Zeit für das Semesterzeugnis.
Wer sich an eine facettenreiche Ausbildung seines Pferdes wagt, der kennt das Phänomen vielleicht: Am Boden klappt alles ganz wunderbar, aber vom Sattel aus will die Kommunikation nicht prompt gelingen. Warum fühlt sich die Bodenarbeit sehr gut an, die Arbeit vom Sattel aber noch ungenügend? Dieses Phänomen kennen einige Reiter, die sich akribisch für einige Zeit mit der Bodenarbeit auseinander gesetzt haben. Aber alles der Reihe nach: 

Die Geschichte einer Schülerin

Meine Schülerin war: SPITZE! Wir hatten erst vor wenigen Wochen mit dem Unterricht angefangen und schon hatte ich sie mit der Begeisterung für Bodenarbeit angesteckt. Mehr noch – ich hatte sogar das Gefühl, dass hier eine regelrechte Leidenschaft entfacht wurde. Manchen Schülern kann es am Boden gar nicht schnell genug gehen. So schnell wie möglich wollen sie das Einmaleins hinter sich bringen. 

Bodenarbeit in der Akademischen Reitkunst: Basisführübungen.
Bodenarbeit bedeutet meist, die Beziehung neu zu knüpfen, sich aufeinander einzulassen. Nicht zuletzt, weil man lernt einander besser zu „lesen“.

Diese Schülerin war anders. Jede Stunde hatte sie ein neues Detail entdeckt, die Hausübung wurde mit solch einer Liebe zum Detail erledigt – oder eher gesagt zelebriert. Manchmal war ich selbst überrascht, wie genau meine Schülerin ihr Gefühl in der Bodenarbeit in Worte fassen konnte. Sie hatte schnell gelernt zu sehen und zu spüren. Die Analysen waren auf den Punkt gebracht. Ich hatte ebenso Spaß, mit ihr gemeinsam die Dinge vom Boden aus zu perfektionieren, immer feiner zu machen. Und ich war begeistert, wie schnell sie so viele Details entdecken konnte. 

Ich war sehr stolz, denn so stellten sich natürlich in kürzester Zeit Erfolge ein und die Basis für alles weitere wurde auf ein wahrlich breites Fundament gestellt. Wenn das Pferd gelernt hat, vom Boden aus die Hilfen für Stellung und Biegung anzunehmen, dann ist alles weitere von Oben ein Klacks. 

Ist das tatsächlich so? Nun, es kommt darauf an!

Bodenarbeit Sehr gut…Praxisbeispiel Jungpferdeausbildung

Ein Fallbeispiel aus meiner täglichen Praxis. Mein junger Lipizzaner Conversano Aquileja genannt „Konrad“ hatte die gesamte Bodenarbeit rasch mit Bravour absolviert und – würde ich ein Zeugnis ausstellen – in allen Fächern ein „Sehr gut“ bekommen. Sekundäre Hilfengebung für Schenkel- und Zügelhilfen – alles vorhanden. Auf meine Körpersignale vom Boden aus reagieren? Überhaupt kein Problem. 

Dass Konrad jede Regung meines Körpers genau verstand hängt sicherlich auch mit der Aufzucht unter hervorragenden Bedingungen zusammen. Es ist – wie auch bei uns der Fall: Lernen Kinder eine Erstsprache ganz hervorragend, dann ist es ein Leichtes eine zweite Sprache zu lernen. 

Und nach einer langen Bekanntmachung mit Aufstieghilfe oder dem Schleppen von Dualgassen ging es nun ganz langsam an die Erkundung des Themas: „die Position des Reiters“. 

Gemeinsam tanzen, gemeinsam Energie spüren. Dieses Paar sind wahre Alleskönner – es ist allerdings kein Meister vom Himmel gefallen. Viele Stunden Detailarbeit machen eine solche Synchronität im gemeinsamen Tanz möglich!

