Vorwärts ist eine der wichtigsten Zutaten in der Reitkunst. Darin sind sich die Meister der Reitkunst aus vergangenen Tagen einig. Warum ist aber das „zum Treiben kommen“ so wichtig?
Waldemar Seunig beschreibt in seinem Werk „Von der Koppel zur Kapriole“ die Bedeutung des Treibens.
„Ist das Pferd in der Bewegung stellt es seine Muskeln widerstandslos zum Gehen und Tragen zur Verfügung, kann erst der Reiter durch Verteilung seines Gewichts vortreiben, verhalten, Richtungsänderungen vornehmen“.
Seunig beschreibt, wie durch das Vorwärts und das Treiben als erstes Losgelassenheit erreicht wird, die er als höhere Stufe der Zwanglosigkeit definiert. Aus heutiger Sicht ließe sich Losgelassenheit sicherlich mit dem menschlichen „Flow“ vergleichen.
Flow bedeutet einen Zustand völliger Vertiefung, den wir als beglückend erleben. Wir gehen in einer Tätigkeit auf, die dann wie von selbst von sich geht.
„Wenn es einmal läuft, dann läufts aber…“. (Sprichwort)
Seunig legt hier besonderen Wert auf die Unterscheidung zwischen Zwanglosigkeit und Losgelassenheit.
Zwanglos könne ein Pferd schon gehen, ohne die Verbindung zur Reiterhand gefunden zu haben. Die Losgelassenheit entstehe aber erst dann, wenn das Pferd durch die treibenden Hilfen animiert seine Muskelketten aktiviert, Rückenschwung von der Hinterhand über das Becken in die Wirbelsäule bis zum Genick übertragen wird und so durch die Dehnungshaltung das Suchen zur Reiterhand hin von Statten geht.
„Die Anfangs in der Zwanglosigkeit des natürlichen Trabes schlummernde Losgelassenheit, bei der das Pferd keinen Muskel gegen das Reitergewicht spannt, wird durch das Sichtreibenlassen zum restlos und energischen Indienststellen eben dieser Muskeln im Sinne der durch die Hilfen ausgelösten Bewegungen, also zu energischem An- und Abspannen sowie Federn bei williger Aufnahme der Last. Da Zwanglosigkeit eine Vorstufe der aus ihr entstehenden Losgelassenheit ist, kann diese ohne erstere nicht erreicht werden; wohl aber ist ein mit seinem Reiter zwanglos dahinpendelndes Pferd ohne reiterliche Losgelassenheit denkbar.“ Waldemar Seunig. Von der Koppel zur Kapriole
Wann komme ich überhaupt zum Treiben?
Waldemar Seunig nennt die Durchlässigkeit als wichtigste Zutat, damit der Reiter überhaupt zum Treiben kommen kann. Er nennt aber auch einige Symptome, die dem Wunsch zum Treiben zu kommen entgegen stehen: Das Pferd versteift sich, man erkennt einen falschen Knick, das Pferd rotiert im Unterkiefer falsch oder sperrt das Mail aus. Auch die Hinterhand entzieht sich, sie weicht nach hinten aus. Sichtbar wird dies durch kurze und eilende oder matte und schleppende Tritte. Die Hufe scheinen am Boden zu kleben, das Pferd „pflügt“ durch den Hallenboden. Die Hinterbeine können auch seitlich ausweichen.
Sind die Hinterbeine steif, verhalten sich die Pferde ebenso. Der Rücken ist angespannt und festgehalten, Seunig beschreibt diesen Moment auch ein mentales Festhalten des Pferdes, wenn die Pferde nicht genügend mit dem Hinterbein untertreten
„…..Täten sie das, so müssten sie ihren gespannten, festgehaltenen Rücken und damit ihr ganzes Muskelsystem der Einwirkung des Reiters preisgeben und über zwangloses An- und Abspannen zur Losgelassenheit das heitß zum widerstandslosen Herangehen der Hilfen gelangen“. Waldemar Seunig. Von der Koppel zur Kapriole.
Eine gemeinsame Sprache finden
Wie man es also betrachtet und wendet. Egal ob es das Thema Versammlung oder Vorwärts betrifft, die wichtigsten Zutaten, damit wir zum Treiben können sind
- Balance
- Losgelassenheit
- Durchlässigkeit
- Formgebung
- Tempo
- Takt
- Schwung
- Geraderichtung
Und natürlich Timing. Timing bedeutet, dass wir das Hinterbein im richtigen Moment auffordern nach vorne zu treten – und das wäre natürlich in dem Moment, wo das Hinterbein abfusst. Wenn wir von der Ausbildungsleiter der Akademischen Reitkunst ausgehen – und somit in der Bodenarbeit angelangt sind, lernt zuerst unser Auge wahrzunehmen, wann welches Hinterbein in der Luft ist. In der Bodenarbeitsposition vor dem Pferd können wir in Richtung Schenkellage mit der Gerte zeigen, wir können durch unsere Vorarbeit mit der Energie auch Energie in diese Richtung schicken und nach vorne zu uns lenken. Als Werkzeug steht uns die Gerte als verlängerter Arm zur Verfügung. Im Abfussmoment kann sie Energie an das Pferd fächern oder es durch Touchieren berühren und die Botschaft: „Jetzt vorwärts“ schicken.
