem verstärkten Trabtempo oder gar im Galopp wäre ihm das Selbstragen erschwert, es würde entweder ins Eilen geraten oder müßte, um im Tempo bleiben zu können und nicht das Gleichgewicht nach vorne zu verlieren, aus Angst vor schmerzhaften Zügelanzügen mit den Vorderbeinen stemmen, nicht nur auffangend stützen und dadurch Schaden an sehnen und Gelenken leiden.“
Waldemar Seunig
Seunig nennt das erste Ausbildungsstadium die „Periode des natürlichen Trabes“, mahnt aber gleichzeitig Ruhe und Zwanglosigkeit ganz oben auf den Stundenplan zu stellen. Das Pferd mit geräumigem Gang darf nicht verhalten werden, faule Pferde sollen nur soweit angetrieben werden, so dass sie sich nicht verhalten. Das Pferd soll nur so viel tun, damit es in der geforderten Gangart bleibt, dementsprechend spricht Seunig von einem geringen Energielevel.
Einmal mehr zeigt sich. Ob 1733 bei Guérinière oder 1943 bei Seunig. Pferdeausbildung ist immer individuell. Die Frage nach dem „natürlichen Trab“ kann also nur das Pferd selbst beantworten. Und in dieser Hinsicht ist es sicherlich nützlich, wenn man sich vom Boden aus gut kennt und als Reiter den natürlichen Trab bereits observieren und fühlen konnte – selbst wenn man noch nicht auf dem Rücken seines Jungpferdes Platz genommen hat.
Achte den natürlichen Trab, dann Reitest du Einfach 🙂
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