Abgesessen und am Boden geblieben. Grundsätzlich ein sehr demütiger Akt, wenn wir die Pferde primär vom Boden arbeiten, tüfteln und forschen, aber bedeutet absitzen tatsächlich für immer abzusteigen?
Abgesessen – aus gutem Grund
In meiner Reise zur Reitkunst habe ich viele Stationen erreicht. Einerseits gab es freilich viel Wissen rund um Technik, Theorie, zuerst die Biomechanik und zuletzt mit großem Suchtfaktor rund um die Tensegrität zu lernen, andererseits kam freilich viel Gefühl dazu und auch eine spannende emotionale Entwicklung bzw. eine philosophische Reise rund um die Reiterei.
2012 hieß es bei einem Kurs mit Bent Branderup plötzlich: Abgesessen, alle machen jetzt Handarbeit, das will der Kursreferent ab jetzt so. Widerwillig schnappten wir uns Kappzäume oder sattelten ab für die Handarbeit. Ich weiß noch, wie eine Teilnehmerin fluchte: „Ich habe ein Reitpferd, kein Spaziergehenpferd“.
Auch ich war recht unmotiviert, schließlich waren alle Aktivitäten vom Boden aus nicht unbedingt das Lieblingsfach meiner Stute Tabby und mir. Aber nun waren wir schon da und irgendwie doch optimistisch etwas zu lernen.
In dieser Einheit haben wir uns mit Handarbeit beschäftigt und es lief – wider Erwarten überhaupt nicht schlecht. Wir fanden recht gut zueinander und ich war wirklich positiv überrascht, wie fein Tabby auf meine Vorschläge reagierte und was ich, trotz Unwissen und vieler neuer Positionen neben dem Pferd (innen und außen geführt) alles schaffen konnte.
Soweit so gut. Dann wurde eine neue Prüfung in der Ritterschaft der Akademischen Reitkunst hinzugefügt – Bodenarbeit. Die Bodenarbeit wurde durch die Inspirationen der damaligen Trainer weiter elaboriert – es kam das fortgeschrittene Longieren, das auch Seitengänge an der Longe beinhaltet hinzu sowie die sehr detailgenaue Arbeit im Stehen.
Eine sehr spannende Entwicklung, schließlich lohnte es sich bei meinen beiden Stuten doch mal tatsächlich abzusteigen und nochmal von vorne zu beginnen.
Abgesessen und neu verstanden
Vieles, was ich damals „dachte“ verstanden zu haben, erschloss sich jetzt noch einmal neu.
Ich verstand, was es bedeutet, das Pferd zwischen den Schultern zu lösen. Ich verstand, was es bedeutet, rückwärts selbst in Balance unterwegs zu sein und wie fragil schließlich das Gleichgewicht zwischen den Vorderbeinen ist.
Ich verstand, dass es nichts bringt, die Hinterhand für sich zu touchieren und den Vorgriff durch meine Präsenz vor dem Pferd abzuwürgen. Ich konnte mir in aller Ruhe im Stand anschauen, wie das Pferd eine Aufgabe im seitwärts umsetzt, beispielsweise die Frage nach dem äußeren, von sich weg biegenden Schenkel auch tatsächlich gut umzusetzen, ohne dabei zwischen den Schultern das Gleichgewicht zu verlieren.
Meine Stuten haben mir in dieser Zeit wahnsinnig viel beigebracht. Und da wir damals alle recht am Anfang dieser Bodenarbeit standen, mussten wir alle ein bisschen Wissen aufholen bzw. auf neuen Pfaden Altbekanntes erkunden, dass wir der Sache wirklich auf den Grund gehen konnten.
Bodenarbeit ist seitdem aus meinem Leben als Ausbilder nicht mehr fortzudenken.
Immer mehr Details kamen in der Bodenarbeit dazu und ich habe dabei eine eigene, spannende Entdeckung gemacht.
Und irgendwann kam die nächste spannende Frage dazu:
Abgesessen – für immer?
Sollte ich für immer absteigen? Mit meinen jungen Pferden hatte ich unheimlich viel Spaß am Boden. Jedes junge Pferd ist wie ein Buch voller leerer Seiten. Hatten meine Stuten freilich manchmal noch einen anderen Vorschlag auch aus jener Erfahrung heraus, die sie bereits durch das Reiten oder Longieren mitbrachten waren meine Jungs freilich „blank“. Wir konnten völlig neu beginnen und Dinge für uns entdecken.
Obwohl ich mehr als 30 Jahre lang mit Pferden zusammen war und schon sehr früh begonnen hatte Jungpferde anzureiten war ich dann doch immer wieder „geflasht“ wie klar mich meine Schimmel verstanden. (Übrigens reiner Zufall, dass alle Schimmel sind, ich bin in Wahrheit ein echter Putzmuffel). Es war unheimlich spannend, sich zu spiegeln, kleinste Details in der Körpersprache zu erkunden und aufzuspüren.
Und je mehr Zeit ich am Boden verbrachte, umso eher fragte ich mich: Muss ich überhaupt je wieder aufsteigen? Es macht doch so viel Spaß. Wir konnten uns schließlich mit vielen Tanzschritten und mal mehr mal weniger Energie wirklich toll miteinander spielen.
