Schaut man auf soziale Medien gibt es offenkundig zwei Ansichten in Sachen Jungpferdeausbildung, Die einen, die meinen man könne gar nicht früh genug mit dem Training junger Pferde beginnen und die anderen, die auf die Skelettale Reife des Pferdes pochen und sich demnach leiten lassen.
Pferdeausbildung in der Praxis
Ich habe in den letzten Jahren vier eigene Jungpferde begleitet:
- Conversano Aquileia I (Konrad) kam im Alter von 3 Jahren und zwei Monaten zu mir.
- Maestoso Amena I (Amena) wurde mit 2 Jahren und 8 Monaten Familienmitglied bei uns.
- Mandrake (PSL) reiste drei Monate vor seinem fünften Geburtstag aus Portugal nach Österreich.
- Convesano Sostenuta II (Schnucks) kam drei Monate vor seinem vierten Geburtstag zu mir.
- Wen habe ich wann angeritten?
Konrad und Amena haben fünfjährig ihre Ausbildung zum Reitpferd so richtig begonnen. Klar haben wir uns davor lange mit der Aufstieghilfe beschäftigt und auch mal die eine oder andere Runde für wenige Minuten unter dem Reiter gedreht, aber wirklich mit der Reitausbildung habe ich erst ab dem fünften Lebensjahr begonnen. Auch bei Mandrake war es ähnlich und Schnucks wurde auch erst so richtig mit fünf Jahren eingeschult.
Was haben die Pferde davor gelernt?
Meine drei Lipizzaner Konrad, Amena und Schnucks stammen alle aus dem Gestüt Piber in der Steiermark. Piber ist ein Aufzuchtparadies, die Pferde wachsen wohlbehütet und in den Sommermonaten auf den steirischen Almen rund um Piber auf. Wobei man sich beim Besuchen der Winterquartiere auch an den riesigen Weiden kaum „satt“ sehen kann (die Jungpferde können sich jedenfalls wirklich satt fressen). Schon von klein an werden die Pferde an den Menschen gewöhnt, sie lernen mit ihren Müttern eine gewisse Routine im Stall und das Fohlen ABC. Dies geschieht mit großer Ruhe und Umsicht. Eine Morgen- und Abendroutine gibt den Pferden im Ablauf enorme Sicherheit. Und die jungen Pferde lernen ganz viel gemeinsam. Das macht in meinen Augen schon einen riesigen Unterschied aus, wenn wir im Vergleich dazu einen einjährigen Absetzer zu uns nach Hause holen. Auch die Bewegungsmöglichkeiten sind in einer angepassten Aufzucht nicht zu vergleichen. Natürlich werden aber keine Spaziergänge abseits der Herde gemacht, dies haben meine Pferde dann später auch bei mir gelernt.
Es war aber kein Problem sie zu halftern und zu führen, sie anzubinden und zu putzen – natürlich war alles in der für sie neuen Umgebung noch aufregend und auch meine eigene Routine für sie unbekannt – was sich jedoch unbezahlbar erweist ist die große Menschenbezogenheit dieser Pferde.
Lusitano Mandrake verbrachte seine Jugend auf den riesigen Feldern im portugiesischen Alentejo unter zahlreichen Korkeichen. Er wuchs mit seinen Brüdern auf und wurde vor dem Verkauf an den Stall gewöhnt. Er kannte viele Dinge noch nicht, aber er war auch sehr auf den Menschen bezogen, vertrauensvoll und offen für mich. Erst kurz vor seinem fünften Geburtstag wurde er kastriert – ich kann keinesfalls unterschreiben, dass seine lange Entwicklung als Hengst ihn zu „stark“ werden hatte lassen.
Auch Mandrake kannte Menschen von Fohlen an, auch wenn er vielleicht nicht einen so strikten Tagesablauf wie die Jungs aus Piber hatte.
Mit allen Pferden war ein Start in die gemeinsame Arbeit leicht möglich. Auch weil ich in meinen Aufgaben und Vorstellungen der gemeinsamen Aktivitäten sehr klar war.
Die wenigsten Pferde sind von vorne herein problematisch – es ist häufig so, dass die Sache eher durch den Zweibeiner verkorkst wurde.
Ich habe auch viele Jungpferde begleitet, deren Schwierigkeiten eigentlich immer „hausgemacht“ waren. Und junge Pferde brauchen manchmal einfach auch „Zeit“.
Unser Bedürfnis versus das Bedürfnis des Pferdes
Ich war nicht immer ein besonders geduldiger Mensch. Noch heute bin ich in manchen Dingen sehr ungeduldig und würde am liebsten alles sofort und selbst regeln – geht nicht immer – bei den Pferden jedenfalls habe ich diese Lektion wirklich gelernt.
Ich habe mich oft gefragt, ob besonders bei Mandrake oder Schnucks die Sache anders gewesen wäre, wenn sie woanders gelandet wären.
Mandrake ist ein extrem lustiger Kerl, für ihn war es aber schwer, sich länger in aller Ruhe zu konzentrieren. Wenn ich diese Zeilen schreibe wird er bald neun Jahre alt und seine Energie ist manchmal noch immer in alle Richtungen explosiv und ich muss ihn ermahnen, genau auf eine Sache hinzudeken. Diese Ermahnung klappt heute total unproblematisch – ich frage mich dennoch, wie sich sein Charakter, der extrem offen, extrem willig, extrem bemüht und leistungsbereit ist – also wie sich dieser Charakter wohl entwickelt hätte, wenn er sofort ganz streng die Schulblank hätte drücken müssen. Auch für ihn war es bei aller Leistungsbereitschaft wichtig, ihn nicht zu „hyper“ werden zu lassen – auch wenn er am liebsten alles in einem Tag gelernt hätte – hätte er wohl tatsächlich die Hilfen verstanden und nicht einfach „irgendwelche“ Lektionen erinnert, die sich aber nicht klar abrufen hätten lassen?