Dabei geht es beim jungen Pferd in aller erster Linie ums Kennenlernen. Bei den ersten Übungen geht es darum, das Gewicht des Reiters und das Auf- und Absteigen kennen zu lernen. Wir haben ein Jahr lang „herumgeblödelt“. Ernsthaft aufgestiegen und geritten sind wir freilich noch lange nicht. Wir haben Parken an der Aufstiegshilfe geübt – über das Pferd steigen, links rauf, rechts runter und umgekehrt. 

Dann war der erste große Moment da, wo wir von der Aufstieghilfe ein paar zögerliche Schritte in die Halle unternommen haben. Obwohl Konrad so gut am Boden vorbereitet war, konnte ich sein Zögern und eine große Unsicherheit bemerken. Im Stand den Menschen am Rücken tragen – kein Problem, aber das ganze in Bewegung? Das hat meinen kleinen Lipizzaner dann doch ein wenig verunsichert. In der Halle bin ich gleich mal abgestiegen nach drei zögerlichen Metern und habe meinen braven Schimmel gelobt. 

Wir waren noch immer in der Gewöhnungsphase.  Diese vorsichtigen Runden haben wir dann allmählich gesteigert, bis eine Runde Schritt geführt werden überhaupt kein Thema waren. Für das „erste richtige Mal“ Reiten inklusive Hilfengebung habe ich eine meiner besten Schülerinnen eingeladen. Sie hat nun die Hilfen von oben gegeben, unterstützt von mir – vom Bodenpersonal. „Bist du da nicht neidisch auf diesen ersten großen Moment“, haben mich Zuschauer gefragt? Nein war ich nicht, denn ich konnte Konrad mit mir als Führperson deutlich mehr Sicherheit geben. Julia Kiegerl kannte Konrad freilich auch, aber wir hatten einfach die innigere Beziehung. Ich muss an dieser Stelle einwerfen – noch heute empfinde ich uns selbst am Innigsten wenn ich am Boden bin – einfach weil ich nah dran bin und unmittelbar Feedback geben kann. Jedenfalls zurück zum Thema. Für Konrad war die Umsetzung der reiterlichen Hilfen scheinbar simpel und absolut logisch. 

Reiten ungenügend – ein Praxisbeispiel von vielen

Kommen wir zurück zu meiner Schülerin. Als wir wahrlich zu Meistern der Bodenarbeit herangereift waren, kam endlich der Zeitpunkt, um das Gekonnte in den Sattel mitzunehmen. War dieses Vorhaben ebenso von Erfolg gekrönt, wie bei Konrad? 

Leider nein. Aber was war der Unterschied? Meine Schülerin war zwar am Boden Profi. Aber in der nächsten Führposition vom Sattel aus, musste sie ihre neuen Tanzschritte ebenso perfektionieren. 

Was fühlt der Reiter? Welche Hilfen muss er nun nach und nach umsetzen? Warum scheinen diese Hilfen aus Bodenarbeitsperspektive so klar und warum sind sie aus dem Sattel so schwer umzusetzen? Warum tut der Köper nicht das, was der Geist von ihm fordert. Körperbeherrschung ist auch am Boden ein Thema, vom Sattel müssen wir aber unseren Körper und den des Pferdes in Einklang bringen. Dies war nicht so einfach. Zusätzlich war am Boden eine Leichtigkeit entstanden, die vom Sattel nicht sofort und prompt abrufbar war. Meine Schülerin war frustriert. 

Wie sich die Dinge entwickeln…

An dieser Stelle gibt es verschiedene Versionen über den Ausgang der Geschichte (die sich im Übrigen bereits mehrfach wiederholt hat). In der ersten Version möchte der wissbegierige Schüler unbedingt weiter lernen. Es ist klar, dass die Bodenarbeit ein wichtiges Fundament für die weitere Ausbildung geschaffen hat. Am Boden wurde jeder Schritt akribisch und detailliert erarbeitet. Der Schüler weiß, dass nun ebenso eine akribische Vorgehensweise vom Sattel aus am Stundenplan steht. Man erinnert sich an die ersten hilflosen Versuche am Boden im Rückwärtslaufen und gesteht sich ein – auch hier gab es einige Stolpersteine und Hürden zu nehmen. Nach dem Motto: „Nur Mut, das wird schon“, gibt es einen neuen Motivationsschub. 

