Der Schritt mit seinen Vor- und Nachteilen
Über die Akademsiche Reitkunst heißt es so gerne: Im Stehen über den Schritt, im Schritt über den Trab und im Trab über den Galopp nachdenken.
Um den Blogbeitrag zu lesen, müssen wir jedoch nicht unbedingt stehen – auch wenn es heute um den Schritt mit all seinen Vor- und Nachteilen geht.
Definition Schritt
Der Schritt ist jene Gangart, in der sich Pferde bei optimaler Haltung am meisten während des Tages fortbewegen. Dabei ist die Nase zumeist am Boden, auf der Suche nach Futter.
Folgende Eigenschaften machen einen Schritt aus:
- Der Schritt ist ein Viertakt
- Die Vorwärtsbewegung erfolgt in acht Phasen
- In den Phasen wechselt sich die Phase der Dreibeinstütze und der Zweibeinstütze ab. Die Fußfolge ist dabei nacheinander diagonal, aber auch lateral, also gleichseitig.
- Im Schritt gibt es keine Schwebephase
Was der Schritt alles kann
Das Pferd ist körperlich dazu konzipiert, kilometerlange Strecken im Schritt zurück zu legen. Freilich – Quantität geht immer einher mit Qualität. Wer sein Pferd viel im Schritt bewegt, trägt dazu bei die Knochen und Knorpel gesund zu erhalten, den Hufmechanismus zu beleben, die Durchblutung zu fördern und letztlich auch die Muskelkraft. Der Schritt hat wie oben angegeben keine Schwebephase, trotzdem ist es ein großer Fehler, dass der Schritt in mancher Literatur oder durch die stille Post der Reiterei das Attest „schwunglos“ erhalten hat. Gerade im Schritt findet der meiste Schwung statt.
Schwung bedeutet in diesem Fall eine dreidimensionale Schwingung der Pferdewirbelsäule.
Schritt gut, alles gut: Die Rückenmuskeln werden wechselweise angespannt – aber auch entspannt, dadurch gibt es einen Wechsel von An- und Abspannung. Für die Muskeln jener Gliedmaßen, die dem Rumpf am nächsten sind, bedeutet Schritt eine willkommene Dehnung.
Was wir im Schritt sehen
Wenn wir ein Pferd beobachten, dann sehen wir im Idealfall:
- Eine deutliche Nickbewegung des Kopfes,
- Eine seitliche Bewegung des Widerrists
- Die Schwungwelle über den Rücken in Richtung Genick
- Eine Rotation abwärts des Brustkorbs, wenn ein Hinterbein in der Spielbeinphase ist
- Eine Rotation aufwärts des Brustkorbes, wenn ein Hinterbein in der Standbeinhpase ist
- Eine seitliche Pendelbewegung des Kopfes, zu jener Seite hin, wo ein Vorderbein vorgeführt wird, gleichzeitig Dehnung auf der gegenüberliegenden Seite
Schritt erkennen
Im Schritt fängt alles an. In der Akademischen Reitkunst verbringen wir viel Zeit im Schritt. Wenn wir unser Pferd kennen lernen, dann verbringen wir Zeit miteinander, das kann beispielsweise bei gemeinsamen Spaziergängen sein, wenn die ersten Führübugen absolviert sind. Später werden wir unseren Blick in der Frontposition vor dem Pferd schulen und lernen, Bewegungsqualität einzuschätzen.
Schritt erkennen – Übungsbeispiel:
Beobachte Pferde im Schritt und prüfe:
- Nickbewegung: Hast du das Gefühl die Ohren wackeln sanft nach vorne-unten? Oder hast du das Gefühl, die Ohren schwingen nach hinten oben?
- Sind die Ohren ganz entspannt und wackeln oder wippen? Oder sind die Ohren angespannt?
- ist eine deutliche Pendelbewegung im Hals wahrnehmbar?
- Nickt der Kopf leicht seitlich in die Richtung des jeweils abfussenden Vorderbeins?
- Ist eine deutliche Bewegung im Rumpf wahrnehmbar?
- Wenn man die Bewegung vom Becken in Richtung Widerrist beobachtet – hat man das Gefühl, dass der Schwung am Widerrist abprallt oder kann sich der Schwung durch die gesamte Wirbelsäule bis ins Genick fortsetzen?
- Wie kommen die Hinterbeine nach forne?
- Ist die Zweibeinstütze und Dreibeinstütze deutlich sichtbar?
- Treten beide Hinterbeine gleichmässig nach vorne?
- Tritt ein Bein kurz, ein Bein etwa lang?
