Plötzlich hatte ich das Gefühl, meine Stute Barilla und ich verstehen einander. In die Negativschleife aus Missverständnissen wollte ich so schnell nicht mehr geraten. Doch ich sollte irren und gleichzeitig aus diesem Irrtum einen wahren Erfahrungsschatz schöpfen. Denn aus Fehlern lernen wir am meisten.
Fehler gehören dazu
Fehler gehören im Leben dazu. Schon unsere ersten Gehversuche gestalten wir aus „Versuch und Irrtum“. In der Reiterei sind wir jedoch nicht nur für uns selbst verantwortlich. Gerade deswegen möchten wir ja auch alles perfekt machen. Und gerade dann ist Wachstum gehemmt. Vor lauter Panik keine Fehler zu begehen, setzen wir uns nicht mehr bewusst mit unseren Irrtümern auseinander und tappen in die nächste Falle.
Kann ich mich darauf verlassen?
Als ich die Akademische Reitkunst kennen lernte, war ich so froh. Ich hatte endlich eine Anleitung, die für mich Sinn ergab. Außerdem bekam ich Erklärungen und Feedback und konnte so die Zusammenhänge besser verstehen. Alte Fehler wollte ich nicht mehr machen. Ein guter Vorsatz, der jedoch nicht lange hielt. Dass man gerade zu Beginn der Ausbildung in alte Muster zurück fällt, ist unumstößlich. Ich habe mir große Mühe gegeben, gewisse Dinge zu vermeiden – vor allem was die Erwartungshaltung meinem Pferd gegenüber betraf. Aber es ist mir nicht immer gelungen.
Erst vor kurzem habe ich eine alte Aufnahme von Barilla auf einem unserer ersten Kurse bei Bent Branderup gefunden. Wäre ich heute mein eigener Pädagoge oder hätte ich damals mit meinem Blick von heute diese Aufnahmen betrachtet – ich wäre durchaus zufrieden gewesen. Damals nach den ersten augenöffnenden Einheiten war mir der Fortschritt jedoch nicht schnell und nachhaltig genug. Ich war himmelhochjauchzend, wenn etwas gelungen ist und zu Tode betrübt, wenn wir nicht alles so umsetzen konnte.
Dieses Phänomen erlebe ich auch heute mit Schülern. Ein Thema, das uns alle quält ist die Erwartungshaltung.
Große Erwartungen
Den meisten Schülern geht es so wie mir in den ersten Einheiten. Man lernt etwas völlig Neues – vor allem, wenn man sich mit seinem Pferd noch nie an Bodenarbeit gewagt hat, dann ist man überwältigt von den vielen neuen Eindrücken und Informationen. Man ist erstaunt, wie gut das Pferd sich ausdrückt und Feedback an den Reiter gibt. Das war man vielleicht in einer solchen Art zuvor noch gar nicht gewohnt.
Solche Erfolgserlebnisse schüren natürlich die Erwartungshaltung. Wir wollen mehr. Der Ehrgeiz in uns erwacht und wir sind enttäuscht, wenn es dann beim nächsten Mal nicht so glatt läuft. Dabei würden wir aus unseren Fehlern am meisten lernen.
Ohne Erwartungen und mit freundlicher, neutraler Einstellung an eine Sache heranzugehen, hat uns jedoch schon öfter im Leben die eine oder andere tolle Überraschung gebracht.
„Sich mit dem Reiten zu üben ist so eine Sache. Diese Kunst kann man nicht erlernen, ohne sich auf ein Pferd zu setzen und mancherlei Unannehmlichkeit in Kauf zu nehmen, die durch die Unberechenbarkeit des Tieres entstehen, das widersetzlich, aufgeregt oder furchtsam sein kann. Hinzu kommt die eigene Angst vor den möglichen Folgen. Alle diese Schwierigkeiten lassen sich weder überwinden noch vermeiden, außer durch Anwendung von Güte, Wissen, Verstand und sonstigem Urteilsvermögen. Dadurch lernt man in den schlimmsten Situationen mit der gleichen Schnelligkeit und Kaltblütigkeit zu reagieren, als ob man am Schreibtisch sitzen und ein Buch studieren würde“.
