Woher weißt du, dass dein Pferd sicher über den Rücken und an die Hand unterwegs ist? Eine spannende Frage. Wir alle wollen, dass unser Pferd gesund über den Rücken geht, die meisten Reiter wissen beispielsweise bereits, dass die Rückenmuskeln Bewegungsmuskeln sind, die keine Tragearbeit leisten können. Trotzdem ist zwischen Theorie und Praxis ein gewaltiger Unterschied. 

Reiterliches Feingefühl ist eine der wichtigsten Zutaten. Technik lässt sich leichter begreifen; das Gefühl muss immer durch die Erfahrung (und auch durch Fehler) entstehen. 

Geht mein Pferd tatsächlich über den Rücken? 

Bevor man fühlen lernt, kann man sein Gefühl auch durch den Blick schulen. Gerade wenn wir unser Pferd „nackt“ also ohne Sattel longieren haben wir ausreichend Zeit die Bewegung des Pferdes zu beobachten und zu analysieren. Meinen Schülern rate ich an dieser Stelle immer hin zu spüren, was die Bewegung in ihnen auslöst – zum Beispiel mit dem folgenden Bild: 

Wir stellen uns vor, das Pferd läuft zunächst mal im Schritt. Wir sehen zwischen Kruppe und Wiederrist eine leichte Kuhle; wenn wir uns nun vorstellen zwischen Widerrist und Hinterhand wäre Wasser auf dem Rücken des Pferdes, das nun durch dessen Bewegung in Schwingung versetzt wird. Wie bewegt sich das Wasser von hinten nach vorne auf den Widerrist zu? Hat man das Gefühl es herrscht stürmischer Seegang und das Wasser „prallt“ am Widerrist ab? Wie Wellen, die sich an einem Felsen brechen? Hat man das Gefühl, der Rhythmus ist gestört, die Bewegung des Wassers passt im Takt nicht wirklich zu den Bewegungen des Pferdes? Oder gleitet das Wasser sanft, wie am Palmenstrand über den Sand? Herrscht quasi ruhige See? Letzteres Beispiel wäre ideal. Nun können wir uns auch das Pferd „angezogen“ – also gesattelt vorstellen lassen. Wie bewegt das Pferd den Sattel im Schritt? Hat man das Gefühl der Sattel wird in die dreidimensionale Bewegung des Rückens mitgenommen? Sinkt der Brustkorb innen nach unten ab, wenn das innere Hinterbein nach vorne greift? Kommt der Sattel in diesem Moment an der äußeren Seite des Brustkorbes hoch? Ist das Auf und Ab des Sattels ganz gleichmässig oder geht der Sattel langsam vor und runter und schnell rauf und hoch? Kippt die  Hinterzwiesel gar nach außen, wenn das inneren Hinterbein vorschwingt? Bei einer möglichst gleichmässigen Bewegung ist das Pferd über den Rücken unterwegs, wenn das Pferd mit dem Abfussen innen den Sattel leicht in Richtung Widerrist und dann am Brustkorb abwärts bewegt, im Anschluss wieder aufwärts. Man darf nicht das Gefühl haben, der Sattel würde gegen den Widerrist „knallen“ und sich hinten heben. 

Der Ausbilder hat einiges zu beachten. Wo fußen die Pferdebeine hin? Wie senkt sich die Hüfte im Vorgriff der Hinterbeine? Auf diese Bild schön zu sehen – der Kopf von Norikerstute Nora schwingt nach rechts, als das rechte Vorderbein in Bewegung ist.


Unser Blick wandert nun vom Widerrist weiter nach vorne in Richtung Hals des Pferdes. 

Über den Rücken und die Botschaft des Nickens

Ein wichtiger Indikator sind die Nickbewegungen des Pferdes. Wenn das Pferd entspannt im Schritt unterwegs ist, dann können wir eine kleine Bewegung des Kopfes nach innen wahrnehmen, wenn das innere Vorderbein nach vorne greift. Greift das linke Vorderbein nach vorne entsteht ein kleines „Nein-Sagen“ nach links, wenn das rechte Vorderbein nach vorne kommt ist es genau umgekehrt. Zusätzlich wird der Kopf etwas angehoben, wenn die Vorderbeine kurz vor Beendigung der Standbeinphase sind. Das Pferd senkt den Kopf, wenn das Vorderbein vorwärts geführt wird, Diese Nickbewegung ist für den Detailblick besonders interessant. Stimmt das Gefühl einer sanften Welle über den Rücken, dann wird auch die Nickbewegung so wahrgenommen, als kippten die Ohren, die entspannt wackeln, nach vorne-unten. (Denke an den Wackel Dackel auf der Hutablage im Auto). Wenn das Pferd nicht über den Rücken geht, hat man als Betrachter das Gefühl, als würden die Ohren in Richtung Hinterhand geworfen. 