- Wo fußen die Hinterbeine auf? Tritt ein Bein breit an der Spur des Vorderbeins vorbei, oder betrifft dieses Phänomen sogar beide Hinterbeine? Treten die Hinterbeine schmal, wie bei einem Seiltänzer? Kommen die Hinterbeine weit unter die Masse, also unter einen imaginären Reiter?
- Schau dir genau an, wo das Hinterbein auffußt, wie weit es nach vorne schwingt und wie weit es stehen bleibt. Das gibt dir Aufschluss übe die Qualität von Vorgriff und Rückschub
- Wo fußen die Vorderbeine hin? Möchte das innere Vorderbein gar über das äußere kreuzen? Oder sind beide Vorderbeine auf ihrer eigenen Spur unterwegs?
Der Schritt ist eine Gangart, die sich nicht nur leicht beobachten lässt, auch akustisch kann man einige Informationen über die Bewegungsqualität erfahren.
Schritt und Propriozeption
Propriozeption bedeutet ein Nachrichtensystem der Nervenzellen. Der Fuß tritt auf einen Stein und schon wird eine Information ans Gehirn übertragen, wie sich die Gliedmaßen zueinander auszurichten haben, um beispielsweise einen Sturz oder ein Einknicken zu verhindern.
Im Grunde hält uns Propriozeption aufrecht. Für die Entwicklung des propriozeptiven Nervensystems ist eine Aufzucht mit optimalen Bewegungsmöglichkeiten (am besten über Stock und Stein) maßgeblich.
Im Schritt jedenfalls arbeitet das propriozeptive System auf Hochtouren und reagiert blitzschnell auf Veränderungen.
Daher sind Schrittspaziergänge im Wald, bergauf, bergab so wertvoll für unser Pferd, wenn es sich über Wurzeln und weitere Unebenheiten arrangieren muss. Wird ein Pferd ausschließlich auf dem Sandplatz geritten und bekommt es auch sonst wenig Bewegungsanreize wird das propriozeptive System nicht mehr gebraucht und es gerät in Mitleidenschaft. Es lässt sich jedoch durch regelmässige Bewegung im Gelände wieder schulen und aktivieren. Um Verletzungen zu vermeiden, ist es für unser Lauftier Pferd ein wichtiger Schutzengel.
Schritt und Störungen
Was, wenn die Propriozeption allerdings „versagt“ hat und das Pferd ist verletzt?
Ob das Pferd lahm geht, kann am besten auf einem festen und hartem Boden überprüft werden. Weiter oben habe ich bereits erwähnt, wie wichtig es auch ist das Gehör zu schulen. Wer sein Pferd blind im Schritt erkennt, der hat auch einen weiteren Vorteil, aufkommende Lahmheiten und Unregelmässigkeiten zu erhören. Im Schritt ist die Bewegungsqualität auch am besten zu beurteilen, hier kann das Pferd nicht aufgrund der erhöhten Muskelspannung von Trab oder Galopp eine Lahmheit kaschieren. Liegt kein Befund an der Gliedmaße vor, ist das Pferd aber trotzdem nicht klar im Schritt unterwegs, dann ist die Ursache dafür oft in der Muskulatur zu suchen: Hier kann es verspannte oder verletzte Muskeln geben – aber auch eine Gelenksblockade in der Wirbelsäule könnte als Ursache genannt werden.
Schritt – Durch den Reiter gestört
Die meisten Störungen des Ganges, die wir wahrnehmen können, sind praktisch hausgemacht.
Die oben beschriebene ideale Folge in 8 Phasen des Schritts ist gestört, der Takt ist unklar, es kann zu einer passartigen Beinfolge oder sogar tatsächlich zum Pass kommen. Das Pferd kann auch mit einer Gliedmaße kürzer treten. Ebenso wahrnehmbar sind Störungen im Rückenschwung, wenn das Pferd nicht mehr über den Rücken zur Reiterhand hin folgt und die Nickbewegung ein deutliches abwärts der Nase und Stirn zeigt. Die Ohren schwingen dann eher himmelwärts oder in Richtung des Oberkörpers des Reiters. Störungen im Rückenschwung können sich durch eine einseitig prominente Bewegung äußern. Wenn das linke Hinterbein des Pferdes nach vorne schwingt, dann sollte das Becken innen ein wenig nach vorne kippen. Die Bauchmuskeln arbeiten, die Oberlinie verlängert sich. Der Brustkorb schwingt innen nach vorne-unten, auf der rechten Körperseite schwingt der Brustkorb nach hinten-oben. Wir nehmen eine seitliche Bewegung am Widerrist wahr.
