Welche Kräfte können wir uns als Reiter zu Nutze machen? Brauchen wir Tragkraft oder müssen wir die Schubkraft gleichermaßen ausbilden? Und wo werden auch Definitionen und unterschiedliche „Wordings“ zu möglichen Stolperfallen?

Die Definition von Schub- oder Tragkraft bezieht sich auf die Wirkung der Kräfte. (Bent Branderup)

Gustav Steinbrecht spricht von Federkraft. In seinem Werk „Das Gymnasium des Pferdes“ beschreibt er sehr genau, wie die Hinterbeine des Pferdes Kräfte auf die Wirbelsäule des Pferdes übertragen.

Auch wir Zweibeiner müssen uns mit Tragkraft beschäftigen. Kommen wir aus der Balance müssen wir uns auf zwei Beinen austarieren. Im Gegensatz zu uns Menschen kann das Pferd allerdings auf die Vorhand fallen.

In der Theorie erläuterte Bent Branderup genau, wie die Winkelung der Hinterhand aussehen muss, damit die Kraftübertragung in den gesamten Pferdekörper optimal verläuft. Was bedeutet eine weiche Fesselung für das Reitpferd? Generell wird diese ja als Schönheitsfehler für das Reitpferd bezeichnet, eine steile Fesselung kann das Pferd allerdings leichter beeinträchtigen – vor allem die Sehnen des Reitpferdes in Mitleidenschaft ziehen.

Spannend ging es bei Betrachtung von Schubkraft und Tragkraft weiter, wenn man sich die Abnützung der Hufe genauer betrachtet. So nutzen sich Kutschpferde durch das Übermaß an Schubkraft eher die Zehen ab, während ein Pferd, das sehr viel in der Levade gearbeitet wird und somit mehr Tragkraft entwickelt hat, vermehrt die Trachten im hinteren Hufbereich abläuft.

In der Bewegung lässt sich das Auge auch ganz gut schulen, wenn man Hufe und Fesselköpfe betrachtet. Wie fußt der Huf auf? Dreht der Fesselkopf des äußeren Hinterbeins nach außen? Dann wäre das Pferd nicht zirkulär unterwegs sondern linear.

Die Drehbewegung kann allerdings nur im Fesselkopf stattfinden – das Sprunggelenk bleibt „gerade“, allerdings wird es durch die falsche Kraftübertragung natürlich auch in Mitleidenschaft gezogen.

Dieser „Drehmoment“ gibt auch über die Dominanz der Schubkraft Aufschluss, das Pferd kann aber auch einfach steif bleiben ohne diese Drehbewegung zu zeigen. In jedem Fall gibt die Abnutzung des Hufes darüber Information, ob Schub- oder Tragkräfte vorherrschen.

Als Reiter müssen wir über die Anatomie der Hinterbeine bescheid wissen. Wir verstehen, das Sprunggelenk und Knie zusammen geschaltet sind – das heißt sie reagieren gleichzeitig. Bleibt das Sprunggelenk steif, bleibt es zumeist auch das Knie. Eine Beugung im Hüftgelenk muss sich nicht automatisch auf Knie und Sprunggelenk übertragen. Die „Zusammenarbeit“ der letzt genannten Gelenke macht auch das ermüdungsfreie Schlafen im Stand für Pferde möglich.

Für den Reiter, der die Hinterbeine zur Beugung animieren möchte ist es auch wichtig zu wissen, dass die Tätigkeit der Hüfte nach „vorne unten“ angestrebt werden muss. Ein Heben der Hüfte in Versammlung führt zur so genannten „Rüden Pinkel Piaffe“. Die Gymnastizierung von Muskeln ist langwierig, von Sehnen und Bänder jedoch noch länger.

Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade! Unter diesem Vorwärtsreiten verstehe ich nicht ein Vorwärtstreiben des Reiters in möglichst eiligen und gestreckten Gangarten, sondern vielmehr die Sorge des Reiters, bei allen Übungen die Schubkraft der Hinterbeine in Tätigkeit zu erhalten, dergestalt, dass nicht nur bei den Lektionen auf der Stelle, sondern sogar bei Rückwärtsbewegungen das Vorwärts, nämlich das Bestreben, die Last vorwärts zu bewegen, in Wirksamkeit bleibt. Man befähige das Pferd durch Übung, seine Schubkraft durch Belastung bis zum Äußerste zu beschränken, man unterdrücke sie aber niemals durch Überlastung!