Die zweite Version lautet: Der Schüler gibt frustriert auf. So manch einer mag sich an dieser Stelle wie Sisyphos gefühlt haben. Eben den Bodenarbeitsstein mühsam den Hügel hoch gerollt – und nun soll der Reit-Stein folgen? 

Die genaue Vorbereitung des Jungpferdes durch die Bodenarbeit erleichtert das spätere Anreiten.
Die junge Stute Beti lernt alle Sekundären Hilfen in der Bodenarbeit umzusetzen. Natürlich kommen vom Sattel aus neue Herausforderungen auf jedes Paar hinzu. Die genaue Vorbereitung vom Boden aus macht die Sache aber leichter.

Da gibt man lieber frustriert auf, behält die Bodenarbeit zwar gerne weiterhin im Repertoire, der Reitstiel bleibt jedoch unverändert, der Reitunterricht findet wie eh und je statt. Umlernen wäre viel zu kompliziert. 

Wir sind allerdings schon so weit gekommen. Schade, wenn wir dann den vermeintlich „leichteren“ Weg gehen und lieber alten Gewohnheiten treu bleiben, als uns weiter zu entwickeln. Doch genau hier liegt der Hund begraben. 

Bodenarbeit: sehr gut, Reiten: Ungenügend. Warum das Umlernen so schwer fällt?

In der Bodenarbeit waren wir Neulinge. Anfänger lernen anders als Umsteiger. Als ich mit meiner Stute Barilla völlig neu gestartet habe, konnte ich auf mehr als 20 Jahre Reiterfahrung zurück blicken und viele Jahre auf sehr jungen Pferden. Im völligen Alleingang hatte ich zum ersten Mal ein Pferd mit 14 Jahren angeritten. Und das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen. Ich hatte keine Angst vor schwierigen Pferden. Und dann kam meine Stute Barilla. Sie war einfach nicht leicht in der Hand, wirkte unbiegsam und steif. Ich kam einfach nicht weiter und hatte nicht das Gefühl mit meinen Botschaften zu ihr durchzudringen. Vermutlich hätte sie genau das auch über mich gesagt! 

Ich glaube es dauerte sieben Jahre. So lange waren wir zusammen, ehe ich ENDLICH eingesehen hatte, dass nicht SIE neu lernen musste, sondern ICH. Also habe ich mir eingestanden, was ich NICHT konnte und neu begonnen. 

Dieser Schritt tut manchmal weh. Manchmal tut er aber auch sehr gut. Ich bin sehr froh, ihn gegangen zu sein. Ich bin oft von Barilla abgestiegen und heulend nach Hause gefahren. Wenn man grob und fest im eigenen Körper ist, dann schlägt sich das aufs Gemüt. Sicher laufen auch heute nicht immer alle Dinge wie am Schnürchen, aber das Gefühl der Verzweiflung, der Ärger über mich selbst, das ist mir zum Glück in den letzten Jahren wirklich fremd geworden. 

Bodenarbeit ist ein wichtiger Beitrag zur Beziehungspflege.
Einander zuhören. Viele Ausbilder genießen die Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Pferd.

Meine schlechte Stimmung übertrug sich garantiert auch auf mein Pferd. Wenn ich Reiter sagen höre: „Ich fahre nach dem Reiten frustriert nach Hause“. Dann denke ich mir immer wieder, wie wohl das Pferd an diesem Tag zurück bleibt. Pferde sind extrem feinfühlig was Emotionen anbelangt. Das ist vermutlich auch der schwierigste Teil in der Pferdeausbildung. Als Pädagoge niemals emotional zu werden, wenn es um Enttäuschungen geht. In Punkto Lob können wir natürlich emotional ausrasten. 

