Anlehnung, ein Begriff der Reitkunst, der viel diskutiert, viel analysiert und vielleicht auch in der deutschen Übersetzung zu Recht kritisiert wird. 

Aber was verstanden die Alten Meister unter Anlehnung? 

François Robichon de la Guérinière (1688-1751) und die Anlehnung

„Anlehnung nennt man das Gefühl, welches die Wirkung der Stange in der Han des Reiters hervorbringt, und andernteils durch die Hand des Reiters auf des Pferdes Laden zuwege gebrachte Wirkung, Es gibt Pferde, die zu wenig, andere die zu viel und noch andere, die volle Anlehnung haben.

Die, welche keine oder zu wenig Anlehnung haben, sind solche Pferde, die das Mundstück fürchten und dessen Druck auf den Laden nicht leiden können. Diejenigen Pferde, welche zu viel Anlehnung haben, sind solche, die sich in die Hand legen.

Wenn ein Pferd aber, ohne sich auf die Hand zu legen, oder mit dem Kopf zu schlagen, eine stete, leichte und mäßige Anlehnung hat, so sagt man: es hat volle Anlehnung oder da beste Maul. Diese drei schönen Eigenschaften, die das gute Maul eines Pferdes bezeichnen, sind mit jenen der Hand des Reiters übereinstimmend, die ebenfalls leicht, sanft und stete sein muss“. 

François Robichon de la Guérinière

Wie gern würden wir hier eine Grammangabe haben, die uns auch genau sagt, wie viel wir in der Hand haben sollen/ dürfen. 

Dupaty de Clam und die Anlehnung

„Die Faust des Reiters trägt nichts als das Gewicht der Zügel und die geringste Bewegung reicht zu, dem Pferde einen Wink zu geben, auf den es in guter Ordnung gehorchen kann…aber so angenehm diese Anlehnung auch ist, so hat sie diese Unbequemlichkeit, dass sie eine große Aufmerksamkeit und Leichtigkeit in der Faust des Reiters erfordert“. 

Dupaty de Clam

Die Hand bzw. die Handeinwirkung ist daher eine große Sorge für den Reiter. Wir möchten ja schließlich nicht zuviel in der Hand haben. Aber eben auch nicht zu wenig – denn es gibt natürlich auch falsche Leichtigkeit, wenn das Pferd nicht zur nachgiebigen Hand sucht. 

Anlehnung – eine unbe“greif“bare Sache?

Was wir in jedem Fall feststellen – so schwierig der Begriff Anlehnung auch ist – es ist eine Sache der Passivität, der Führung zwischen den Zügeln und leider nichts, was der Reiter herstellen kann. Anlehnung lässt sich auch nicht durch die Auswahl eines entsprechenden Gebisses realistisch herstellen – wenn wir den Grundsatz befolgen, dass sich Kopf und Hals zuletzt formen dürfen, dann darf Anlehnung grundsätzlich immer entstehen. Sie wird nicht handgemacht von uns. 

Friedrich von Krane und die Anlehnung

„Ein Pferd, bei dem die Schnelligkeit der Rumpfbewegung mit der Aktion der Beine in voller Übereinstimmung steht dessen Hals sich in der vom Reiter begehrten Zusammenstellung zu tragen vermag, welches weder den Einwirkungen des Gebisses aktiv widerstrebt noch dieselben flieht, ein solches Pferd wird die Hand des Reiters eine gewisse Belastung fühlen lassen, durch welche eine fortwährende Verbindung zwischen dem Maul des Pferdes und der Hand des Reiters erhalten wird. Diese Belastung der Hand nennen wir die „Anlehnung“. Die Anlehnung wird je nach der Versammlung des Pferdes eine stärkere oder schwächere, solange das Pferd sich aber innerhalb derselben Versammlung befindet von gleichmässiger Stärke sein. Je höher die Versammlung des Pferdes, je geringer seine Neigung ist, desto feiner wird die Anlehnung, je geringer die Versammlung, je größer die Neigung in den Gang ist, umso stärker wird die Anlehnung. Da nicht die Gangart, sondern das Tempo der Gangart über den Grad der Versammlung entscheidet, so wird auch vom Tempo, nicht von der Gangart die Stärke der Anlehnung anging sein. Von einem Pferde, das sich in richtiger Anlehnung fortbewegt, sagt man: Das Pferd steht am Zügel“

F von Krane

Ein ganz wichtiger Beitrag von Friedrich von Krane. Erstens wird in diesem Absatz klar, dass sich Anlehnung tatsächlich entwickeln darf. Er gibt uns auch den Merksatz mit, dass sich Anlehnung je nach Versammlungsgrad verändern darf. Habe ich in meinem reiterlichen Werdegang die Erfahrung gemacht, dass Pferde absichtlich auf die Hand geritten wurden (obwohl ich jedem Reiter in Abrede stellen möchte, dass so eine Tonne Gewicht in der Hand wahrlich nicht bequem sein kann, weder für Pferd noch für den Reiter) gibt es auch eine andere Fraktion – Leichtigkeit um jeden Preis und das Pferd unbedingt ohne alles in einer bestimmten Form reiten. 