Gustav Steinbrecht

Gelenke können sich jedenfalls in Beugung und Streckung befinden – werden die Gelenke bis zum Anschlag geöffnet, dann überwiegt die Schubkraft, die Fesselköpfe sind dann relativ stark belastet. Pferde fangen dann an in der Zehe über zu rollen.

Wir müssen die Gelenke geschmeidig machen, dass sie sich gut heben – fällt das Pferd auf die Vorhand, dann kann der Brustkorb nicht schwingen.
Wenn sich das Pferd nicht selbst tragen kann, dann kann es wohl kaum einen Reiter tragen.

Sehr anschaulich demonstrierte Bent Branderup wann das Pferd tragen kann und wann nicht. Aufgestützt auf einem Sessel, mit weit ausgestellten „Hinterbeinen“ war so deutlich sichtbar, wann Tragkraft unmöglich, wann eine Fehlbelastung für den Rücken spürbar wird.

In der Theorie legte Bent Branderup Hauptaugenmerk auf unsere Wahrnehmung. Denn erst wenn wir erkennen, was im Pferdekörper stattfindet oder eben nicht stattfindet, dann wissen wir auch überhaupt, was wir beeinflussen müssen.

Persönliches Kursfazit

Ich habe an diesem Kurs mit meiner Fuchsstute „Tarabaya“ teilgenommen. Tabby kam 2010 zu mir, damals sehr breitbeinig, stark in beiden Fesselköpfen drehend, das Hüftgelenk permanent in starker Streckung. Stark über die Schultern schiebend war es lange Detailarbeit beide Hinterbeine in Richtung Schwerpunkt zu lotsen.

Braucht man nur die Tragkraft? Für ein Reitpferd, das uns gesund tragen soll ist die Ausbildung der Tragkraft bestimmt oberstes Credo. Allerdings brauchen wir auch einen guten Vorgriff aus der Hinterhand, das Pferd muss mit der Hinterhand unter den Schwerpunkt schieben. Solchermaßen definiert macht es deutlich: Wir müssen immer genau aufpassen, wie die Kraftübertragung aus der Hinterhand definiert wird – daraus lässt sich auch unsere Basisarbeit definieren und genauer bestimmen, damit wir den Inhalt erarbeiten und keine Lektion per se.

In Tabbys Fall haben wir jahrelang die Tragkraft gestärkt, können aber jetzt sehr große Schwingungsamplituden in der Wirbelsäule fördern. Vor Jahren war ein Aussitzen mit den großen Bewegungen des Warmbluts kaum möglich – zu hart waren die Niederschläge auf die Vorderbeine, die beinahe wie Prellungen zu spüren waren.

Heute kann man Tabby sogar ein wenig zulegen lassen und sitzen bleiben.

Ich freue mich riesig über die Fortschritte von Tabby. Besonders berührt hat mich aber auch die erste Kursteilnahme von meiner lieben Schülerin Daniela mit ihrem Lipizzaner Maestoso „Ardanos“, die viel Zeit für die Beziehungspflege aufgebracht hat. Dass die beiden ein schönes Team, das in Feinheit miteinander kommuniziert geworden sind war beim Kurs extrem spürbar.

 Nach dem Kurs ist vor dem Kurs…

Am 1. und 2. Juli freuen wir uns auf unseren Kurs mit Bent Branderup zum Thema „Das maßgeschneiderte Training für das individuelle Pferd“.
In der Theorie gehen wir der Frage nach, wie das perfekte Pferd und seine Biomechanik aussieht. Allerdings: Wer hat schon das perfekte Pferd im Stall stehen?
Anhand zahlreicher Praxisbeispiele werden wir zum „personal Trainer“ für unser Pferd.

Alle Informationen zum Kurs gibt es unter folgendem Link