Antoine de Pluvinel
Aus der Erfahrung lernen
Mittlerweile bin ich sämtlichen Fehlern dankbar. Denn ohne Fehler, Irrtümer und Sackgassen wäre ich heute nicht der Ausbilder, der ich bin. Ich weiß nun sehr genau, was ich meinen Pferden gerne beibringen möchte – und was auf gar keinen Fall.
Ich weiß, dass ein ruhiger Geist, ein aufgeschlossenes Wesen, das mir ruhig und bedacht zuhört und ebenso in aller Ruhe seine Antworten formulieren kann weit mehr Wert ist, als ein piaffierender, nervöser Zappelphilipp.
Manche Wertigkeiten werden sich aus der Erfahrung entwickeln und so unser eigenes Wertesystem gegenüber dem Pferd und hinsichtlich der Ausbildung formen.
Die Erfahrung zeigt auch, welche Bewegungskonzepte sich als nachhaltig und für nächste Schritte sinnvoll erweisen konnten – und welche eben nicht!
Aus der Erfahrung schöpfen, das bedeutet auch abwiegen können:
„Es liegt in der Verantwortung des umsichtigen und klugen Ausbilders, nur das anzuwenden, was er für angemessen hält.“
Antoine de Pluvinel
Um überhaupt abwiegen zu können, muss man sich als Schüler darauf einlassen, wirklich zu Schüler zu werden. Ich bin mit Pferden aufgewachsen, musste nach 20 Jahren jedoch recht bitter einsehen, dass ich eigentlich völlig von Vorne beginnen musste. Das habe ich getan. Mit allen Stolperfallen und Hürden. Ich bin für jede einzelne dankbar.
Richtung geben und Fehler akzeptieren, um daraus zu lernen
Ein Vorteil für mich als Schüler war, dass ich mich quasi gebunden habe. Ich kam durch eine Freundin zur Akademischen Reitkunst. Damals war für mich auf meinem ersten Kurs, den ich als Zuseher besucht hatte, vieles befremdlich. Es gab Reiter, die unbedingt so aussehen und sein wollten, wie ihr großes Idol. Das lag mir nicht. Ich wollte einfach nur reiten. Ich träumte von der Leichtigkeit. Ein Personenkult war mir zuwider. Auch die barock anmutende Ausrüstung war mir suspekt. Einmal englischer Sattel – immer englischer Sattel. Ich hatte also durchaus Berührungsängste, mit allem, was da so neu aussah, nicht jedoch mit der Methode. Dafür habe ich meiner Freundin zu sehr vertraut. Auch durch ihre Kompetenz als Medizinerin und die eigenen plausiblen Erklärungen die Biomechanik des Pferdes und Hilfengebung betreffend, hatte mich schon überzeugt.
Ich ließ mich also darauf ein, völlig neu zu lernen. Ich erlaubte mir eine Zeit der „Lehre“, in der ich nicht nach links und rechts schauen wollte. Sehr oft höre ich von Reitern, dass sie sich auf Kursen „einfach mal das Beste rauspicken wollen“. Ich finde es einerseits super, wenn man sich viel Input holt – andererseits – die meisten von uns haben zu diesem Zeitpunkt quasi noch keine „Lehre“ abgeschlossen. Wir haben Reitunterricht bekommen, dann vielleicht Erfahrungen mit einer Reitbeteiligung gesammelt und schließlich stießen wir auf unser erstes eigenes Pferd. Wer sich immer nur das Beste raus pickt, vernachlässigt das Potenzial aus dem eigenen Fehler zu lernen.
Wir würden uns in unserer sonstigen Berufs- und Ausbildungswelt selten anmaßen, sich da und dort was heraus zu picken. So hätten wir nie eine Fremdsprache gelernt, wenn wir uns entschlossen hätten, lediglich die leicht zu merkenden Vokabel abzuspeichern.
Für den Lernenden ist es also unumstößlich, dass man sich mal für eine Richtung entschiedet, eine breite Basis und ein gutes Fundament in seiner Ausbildung legt und dann schnuppert und Inspirationen sammelt.
Ich glaube wirklich, dass man sich ganz ernst hinterfragen sollte, ob man schon so weit ist, dass man Inspirationen einfach „rauspicken“ kann. Schließlich sind die meisten guten Ideen ja auch in einer tiefen Basis einer jeden Schule verwurzelt und schlecht aus dem Zusammenhang zu reißen.
Dann ist es schwierig, ohne den entsprechenden Coach an der Seite mit dieser Idee voranzukommen.