Schnucks ist ein unheimlich verschmuster und lieber Typ. Mit ihm unbekannten Menschen setzt er heute noch keinen Huf vom Paddock. Er braucht absolut lange um zu vertrauen. Und an dieser Sache haben wir extra lange „gearbeitet“ einfach im Zusammensein. Gerade vierjährig zeigte er sich auch unheimlich schlau, aber gleichzeitig auch ein bisschen zornig, wenn der dann das vom Vortag gelernte abspulen wollte, ich aber gar nicht danach gefragt hatte und dies auch mitteilte. Ich habe ihm dann viele Pausen gegeben, nicht extra lange wiederholt, sondern ihm noch länger Zeit gegeben über alles nachzudenken. Das hat sich riesig bezahlt gemacht, den Kindergarten etwas länger auszudehnen. Wenn ich diese Zeilen schreibe beginnen wir so richtig mit dem Reiten und ich habe das Gefühl beim Aufsteigen schon auf einem sehr ausbalancierten Pferd zu sitzen, das meine Vorschläge auch nicht mehr ständig hinterfragt.
Das ist die mentale Entwicklung und diese können wir nicht so „generalisiert“ festhalten. Konrad schien mit 3 Jahren bereits einen sehr alte und weise Seele und dadurch habe ich manchmal sicherlich zu viele Geschenke von ihm angenommen, die ich mir besser für später aufgespart hätte. Weil der Geist den Körper einfach nicht überholen sollte….
Wenn das Skelett reift
Generell sagte der Alte Stallmeister gerne, dass man die jungen Pferde erst dann anreiten würde (er bezog sich auf Hengste) wenn alle Zähne gewechselt hatten und die Hengstzähne vollständig durchgebrochen waren.
Abseits der Zähne gibt es insgesamt 80 (!) Wachstumsfugen in der Wirbelsäule, die sich im Alter von vier bis SIEBEN Jahren schließen.
Folgende Situation in den sozialen Medien: Ein Jährling wird longiert, eventuell schon mit Sattel drauf. Dann kommt das Argument, dass ja auch unsere Kinder schon in den Kindergarten gingen – ja das mag sein – aber auch hier gibt es eine altersentsprechende Pädagogik. Und eben auch Pferde, die sich mental ganz unterschiedlich entwickeln. Was den meisten Jungpferden gleich sein wird, ist der offene Wesenszug, unbedingt ihrem Menschen gefallen zu wollen und sich neugierig auf alle Aufgaben einzulassen. Der Will to please ist aber noch lange kein Garant dafür, dass die ganze Sache auf lange Sicht für das Pferd gesund ist.
Was bedeuten nun Wachstumsfugen?
Wachstumsfugen bedeute, dass sich der Knorpel in Knochen umwandelt. Wenn das Fohlen auf die Welt kommt, dann sind etwa nur 20 Prozent des Skeletts quasi „fertig“ mineralisiert.
Wenn wir manchmal das Gefühl haben gewisse Pferdekrankheiten gab es in der Geschichte nicht, dann sollten wir uns auch die Frage stellen – was hat sich bei der Nutzung des Pferdes im Laufe der Geschichte verändert – gerade in den letzten 100 Jahren ist ja auch gerade die Formung des Pferdehalses beim Reiten ein immenses Thema geworden: wenn wir davon ausgehen, dass der Halsansastz die letzte Region ist, wo sich die Wachstumsfugen beim siebenjährigen Pferd schließen, dann kommen wir nicht umhin, dafür zu sorgen, dass sich das Pferd eine Anlehnung tatsächlich im Laufe der Ausbildung suchen darf und den Hals als Balancierstange verwenden darf. Was bedeutet das, wenn der Hals bis zum Alter von 8 Jahren noch nicht vollkommen reif ist, ein Großteil der Pferde aber bereits mit drei Jahren in eine Form gepresst wird?
Sind ECVM und diverse arhtritischen Veränderungen an der Halswirbelsäule tatsächlich „hausgemacht“ wie diverse Verhaltensprobleme?
Wann sich die Wachstumsfugen schließen ist mittlerweile wissenschaftlich sehr gut erforscht und belegt. Würde jemand meinen, dass man Menschen unterschiedlicher Ethnien früher oder später in die Schule schicken könnte, weil erstere frühreif und zweiter spätreif „gezogen“ sind?
Ich muss gestehen, ich kann der Diskussion, ob es nun frühreif gezogene Pferde oder spätreif gezogene Pferde gibt genau NICHTS abgewinnen. Knochen ist Knochen – und der Knochen braucht nun einmal bestehend aus Knorpel der mit der Zeit minderlaisiert eben diese ZEIT.
Gerade weil wir heute nur noch mit unseren Pferden ZEIT schön verbringen müssen ist es von daher häufig unverständlich, dass wir die ZEIT, die uns geschenkt wird nicht schätzen, sondern frühzeitig verbrauchen.
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