Es gibt so viele weise Sprichwörter, die sich der Persönlichkeitsentwicklung durch das Pferd widmen. Wenn wir es zulassen, unsere Fehler umarmen und gerne lernen, dann schaffen wir auch die Hürde vom Boden in den Sattel! 

Eine Stufe nach der anderen erklimmen 

Zurück zum Thema. Wenn wir einen Erfolg geschafft haben, dann heißt es auf zur nächsten Hürde. Wenn wir die Gehschule erfolgreich absolvieren – trotz vieler Stürze, das ist klar, dann kommt der Kindergarten, dann die Grundschule usw. usf. 

Das Lernen im Leben hört nie auf. Die Universität kann der Studierende quasi als höchsten Gipfel der Ausbildung abschließen – aber selbst danach kann man sich dafür entscheiden, sich ständig neu herauszufordern oder den einfachen Weg zu gehen. 

Erfahrung macht den Meister – oder eben nicht! 

Die Bodenarbeit war etwas, worauf wir uns als dezidierte Neulinge leicht einlassen konnten. Vom Boden aus haben wir keine Vergleichswerte – vom Sattel aber schon – oft gibt es hier jahrelange Erfahrung und auch Muster und Bewegungsabläufe, die sich bereits gefestigt haben. 

Ist ein bestimmtes Bewegungskonzept über Jahre gespeichert, dann sind wir praktisch nicht mehr Herr unserer Hände. Der Reitlehrer erklärt, wir bestätigen in Gedanken und trotzdem tun unsere Hände nicht das, was wir uns wünschen. 

Wird unser eigener Körper zum Feind im Sattel, dann liegt dies häufig daran, dass wir bestimmte Bewegungsmuster über Jahre hinweg „programmiert“ haben. Unsere Synapsen merken sich, ob wir uns auf einer Seite fest gemacht haben, die Knie hochziehen oder im Sattel mit dem Gesäß nach vorne schieben. Das Pferd merkt sich so etwas natürlich auch. In der Bodenarbeit hat nicht nur der Reiter so einiges dazu gelernt, auch das Pferd – und somit kann es schon sein, dass es dann von uns auch einen feineren Umgang vom Sattel aus einfordert. 

Handarbeit ist dann nicht nur ein tolles Tool für die Ausbildung der Hand, sondern auch für die Ausbildung des Reiters. Die Hand lernt zu spüren, was aus der Hinterhand an sie übertragen wird – und was nicht. Diese Information kann quasi in Mark und Bein übergehen – oder in Sitz und Bein. 

Auch wenn die Bereitschaft zum Lernen oder Neu lernen da ist – die Bereitschaft beschleunigt nicht unbedingt den Lerneffekt. Alles braucht seine Zeit. Zum Glück läuft sie uns, wo wir das Reiten als Hobby und Leidenschaft ausüben dürfen nicht davon! 

Meine Schülerin, von der ich zu Beginn des Artikels erzählt habe, erhält heute übrigens sowohl auf Bodenarbeit, wie auf Reiten eine glatte Eins. Mustergültig! 

Lerne zu Lernen, dann Reitest du Einfach 😉 

Bodenarbeit sehr gut, Reiten ungenügend zum Weiterlesen

Den Sitz verbessern – in der Praxis

Am 7. und 8. März kommt Hanna Engström für einen Kurs zu uns an den Sonnenhof, in Hart bei Graz. Wir freuen uns schon sehr auf Hannas Input! Damit sich auch unsere Zuschauer viele Anregungen rund um das Thema Sitz mitnehmen können, haben wir verschiedenste Reiter mit ihren Pferden in der Praxis. Informationen zum Kurs gibt es unter folgendem Link.