Auf diesem Bild ist Nora nicht ganz korrekt über den Rücken unterwegs. Die Ohren könnten etwas mehr nach vorne-unten schwingen, der Brustkorb könnte sich etwas mehr heben.

Die Nickbewegung stimmt auch nicht, wenn das Pferd die Halsmuskeln krampfhaft anspannt und den Hals kaum noch bewegt. Dies kann auch ein falsches Zeichen von Leichtigkeit sein. Das Pferd bleibt dann hinter der Hand, dehnt aber nicht zur Hand hin. Daher ist der gesamte Satz „Über den Rücken, zur Hand hin“ so wichtig.

Jedes Training in einer permanenten Haltung ist für die Muskulatur schädlich. Bleibt das Pferd aber ständig hinter der Hand und vermeidet es jede Dehnung, dann ist dies ein Zeichen für mangelnde Tätigkeit des Rückens. Die Ursachen sind vielfältig. Blockaden, falsches Training, dadurch verbundenes Erlernen der falschen Rückentätigkeit, mangelndes Engagement der Hinterhand, ein schlecht sitzender Reiter und vieles mehr können hier die Ursache sein.
Auch ein hoher Tonus der Muskulatur kann hier von Nachteil sein. Pferde, die aussehen wie Preisboxer können sich schlecht in der oberen Verbindung des Halses mit dem Rumpf und Schultern loslassen – gerade diese Kette ist jedoch für die korrekte Nickbewegung essenziell. 

„Beim jungen Pferd sind die Nickbewegungen für eine ungestörte Muskelarbeit erforderlich. Wird es durch den Reiter daran gehindert, so verliert es zwangsläufig an Gang. Im Lauf der folgerichtigen Ausbildung nehmen die erwähnten Muskeln durch Trainingswachstum an Umfang und Kraft zu und können dann durch aktive Kontraktion auch ohne sichtbare Halsbewegung dasselbe leisten“.

Udo Bürger, Der Reiter formt das Pferd 

Selbst bei fortgeschrittener Arbeit ist jedoch die Basisarbeit nicht zu vernachlässigen. Wenn Reiter zu lange an der Versammlung feilen und das Pferd ständig in der gleichen Haltung bleiben muss, hat sich dies auf jeden Fall gerächt. 

Der lange Rückenmuskel und dessen Tätigkeit

Wenn das Pferd über den Rücken gehen soll, spielen Bauchmuskulatur und Langer Rückenmuskel eine große Rolle. Wenn es heißt, man soll das Pferd von hinten nach vorne arbeiten, dann ist an dieser Aussage auch der Lange Rückenmuskel beteiligt.
Von den Darmbeinschaufeln des Beckens verläuft der Lange Rückenmuskel wie ein eingedrehtes Handtuch von hinten nach vorne bis zum siebten Halswirbel nach vorne. Nun wird auch klar, dass seine Tätigkeit unmittelbar auf Hinterhand und Vorhand wirkt. 

Im Idealfall wird bei einem tätigen Rücken das Pferd größer (scheinen), die Vorhand wird leicht und angehoben. 

Nora dehnt vertrauensvoll zur Hand hin. Auf diesem Foto kippen die Ohren nach vorne, die Dehnungsbereitschaft über den Rücken ist hier deutlich vorhanden.

Wie arbeitet der lange Rückenmuskel? 

Im Trab und Schritt arbeitet er Muskel abwechselnd, gleichzeitig mit dem Vorgriff des gleichseitigen Hinterbeins.  Mit dem Auge ist das An- und Abspannen gut sichtbar, jedoch Vorsicht: man darf nie das Gefühl haben, der Rücken spannt stramm; läuft das Pferd nicht über den Rücken werden die prellenden Bewegungen durch die stramm gehaltene Muskulatur sichtbar. Galopp ist für Pferde mit festgehaltenem Rücken ein wahres Relaxan. Generell kräftigt viel Galopparbeit einen schlecht bemuskelten Rücken sehr gut. Dann ist aber freilich auch die Frage der entsprechenden Galopp-Qualität. Das Pferd den Zentrifugalkräften ausgeliefert, an der Longe „kreiseln“ lassen, wird weder dem Galopp, noch den Gelenken insbesondere an den Vordergliedmaßen des Pferdes dienlich sein.  

Wann arbeitet der lange Rückenmuskel richtig? 