„Es gibt tausend verschiedene Schwierigkeiten, die man nicht vorhersehen kann, bis sie in der Arbeit auftreten. Dann allerdings ist es erforderlich, auf der Basis von langer Übung und Erfahrung in dieser Kunst seinen Scharfsinn kräftig einzusetzen, sonst besteht sehr oft das Risiko, dass die Pferde verdorben werden und den Menschen in Gefahr bringen.“
Antoine de Pluvinel
Darf man dann überhaupt Fehler machen?
Ja! Denn sie werden so oder so passieren. Und nur wenn wir einen Fehler begehen, werden wir auch daraus lernen.
Wir lesen vielleicht alle dieselben Bücher, wir besuchen den selben Kurs und doch erlebe ich es immer wieder so, dass wir auf der Heimfahrt feststellen, dass die gesamte erste Reihe eine Anweisung des Trainers am Kurs gänzlich unterschiedlich interpretiert hat. Das liegt natürlich auch daran, dass im Kopf ständig das eigene Pferd „mitreitet“. Und wie wir wissen gleicht ja auch kein Pferd dem anderen.
Ich habe beispielsweise Steinbrecht zerlegt, bearbeitet, behirnt, in der Praxis ausprobiert nur um dann ein Jahr später drauf zu kommen, dass ich Sätze aus dem Buch dann ganz anders und noch viel weitreichender verstanden hatte. Wie oft hatte ich einen Satz gelesen und mir gedacht „Ja klar“, nur um dann Monate später nochmal über den Satz zu stolpern und den Inhalt aufzusaugen, als hätte ich noch nie davon gehört. Einfach weil dieser Absatz gerade ganz hervorragend zu den Themen passte, an denen ich mit meinen Pferden gerade tüftelte.
Der König fragt Antoine de Pluvinel:
„Ich habe sehr oft junge Schüler üben sehen, die sehr große Fehler begingen, welche er zuließ, ohne etwas zu ihnen zu sagen. Hätte ich nicht gewusst, wie erfahren er in der Reiterei ist, hätte ich geglaubt, dass Unwissenheit der Grund für sein Schweigen war.“
Der König bittet Pluvinel die Pädagogik dahinter zu erklären. Pluvinel antwortet wie folgt:
„Wenn also der Schüler am Anfang der Ausbildung irgendwelche Fehler begeht, Sire ob bei der Körperhaltung, die man ihm beibringen will, oder bei der Führung des Pferdes, dann sollte man überlegen, ob es richtig ist, diese Fehler jetzt zu korrigieren. Dazu muss man die Ursache berücksichtigen, die ihn etwas falsch machen lässt, ob unsicherer Sitz auf dem Pferd, zu große Aufregung oder schlechte Auffassungsgabe ihn daran hindern, es so zu machen, wie man ihm gesagt hat. Ist fehlender Halt auf dem Pferd schuld, wäre es ziemlich unsinnig, ihn wegen schlechter Haltung zu tadeln, oder wegen ungenügender Führung des Pferdes, die auch durch den unsicheren Sitz zustande kommt, der den Schüler an nichts anderes denken lässt. Anstatt ihn deswegen zu kritisieren, muss man ihm beibringen, sicher zu sitzen.“
Antoine de Pluvinel
Jeder Fehler ist nützlich, aber man darf sich nicht vor den Fehlern fürchten. Schließlich lernen wir aus Fehlern. Perfektionismus ist ebenso eine Sache, die den Reiter lähmen kann. Und wer sich ständig korrigieren lässt, wird nur schwer ein Gefühl für Richtig oder Falsch entwickeln. Und das ist es ja, was Reiten und Reitkunst überhaupt ausmacht: Das Gefühl. Nicht umsonst haben die Alten Meister so viele Seiten und Zeilen über den viel gerühmten Reitertakt geschrieben. Nicht umsonst wurde das Einfühlungsvermögen und die Gabe genau zu fühlen und zu analysieren was unter dem Reiter passiert so viel gepriesen.
