Wir reiten nicht gestern und wir reiten nicht morgen. Wir sind im JETZT mit unserem Pferd. Den Satz habe ich in einem der Seminare von Bent Branderup aufgeschnappt und daran musste ich in den letzten Tagen im Kloster einige Male denken.

Im Kloster. Richtig gelesen.

In heiterer Gelassenheit

Das Unterrichten bereitet mir riesige Freude, genauso die Arbeit mit meinen eigenen Pferden. Wenn ich aber nebenbei gleichzeitig drei Projekte jongliere, mir über das gestern Gedanken und das morgen Sorgen mache, dann wird in mir eine nervöse Stimme hörbar, die laut nach Ruhe schreit.

Vergangenes Wochenende habe ich die Gelegenheit genutzt und drei Tage lange mit einer Gruppe Gleichgesinnter in einem Stift in Niederösterreich meditiert. Kein Handy, kein Fernseher, kein Facebook. Nichts. Stille und Verweilen im Jetzt. Gedanken an Beruf, Pferde, Reiten, das Wetter und Inspektor Gadget (warum um Himmels Willen ausgerechnet der?), alles steigt nacheinander auf und ich erkenne, wie schwer es eigentlich ist, in diesem Jetzt anzukommen und zu verweilen. Zazen – das absichtslose Sitzen in heiterer Gelassenheit – ist dann doch schwieriger als gedacht. Schon am Morgen finden wir uns in einem wunderschönen Saal mit hohen Fenstern, Deckengemälden und dunklem Holzboden ein und verweilen in Stille. Draußen geht die Sonne auf, die Vögel zwitschern und Alltag und Hektik liegen weit außerhalb der Klostermauern. Erst langsam beruhigen sich auch meine Gedanken. So geht es den ganzen Tag, unterbrochen von kurzen Pausen, wo wir uns aufrichten und durchstrecken. Mit der Zeit gleicht sich dann endlich meine innere Ruhe der äußeren an und mir wird klar, warum einige hier schon seit 30 Jahren immer wieder einige Tage herkommen und sich in dieser Praxis üben.

Warum das Ganze?

Ich versuche schon längere Zeit, mich jeden Tag 20 Minuten hinzusetzen und zu meditieren. Alleine am großen Fenster zur Terrasse wenn die Sonne untergeht nach einem stressigen Tag. Es schärft die Fähigkeit, sich selber zu beobachten. Man lernt Abstand zu gewinnen und sich ein wenig aus der Geiselhaft seiner Gefühle zu befreien. Man wird insgesamt gelassener, erkennt auch im Alltag, dass gerade Emotionen mit einem Schlitten fahren und nimmt sich einen Schritt zurück. Gleichzeitig gelingt es mehr und mehr, im Jetzt zu bleiben und sich auf das zu konzentrieren, was man gerade tut.

Hier schließt sich der Kreis zum reiterlichen Alltag. Pferde sind hochsensible Wesen. Sie spüren unsere Unruhe, unsere negativen Schwinungen, unseren Frust wenn etwas nicht klappt und unsere Zweifel. Wenn wir auch abseits von Stall und Viereck an uns arbeiten, werden wir nicht nur zu besseren Menschen, sondern auch zu besseren Reitern.

Es ist nur ein Weg

Wie heißt es so schön? Das einzige Pferd, das sich wie im Lehrbuch verhält, ist das Pferd aus dem Lehrbuch. Wir haben alle ganz andere Pferde zu Hause. Die Zen Meditation wurde mir als ein Weg beschrieben, aber es ist kein streng gehütetes Geheimnis, das zu einem perfekten Leben in 10 Schritten führt. Diese schnelle Lösung gibt es nicht. Nicht im Leben, nicht im Zen, nicht in der Reiterei. In alldem gehört ein gutes Stück Arbeit an sich selbst, an seiner Achtsamkeit, Wahrnehmung und Reflexion dazu. Manchmal gehört auch ein tiefes Vertrauen dazu, das der Weg der richtige für einen selber ist, auch wenn viele andere einen vermeintlich besseren oder schnelleren zu kennen glauben.

Annehmen – Zulassen – Losgelassenheit

Und plötzlich war sie da. Losgelassenheit. Ein Wort, das in der Reitkunst ebenso schwer und sehr individuell beschrieben wird. Das alles wissende Internet gibt uns in Form von Wikipedia folgende Definition:

Losgesallenheit beschreibt beim Reiten oder Fahren den Zustand, in dem ein Pferd mit schwingendem Rücken, nach vorne gedehntem Hals und ohne Eile mit natürlichen, taktmäßigen und entspannten Bewegungen läuft und die Hilfen des Reiters bzw. Fahrers. reagiert. Die Losgelassenheit ist die zweite Stufe der Ausbildungsskala bei Pferden.

Klingt eigentlich ganz einfach. Zweite Stufe. Erreicht man also rasch, oder? Losgelassenheit ist meines Erachtens nichts, das sich erreichen lässt oder zusammenbauen wie ein Ikea-Regal. Hier stellt sich auch die Frage, wer ist zuerst da, die Henne oder das Ei? Wer muss denn zuerst losgelassen sein, der Reiter oder das Pferd? Oder anders gefragt, kann ich als nicht losgelassener Reiter mein Pferd überhaupt zur Losgelassenheit führen, wenn es auch heißt, das Pferd ist ein Spiegel meiner selbst? Vielleicht erschrecken wir deshalb so oft vor der Wahrheit.