Sobald der Reiter das Pferd in seiner Gesamtheit nicht mehr sieht, wie eben beim Reiten, ist er zu 100 Prozent auf sein Gefühl angewiesen. Grundsätzlich heißt es, dass das Pferd nicht korrekt über den Rücken unterwegs ist, wenn der Reiter nicht zum Sitzen kommt. 

Der ausbalancierte Sitz, der fühlt, kommuniziert, erklärt und folgt ist natürlich eine Grundvoraussetzung. Was aber meist nicht hinzugefügt wird: Sitzen lernen bedeutet langes und akribisches Training. Der gute Wille alleine zählt nicht, jeder Reiter kennt das Phänomen, dass Schenkel, Arme oder Rücken nicht so wollen, obwohl sich das Hirn redlich bemüht alle Wünsche an die Gliedmaßen weiter zu geben.

Willkürliche Bewegung? Mitnichten. Wir sind den Bewegungen des Pferdes und der Eigendynamik unseres Körpers ausgeliefert. 

Ist das Pferd immer gut zu sitzen, wenn es über den Rücken geht?

Wird der Schwung von der Hinterhand nicht korrekt auf die Vorhand übertragen, lässt sich das Pferd mit voller Last auf die Schultern fallen – dann spüren wir dies ganz unbequem, wenn wir auf dem Pferd sitzen. In dem Moment kann das „von hinten“ nach vorne zu gut gemeint sein, ein hohes Tempo katapultiert den Reiter förmlich aus dem Sattel, der Rücken ist festgehalten. 

Der Reiter hat nun folgende Möglichkeiten, um bequem zu sitzen: Entweder den Rückenschwung korrekt heraus reiten oder den Schwung gänzlich verhungern zu lassen. Letzteres ist meist eine Missinterpretation der Versammlung. Das Pferd wird zwar langsamer, dadurch auch etwas bequemer, allerdings kommt nun auch „nichts“ von hinten, die Zehen werden durch den Sand gezogen, das Pferd hüpft vielleicht ein bisschen mit der Kruppe – echte Hankenbeugung sieht anders aus. 

Ist echter Rückenschwung im Spiel, dann lässt sich aus der Versammlung jederzeit vor schwingen, aus jeder Gangart lässt sich ein flüssiger Übergang in eine andere Gangart reiten, anhalten oder rückwärts richten. Und – der Reiter kommt zum Sitzen. Fühlt sich die Bewegung „verhungert“, nicht rund und flüssig an, dann ist der Rückenschwung nicht korrekt. 

Auch die Atmung kann freilich über die Losgelassenheit der Rückenmuskulatur Aufschluss geben. Atmet das Pferd hörbar durch und schnaubt es ab, sind dies weitere Indizien für einen losgelassenen Rücken. 

Noch ein Beispiel für das Auge

Geht das Pferd nicht über den Rücken, dann ist der Vorgriff aus der Hinterhand nicht möglich. Dies liegt daran, dass ein festgehaltener langer Rückenmuskel nicht alleine für sich ein Problem ist – die Steifheit und Anspannung wird auch auf den breiten Rückenmuskel übertragen, der dann den Oberarm festhält und den Vorgriff behindert. Wenn Pferde einen gebundenen und staksigen Gang zeigen, eine dünne Sohle bzw. Probleme an den Hufen ausgeschlossen werden können, dann kann die Ursache auch in der Muskulatur des Rückens gesucht und gefunden werden. 

Und zu guter letzt

Auch der Schweif gibt über die Qualität des Rückenschwungs Aufschluss. Wenn der Rücken weggedrückt ist, dann wird der Schweif angehoben. Auch ein eingeklemmter Schweif verspricht nichts Gutes. Die natürliche Schiefe zeigt sich auch in er Schweifhaltung sowie Verspannungen und Blockaden. 

Rücken gut = Alles gut! 

Das Pferd ist im Prinzip ausgebildet, wenn es über den Rücken geht. Alles andere ist Draufgabe. Wer im Gelände eine schöne und losgelassene Zeit mit seinem Pferd verbringen möchte, der muss nicht unbedingt Piff und Paff ausbilden – aber er muss danach trachten, dass sich das Pferd korrekt über den Rücken bewegt und somit den Reiter gut tragen kann. 

Mehr über den korrekten Rückenschwung gibt es beim Kurs mit Bent Branderup am 4. und 5. Juli. Wir werden uns hier einzelnen Praxisbeispielen widmen. Jedes Pferd trägt anders und jeder Pferdekörper ist anders – dies werden wir in allen Schwungrichtungen, versal oder traversal, Vorwärts abwärts und vorwärts aufwärts, bis hin zur Versammlung unter die Lupe nehmen! 

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