„Ähnlich ist es, wenn jemand sehr aufgeregt ist. Es nützt recht wenig, seine Fehler zu rügen, solange die Aufregung anhält, denn er hat nichts anderes vor Augen als eine ständige Anspannung, die ihn taub macht für alles, was man ihm sagen könnte. Man muss ihm zuerst die Angst nehmen, um ihn in die Lage zu versetzen, seinen Verstand zu gebrauchen und für das aufnahmefähig zu werden, was man ihm beibringen ist. ……Der Schüler auf dem Pferd muss sich zuerst völlig sicher fühlen, bevor man ihn korrigieren kann, und wenn er sich sicher fühlt, dann muss man ihm beibringen, ein Gefühl für sich und das Pferd zu entwickeln. Es gibt nämlich sehr viele Reiter, die etwas falsch machen, weil sie es nicht fühlen…Man muss also erkennen, ob ein Reiter ein Gefühl für sich und das, was er tut, besitzt, damit man ihm deutlich den Weg weist.“
Antoine de Pluvinel
Lernen aus Fehlern gehört zum Lernen aus Erfahrungen. Das heißt Fehleranalyse, Ursachenforschung und die Auseinandersetzung mit der möglichen Fehlerkorrektur sollen dazu führen, dass die Wiederholung von Fehlern nicht mehr stattfindet.
Welche Fehler gibt es denn eigentlich?
Flüchtigkeits- oder Leichtsinnsfehler: Daher ist es besonders wichtig, achtsam mit dem Pferd umzugehen, im Hier und Jetzt zu sein und immer sorgsam zu reiten. Es gibt kein „schlampiges“ Reiten oder Arbeiten mit dem Pferd. Ist man nicht gut drauf, reicht die Konzentration an diesem Tag nicht aus, dann sollte man vielleicht gar nicht in den Sattel steigen.
Wissens- oder regelbasierte Fehler sind die häufigsten Fehler in der Reiterei. Wir gehen dabei von falschen Annahmen aus. Mir wurde sehr lange Zeit das Vokabel „Parade“ im Unterricht vor den Latz geknallt und ich war als Kind zu schüchtern, um nachzufragen und später, als Jugendliche war es mir quasi peinlich. Ich denke aber, dass viele Reiter mit ihrer eigenen Interpretation von Paraden „herumgewurschtelt“ haben, auch wenn jeder brav aufsagen konnte, dass eine halbe Parade einen Tempowechsel einleitet und eine ganze Parade zum Halten führt.
Denkfehler: Wie oft dachte ich, ich reite die Hinterbeine meines Pferdes vorwärts? Wie oft dachte ich, der Schubkraft Herr geworden zu sein, allerdings habe ich sie nur unterdrückt. Denkfehler verbunden mit den großen AHA-Erlebnissen sind DIE Turbo Booster, wenn wir weiter kommen wollen. Ja, manchmal kann es schmerzhaft sein, wenn man herausfindet, dass man sich länger verzettelt hat. Manchmal käme man ohne diese Einsicht jedoch gar nicht weiter.
„Man muss die Schüler in der Anfangszeit auch Fehler begehen lassen und ihnen Gelegenheit geben, diese möglichst ganz von selbst zu bemerken und korrigieren, nachdem man sie zu Beginn ein oder zwei Mal darauf hingewiesen hat. Sie sollen nicht ständig darauf warten, dass sie alles gesagt bekommen, sonst schläft ihr Verstand infolge dieser Erwartungshaltung ein“.
Antoine de Pluvinel
Lernen wir unsere Fehler zu schätzen und zu lieben – dann Reiten wir Einfach.
Und im Leben ohne Pferde (falls es das überhaupt gibt) machen uns doch auch gerade die Ecken und Kanten so wertvoll!
Aus Fehlern lernen – Zum Weiterlesen:
- Wie man mit Zweifel umgehen kann
- Gibt es ihn? Der magische Knopf zur Lösung aller reiterlichen Probleme?
- Kann man es auch schaffen, wenn der Trainer nicht ständig daneben steht?
Aus den Fehlern der Alten Meister lernen
Die Schriften der Alten Meister eint eins: geballtes Wissen und ein unglaublicher Erfahrungsschatz. Haben die Alten Meister auch ihre Irrtümer und Sackgassen zu Papier gebracht? Aber natürlich, wir lernen heute aus Fehlern der Alten Meister, denn jeder Schriftsteller bringt immer genau das zu Papier, was er als besonders wichtig erachtete. Ein guter Pädagoge wie Antoine de Pluvinel warnte daher eingehend vor diversen Fehlern und Sackgassen.
Wikipedia Artikel zu Antoine de Pluvinel
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