Wenn ich mir eine Fraktion aussuchen müsste, dann ist es ohne Zweifel die Zweite, aber auch hier unterscheiden wir zwischen echter Leichtigkeit und falscher Leichtigkeit. Wir können dem Pferd leider eine Haltung beibringen, auch ohne Zwangsmittel, die es einhält, die vermeintlich „schön“ und korrekt aussieht, es aber nicht ist. Die Wahrheit der Formgebung entsteht immer aus der Bewegung, aus der Losgelassenheit, Zwanglosigkeit (!), Geraderichtung und Balance. 

Seeger unterscheidet ebenso zwischen einer festen, weichen und leichten Anlehnung. „Es muss das Maul des Pferdes so in Übereinstimmung mit dem ganzen Körper stehen, dass jeder von der Hand des Reiters ausgehende, im Maul erregte Eindruck sogleich die ganze Stellung und Richtung des Pferdes bestimmt; ist dies der Fall hat das Pferd eine gute Anlehnung“. 

Auch eine gute Definition, doch gebe ich auch zu bedenken: Die Alten Meister, die wir hier aufgezählt haben, geben immer das Ideal der Anlehnung wider. Der wichtigste Grundsatz meines Erachtens ist, dass Anlehnung nicht nur durch den Kontakt zwischen Pferdemaul und Reiterhand entsteht – mitnichten – gerade weil ich vorwiegend gebisslos ausbilde, hat es sich bezahlt gemacht, andere Faktoren wie die Ausrichtung der Schultern zwischen den indirekten Zügeln, die Einwirkung des Sitzes und die Geraderichtung vermehrt zu berücksichtigen. 

Steinbrecht und die Anlehnung

Steinbrecht betont hier besonders das Vorwärts: 

„Da aber die Anlehnung nur durch die Schubkraft der Hinterhand, also durch Vorwärtsgehen gewonnen werden kann, so wird der verständige Reiter alles vermeiden, was dem entgegen wirkt. Gleich dem klugen Feldherren, der den überlegenen Feind so lange zu vermeiden sucht, bis er die nötige Verstärkung gewonnen, wird er daher das Vorwärtsgehen unterhalten, unbekümmert, ob das Pferd dabei den Gang willkürlich wechselt und von der beabsichtigten Linie abweicht. Er wird diesen Unregelmässigkeiten zwar entgegenwirken und beides wieder zu gewinnen suchen, aber nicht durch aktiven sondern durch passiven Widerstand, indem er, eingehend auf die Bewegungen des Pferdes, es allmählich durch Hand- und Gewichtsverteilung au die richtige Bahn zurückführt. Auf diese Weise bleibt es unbefangen, lernt seine Kräfte nicht zur Widersetzlichkeit zu gebrauchen und gewinnt vertrauen und Anlehnung. Je mehr Leichtigkeit ds Sitzes und der Hand und Feinheit des Gefühls dem Reiter hierbei zu Gebote stehen, umso größer wird der Erfolg sein, weil er hierdurch befähigt ist, die Harmonie mit seinem Pferde, das heißt das richtige Zusammenfallen der Schwerlinien beider Körper stets so vollkommen zu erhalten, dass sie gleichsam eins miteinander werden“. 

Steinbrecht, Gustav

Steinbrecht unterstreicht in diesem wichtigen Absatz, dass das Pferd zunächst auf gerader Linie, in Balance zwischen den Schultern einfach mal nur vorwärts laufen muss. Der Reiter begleitet das Pferd, stellt Verbindung her, wartet aber ab – ein wichtiger Hinweis, vor allem für uns Zweibeiner, die ja prinzipiell gerne alles mit den eigenen Händen erzeugen wollen. 

Dreyhausen und die Anlehnung

Von Dreyhausen findet gute Abschlussworte für diesen Artikel: 

„Man versteht unter Anlehnung des Pferdes an den Hügel jenen Zustand, indem das Pferd durch Abspannen der Beugemuskeln von Kopf und Hals und leichtes Dehnen der Streckmuskeln im ganzen Rücken und Hals bis zum Maul eine weiche Verbindung zwischen Hinterhand und Gebiss herstellt, das hießt selbst Anlehnung an die Hand des Reiters sucht. Sie kann nicht durch Zurückziehen mit der Hand hervorgebracht werden, sondern ist das Ergebnis richtiger, von rückwärts nach vorwärts gehender Einwirkung von Sitz, Schenkel und Hand, welche das Pferd dazu bringt, an das Gebiss heran zu treten.“

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