Ich habe mich gefragt, ob es ethisch überhaupt in Ordnung ist ein Pferd zu reiten. Müssen wir reiten? Wir dürfen reiten. Wie sollen wir reiten? Ich habe mir damals wirklich sehr viele Gedanken rund ums Reiten gemacht.
Und wäre es nicht das Ausreiten gewesen, wo wir doch auch mal etwas flotter unterwegs sein wollen und den Wind in der Mähne genießen (die einen haben dabei mehr, die anderen weniger Haar…da denke ich an Konrad und mich) – das war natürlich im Gelände mit Bodenarbeit nicht zu machen und ja, das Pferd frei im Gelände mitnehmen – ein schöner, aber für mich auch als Vorbild meiner Schüler relativ unrealistischer Gedanke, weil einfach verdammt viel schief gehen kann auch.
Frei miteinander sein – das war natürlich auch ein sehr schöner Prozess, auf dieser Reise befinden wir uns immer noch und genießen es, ohne Halfter und Strick miteinander zu kommunizieren und vor allem die Wahl zu genießen. Meine Pferde haben dann auch die Wahl, ob sie mit mir zusammen sein möchten oder nicht.
Wenn ich an langen Kurswochenenden nach drei Tagen Stallabstinenz heim kam, hatte es sich bewährt, den Konrad beispielsweise, der mich dann immer sehr vermisst und ein wenig „beleidigt“ reagiert, wenn ich wieder da bin einfach mal frei in die Halle zu lassen und dann Vorschläge zu machen. Wollen wir am Boden etwas miteinander machen? Bin ich noch in Gedanken halb beim Kurs vom Wochenende und sitzt mir die Reise in den Knochen? Findet der Konrad dann meine Stimmung nicht passend zum Reiten? Er hat da wirklich das letzte Wort. Und er hat auch mit seinem inneren Stimmungsbarometer recht.
Abgesessen und das Stimmungsbarometer
Es gibt aber noch ein anderes Stimmungsbarometer. Nicht nur das des Pferdes. Ich habe zunehmend festgestellt, dass Bodenarbeit ein ganz tolles Werkzeug ist, wenn es darum geht, dass man sich bei großer Unsicherheit in Ruhe an Dinge herantasten kann. Wenn wir körperlich nicht in Stimmung sind – dann ist es auch manchmal besser, nicht in den Sattel zu steigen.
Aber es gibt da auch noch zwei Dinge, die das Reiten unheimlich schwer machen:
Wenn Unsicherheit in Angst umschlägt.
Einerseits ist da die Angst alles richtig machen zu wollen. So glauben wir häufig, jegliche Fehler lassen sich am ehesten vermeiden, wenn wir am Boden bleiben. Das ist zum Teil auch richtig und natürlich kann das Pferd von einer Bodenarbeit profitieren.
Dann ist da die Angst, weil es vielleicht in der reiterlichen Vergangenheit den einen oder anderen Zwischenfall gegeben hat.
So etwas kann uns immer passieren. Ich selbst steige freilich auch nicht unbedacht auf, ich bin froh um all die Werkzeuge in der Bodenarbeit, die meine jungen Pferde selbstsicher machen, die gestellten Aufgaben zu lösen und mir auch zuvor Sicherheit vom Boden zu holen.
Es gibt also ohne Zweifel ganz viele Vorteile, wenn man gerne am Boden bleibt und hier Inhalte Schritt für Schritt erarbeitet. In diesem Artikel möchte ich aber kritisch und als bekennende Liebhaberin der Bodenarbeit fragen: Scheuen wir uns vor dem Reiten?
Und ja, es wäre ja egal, wenn wir nicht Reiten wollen. Wir müssen ja nicht – aber begrenzen wir das Pferd in seinem Bewegungsmöglichkeiten? Manchmal ist auch die Haltung freilich ein ganz großer Faktor, wenn Pferde sehr träge in der Muskulatur werden, neben der Trageschwäche oder Trageerschöpfung gibt es auch die „Trägeschwäche“, wenn Pferde in der gesamten Tonisierung erschlaffen und zu stark in die Entspannung gearbeitet werden. Kann uns das passieren?
Bieten wir den Pferden in der Detailarbeit zu wenige Bewegungsanreize, die ein Pferd im Grunde auch ausmacht? „Drücken“ wir uns manchmal davor, den Wind in den Haaren zu spüren, weil wir uns selbst und unser Pferd in den Möglichkeiten begrenzen?
Diese Gedanken sollen kein Plädoyer dafür sein, dass man wirklich reiten MUSS. Wir sollten jedoch immer im Pferdetraining beherzigen,
- …ob wir den Pferden genügend Bewegung verschaffen – sowohl im Privatleben und im Training
- …ob wir die Pferde gesund halten
- …ob wir den Pferden mehr Vorgaben machen oder mehr zur Entfaltung einladen
- …ob wir zu sehr die Kontrolle übernehmen
- … ob wir auf die Ideen unseres Pferdes hören
Wie immer sollen meine Beiträge zum Nachdenken, Mitdiskutieren, Grübeln nachdenken.
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