Was können wir also tun, um eine gemeinsame Sprache zu finden? Aus dem Werkzeugkoffer der Akademischen Reitkunst stehen uns folgende Mittel zur Verfügung:
- Bodenarbeit
- Longenarbeit
- Handarbeit von innen und außen geführt
- Langer Zügel
- Crossover
- Arbeit vom Sattel aus
In der Bodenarbeit legen wir den Grundstein für Energie und Bewegung. Wichtig ist mir hier vor der Gymnastik vor allem zu Beginn die Freude auf die Bewegung zu lenken. Wir lassen uns viel zu oft von defizitären Gedanken leiten. Wir sehen, dass die Bewegungsqualität der Hinterbeine noch nicht optimal ist, wir sehen alle möglichen Fehler. Wichtig ist jedoch die Energie des Pferdes durch all diese Kritik nicht im Keim zu ersticken. Zum Treiben zu kommen heißt nicht, das Pferd durch Technik vorwärts zu schicken – wir brauchen auch Freude am Mitmachen. Jegliche Sportart die bei mir persönlich nicht auch die Freude an Bewegung ganz spielerisch integriert hat, war auf lange Sicht nichts wofür ich gebrannt habe. Ähnlich kann es unserem Pferd gehen.
Zuerst steht also immer die Beziehung, gemeinsame Freude – dann folgt der Umgang mit den Werkzeugen, wobei wir in der Bodenarbeit dem Pferd den inneren und den äußeren Schenkel sowie innere und äußere Zügelhilfen erklären (der Sekundarhilfen).
„Die Bewegung der Hinterfüße ihr Vortreten hervorzurufen ist alleine der Reiterschenkel imstande, nachdem ihn die Gertenhilfe dem Pferd verständlich gemacht hat. Später erst tritt die vortreibende Hilfe des Sitzes in seiner Gesamtheit hinzu….“ Waldemar Seunig. Von der Koppel zur Kapriole.
„Unter den vortreibenden Hilfen sind diejenigen die wichtigsten, die der Reiter mit dem Unterschenkel auszuüben vermag, weil es die wirksamsten und natürlichsten sind.“ Gustav Steinbrecht. Das Gymnasium des Pferdes
Waldemar Seunig beschreibt eingehend in „Von der Koppel zur Kapriole“ die Qualität der vortreibenden Schenkelhilfe. Wenn sich das Pferd vorwärts bewegt und zum Schwingen kommt, holt es sich die weiteren Hilfen von selbst ab, da der Schenkel genau im richtigen Moment zur Fühlung kommt. Hier hilft uns die Bodenarbeit den korrekten Moment zu erkennen. Wir schulen bereits hier unser Gesäß, dass später zur Informationsaufnahme und Abgabe dient.
Wenn das Pferd nicht auf die Schenkelhilfe reagiert und der Reiter mit Bein oder sogar Sporn zu Klemmen beginnt, wird sich das Pferd wie oben beschrieben in der Muskulatur nur noch mehr verhalten und diese anspannen. Auch der Einsatz der Gerte führt nicht immer zum Erfolg – es sei denn man hat das richtige Timing
„Solche Pferde macht ein rechtzeitiges im Takt des Ganges angewandtes mehr oder weniger leichtes, wechselseitiges Antippen mit dem Sporn knapp hinter der Gurtlage hellhörig. Ein lebhaftes frisches Abfußen ist das Ergebnis das in wenigen Minuten eine Blindschleiche zum energisch tretenden elastisch dahinfedernden Reitpferd wandeln kann“. Waldemar Seunig von der Koppel zur Kapriole.
Mit Musik den Takt finden
Seunig geht in seinem Werk zu einem Großteil auf die gerittene Arbeit ein, zumindest beziehen sich die oben genannten Zitate auf eben diese. Im Unterricht greife ich gerne auf ein Instrument aus der Musik zurück. Metronome waren schon beim früheren Geigenspielen nicht unbedingt mein Freund, da sie mich immer wieder beim „Hudeln“ entlarvt haben. Sind wir also zu flott oder zu langsam unterwegs kann uns eine Taktvorgabe helfen den korrekten Takt zu halten. Natürlich gibt es hier auch ein zu schnell und zu langsam. Deswegen ist uns auch das Feedback des Pferdes wichtig. Wer nicht unbedingt ein Metronom zur Hand hat, kann sich auch gute Musik mit gleichbleibendem Rhythmus ins Ohr stöpseln. Das entlarvt nicht nur den eigenen Tempomat (vor lauter „Blickschulung“ bei der Bodenarbeit laufen wir immer langsamer) sondern hilft auch dem Pferd das Tempo kontinuierlich und damit auch einen kontinuierlichen Takt zu halten.
Mit dieser Hilfe kurbeln wir unsere eigene Energie an, sprich wir arbeiten nicht nur mit Technik (zeigende Gertenhilfe) wenn wir das Pferd in der Bodenarbeit ausbilden.
Hören wir manchmal auf unseren inneren Takt, dann reiten wir Einfach 😉
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