Der Schritt ist grundsätzlich eine heilsame Bewegung für den Reiter. Das Pferd fördert die Muskulatur und die Bewegung der menschlichen Wirbelsäule genau so, wie wenn sich der Reiter selbst bewegen würde. Die dreidimensionale Schwingung der Wirbelsäule sowie die Bewegung des Beckens ähneln sich so sehr, dass der Mensch einen gewaltigen Benefit durch das Pferd mitnehmen kann.
Menschen, die das geschulte und gut über den Rücken gehende Pferd zur Unterstützung bei der Reha zur Seite gestellt bekommen wollen die Bewegung nicht beeinflussen, sie profitieren durch das Pferd.
Die meisten Reiter wollen aber „reiten“ und das Pferd in seiner Bewegungsqualität beeinflussen. Nicht immer bewegen sie sich mit dem Pferd, sie lassen sich nicht bewegen, sie wollen die Führung übernehmen, ohne die einzelnen Tanzschritte zu kennen und ohne sich überhaupt eingefühlt zu haben in die Bewegungen des Pferdes.
Im Idealfall gibt das Pferd dem Reiter eine kreisförmige Bewegung in der Hüfte – wenn das linke Hinterbein nach vorne fußt, dann bewegt sich die linke Hüfte des Reiters nach vorne unten, der Oberschenkel gleitet am Brustkorb abwärts und spürt, wie er in diese Bewegung förmlich eingeladen wird. Das Pferd „holt“ sich wahrlich die vorwärtstreibende Hilfe des direkten Schenkels ab. Das linke Bein fußt auf und die Hüfte würd nach rückwärts oben geführt. Der Reiter nimmt einen gleichmässigen Kreis in der eigenen linken Hüfte wahr. Gleichzeitig passiert genau gegengleich dasselbe Spiel in der rechten Hüfte. Geht es links abwärts, geht es rechts aufwärts, geht es links vorwärts, geht es rechts rückwärts usw.
Es kann aber sein, dass aus dem Kreis eine Ellipse wird, oder überhaupt eine sägende Bewegung vor und zurück oder auf und ab. An dieser Stelle darf gerne nach der Henne oder dem Ei gefragt werden. Meist war ein Reiter der Verursacher des blockierten Rückenschwungs, freilich aber auch kann eine Verletzung ursächlich sein. Der Fehler sitzt jedoch meist im Sattel. Jedes Pferd hat freilich auch sein eigenes Tempo und seinen eigenen Takt.
Prallen zwei verschiedene Persönlichkeiten aufeinander, jeder mit seinem eigenen Takt, dem eigenen individuellen Rhythmus, dann kann sich das Pferd durch den Reiter gehetzt oder ausgebremst fühlen.
Tritt ein Hinterbein kurz, eines lang, dann ist dies möglicherweise auf die natürliche Schiefe zurück zu führen.
Pferde, die bergab Pass laufen, haben möglicherweise eine Blockade in der Brustwirbelsäule, sind verspannt oder auch wenn die Vorderbeine verletzt sind und schmerzen ist eine Passbewegung möglich.
Vorteile im Schritt
Der Reiter hat Zeit. Er hat Zeit zu fühlen und zu denken. Das kann ein Vorteil sein – aber auch ein Nachteil. Wird über längere Zeit ausschließlich nur im Schritt gearbeitet, dann kann das Pferd nicht aus seinem gesamten Bewegungsrepertoire schöpfen. Für das eine Pferd kann lange Arbeit im Schritt ein Segen sein – beispielsweise wenn es einen sehr hohen Muskeltonus hat und Entspannung braucht. Auch nach diversen Verletzungen oder in der Reha Phase empfiehlt sich die genaue Arbeit im Schritt. Nachteilig kann aber auch diese Entspannung sein, wenn das Pferd von einem etwas höheren Tonus profitieren würde.
Dies bedeutet, dass man im Schritt genau analysieren darf und soll – allerdings nicht nur über den Trab oder Galopp nachzudenken. Eines Tages sollten diese Gangarten auch in das weitere Training aufgenommen werden.
Reite einfach Schritt, dann reitest du einfach 😉
Zum Weiterlesen
Liebe Anna,
Du schreibst,daß Tabby auf der linken Schulter schwer wirkt…,
Woran erkennt und sieht man das?
liebe grüße
Sigrun
Ich konnte dies bei Tabby auch direkt an der Muskulatur feststellen, ebenso an kleinen Nuancen, wenn sich der indirekte Zügel in der Führung nicht so eindeutig mitteilen konnte!