Wenn wir also mit unseren Pferden Zeit verbringen, oder eben auch mal etwas erarbeiten möchten, dann ist der erste Schritt die eigene Losgelassenheit. Aber wie erreiche ich diese?

Sicher nicht

… wenn ich immer am letzten Drücker in den Stall hetze und im Verkehrsstau dorthin geladen und gereizter werde.

… nur halb im Stall bin und mit der anderen Hälfte meiner Aufmerksamkeit auf Facebook.

… im Gedanken in der Vergangenheit verweile und mich über etwas ärgere, auf das ich gar keinen Einfluss mehr habe.

… oder schon wieder überlege, was ich nachher noch alles erledigen muss und soll.

Muss jetzt jeder meditieren? Nein, ganz sicher nicht. Aber ebenso wie die Akademische Reitkunst kann Meditation einfach ein Werkzeug sein, das man in seinem Alltag aufnimmt. Es sind wirklich gut investierte 20 Minuten, die sich nach einer gewissen Regelmäßigkeit in vielerlei Hinsicht auszahlen – nicht nur, aber gerade auch bei der Arbeit mit unseren Pferden.

Vielleicht ist die Zeit mit den Pferden für uns gerade in der schnelllebigen Zeit so kostbar, weil wir eben hier zur Ruhe kommen, uns erden und einfach mal „sein“ können. Diese Achtsamkeit können wir auch gemeinsam mit unseren Pferden trainieren. Sei es beim Putzen, wo man sich ganz auf diese einfache, repetitive Tätigkeit konzentriert und jeden Bürstenstrich bewusst wahrnimmt oder beim Spaziergang auf die Koppel um den Vierbeiner zu holen, wo man sich auf Natur und Umgebung konzentriert und eben nicht im Gedanken ganz wo anders ist. In gewisser Weise stellt sich dann ganz von allein ein meditativer Zustand ein.

Begrüßung und Verabschiedung, Dankbarkeit und Demut

Wann habe ich das letzte Mal bewusst „Danke“ zu meinen Pferden gesagt. Ganz egal ob die Leistung gestimmt hat oder nicht. Danke für die gemeinsame Zeit und die Freude, die sie mir bereitet haben. Bei meinem editationsseminar ging es auch um genau diese Achtsamkeit rund um Dankbarkeit und Demut. Mir wurde bewusst, wie oft ich fast automatisch lobe, aber selten einfach dankbar bin, für den Moment gerade. Und ja ich weiß, wir posten gerne mal schöne Momente oer Bilder auf Facebook, aber nicht immer müssen wir es laut in die Welt hinaus teilen. Manchmal reicht es auch im Stillen, einfach nur zwischen uns und dem Pferd. Das ehrt den Moment viel mehr, als  es 100 Likes je können.

Die eigene Schiefe spüren

Vieles geht beim Reiten ums Geraderichten. Ich kann aber nichts gerade biegen, wenn ich selbst von Eindrücken übermannt bin. Wer seine Achtsamkeit schult, spürt mit der Zeit kleinste Unebenheiten im eigenen Körper umso deutlicher. Genauso, wie man in der Meditation einen aufziehenden Gedanken erkennt, wahrnimmt aber nicht wertet und ihn sanft zur Seite schiebt um in einen Zustand der Balance zurück zu kehren, sucht und behält man später am Pferd sein Gleichgewicht und steuert sanft gegen, wenn man kurz seinen Tritt verliert.

Gelassenheit

Ich bin wirklich der Überzeugung, dass kein Pferd der Welt dreiundzwanzig Stunden irgendwo herum steht und darüber nachdenkt, wie es seinen Reiter das nächste Mal an der Nase herumführen könnte. Wir haben selber die sprichwörtlichen Zügel in der Hand, ob wir es zulassen, dass die Knöpfe bei uns gedrückt werden, wir uns ärgern und explodieren oder ob wir gelassen reagieren und das Feedback, sei es auch negativ, annehmen und überprüfen, ob wir unser Handeln in Zukunft ändern sollten. Das gilt gerade auch für Kurse. Natürlich möchte man da sein Bestes geben und zeigen, was man vom letzten Mal mitgenommen und in der Hausübung verbessert hat. Und wenn es nicht klappt, der Lehrer streng ist und man am liebsten alles hinhaut – mit etwas Abstand und Gelassenheit, weist die Kritik oft den richtigen Weg.

Ich werde garantiert weiter meditieren. Wie das Reiten, ist es ein Streben nach einer wohl unerreichbaren Perfektion. Aber ein Weg, der mich – glaube ich – weiter bringt und von dem ich auch als Reiter profitiere. Ich hoffe, der eine oder andere Leser hat selbst Lust auf Meditation bekommen oder meditiert vielleicht sogar schon regelmäßig? Ich freue mich über Erfahrungen – als Kommentar oder per Mail 🙂

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PS: Einigen ist es sicher aufgefallen: Der Titel des Artikels lehnt sich an das lesenswerte Buch von Robert Pirsig an – Zen and the Art of Motorcycle Maintenance. Am Buchdeckel steht:  As in Zen, the trick is to become one with the activity, to engage in it fully, to see and appreciate all details–be it hiking in the woods, penning an essay, or tightening the chain on a motorcycle. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.